Читать книгу Wellen der Vergangenheit - Nina Hutzfeldt - Страница 12
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ОглавлениеAm nächsten Morgen wachte Ingrid von dem heulenden Wind auf, der gegen das dünne Glas fegte. Es war als klopfte jemand ununterbrochen ans Fenster. Als wollte jemand unbedingt ins Innere gelangen und sich am Feuer wärmen. Vielleicht kam er gerade von der Arbeit, war auf der Durchreise und suchte einen Unterschlupf für die Nacht. Doch Ingrid war nicht in der Lage die Augen zu öffnen. Sie wollte diesen Moment, der ihr so schnell genommen werden konnte, auskosten. Sie drückte das Kissen dichter an ihren Körper und sog den Duft von Josef ein. Irgendwas war anders, daraufhin öffnete Ingrid ein Auge und blickte auf ihre linke Betthälfte. Sie war leer.
Allein im Zimmer setzte sie sich auf, fuhr sich mit der Hand durchs Haar und strich mit den Fingerspitzen über das zerwühlte Bettlaken. Es war noch warm. Sie stand auf, schlang sich ihren Morgenmantel um den nackten Körper, wo sich blaue Flecken zwischen ihren Beinen von dem harten Liebesakt ankündigten und tapste auf leisen Sohlen ins Bad. Zuerst dachte Ingrid, dass sie träumte, denn Josef stand wie in ihrem immer wieder kehrenden Traum vor dem Waschbecken und fuhr sich über den Bart. Es war alles wie immer nur der Spiegel fehlte, also war es kein Traum. Ingrid schüttelte den Kopf und trat vorsichtig, einen Schritt nach dem anderen. Links-rechts- links-rechts. Sie zählte die Schritte im Kopf mit. Dann hob sie die Arme um ihren Mann zu umarmen, doch der Schein trug und sie glitt zu Boden.
Ingrid saß, die Beine angewinkelt da und vergrub den Kopf zwischen ihren Händen. Plötzlich schrie sie los... So laut, dass sich die Wellen auf die andere Seite wendeten, das aus Ebbe, Flut wurde. Ein Poltern auf der Treppe verriet ihr, dass jemand ihren Schrei gehört hatte und sich um sie sorgte. »Ingrid. O. Ingrid.« Clara trat zu ihr und kniete sich neben ihre Schwester. »Was ist geschehen?«
»Ich weiß nicht. Ich...« Ihr versagte die Stimme. »Josef ist nicht in seinem Bett.« Ihre sonst so klaren Augen, waren hinter einem Schleier versteckt. Clara legte ihr die Haare aus der Stirn. »Vielleicht ist er nur mal kurz vor der Tür«, versuchte sie ihre Schwester zu beruhigen. Ingrid schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Ich habe so ein komisches Gefühl.«
»Das glaube ich auch nicht«, sagte Clara stumm und legte behutsam ihre Arme um ihre Schwester. »Wollen wir etwas essen? Martha wird uns sicher etwas zubereiten. Komm...« Clara half ihrer Ingrid auf und brachte sie zurück ins Schlafzimmer. »Leg dich noch ein wenig hin. Ich werde Martha fragen, ob sie dir das Frühstück ausnahmsweise ans Bett bringt.« Clara blinzelte mit dem rechten Auge und verschwand.
Ingrid fiel in eine Art Halbschlaf und träumte von der Sonne, den Sternen, dem Mond und der Erde. Das All, die vielen Lichter in der Nacht und die Blitze vor dem Grollen des Donners. Wie Sternschnuppen fielen die Gedanken, Erinnerungen auf das junge Mädchen nieder. Sie legte ihre Hände auf den Bauch und atmete tief aus. Erst als Martha mit leisen Sohlen und klirrendem Geschirr ins Zimmer trat, öffnete sie die Augen erneut. »Guten Morgen Miss Ingrid. Ich habe Ihnen Tee gemacht.« Sie stellte das Tablett auf die leere Bettseite. Erst wollte Ingrid erneut aufschreien, wollte das Tablett weg stoßen. »Danke Martha. Du kannst dann gehen.« Mit der zierlichen Hand winkte sie ab. Doch Martha blieb an der Türschwelle stehen. Sie wand sich Ingrid zu und tat ihre Hand in die kleine Tasche ihrer schon verblichenen Schürze. »Ist noch etwas?«, fragend blickte Ingrid Martha an. Sie nahm sich ein Stück Brot, welches Martha mit dünner Butter bestrichen hatte. Der Tee war heiß und roch lieblich nach Minze. »Ich habe noch etwas für Sie«, sagte Martha. Ihr weiches Lächeln legte sich auf ihre rosigen Wangen. »Der Herr bat mich Ihnen das zu geben.« Sie holte den Brief, der sich über den Morgen schwer in ihrer Tasche vergraben hatte, heraus und legte den marmorfarbenen Umschlag aus Pergament auf die Decke der Herrin. Mit einem Knick trat sie rücklings aus dem Zimmer und lehnte die Tür an. Erst als die Treppe zu knarren begann, griff Ingrid nach dem Umschlag.
Meine liebste Ehefrau,
du bist sicher zerstreut und niedergeschlagen, dass du deine linke Betthälfte nach dem Aufstehen leer vorgefunden hast. Es tut mir leid, dass ich dir nicht sagen kann warum ich mich so verhalte. Ich weiß es selbst ja nicht mal. Ich habe dich heute verlassen, damit du den Mann den du geheiratet hast in guter Erinnerung behältst. Gestern ist nicht der gutmütige Josef heimgekommen, sondern ein Mörder. Wir waren die Soldaten die, die Judenkinder erschossen haben. Unsere Offiziere haben uns immer eingebläut, dass Juden nichts wert sind. Sie sind eine Schande für Deutschland. Weiß Gott warum? Doch wir brauchten es, wollten ein Teil von dem ganzen sein. Ferdinand trieb Georg und mich an. So nahmen wir uns die herrenlosen Kinder vor, die sich in Schränken vor weiteren Soldaten versteckt hatten. Ihre Augen baten um Vergebung, doch wir wollten sie nicht erhören.
Ich bin ein Soldat, ein Soldat der für sein Vaterland tötet.
Das Wimmern pocht immer noch in meinem Kopf. Bei dir waren die Stimmen leiser, doch ich kann den Drang nach Blut, den Duft nach Benzin oder Petroleum nicht abstellen. Die Stimmen werden lauter und sagen mir was ich tun muss. Ich habe meinen Heimaturlaub verkürzt. Ich kann hier nicht sitzen und wissen, dass meine Kameraden sich bald mit Großbritannien messen müssen, die Benelux-Staaten zu unseren machen. Ich hoffe sehr, liebste Ingrid, dass du mir weiterhin eine gute Ehefrau sein wirst, dass ich zu dir zurück, dir ein Kind schenken kann und das wir nach Kriegsende eine glückliche Familie sein können.
Ich liebe dich....
Dein Josef
Das junge Mädchen legte den Brief zur Seite und ließ den Tränen freien lauf. Sie weinte und wimmerte, jaulte und schluchzte bis sie irgendwann vor Erschöpfung einschlief.
Als Ingrid aufwachte, hing ihr Arm in einer Manschette. Der Doktor prüfte den Blutdruck und hörte das Herz ab. »Der Blutdruck ist ein wenig niedrig«, sagte er und hing sich das Stethoskop um seinen Hals. Mit großen Augen beobachtete Ingrid seine Bewegung. »Woher kommen denn die Ergüsse?« Er tauschte einen kurzen Blick mit Clara, die mit verschränkten Armen und besorgter Miene drein blickte. »Welche Ergüsse?«, fragte Ingrid.
»Die zwischen ihren Schenkeln?« Der Doktor behaarte auf eine Antwort und schaute sie durchdringend an. »Ich weiß nicht«, wisperte sie. Ingrid wusste sehr wohl woher die Ergüsse stammten. Aber sie hatte nicht die Absicht den Arzt über ihr Liebesleben einzuweihen. Außerdem hatte Josef sie ja nicht wissend verletzt. Hatte er ihr überhaupt wehgetan? Sie hatte dies nicht so empfunden. Nur ein harter Liebesakt. »Es tut mir leid Frau Ludwig, aber wenn Sie nicht mit mir kooperieren bin ich gezwungen es zu melden.«
»Ich glaube ich bin Ihnen keine Rechenschaft schuldig«, sagte Ingrid, setzte sich auf und streifte die Blutdruckmanschette von ihrem Arm. »Na gut, wie sie meinen.« Der Arzt stand auf, packte seine Sachen zusammen und verabschiedete sich von den Schwestern. »Warum war der Doktor hier?«, fragte sie ihre Schwester eine Oktave höher. Ingrid war erbost. Warum zum Teufel hatte Clara den Doktor geholt?
»Weil du seit zwei Wochen nicht mehr aus dem Bett gekommen bist. Ich habe dich hier, mit dem Brief von Josef, gefunden.« Clara hob einen Umschlag und legte ihn auf die Bettdecke. »Ich habe mir Sorgen gemacht. Als ich den Doktor angerufen habe, kam dieser sofort und hat dich untersucht. Wir fanden die Blessuren zwischen deinen Beinen und unser beider einziger Gedanke war, dass.....« Clara verstummte und senkte den Kopf.
»...Dass was?« Ingrid setzte sich auf und legte den Brief an ihr Herz.
»Das Josef sich an dir vergangen hatte.« Bei den Worten blickte Clara ihre Schwester nicht an. Sie fühlte sich unwohl. War sie berechtigt ihrem Schwager, der sich im Krieg befand, so etwas zu unterstellen? Aber sie hatte an ihre Schwester denken müssen und versuchte das verrückte Verhalten zu deuten. Aber vielleicht war sie wirklich zu weit gegangen. Ingrid blickte ihre Schwester wutschnaubend an. »Du denkst also allen Ernstes, dass Josef mich vergewaltigt hatte?« Clara bekam es mit der Angst zu tun und ging rückwärts bis sie die Tür erreichte. Sie ließ Ingrid allein zurück.