Читать книгу Das Lachen der Yanomami - Nina Hutzfeldt - Страница 10
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ОглавлениеAmazonien, 1993
Jemand schrie so laut, dass sich die Vögel aus den Bäumen in den Himmel verabschiedeten. Tomas und Jayden schlugen die Äste wie nervtötende Fliegen zur Seite. Sie sahen mehrere Männer, wahrscheinlich ebenfalls Goldsucher, sich zwei Ureinwohnerinnen gegriffen hatten und versuchten, sie mit Gewalt in den Wald zu schleifen. Am liebsten wäre Jayden in den Fluss gesprungen und ans andere Ufer geschwommen. Doch Tomas hüstelte plötzlich und verschwand hinter ihm im Dickicht.
»Hey, Tomas. Was machst du? Wo willst du hin?«, fragte Jayden und folgte Tomas. Mit schnellen Schritten holte er ihn ein und stellte Tomas zur Rede.
»Was ist denn?«
Jayden verspürte Zorn, der wie die Lava in einem Vulkan brodelte. »Tief durchatmen«, dachte er. »Wieso gehst du? Wie müssen doch etwas tun.«
»Was denn? Wie können wir etwas tun, wenn wir wissen, dass sich alle gegen uns stellen würden?«
»Woher willst du das wissen? Wir sollten mit Diego sprechen, wenn er das nächste Mal zu uns kommt. Oder ich spreche mit Luìz, wenn wir zurück im Dorf sind.« Jayden stemmte die Hände in die Hüften.
»Und was willst du ihm erzählen, warum du die Grube verlassen hast?«, fragte Tomas.
»Na ja, um Ausschau zu halten.« Er zuckte mit den Achseln. Jayden wusste selbst, dass er sich nicht glaubwürdig anhörte, doch was blieb ihm anderes übrig.
Am Abend, als Luìz auf einem der Baumstämme saß und zu Abend aß, machte Jayden sich auf den Weg zu ihm. »Hallo, was für ein anstrengender Tag«, sagte er und setzte sich neben Luìz.
»Mm«, knurrte dieser schmatzend.
»Weißt du, ich muss mal mit dir reden.«
»Willst du nach dieser Grube das Camp verlassen?«, fragte Luìz. Er warf den Knochen, an dem er genagt hatte, zu Boden und leckte einen Finger nach dem anderen ab. Jayden fand das recht unhygienisch, denn seine Finger waren nicht besonders sauber, aber das interessierte hier niemanden.
»Nein, darum geht es nicht.« Jayden zögerte, bevor er weitersprach. »Ich bin in den kurzen Pausen in den Wald gegangen und habe dort andere Menschen am Fluss entdeckt.«
»Du hast was?«, rief Luìz bestürzt aus.
»Ich war im Wald und habe dort Frauen beim Fischen und Waschen entdeckt. Es müssen die Ureinwohner von Amazonien sein.«
»Da bist du dir ganz sicher?«, fragte Luìz. Er hatte sich bereits gerade aufgesetzt.
»Mm, ich glaube schon. Aber ich erzähle es dir, weil fremde Goldsucher dort waren und sich zwei Frauen gegriffen haben.«
»Das ist ja unerhört«, murmelte Luìz.
Doch Jayden konnte ihm aus dem Gesicht lesen, dass es ihn nicht wirklich tief berührte.
»Am besten zeigst du uns die Stelle und wir werden mit ihnen reden. Wir werden ihnen sagen, dass sie sich in Acht nehmen und sich lieber bei ihren Hütten aufhalten sollten.«
»Okay, das ist gut. Wann brechen wir auf?«
»Wann warst du das letzte Mal da? Sie werden sich sicher nicht den ganzen Tag dort aufhalten.«
»Am späten Vormittag.« Vielleicht werden wir sie aber auch nicht antreffen, denn durch die Entführung könnten sie schon vorsichtiger geworden sein, sagte sich Jayden stumm.
»Okay, dann treffen wir uns auf dem Platz.« Luìz stand auf und wollte gehen. Dann drehte er sich noch einmal um. »Und dieses Mal pünktlich.«
Am darauffolgenden Vormittag wartete Jayden auf Luìz. Er war aufgeregt und wippte mit seiner Fußspitze zum Takt der lauten Motoren. José, Franck und Tomas schlossen sich Jayden und Luìz an.
Sie folgten Jayden ohne große Worte. Sie achteten nicht auf die Wurzeln, die sich aus dem Boden reckten oder die Pflanzen, die ihre Fühler auf die Pfade streckten. Es war eigentlich traurig, wie sehr die Gruppe die Natur verabscheute. Hauptsache, Gewinn machen, dachte Jayden und blieb kurz vor dem Flussufer stehen. Er lauschte und konnte die Strömung hören. Wie wild und treibend sie das Wasser aufforderte. Dann nahm er die letzten Zweige weg und stellte sich an die Seite, damit die übrigen Goldsucher etwas sehen konnten.
Wieder plantschten einige Kinder im Wasser, während andere dabei waren, Körbe in den Fluss zu lassen.
»Sind da auch Krieger bei?«, fragte José in seinem schlechten Englisch.
»Ich glaube nicht«, sagte Franck und trat direkt ans Ufer.
»Pass auf, die Strömung ist heute besonders stark.«
»Was macht ihr denn?«, fragte Jayden aufgebracht. Er wollte Franck am Hemd festhalten, doch dieser riss sich los.
»Was die anderen machen, können wir schon lange.« Luìz schubste Jayden ins Gebüsch, so dass dieser wie eine Schildkröte auf dem Rücken lag.
Wie betäubt blieb er liegen. Was sollte das? Er hatte nur einen Moment nicht aufgepasst oder nicht damit gerechnet, dass die Kameraden zu so etwas fähig wären. Er wollte doch nur, dass sie sich mit den Frauen unterhielten, damit sie vorsichtiger wären. »Hallo! Hallo!«, schrie Jayden und winkte mit den Armen, nachdem er sich aufgesetzt hatte. Die Frauen hatten die Männer bereits gesehen und waren dabei, sich zurückzuziehen.
Da griff Franck mit seinen langen Armen nach einer schmalen Frau, die nicht so schnell lief, und hielt sie fest. »Ich hab eine«, schrie er und zog sie an sich.
Danach ging alles ganz schnell. José, Luìz und der schüchterne Tomas, der sich dem Gruppenzwang anschloss, hielten die sich windende Frau fest und trugen sie zurück ins Lager. Dort wurde sie in eine der Hütten gebracht und auf eine Pritsche gelegt. Mittlerweile hatten sie ihr den Mund zugebunden und bei jeder Bewegung schlugen sie sie. Jayden, der sich an allem die Schuld gab, rannte hinter den anderen Goldsuchern her und war erschüttert, als er sah, was diese der jungen Frau antaten. Einer nach dem anderen verging sich an ihr. Am liebsten hätte er laut aufgeschrien, die Männer weggestoßen und die junge Frau genommen, damit sie wieder zu ihrer Familie in den Wald flüchten konnte. Doch natürlich hielten die Kameraden zusammen und versperrten den Weg zur Hütte, während einer von ihnen sie nahm.
Noch lange war das Gejohle der Goldsucher zu hören, aber Jayden hörte es nicht mehr.
Er war auf dem Weg zum Fluss. Dort würde er sich ein stilles Plätzchen suchen und sich rügen. Er ganz allein hatte eine Frau auf dem Gewissen. Sie würde nie mehr so wunderschön sein, nie mehr lachen können. Und das war alles seine Schuld. Wie konnte er jemals wieder in den Spiegel sehen?
Jayden blickte zum Himmel. Ob Molly noch schlief? Er hatte schon so lange nicht mehr mit ihr telefoniert oder ihr geschrieben. Dabei hatte er doch gar nicht so lange auf diesem Kontinent bleiben wollen. Aber er konnte Tomas nicht allein hier zurücklassen. Was seine Kinder wohl machten? Skye und Faith. Sie waren schon lange erwachsen, aber sie wohnten beide noch zu Hause. Was machte es schon, schließlich hatten sie genug Platz. Skye, die Älteste, mit ihren vielen Bekanntschaften. Seine jüngste, Faith, die mit ihren achtundzwanzig Jahren immer noch Jungfrau war. Zumindest vermutete er es, denn sie hatte immer gesagt, dass Sex vor der Ehe eine Sünde sei.
Er vermisste sie. Er vermisste sie alle drei.