Читать книгу Das Lachen der Yanomami - Nina Hutzfeldt - Страница 7
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Оглавление»Herzlichen willkommen in Newcastle!« stand auf der Ankunftstafel über dem Flughafenausgang. Jetzt musste ich mich nur beeilen, den Busbahnhof zu erreichen, damit der Bus nicht ohne mich losfuhr.
Der Bus brauchte länger als geplant. Mehrere Baustellen brachten den Verkehr ins Stocken, außerdem zählte ich drei Traktoren, denen wir hinterherschleichen mussten.
Es war schrecklich. Kein Fenster ließ sich öffnen und die Luft im Bus war drückend heiß. Mir lief der Schweiß über die Stirn. Dann, endlich hielt der Bus an und ich konnte aussteigen.
Ein Häuschen stand am Wegesrand. Es schien, als würde jemand darin wohnen. Vielleicht der Wachmann, wenn es einen gab. Ich nahm mein Gepäck und machte mich zu Fuß auf den letzten Rest des Weges.
Schon jetzt war mir klar, dass hier nicht irgendjemand als Gärtner beschäftigt war. Die Rosen blühten in voller Pracht, und die Hecke, die mich zum großen Herrenhaus geleitete, war absolut exakt geschnitten. Kein Blatt lag unordentlich oder war zu lang. Ich folgte dem Kiesweg bis zu einem schmiedeeisernen Tor, das von zwei hohen Buchsbäumen eingerahmt war. Das Haus, im georgianischen Stil gehalten, lächelte mir ein Willkommen entgegen. Ich konnte den Wein riechen, der sich wie eine Schlange an der Fassade emporschlängelte. Die großen Schiebefenster und die breite Haustür spendeten genügend Licht für die prächtigen Räume. Ich hatte schon viele Hotels und Pensionen besucht, aber dieses Haus war eindeutig das prächtigste.
An der Tür fing mich die Hausherrin ab. »Guten Tag. Sie müssen Mrs. Andrea Grewe sein?« Sie zauberte ein Lächeln auf ihre Lippen.
Ich nickte, dabei musterte ich die Frau. Sie musste in meinem Alter oder etwas älter sein, denn ihr Lächeln ließ Falten erkennen, die sie unter ihren Haaren zu verstecken versuchte.
»Ich hoffe, dass Sie gut hergefunden haben. Wir haben ein wunderschönes Zimmer für Sie hergerichtet. Sie sagten, dass Sie uns im August erneut mit Ihrer Schulklasse besuchen werden?« Die Dame ging zur Rezeption und blickte in ihr Buch.
»Ja.« Etwas anderes wagte ich im Moment nicht zu sagen. Wie hätte ich es ihr auch erklären können? Sie hätte sich kaum dafür interessiert, dass meine Mutter gestorben war und ich meinen Vater nicht kannte.
»Matthew wird Sie gleich auf ihr Zimmer bringen. Falls Sie etwas benötigen, zögern Sie nicht, nach Sophia zu fragen.« Sie legte ihre rechte Hand auf ihre vollbusige Brust. Mir fiel auf, dass sich an ihrem Ringfinger bis vor kurzem noch ein Ring befunden haben musste. Ein schmaler, weißlicher Streifen zeichnete sich auf der ansonsten gebräunten Haut ab.
»Danke.« Ich legte meine ausgedruckte Buchungsbestätigung auf den Tresen.
»Zum Datenabgleich bräuchten wir noch Ihren Personalausweis. Außerdem werden wir Ihr Konto mit 50 Pfund belasten.«
»Warum?« Ich zog die Stirn in Falten.
»Wegen der Minibar. Selbstverständlich werden wir Ihnen das Geld gutschreiben, wenn Sie nichts aus der Bar nehmen.«
»Ach so, natürlich, kein Problem.« Ich zog meine Kreditkarte aus dem Portemonnaie und gab sie Sophia.
»Danke.« Sophia nahm meine Karte und zog sie durch ein Lesegerät. Danach reichte sie sie mir zurück und lächelte kokett. »Bitte sehr. Haben Sie einen schönen Aufenthalt. Und falls sie etwas benötigen, lassen Sie es mich wissen.«
»Oh je«, dachte ich, »wie soll ich das bloß im August mit meiner Klasse überstehen?«
Sophia winkte einen jungen Mann heran und wies ihn an, mich auf mein Zimmer zu begleiten. Natürlich nahm er, wie es sich für einen Pagen gehörte, meinen Koffer.
Wir fuhren mit einem Fahrstuhl in den ersten Stock. Dabei hatte ich genügend Zeit, Matthew, so hieß der Page, wie sein Namensschild mir verriet, zu mustern. Er war ein Latino. Braungebrannte Haut, schwarzes Haar und ein charmantes Lächeln.
Er musste etwa halb so alt sein wie ich, denn er wirkte noch sehr kindlich. Vielleicht war er ein Adoptivsohn von Mrs. Sophia. Oder aber nur ein einfacher Arbeiter, der seine Frau und seine Kinder ernähren musste. Der Fahrstuhl hielt an und öffnete seine Türen. Matthew führte mich zu einem Zimmer im ersten Stock.
Der Ausblick war gigantisch. Eine wunderschöne Landschaft, an der ich mich nicht sattsehen konnte. Sophia musste mir das beste Zimmer gegeben haben, denn der Blick reichte bis zum Barmburgh Castle. Dort hatte ich für meine Klasse schon einen Besichtigungstermin vereinbart. Ich fragte mich, ob meine Mutter schon einmal hier gewesen war und strich mir durchs Haar. »Ähm, Matthew. Gibt es hier einen Internetzugang?«
»Ja, natürlich. Fragen Sie bei Miss Sophia nach dem WLAN-Schlüssel.«
»Ja, danke.« Ich griff nach meinem Portemonnaie und suchte etwas Kleingeld, um es Matthew zu geben. Danach schloss ich die Tür von innen und setzte mich auf das Korbsofa mit den cremefarbenen Kissen. Auf der Tapete waren zitronengelbe Blümchen abgebildet. Es passte alles perfekt zusammen!
Und ich war mittendrin. Es war kein Traum, ich war wirklich hier.
Nach dem Auspacken ging ich in die Dusche im angrenzenden Bad. Das heiße Wasser, das auf meinen Rücken prasselte, stimmte mich ruhiger. Nach der Dusche knetete ich meine Haare mit dem Handtuch trocken und genoss den Ausblick auf Northumberland.
Eine Stunde später ging ich zur Rezeption, um Sophia zu suchen.
»Hallo, Andrea. Was kann ich für Sie tun?« Sie lächelte.
»Ich wollte nach dem WLAN-Schlüssel fragen. Bei dem schönen Wetter möchte ich nach draußen auf die Terrasse.« Ich nickte mit dem Kopf Richtung Tür.
»Ja, warten Sie.« Sophia suchte in einem Buch nach dem Pin-Code und schrieb mir die Nummer auf.
»Danke.«
»Gern geschehen.«
Ich folgte dem Duft von Rosen, Lavendel und weiteren wunderschönen Blumen hinaus in den Garten. Eine schmiedeeiserne Bank stand unter einem breiten Apfelbaum. Genau der richtige Platz für mich. Mit drei großen Schritten war ich bei der Bank und machte es mir darauf bequem. Mein Blick glitt über den Rest des Grundstücks. Meine Mutter hätte sich hier nicht sattsehen können. Damals hatten wir einen kleinen Schrebergarten, den wir aber schon bald aus Zeitmangel aufgeben mussten.
Ihre Gemüsebeete und ihre Blumen hatte sie immer vermisst.
Bei diesem Gedanken verirrte sich eine Träne auf meiner Wange, die ich sofort wegwischte, als ich hinter mir ein Summen hörte. Neugierig drehte ich den Kopf, so gut es ging. Ein Mann, ich schätzte ihn auf Mitte fünfzig, fuhr mit einem Rasenmäher über den Kiesweg. Ich fand, dass der Rasen vorbildlich aussah und verstand nicht, warum er ihn mähen wollte. Bevor der Mann den Motor anstellte, schaute er sich um. Unsere Blicke trafen sich. Ich drehte mich wieder weg und wünschte mir, unsichtbar zu sein. Aber sofort näherten sich Schritte und meine Wangen begannen zu glühen.
»Hallo«, sagte der Gärtner
»Hallo.« Sei kein Kind, rügte ich mich und atmete tief durch, bevor ich mich ihm zuwandte. Was dachte er bloß über mich?
Er lächelte, bevor er mir die Hand reichte. »Christopher Collins.«
»Andrea Grewe.« Ein verlegenes Lächeln huschte mir über die Lippen.
»Sie kommen nicht aus England?«
»Nein, ich komme aus Deutschland.«
»Oh, wirklich? Ich war auch schon mal dort. Hat mir sehr gut gefallen.«
»Ja, es ist schön dort, aber hier ist es auch wunderschön. Ich liebe den Garten. Sind Sie hier der Gärtner?«
»Ja, schon.« Christopher legte sich vor Lachen die Hand auf den Bauch. »Eigentlich bin ich einer der Eigentümer, doch nach der Trennung von meiner Frau ...«
»Oh, das tut mir leid.«
»Das muss es nicht. Mir ist es nur ein Rätsel, warum Frauen im reifen Alter sich so oft jüngere Partner angeln.« Er kratzte sich an der Schläfe.
»Bestimmt aus dem gleichen Grund, aus dem Männer es tun«, antwortete ich unbekümmert.
»Mm.« Darauf wusste er nichts mehr zu sagen.
»Also sind Sie rein rechtlich immer noch der Eigentümer. Aber sicher denken viele, dass Sie nur der Gärtner dieses wunderschönen Anwesens sind.«
»Genau so sieht's aus.«
»Dann ist Sophia Ihre geschiedene Frau?«
Christopher schaute zum Haus zurück. Seine blaugrauen Augen wirkten traurig. »Wissen Sie, dass das Haus vor Jahren im Besitz eines Lords war?«
»Nicht schlecht. Ich muss Ihnen sagen, dass ich die Gartenanlage einmalig finde. Es ist ein Ort zum Entspannen. Wunderschön!«, betonte ich nochmals.
»Danke. In jungen Jahren habe ich eine Ausbildung im Garten-und Landschaftsbau gemacht. Erst danach habe ich beschlossen, noch eine weitere Ausbildung in der Gastronomie zu machen.« Er lächelte verschmitzt.
»Das finde ich toll. Ich bin Englisch- und Kunstlehrerin.«
»Das ist bestimmt anstrengend.«
»Manchmal. Aber solange es Spaß macht.« Ich rutschte auf der Bank an die Lehne. »Möchten Sie sich nicht setzen.« Mit der freien Hand, die nicht das Netbook festhielt, klopfte ich auf den Platz neben mir, als würde ich einen Hund ermutigen, auf die Bank zu hüpfen.
»Sehr gerne. Danke.« Er setzte sich, beugte sich etwas vor und verschränkte die Finger. »Sind Sie ganz alleine hier?«
»Ja, ich brauche ein bisschen Zeit für mich.« Ich klappte das Netbook zu und legte die Hände darauf. »Manchmal braucht man Zeit, um Dinge im Leben zu verarbeiten.« Ich musterte Christopher. Sein schwarzes Haar, das sich an den Seiten schon merklich grau färbte und die Ruhe, die er mir gegenüber ausstrahlte. Sofort hatte ich das Bedürfnis, ihm mitzuteilen, warum ich auf der Insel war. »Ich ...«
»Haben Sie ...«
Wir begannen gleichzeitig, weiterzusprechen und mussten unwillkürlich lachen.
»Sie zuerst«, sagte Christopher.
»Nein, bitte.«
»Okay, ich gebe mich geschlagen. Also, haben Sie auch eine Trennung hinter sich, wenn ich fragen darf?«
»Jein, also schon irgendwie.« Ich schniefte kurz, was Christopher bemerkte.
»Was ist geschehen?« Er wandte sich mir zu. Für einen kurzen Moment hoffte ich, dass er seine Arme um mich schlingen würde, doch das tat er nicht. Deshalb versuchte ich, meine Tränen schnell wegzuwischen.
Christopher legte eine Hand auf meine Schulter.
»Ich, ich habe ...« Ich bekam keinen Satz heraus. Ich räusperte mich, schluckte und begann die Worte zu sortieren. »Ich habe meine Mutter verloren. Sie ist vor drei Wochen gestorben.«
»Oh, mein Beileid.«
Ich spürte, wie schnell Christopher sich in meiner Gegenwart unwohl fühlte. Vielleicht konnte er mit solchen Nachrichten nicht umgehen. Womöglich hatte er Angst, die Menschen mit falsch gewählten Worten zu verletzen. »Unter ihrem Bett habe ich eine Kiste mit persönlichen Dingen gefunden«, sprach ich trotzdem weiter. »Unter anderem einen Brief, in dem sie damals meinem leiblichen Vater mitteilte, dass er eine Tochter hat. Aber der Brief kam mit der Aufschrift ›Empfänger verzogen‹ wieder zurück.«
»Oh, je. Und was wollen Sie jetzt tun?«
»Ich war bei der Adresse. Auf dem Klingelschild stand der Name Owen, der Nachname meines Vaters. Aber eine Frau war an der Tür. Mit ziemlicher Sicherheit wusste sie etwas, aber sie stellte sich unwissend.« So, jetzt war raus, was es zu sagen gab. Mir fiel ein Stein vom Herzen.
»Das klingt sehr interessant. Warum denken Sie, hat Ihre Mutter Ihnen den Vater vorenthalten?«
»Ich weiß nicht.« Ich zuckte mit den Achseln. »Vielleicht hat sie sich geschämt. Sie hat mir immer erzählt, dass mein Vater noch vor meiner Geburt gestorben ist.«
»Vielleicht wollte Ihre Mutter Sie aber auch schützen?« Christopher legte einen Finger an die Lippen.
»Keine Ahnung.« Erneut zuckte ich mit den Achseln.
»Ich könnte doch mal nach ihm googeln. Natürlich nur, wenn Sie es wollen.«
»Ja, das wäre sehr nett.«
Hatte ich ihm jetzt zu viel über mich verraten? Ich war mir nicht sicher, doch musste ich mich in meiner Trauer jemanden anvertrauen und dieser Christopher wirkte Vertrauenswürdig.
Euphorisch stand Christopher auf. »Aber vorher muss ich noch den Rasen mähen. Bis nachher.«
Ein interessanter Mann, dachte ich mir.