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Die Nachmittagssonne stand hoch am Himmel, als Clara in dem wild bewachsenen Garten ihr Gemüsebeet absteckte. Martha grub kleine Löcher und verteilte die Samen und Pflanzen, die sie gemeinsam mit Clara auf einem der angrenzenden Höfe gegen zwei Körbe Äpfel eingetauscht hatten. Jetzt besaßen sie nicht nur die verschiedenen wild gewachsenen Obstbäume, sondern Kartoffeln, Karotten, Bohnen und weitere Gemüsesorten. Zusätzlich kauften sie zu den zwei Pferden, Hühner und Schweine. Niels, ihr Hochzeitsbegleiter, kam immerzu zum Haus und half in den Ställen. Ingrid belohnte ihn mit einem Stück Brot oder etwas Butter für die Familie.

»Jetzt müssen wir nur noch hoffen, dass die Pflanzen sich hier wohlfühlen.« Clara schaute gen Himmel. »Wieso? Sind wir schon spät dran.«

»Eigentlich ist die Anpflanzung nur von März bis September. Aber das Wetter ist mild und der Schnee würde sicher erst später kommen.«

»Vielleicht haben wir ja Glück.« Martha wischte sich mit dem Unterarm die wenigen Schweißtropfen von der Stirn ab.

Urplötzlich ertönte ein an und abschwellender Heulton. Clara und Martha blickten sich an, blickten zum Himmel und nahmen ihre Beine in die Hand. Fliegeralarm!

Sie schlossen die Türen und suchten sich den Weg in den Keller. Ingrid, die den Tag über in ihrem Sessel verbracht hatte, stand auf und folgte den beiden Mädchen. An der Treppe hatte sie einen Rucksack mit Schutzraumgebäck von Martha packen lassen. Sie schulterte ihn und trat in den kahlen Kellerstreifen, der von der Küche abging. Am Ende des Ganges waren die Vorräte auf einem Regal abgestellt worden. Körbe mit Äpfeln und Pflaumen. Die letzten Wochen war Martha damit beschäftigt Obst und Beeren einzudünsten, Marmelade einzukochen, Sauerkraut und Eier einzulegen, Frischgemüse einzustampfen und Kartoffeln einzulagern. Ingrid hatte dem Mädchen ihr Hausbuch für Familien gegeben, welches sie bei ihrer Hochzeit mit Josef bekommen hatte. Dort stand detailliert drinnen, was eine Frau zu tun hat und wie sie diese zu bewältigen hatte. »Mensch Ingrid. Diese Aufgaben sind für die Ehefrau bestimmt und nicht für ein Kind, welches wir durch die Kindeslandverschickung aufgenommen haben«, erklärte Clara ihrer Schwester bestürzt über ihr Verhalten. »Wie kannst du es wagen mir in meinem Haus zu widersprechen«, hatte Ingrid ausgeteilt und den Finger erhoben. »Ich habe sie nicht zu mir genommen, damit sie hier wie ein Kind leben kann. Sie muss lernen, dass das Leben nicht nur aus Freizeit und Freude besteht.«

Clara hatte nichts weiter gesagt, denn es war sinnlos sich mit ihrer Schwester darum zu schlagen was richtig oder falsch war. Doch innerlich hoffte sie, dass Ingrid nie eigene Kinder haben würde.

Im Keller setzten sich die drei auf klapprige Stühle und warten, bis die Flugzeuge über ihre Köpfe hinweg flogen. Trotz ihres Verweilens im Keller konnten sie die brummenden Motoren gut hören. Als die Stille nach Momenten der Angst zurückgekehrt war, standen sie wortlos auf und begannen ihren täglichen Pflichten nachzugehen. Die Insel blieb verschont, so dass niemand zum Roten Kreuz oder ins Krankenhaus musste.

Weitere Tage vergingen in denen Ingrid nichts weiter tat, als aus dem Fenster zu schauen.

Sie wartete auf Feldpost von ihrem Gatten. In den ersten Tagen hatte der Weg zur Post noch ihr Leben regiert. Doch seit einigen Wochen hatte sie die Hoffnung verloren. Immerzu musste sie sich die Szene der Verabschiedung am Hafen in den Kopf rufen. Sie hätte ihn nicht gehen lassen dürfen. Warum? Wieso? Das waren die zwei Wörter, die sie quälten. Nicht zu wissen wo er sich befand, war ebenfalls ein Makel. Nicht mal ein Kind wuchs in ihrem Bauch heran, obwohl sie in den wenigen Nächten - die sie miteinander verbrachten - sich geliebt hatten. Vormittags verweilten Clara und Martha in der Schule, während Ingrid die Ruhe im Haus genoss.

Sie hasste sich dafür, dass sie diese Göre bei sich aufgenommen hatte. Nicht mal kochen konnte sie. Ingrid seufzte.

Ein plötzlicher Knall ließ sie aus ihrer Trance schrecken. Sie hastete in den Flur, als sie bemerkte, dass es Martha und Clara waren, die eingehakt über irgendetwas kicherten. »Was zum Teufel tut ihr hier? Knallt nicht so mit den Türen.« Ingrid hielt sich die Hand auf die Brust. »Entschuldigen Sie Frau Ludwig. Wir wollten Sie nicht erschrecken«, sagte Martha mit gesenktem Kopf.

»In Ordnung. Jetzt wisst ihr Bescheid. In diesen Zeiten könnte ein Knall verheerende Folgen aufweisen. Es könnte die Gestapo sein, Flugzeuge die überraschend über uns fliegen.« Sie hob den Finger. »Habt ihr die Tageszeitung aus dem Dorf mitgebracht?«

»Ja. Frau Ludwig.« Martha reichte der Hausherrin die Zeitung. Clara beobachtete das Geschehen.

»Ist sonst noch was?«, fragte Ingrid, als Martha sich nicht rührte.

»Na ja. Ich bin nach der Schule zur Post gegangen, weil ich meinen Eltern einen Brief zustellen wollte, als mich die Dame am Postschalter ansprach.« Martha griff ängstlich in ihre Rocktasche und reichte Ingrid einen faltigen Briefumschlag. »Sie hat mir den Brief für Sie mitgegeben.« Als Ingrid den Brief an sich nahm, erhellte sich ihre Miene sofort. Sie spürte, wie sich die Verkrampfung in ihrer Brust löste. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. »Danke. Danke. dass du bei der Post warst.« Kurzerhand umarmte Ingrid Martha und begann sich in das oberste Stockwerk zu begeben.

Meine liebste Ehefrau,

es tut mir leid, dass ich dir nicht vorher schreiben konnte, aber es wurde uns nicht erlaubt vorher Briefe an Verwandte zu schreiben. Mein Alltag ist bestimmt von Aufgaben, die ich mir nicht hätte träumen lassen. Während mein Vater und Berthie sich in Polen herumschlagen, sitze ich hier und bereite mich auf meinen Einsatz an der Front vor. Ich habe viele nette Kameraden, mit denen ich mich in der Freizeit über private Dinge austausche. Einige von ihnen haben ihren Frauen schon Kinder geschenkt. Ich hoffe, meine Liebste, dass ich dir auch ein Kind geschenkt habe.

Abends hören wir immer die Nachrichten und müssen mit Bedauern feststellen, dass viele Soldaten ihr Leben im Kampf verloren haben. Wir hören auch immer wieder, wie die Gestapo Häuser durchsucht, Juden foltert und sie in die Konzentrationslager bringt. Aber unser Land muss von den Parasiten gesäubert werden und wer sollte dies besser machen können als Hitler.

Ich hoffe auf baldigen Heimaturlaub und verbleibe.

Dein geliebter Ehemann Josef

Wellen der Vergangenheit

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