Читать книгу Das Lachen der Yanomami - Nina Hutzfeldt - Страница 8
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ОглавлениеAmazonien, 1993
Erst die Laute des Regenwaldes, die an ihre Ohren drangen, verrieten Jayden und Tomas, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Von dem schönen Wald, in dem sie gerade noch über große Pflanzen gestiegen und über Baumwurzeln auf dem Boden gestolpert waren, war nichts mehr zu sehen. Es war, als wäre die Gruppe in eine fremde Welt eingetaucht. Eine abgeholzte Fläche kam zum Vorschein, am Wegesrand standen kleine Baracken und in der Mitte große Maschinen.
»So, Männer, wir sind da«, sagte Luìz stolz.
Worauf konnte man hier stolz sein, fragte sich Jayden und rieb sich das Kinn. Doch er war froh, angekommen zu sein.
»Wir werden euch schnell einarbeiten und schon bald seid ihr auch geschätzte Goldsucher.« Luìz klopfte Tomas auf den Rücken und winkte sie weiter. »Hier drin schlaft ihr. Dort drüben, hinter dem Hügel, ist der Fluss. Dort holen wir unser Trinkwasser und waschen uns. Unsere Arbeit hier dauert noch etwa ein bis zwei Wochen, dann ziehen wir weiter. Ihr könnt euch also überlegen, ob ihr bei der nächsten Grube wieder dabei seid oder ob ihr hier warten wollt, bis Diego kommt und euch euren Anteil gibt. Den Rückflug müsst ihr allerdings selbst bezahlen und Diego das Gold für den Hinweg geben.«
»Wieso müssen wir ihm etwas geben?«, fragte Jayden. Er nahm seinen Rucksack von den Schultern und stellte ihn zwischen seine Füße.
Luìz lachte. »Denkt ihr, Diego schenkt euch den Hinflug? Er hat fünfzehn Gramm Gold bezahlt. Das heißt, ihr müsst mindesten dreißig Gramm verdienen, um hier wegzukommen.« Er lächelte und entblößte dabei einen Goldzahn.
Die ersten Tage bei den Garimpeiros, so wurden die illegalen Goldsucher auch genannt, waren ziemlich anstrengend. Jayden war dafür zuständig, die Goldteppiche, die auf den selbstgebauten Holztreppenstufen liegen blieben, vorsichtig im Wasser auszuspülen. Dafür warf er eine Handvoll Schlamm mit etwas Wasser in einen V-förmigen Trog. Er schüttelte den Trog so stark hin und her, dass Sand und Wasser herausgeschleudert wurden und nur der schwere Goldstaub übrigblieb. Danach wurde das Gold mit Quecksilber vermischt. Das Gold verband sich mit dem Quecksilber. Mit dem Bunsenbrenner wurde dann die Gold-Quecksilber-Legierung erhitzt. Das giftige Quecksilber verdampfte und stieg in die Luft. Jayden wusste nicht, dass das Quecksilber schwerer war als Luft und irgendwann wieder auf die Erde zurückkam. Dabei zerstörte es die Natur und vergiftete das Wasser.
Zwei Monate waren vergangen und Jayden verrichtete seine Arbeit mittlerweile im Schlaf. Während dieser Zeit hatten die Goldsucher mehrmals die Piste gewechselt, immer am Flussufer entlang.
Tomas half beim Baumfällen und beim Verbrennen. Gelegentlich durfte er auch mal den Hochdruckwasserstrahl bedienen, der das Erdreich aufriss. Während Tomas immer mehr Engagement zeigte, verlor Jayden langsam die Lust an der Goldsuche. Seine Arbeit war langweilig. Oft saß er nur herum und wartete, bis Luìz das Zeichen zum Teppichkehren gab. Dann begann er mit seiner Arbeit und schüttelte den Trog. Tomas machte ihm jede Nacht Mut. Er sagte, es gebühre nur wenigen Menschen, das Gold herauszuwaschen, aber Jayden hörte kaum noch zu. Nachts fand er keinen Schlaf, er musste immerzu an Molly und die Kinder denken. Vermissten sie ihren Vater schon? Seine Gedanken kreisten um seine Familie.
Wie jeden Morgen wurde Jayden vom Lärm des Lagers aus seinem leichten Schlaf gerissen. Er gähnte, streckte sich und machte sich langsam zum Flussufer auf. Dort traf er mittlerweile auf weitere Goldsucher. Von Grube zu Grube wurden es mehr. Mit einem kleinen Handtuch, das Luciano täglich wusch, ging Jayden in den Fluss und fuhr sich mit dem kalten Wasser über den Körper. Neben sich hörte er die Männer Portugiesisch sprechen. Sie lachten und Jayden wusste, dass sie über ihn sprachen. Nur wenige konnten hier Englisch oder Französisch. Tomas hatte ebenfalls Schwierigkeiten, sich zu verständigen, obwohl er einige Sätze Portugiesisch sprach.
Während sich die anderen Männer nach dem Frühstück an die Arbeit machten, ging Jayden etwas spazieren. Es war noch Zeit, bis der Goldteppich aufgekehrt werden musste. Schon lange hatte er nicht mehr den Duft des Dschungels in der Nase gehabt oder seine Geräusche gehört. Aber die lauten Motoren und der Ölgestank benebelten seine Sinne.
Jayden schlängelte sich zwischen den hohen Stämme einiger Amazonas-Zedern hindurch. Alte große Bäume streckten ihre Wurzeln aus dem Boden, so dass er oft aufpassen musste, wo er hintrat. Würde hier die nächste Grube sein, fragte er sich stumm und bücke sich, um mit der Hand über eine Wurzel zu streichen.
Ein fremdes Geräusch drang an sein Ohr. Es erinnerte ihn an seine Kinder, Skye und Faith, wie sie damals mit Wasserpistolen durch den Garten gelaufen waren. Ihr wunderbares, fröhliches Lachen hatte seinen Tag erhellt. In solchen Momenten wusste er, warum das Leben so lebenswert war.
Die Neugier ließ ihm keine Ruhe und Jayden beschloss, diesem Geräusch zu folgen. Vorsichtig schob er sich an fremdartigen Pflanzen vorbei, immer auf der Hut, denn welche Pflanzen giftig waren und welche nicht, hätte ihm nur ein Scout sagen können.
Als Jayden die letzten großen Blätter vorsichtig zur Seite schob, blieb ihm die Spucke weg. Die Sonne stand hoch am Himmel und tauchte den Fluss in goldene Diamanten. Sein Blick wanderte zum anderen Ufer. Dort stand eine Gruppe dunkelhäutiger Frauen. Von einigen war nur der Kopf über der Wasseroberfläche zu sehen. Die älteren Frauen trugen drei symmetrische Schmuckstifte in der Unterlippe. Alle trugen eine Art Ponyfrisur. Sie wuschen sich und spritzen sich nass. Die Gruppe hatte Spaß.
Jayden konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Aber wussten sie nicht, dass der Wald und die Tiere gefährlich waren? Er war drauf und dran, hinüberzuschwimmen, als ihm einfiel, dass er mal einen Artikel über die Ureinwohner Brasiliens gelesen hatte. Jayden ging einige Schritte zurück, da stolperte er über eine Wurzel und landete auf dem Boden. Er wollte laut »Aua« rufen, aber dann würden ihn die Frauen hören und wahrscheinlich die Krieger holen. Deshalb biss er sich auf die Unterlippe und stand leise mit einem schmerzenden Fuß auf. Er musste sich den Knöchel verstaucht haben, denn bei jedem Schritt schmerzte es fürchterlich. Jayden musste sich zusammenreißen.
Doch egal was er tat, die Männer würden wieder über ihn reden und ihn als »Mädchen« bezeichnen. Das hatte Tomas Jayden gestern vor dem Einschlafen gesteckt. Die Arbeiter meinten, er mache keine richtige Männerarbeit, denn den Krug schütteln könnten schließlich auch Frauen. Aber was dachten die hart arbeitenden Männer dann über Luciano?
Obwohl er nicht wusste, wo er war, fand Jayden schnell den Weg zurück ins Lager. Es war auch nicht zu verfehlen, denn Lärm und beißender Geruch von Maschinen und Öl hing in der Luft wie der Nebel am Morgen.
Pünktlich stand Jayden an seinem Platz und tat seine Arbeit. Immer unter Beobachtung von Luìz. Manchmal kam dieser ihm so nah, dass Jayden seinen Schweiß riechen konnte, und davon wurde ihm schlecht.
Nachdem er seine Arbeit beendet hatte, setzte sich Jayden in seine Baracke, die er sich mit Tomas, José, Franck und Luciano teilte. Die fünf kleinen Schlafplätze in der Hütte waren so unbequem, dass Jayden schon nach der ersten Nacht einen steifen Rücken gehabt hatte. Eigentlich war ihm nicht bewusst, dass er schon seit Monaten von der Zivilisation getrennt war. Anfangs hatte er geglaubt, dass Tomas und er abends wieder zurück ins Hotel fahren würden, doch die Illusion wurde ihm schnell genommen.
Er fühlte sich unwohl. Jeden Tag die gleiche Arbeit, der gleiche Geruch und die gleichen Menschen. Jayden war sich bewusst, dass ihn die Goldsucher nicht mochten, dann dachte er an seinen Vater und das Versprechen, welches er Jean gab.
Jedes Mal, wenn er einen Helikopter am Himmel sah, pochte sein Herz schneller.
Mehr Goldsucher - im Urwald-, bedeutenden bessere Geschäfte für die Piloten, daher überflogen sie täglich mehrmals den Regenwald.
»Wo warst du heute?«, fragte Tomas leise, als sich alle schlafen gelegt hatten.
Was sollte er seinem Freund sagen? Dass er doch verweichlicht war und sich aus dem Staub gemacht hatte? Oder sollte er ihm die Lüge auftischen, dass er den Dschungel erkundet hatte, um eine neue Stelle für eine Grube zu suchen. Egal was er sagte, Tomas würde ihm beide Varianten sowieso nicht glauben.
»Ich war ...« Jayden holte noch einmal tief Luft. »Ich war im Wald. Am Flussufer habe ich eine Entdeckung gemacht.«
»Aha, und die wäre?« Tomas drehte sich zu Jayden.
Während die beiden sich unterhielten, schnarchten die anderen Goldsucher.
»Ich glaube, nein, ich bin mir sicher, dass ich die brasilianischen Ureinwohner gesehen habe.«
»Nein, das kann nicht sein«, gähnte Tomas. Seine Augen wurden kleiner und er war schon fast eingeschlafen.
»Ich habe mir das bestimmt nicht eingebildet«, murmelte Jayden und drehte sich auf den Rücken.
Am darauf folgenden Morgen verschlief Jayden und wurde von Luìz lautstark geweckt. Dabei standen die anderen Goldsucher um Jaydens Schlafplatz herum und lachten. Gähnend stand er auf und rieb sich die Augen.
»Entschuldigung.« Er kratzte sich am Hinterkopf.
»Alles in Ordnung?«, fragte José, während die anderen sich wieder ihrer Arbeit widmeten.
»Ja, klar.«
»Okay, das ist gut.« José klopfte ihm auf die Schulter. »Dann komm, es gibt genug zu tun.«
»Ja.« Jayden atmete tief durch.
Nachmittags, als die Sonne am höchsten stand, trat Tomas zu Jayden. Sein Hemd war von Schweiß durchtränkt. Schnaufend stemmte er in gebückter Haltung die Hände auf die Knie.
»Du, ich hab nochmal über das, was du mir gestern erzählt hast, nachgedacht.«
»Okay«, sagte Jayden und wartete.
»Ich glaube dir.«
»Ach, und warum auf einmal?«
»Ich habe Franck gefragt und der hat mir bestätigt, dass hier im Amazonasgebiet Indianer wohnen.«
Deshalb ist das Goldsuchen illegal, dachte Jayden und musste an die armen Menschen denken, deren Zukunft in ihren Händen lag.
»Führst du mich zu der Stelle, wo du die Indianer gefunden hast?«, fragte Tomas.
»Ich weiß gar nicht mehr genau, wo das war.« Natürlich wusste Jayden den Weg, aber er wollte das Wissen darüber für sich behalten. Es sollte ein Ort der Ruhe bleiben.
»Ach, komm schon.« Tomas legte eine Hand auf Jaydens Schulter. »Ich erzähle es auch keinem.«
Jayden haderte mit sich. Sollte er Tomas doch zu der Stelle bringen, wo er die Indianerfrauen beobachtet hatte? »Na, gut.« Was sollte denn Schlimmes passieren? Tomas war schließlich ein Freund seines Vaters.
Jayden ging, als wäre er nie einen anderen Weg gelaufen. Schnell und bestimmt nahm er jede Kurve, bis er die letzten Blätter der breiten Büsche zur Seite schob und der Fluss in Sicht kam.
Doch was die beiden sahen, verschlug ihnen den Atem.