Читать книгу Das Lachen der Yanomami - Nina Hutzfeldt - Страница 13
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ОглавлениеDrei Stunden später standen wir in dem kleinen Buchladen, in dem in fünfundvierzig Minuten eine Lesung von George Preston beginnen sollte. Zwei Mitarbeiterinnen waren damit beschäftigt, die Stühle für die Leser bereitzustellen und das Mikrofon in Position zu bringen. Ich zählte in Gedanken die Reihen. Es waren wirklich zehn Reihen mit jeweils sechs Stühlen. Als alle Stühle aufgebaut waren, war es in dem Laden sehr eng. Mein Blick glitt über die vielen Bücherregale, in denen sich Tausende Geschichten befanden, die Leser auf der ganzen Welt begeisterten. Ich liebte Bücher. Ich liebte sie nicht nur, ich begehrte sie. Ohne Buch in meiner Tasche fühlte ich mich nackt. Das klingt absurd, aber es ist so.
Mir fiel ein, dass ich gar nicht wusste, wie George Preston mittlerweile aussah. Ich nahm ein Buch von dem kleinen, extra für diesen Anlass aufgebauten Tisch und schlug es auf. Die meisten Bücher waren mit Autorenfotos versehen, doch von George Preston fand ich keins.
Während ich stocksteif im Raum stand, umrundete Christopher gerade die Regale. Er zog ein Buch heraus, las den Klappentext und stellte es wieder zurück. Seit der Autosituation hatten wir nur noch Smalltalk betrieben.
»Hallo, alle zusammen«, sagte eine kräftige, weibliche Stimme.
Alle Augen blickten zu dem kleinen Pult mit den zwei Stühlen.
»Ich möchte Sie bitten, ihre Plätze einzunehmen, so dass wir in wenigen Minuten anfangen können.«
Die ersten beiden Reihen füllten sich schnell. Ich versuchte, einen Außenplatz in der dritten Reihe zu bekommen, was mir auch gut gelang.
»Hey, bist du aufgeregt?«, fragte Christopher und verschränkte seine Hände ineinander.
»Mm«, murmelte ich. Mehr brachte ich nicht mehr hervor.
Eine Frau setzte sich auf einen der Stühle hinter dem Pult. Ihr folgte ein Mann. Alle klatschten und wir stimmten mit ein. Warum habe ich ihn nicht gegoogelt? Ich habe doch die letzten Tage sowieso in meinem Hotelzimmer verbracht. Ich zuckte mit den Achseln.
»Guten Tag, Ladys und Gentlemen«, sagte die Frau hinter dem Pult, ebenfalls mit kräftiger Stimme. »Wir danken Ihnen, dass Sie so zahlreich erschienen sind und wir bedanken uns natürlich auch für die Einladung.« Die Frau hinter dem Pult klatschte und deutete mit dem Kinn auf die Frau, die uns auf die Plätze gebeten hatte. »Ich bin Rita Stiles, George Prestons Lektorin. Ich lektoriere nicht nur seine Bücher, sondern begleite ihn auch auf seiner Lesereise. Wir werden uns in den nächsten Stunden mit seinem neuesten Roman ›Auf der Yacht nach Toronto‹ beschäftigen, darüber reden und natürlich wird Mr. Preston auch Fragen beantworten. Er wird uns etwas vorlesen und uns sicher auch kleine Geheimnisse über sich und seinen nächsten Roman verraten, der ebenfalls in dem Verlag erscheinen wird, den ich heute vertrete. Zwischendurch werden wir eine kleine Pause machen und am Ende wird George Preston auch gerne Ihre Bücher signieren.« Danach setzte Rita sich. Sie setzte ihre Brille auf, die an einem Band um ihren Hals hing und schob sie auf dem Nasenrücken zurecht. Ihre leichte Haarwelle sah frisch aus. Sie musste erst kürzlich frisiert worden sein.
Und dann blickte ich zu ihm, zu meinem Vater, zu Clark Owen, besser bekannt als der Buchautor George Preston. Er hatte lockiges kurzes Haar. Seine Koteletten, sowie seine Augenbrauen passten farblich zu seinem Haar – rotblondes Haar.
Elegant öffnete er sein Buch und schlug mit seinen langen Fingern einige Seiten um.
Gebannt wartete ich. Ich wollte seine Stimme hören.
»Guten Tag.«
Seine Stimme klang wundervoll. Wie er die einzelnen Buchstaben betonte. Den Rest der Vorstellung bekam ich gar nicht mehr mit, denn in meinem Kopf gab es nur noch die beiden Worte »Guten Tag«.
Vor mir saß mein Vater und stellte seinen neuesten Roman vor.
Rita stellte George die Standardfragen. Wie war er zum Schreiben gekommen? Woher nahm er die Ideen zu seinen Büchern? Worum wird es in seinem nächsten Roman gehen?
Danach begann George, einige ausgewählte Kapitel aus seinem Buch zu lesen. Dabei beobachtete ich die anderen Gäste. Die meisten hatten die Köpfe in ihren Büchern vergraben und lasen leise mit. Andere wiederum blickten konzentriert an die Decke oder auf den Boden.
Wahrscheinlich war ich die einzige, die sich gerade wünschte, wieder ein Kind zu sein. Dann dürfte ich Sachen machen, bei denen man als Erwachsener nur tadelnde Blicke auf sich zieht. Am liebsten hätte ich den Finger in die Höhe schnellen lassen und tausend Fragen auf einmal gestellt. Die Lesung war toll und George konnte lesen wie ein junger Gott. Seine Stimme war perfekt für die Öffentlichkeit. Vielleicht hatte er als Kind eine Schauspielschule besucht – oder gab es auch so etwas wie eine Sprecherausbildung für Autoren?
Ich war mir nicht sicher. Nervös verschränkte ich meine Finger und rollte die Daumen.
Auch wenn ich schon die Hälfte meines Lebens hinter mir hatte, war ich nervös wie ein Kind bei der Einschulung.
»Vielen Dank, George«, sagte Rita und klatschte euphorisch in die Hände.
George legte das Lesezeichen zwischen die Seiten und schloss das Buch.
»War das nicht wunderbar?«, schwärmte Rita wie ein verliebter Teenager.
Wir alle fielen in ihren Applaus ein. George nickte dankend. Dann begann er, das Publikum zu mustern. Dabei rieb er sich das Kinn. Mir war, als würde er nach jemandem suchen. Bei diesem Gedanken kribbelte es in mir. Vielleicht wusste er von mir und suchte mich.
Ich schüttelte den Kopf. »Solche Gedanken muss ich mir aus dem Kopf schlagen«, sagte ich mir.
»Nun, bevor Mr. Preston ein weiteres Kapitel aus seinem Roman vorliest, dürfen Sie gerne Fragen über das Buch an ihn stellen. Am besten melden Sie sich«, schlug Rita vor.
Es war, als hätte ein Puppenspieler die Macht über all die Hände übernommen, die er nun an seinen Fäden in die Höhe gleiten ließ.
Geduldig beantwortete Mr. Preston jede Frage über den neuen Roman, bis Rita zur Pause läutete.
»Du, Christopher«, sagte ich, ohne den Blick von meinen Schuhen abzuwenden. »Ich wollte mich noch bei dir bedanken.«
»Wieso?«, antwortete er etwas zu schroff.
»Na ja«, zögernd nahm ich den Faden wieder auf. »Ohne dich wäre ich nie so weit gekommen. Vielleicht hätte ich noch gar nichts.« Ich zuckte mit den Achseln.
»Weißt du, wenn man Geld hat, dann stehen einem viele Türen offen.« Er stemmte die Hände auf seinem Knie ab und lehnte sich etwas nach vorne.
»Woher hast du denn so viel Geld?«, fragte ich. Dabei biss ich mir auf die Unterlippe, denn eigentlich hatte ich diese Frage nicht so direkt stellen wollen.
»Ich hatte das Glück, zu erben.« Er lächelte mich an.
»Oh, das ist ja schön.« Ich atmete tief durch und wandte mich dem Pult zu, denn Rita und Mr. Preston setzten sich wieder. Lächelnd warteten sie, bis sich auch die Zuhörer gesetzt hatten und das Gemurmel verstummte.
»So, schön.« Rita strich sich die Bluse glatt. »Jetzt wird Mr. Preston uns mit einem weiteren Kapitel verzaubern und wir werden neue Figuren kennenlernen, über die wir danach sprechen können.« Sie schlug ihr Buch auf, um stumm mitzulesen.
Erneut waren alle Blicke auf George Preston gerichtet. Man spürte, dass er das Rampenlicht liebte.
Als auch diese Lesung beendet war, sprang Rita nach dem letzten Satz völlig entzückt von ihrem Stuhl auf und klatschte heftigen Beifall. Für meinen Geschmack war sie etwas zu euphorisch.
»Vielen Dank.« Sie lächelte über das ganze Gesicht und setzte sich wieder. »Das war wieder ein Gedicht für unsere Ohren.«
»Ja, danke.« George Preston strich sich mit dem Zeigefinger über den Nasenrücken.
Rita stellte weitere Fragen über die neuen Figuren im Buch und versuchte, Mr. Preston geheime Informationen zu seinem noch nicht vollständigen Roman zu entlocken.
Kurz vor Schluss bedankte Rita Stiles sich bei den vielen Gästen und versprach, dass George Preston alle Bücher signieren würde. Damit beendete sie die Lesung und suchte in ihrer Tasche nach einem passenden Kugelschreiber.
Ich beobachtete das Treiben. Am liebsten wäre ich sofort aufgesprungen, aber ich zügelte mich. Ich wollte ich den anderen Besuchern nicht den Abend verderben, denn ich wusste ja nicht, wie George Preston auf mich reagieren würde. Vielleicht würde er sich freuen. Oder aufstehen und den Raum verlassen.
Mein Herz klopfte bis zum Hals. Ich hatte vor Nervosität schwitzende Hände und mir wurde ganz flau im Magen.
»Na, schon aufgeregt?«
Wie konnte er jetzt so eine Frage stellen, dachte ich. Aus dem Augenwinkel erkannte ich ein Lächeln auf seinem Gesicht.
Die Schlange wurde langsam kürzer und ich stand mit zittrigen Knien auf. Ich hielt meine Tasche fest am Körper und wühlte darin nach dem Buch. Gleichzeitig zog ich den Brief heraus, den ich ganz vorne ins Buch steckte.
Jetzt waren nur noch drei Besucher vor mir an der Reihe. Zwei Frauen und ein Mann. Während die Frauen fröhlich plapperten, tippte der Mann mit seinem Fuß auf den harten Teppichboden. Damit wollte er demonstrieren, dass er nicht mehr warten wollte. Dann endlich räusperte er sich, so dass die beiden Freundinnen mit vorgehaltener Hand kichernd davonschlichen.
»So sind die Frauen«, sagte George und lächelte den Mann an. »Für wen darf ich das Buch signieren?«
»Für Zachary.« Der Mann vor mir fuhr sich über den Vollbart. »Eine schöne Lesung.«
»Vielen Dank.« George signierte Zacharys Buch und gab es ihm zurück.
Meine Knie wurden weicher und ich drohte fast zusammenzubrechen.
»Guten Abend, schöne Frau.«