Читать книгу Nela Vanadis - Nina Lührs - Страница 10

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Das Verhör

Verzagt setzte Nela sich zu Emma an den Tisch in Balders Wohnhöhle. „Er redet einfach nicht.“

„Ich bin auch mit meinem Latein am Ende“, seufzte Emma verdrießlich.

„Ich habe es euch gesagt. Er wird nicht reden, auch wenn ihr ihn nett darum bittet. Niemals wird er freiwillig seinen Ansu verraten“, wusste Balder.

„Ich möchte doch nur wissen, wer mich entführen ließ und warum“, entfuhr es Nela ungehalten. „Er sitzt hier genauso fest wie wir. Sein Ansu kann ihn hier nicht zur Rechenschaft ziehen.“

„So einfach ist das nicht. Nela, du würdest Jarick auch nicht verraten“, hielt Balder dagegen. „Außerdem ist er davon überzeugt, dass er durch das Schicksalstor auch wieder zurück kann.“ Auch Nela hatte geglaubt, durch die Felsspalte zurück nach Asgard gelangen zu können, zu ihrem Verdruss hatte sich das Tor geschlossen. Daraufhin bat sie um eine Audienz bei Hel, um ihre missliche Lage zu erklären. Allerdings wartete sie nun schon seit Tagen auf eine Antwort der Göttin. Bisher wollte die Herrin der Unterwelt sie nicht empfangen. Vielleicht würde sie es nie tun.

„Einverstanden. Verhör ihn, aber ich komme mit.“

„Nela, du darfst dich nicht bei meinem Vorgehen einmischen. Du musst mir uneingeschränkt vertrauen, egal, was ich tue“, warnte Balder die Walküre.

Nela überdachte kurz seine Worte. Gewiss würde es ihr schwer fallen, sich herauszuhalten, wenn Balder ihren Entführer folterte. „Abgemacht.“

Gemeinsam gingen sie in das Kellergewölbe der Wohnhöhle. In einer Ecke waren nur wenige Holzscheite gestapelt, in einem in den Fels gehauenen Regal lagerten diverse Flaschen mit Lebenssaft. Auch hatte Balder einen Vorrat an Lebensmitteln für seine nicht lysanischen Gäste angelegt. Seitdem Nela in Hel war, wohnte auch Emma bei Balder. Es war zwar sehr eng, aber Emma wollte Nela nicht alleine lassen, und Balder bestand darauf, dass die Schülerin seines Sohnes bei ihm Obdach fand.

Ein karges Licht leuchtender Moose, die an der Felswand wuchsen, erhellte im Keller einen Brunnen, der zu einem unterirdischen Fluss reichte. Daneben stand ein Tongefäß, um dessen Hals ein Seil gebunden war.

Ihr Entführer kauerte in Eisenketten in einer düsteren Ecke. Balder ging vor ihm in die Hocke. Nur langsam hob der Entführer verächtlich den Kopf.

„Da du den Frauen nichts verraten möchtest, werde ich nun mit dir reden“, begann Balder sein Verhör freundlich, viel zu freundlich.

„Wie lautet dein Name?“

Keine Antwort. Balder wiederholte seine Frage gelassen. Nela hatte erwartet, dass der Ase den Gefangenen schlagen würde, aber das tat er nicht. Noch nicht. Ihr Entführer schwieg weiterhin.

Blitzschnell griff Balder mit seiner Hand um seine Kehle. Verzweifelt wehrte er sich gegen den festen Griff.

„Dein Name!“, forderte Balder eine Antwort.

„Veit“, gab er auf.

„Nun Veit, wer ist dein Ansu?“

Keine Antwort.

Balder ließ seine Kehle los und wandte sich seinem Handgelenk zu. Ruhig zog der Ase den Ärmel hoch.

„Was tut Ihr?“, wehrte Veit sich gegen Balders Griff.

„Du willst mir seinen Namen nicht nennen, also werde ich deine Arwa befragen.“

Veit trat mit seinen Füßen nach dem Asen, während Balder seelenruhig mit seiner Hand über die markelose Haut strich und dabei uralte Worte murmelte, die Nela nicht verstand. Veit durchfuhr ein Zucken, aber die Arwa blieb verborgen. „Gut, du gehörst nicht zur Sebjo meines Sohnes. Das beruhigt mich ungemein.“

„Ich bin kein Verräter. Niemals werde ich die Sebjo verraten!“, entfuhr es Veit zornig.

„Natürlich nicht“, erwiderte Balder ernst. „Aber du hast die Schülerin meines Sohnes entführt. Du verstehst sicherlich, dass ich dieses Vergehen nicht ungesühnt lassen kann. Gewiss hast du auf Geheiß deines Ansus gehandelt. Dein Ansu wird sich dafür verantworten müssen.“

„Das geht Euch nichts an! Ihr seid nicht Lunelas Meister, Ihr gehört nicht zur Familie Vanadis. Ihr handelt gesetzlos, wenn Ihr mich foltert“, presste Veit die Worte hasserfüllt aus.

Nela wollte Fragen stellen, doch sie schwieg, mischte sich nicht ein, denn immerhin hatte Balder es geschafft, dass er mit ihm sprach.

„Woher stammst du, Veit?“

„Weshalb wollt Ihr das wissen?“

„Nun, deine Angehörigen sollten irgendwann erfahren, was mit dir geschah, wohin du verschwunden bist. Gewiss werden sie sich um dich sorgen.“

„Ich habe nur noch eine Schwester“, murmelte Veit. „Alle anderen sind schon vor langer Zeit gestorben.“

„Ich verstehe. Dein Ansu hält dich und deine Schwester am Leben.“

„Nein.“

„Nein?“

„Meine Schwester nicht. Sie gehört zu einer anderen Sebjo.“

„Interessant. Wie heißt deine Schwester?“

„Wie lange weilt Ihr schon hier in Hel?“, stellte Veit eine Gegenfrage.

„Über ein Jahrtausend“, gab Balder ihm bereitwillig eine Antwort. „Ich kann deshalb vermutlich deine Schwester gar nicht kennen.“

„Nein, das könnt Ihr nicht.“

„Dann nenn mir ihren Namen und die Sebjo, der sie angehört, damit ich ihr eine Botschaft zukommen lassen kann“, war Balder einfühlsam.

„Gismara“, flüsterte er.

„Nein“, entfuhr es Nela aufgewühlt.

Flugs sah Balder zu ihr. „Du kennst Gismara?“

„Sie ist Jaricks Airista. Aber natürlich kann es auch nur Zufall sein, dass die Airista und seine Schwester denselben Namen tragen.“

Balder wandte sich Veit zu. „Ist Gismara die Airista meines Sohnes?“ Veit schwieg. „Du verrätst sie nicht, denn letztendlich gehört die Sebjo meines Sohnes mir.“

„Ja“, antwortete Veit und wand sich unwohl. „Sie weiß nichts und hat nichts damit zu tun. Sie ist ihrem Ansu loyal.“

„Genauso wie du“, bemerkte Balder achtungsvoll. „Es muss schwer für euch sein, zu zwei verschiedenen Sebjos zu gehören.“ Veit nickte betrübt. „Ich habe keine Wahl, denn ich muss wissen, wer dein Ansu ist und weshalb du Lunela entführtest.“

„Ihr werdet nichts von mir erfahren!“, blieb Veit seinem Ansu treu.

„Das ehrt dich, allerdings befürchte ich, ist dein Ansu ehrlos.“ Nun drückte Balder seinen Daumen auf die Arwa, Veit schrie vor Schmerz auf, wehrte sich instinktiv gegen den Asen. Balder reduzierte den Druck, bannte Veit mit seinem eindringlichen Blick. „Wer ist dein Ansu?“

„Ich kann nicht“, stieß Veit aus, daraufhin verstärkte Balder wieder den Druck, ein schwaches rotes Leuchten ging von der Arwa aus.

„Sag es mir, und der Schmerz verschwindet.“

„Nein“, schrie er schmerzerfüllt auf.

„Veit, gib nach. Du musst die Schmerzen nicht erdulden. Ich erfahre es ohnehin, wer dein Ansu ist. Nur wird es für dich ein qualvoller Weg sein.“

„Ihr lügt. Wenn ich es nicht will, werdet Ihr es nie erfahren.“

„Da täuscht du dich, Mensch!“, wusste Balder es besser und übte noch mehr Kraft auf seine Arwa aus. Augenblicklich schrie Veit auf.

„Deine Arwa glüht, nicht wahr? Bald wird sie furchtbar brennen.“

„Ich fürchte den Schmerz nicht!“, blieb Veit standhaft.

Grob griff Balder nach seiner anderen Hand, drehte sie, damit die Pulsader nach oben zeigte, sogleich biss er zu, fortwährend lag sein Daumen auf der Arwa. Veit wimmerte, als Balder schmerzhaft von ihm trank. Nela zitterte am ganzen Körper, unschlüssig stand sie neben dem Geschehen. Sie wusste, sie konnte Balder nicht aufhalten, obwohl er Veit solche Schmerzen verursachte. Balder zog sich zurück. Wieder sah er ihm fast hypnotisierend in die Augen. „Zeig mir, wer dein Ansu ist?“, forderte Balder ihn mit einer sanften Stimme auf.

„Nein!“, wehrte Veit sich noch immer, dessen Gesicht schmerzverzerrt war.

„Wie du willst.“ Bedächtig legte Balder seine Hand auf die Bisswunde. Allmählich umschloss er das Handgelenk fester. Zuerst wimmerte Veit nur, doch schließlich brüllte er den unsagbaren Schmerz heraus.

Unruhig verharrte Nela. Sie gab Balder ihr Wort sich nicht einzumischen, aber diese durch Schmerz hervorgerufenen Aufschreie konnte sie nicht ertragen. „Balder, bitte“, flüsterte sie, wissend, dass der Ase sie hören konnte.

„Sag mir seinen Namen!“, befahl Balder kühl, ohne seine Tortur zu unterbrechen.

„Nein!“

Blitzartig versenkte Balder seine Fangzähne in die unsichtbare Arwa. Wieder hallte ein markerschütternder Schrei durch das enge Kellergewölbe.

„Balder!“, entfuhr es Nela, „es muss einen anderen Weg geben!“ Im nächsten Moment stand sie neben dem Asen und versuchte, ihn von ihrem Entführer fortzuziehen. Balder glich in diesem Moment einem zentnerschweren Steinblock, der sich nicht einen Millimeter von der Stelle rührte. Erschöpft ließ sie sich neben ihn sinken, als Balder seine Fangzähne aus dem Handgelenk löste. Der Ohnmacht nahe lehnte Veit den Kopf gegen die Felswand, seine Atmung ging stoßweise und sein Gesicht nahm Züge der Erleichterung an.

Langsam wie durch Zauberhand wurde die Arwa sichtbar. Die beiden schlichten Einstichlöcher, die Balder hinterlassen hatte, wurden von einem roten Fadengeflecht umwunden. Zu Nelas Bedauern konnte sie nicht erkennen, welche Arwa er trug und wer sie ihm verliehen hatte.

„Nein! Nein!“, wiederholte Veit immer wieder dasselbe Wort. Er konnte es nicht glauben, dass sich seine Arwa ohne seinen Willen offenbarte.

„Warum hat deine Ansa dir befohlen, Lunela Vanadis, die Schülerin meines Sohnes, zu entführen?“, fuhr Balder mit dem Verhör fort.

„Sie teilte mir ihre Gründe nicht mit. Ich hinterfrage die Befehle meiner Ansa nicht“, blieb Veit stur.

„Ansa?“, entfuhr es Nela verblüfft. Doch Balder konzentrierte sich weiter auf seine Befragung.

„Wie lautet dein Befehl?“

Veit rang mit sich, versuchte sich Balders Bann zu entziehen, doch der Ase war stärker, gewann dieses geistige Kräftemessen, nicht zuletzt, weil Balders Endorphine sich in Veits Blutbahn ausbreiteten und auf ihn einwirkten. „Verabreiche Lunela Dämmerschlaf, schaff sie ungesehen aus der Burg und warte mit ihr im Wald nordöstlich der Burg, bis ich sie hole. Sie darf dir nicht entkommen, und sie darf nicht sterben.“

„Welche Burg?“

„Glitlindi.“

„War deine Ansa zu Gast dort?“

„Ja.“

Nelas Gedanken rasten. Gersimi und Syn waren zu Gast auf Glitlindi. Welche der beiden Frauen hatte einen Grund, sie zu entführen? Kälte lief ihr den Rücken hinunter. Wusste eine von ihnen von ihrer Liebe zu Jarick? Wollte sie Jarick erpressen?

„Warum war sie zu Besuch?“

„Das weiß ich nicht.“

„Wer ist deine Ansa? Gersimi oder Syn?“, konnte Nela sich nicht länger zurückhalten.

„Beantworte ihre Frage“, befahl Balder frostig. Veit sah mit glasigen Augen zu ihr. „Meine Ansa ist Gersimi Vanadis.“

Nela fühlte sich zutiefst von ihrer Vorfahrin verraten. Zuerst zwang Freya ihr dieses verfluchte Alvarenbündnis auf und nun ließ Gersimi sie entführen. Noch nie hatte Nela solch eine Arglist erlebt. Angestrengt dachte sie an die kurzen Begegnungen mit Gersimi.

„Hast du mir Dämmerschlaf während der Alvarenzeremonie in den Wein gegeben?“, wollte Nela nun wissen.

„Ja.“

„Warum?“

„Meine Ansa wollte verhindern, dass Ihr das Bündnis eingeht. Sie hatte andere Pläne für Euch.“

„Welche?“

„An jenem Abend wollte sie Euch Euren gesetzlichen Vormund übergeben. Meine Ansa hielt es für eine äußerst gute Idee, wenn Ihr Euren Wächter Eike Ferdinand ehelicht, anstatt Alvarin zu werden. Der Plan missglückte, und nun war es nicht mehr möglich.“

„Eike Ferdinand ist nicht mein Wächter!“, stieß Nela erbost aus.

„Weißt du, warum deine Ansa solch großes Interesse an Lunela hat?“, hakte Balder nach. Denn Balder wusste, dass es Freya nicht erfreuen würde, wenn Gersimi sich ungefragt in die Belange der Göttin einmischte. Ging es um einen Machtkampf zwischen Mutter und Tochter?

Veit zuckte mit den Schultern.

„Gab es einen Namen für das Vorhaben?“

„Ja.“

„Wie lautet er?“

„Das Spiel um Deurias Sebjo.“

„Mit wem spielt deine Ansa? Wen will sie herausfordern?“, fragte Balder nach.

„Das weiß ich nicht, aber ich vermute Forseti.“

Nela glaubte, sich verhört zu haben. Das konnte doch nicht wahr sein. Gersimi benutzte sie als Spielfigur, um Jarick herauszufordern? „Warum?“

„Meine Ansa spielt sehr gerne“, plauderte Veit mittlerweile geradezu mitteilungsbedürftig, obwohl Balder keinen Schmerz mehr auf ihn ausübte.

Balder lachte auf. „Gersimi ist eine Meisterin der Ränke. Jedoch hat sie sich nun den falschen Gegner ausgewählt.“

Nela Vanadis

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