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Kapitel 8
ОглавлениеDoch die nächsten Wochen brachten nichts Gutes. Ida erwachte nach drei Tagen und hatte kein Gefühl in ihrer gesamten linken Körperhälfte, dort war alles gelähmt. Ihr Gesicht glich einer schrecklichen Fratze, auf der linken Seite hielt kein Muskel die darüber gespannte Haut nach oben, alles hing nur schlaff herunter. Es war ein jämmerlicher Anblick. Bei ihren ersten zögerlichen Versuchen zu sprechen kamen nur unidentifizierbare Laute aus ihrem Mund, vor denen sie selbst erschrak.
Wilhelm blieb bei seiner Mutter im Krankenhaus, er bekam ein Bett neben ihr zugewiesen und versuchte zu helfen, wo er konnte. Er lernte, sie zu waschen, er fütterte sie und versuchte sie aufzuheitern, obwohl ihm selber immer eher zum Weinen oder laut Aufschreien zumute war. Er ließ sich von den verschiedenen Therapeuten Übungen zeigen und wiederholte diese oft mit seiner Mutter, immer noch in der Hoffnung, dass sie bald wieder gesundwerden würde. Doch die Fortschritte hielten sich in Grenzen. Das Einzige, was sich besserte und wieder fast so war wie vor dem Schlaganfall war das Sprechen und die Lähmungen im Gesicht. Nach ein paar Wochen sah Ida zumindest im Gesicht wieder aus wie früher und sie konnte wieder kommunizieren. Aber sie war keineswegs mehr die Alte. Ein weiteres Mal musste Wilhelm mitansehen, wie sich seine Mutter veränderte – auch dieses Mal nicht zum Besseren.
Ida war verzweifelt, sie war am Boden zerstört. Sie konnte einfach nicht glauben, dass Gott sie noch einmal so hart bestrafte – zuerst nahm er ihr ihren geliebten Bruder Matthias, dann ihren Ehemann Roman und nun dieser Schicksalsschlag. Sie würde ihr Leben lang auf Hilfe angewiesen sein, könnte nicht mehr kochen, kaum alleine essen, nicht mehr dorthin gehen wo sie wollte, einfach gar nichts mehr alleine tun. Je mehr Zeit sie hatte – und davon hatte sie sehr viel – desto mehr grübelte sie über ihr zerstörtes Leben nach und wurde verbitterter und verbitterter. Daran konnte auch ihr Sohn nichts ändern, obwohl er sich rührend um sie kümmerte.
Und es wurde sogar noch schlimmer. Als Wilhelm ihr die Geschichte über die gefährliche Fahrt ins Krankenhaus erzählte, rief sie laut aus: „Hattets mi doch sterben lassen, dann hatt i es endlich hinter mir!“ Und das meinte sie auch wirklich so. Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr verfestigte sich der Gedanke, dass ihr Bruder und ihr Sohn die ganze Schuld an ihrem Elend trugen. Gott wollte sie erlösen, er wollte, dass sie stirbt. Doch Josef und Wilhelm behinderten die Ausführung des göttlichen Plans. Und jetzt musste sie wieder dafür büßen. Dieser sei er auch noch so absurde Gedanke verfestigte sich in Idas Gehirn und wurde für sie Wirklichkeit.
Nach einigen Wochen wurde Ida entlassen, im Krankenhaus konnte man nichts mehr für sie tun, sie konnte wieder nach Hause. Alle hofften, dass sich ihr Gemütszustand in den eigenen vier Wänden bessern würde und sie versuchten, es ihr so bequem und angenehm wie möglich zu machen. Josef hatte das Erdgeschoß des Bauernhauses ein bisschen umgebaut und es behindertengerechter gestaltet. Idas Bett stand nun in der Stuba, dem Wohnzimmer. Ein Rollstuhl stand daneben, der im Bedarfsfall zur Toilette umgebaut werden konnte. Sie hatten den Tisch fein gedeckt und mit Blumen geschmückt und Wilhelm hatte sogar ein „Willkommen daheim, Mama!“ – Schild gebastelt. Den ganzen Tag hatte er schon in der Küche verbracht und Mutters Lieblingsspeisen gekocht – Käspressknödel mit Suppe, Gröstel und zum Nachtisch ein selbst gemachtes Eis.
Josef trug Ida ins Haus hinein und betrat frohen Mutes die Stuba, wo Wilhelm schon gespannt wartete: „So, Ida, schaug wie viel Mühe der Wilhelm sich gmacht hat und wia schian er alles für di hergrichtet hat. Freusch di, dass wieder daheim bisch?“
„Warum soll i mi gfreien? Für an Krüppel ist es egal, wo er lebt“, erwiderte Ida zum großem Entsetzen aller. Bestürzt setzte Josef seine Schwester in den Rollstuhl und versuchte es noch einmal: „Na kimm, jetzt tun wir erstmal essen, dann schaug die Welt glei viel besser aus“. Griesgrämig murmelte Ida: „Man hat keinen richtigen Appetit, wenn man nur herumliegt und sich nit rühren kann, aber woher sollsch du des wissen“.
Josef wollte nicht aufgeben und bemerkte: „Der Appetit kimmt sicher, wenn siehst, was der Wilhelm Gutes gezaubert hat”, und zu Wilhelm gewandt: „Na kimm, Bua, lass dei Muater nit verhungern, bring mal die Vorspeis!”
Der Junge lief hinaus in die Küche. Ida murmelte weiter: „Wenn es wüsstets, welche Freud es mir machats wenns mi verhungern lassen würdets”. Da wurde es sogar Josef zuviel. Er setzte sich seiner Schwester gegenüber hin und schaute ihr scharf in die Augen. „Wir wissen alle, dass es nit leicht für di isch, aber für uns a nit. Und vor allem dei Bua hat sich des nit verdient, er hat für di die Stelle beim Goldenen Adler in München aufgeben und damit seinen großen Traum. Er bemüht sich so fest, dir das Leben wieder etwas lebenswerter zu machen, schätz des wenigstens a bissl!”
Durch den scharfen Ton in Josefs Stimme wagte es Ida nicht, noch einmal dagegenzureden und verhielt sich den ganzen Abend ruhig. Aber die Argumente ihres Bruders waren an ihr abgeprallt, war es in ihren Augen doch die Schuld der zwei Männer, dass sie jetzt in diesem jämmerlichen Zustand den hoffentlich nicht mehr großen Rest ihres Lebens verbringen musste.