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Einmischen, Mitreden, Mitgestalten

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Kulturwandel ist angesagt, beim Denken und beim Handeln. Gelassenheit liegt im Trend. Das ist gut so, aber ein bisschen Würze in Form von Radikalität kann nicht schaden. Jetzt im Alter können wir endlich denken, sagen und tun, was wir immer schon wollten, bisher aber aus verschiedensten Gründen und Zwängen zurückhalten mussten, heißt es. Ja das stimmt. Wir können sagen, was wir wollen, ohne dass wir im Zeugnis eine schlechte Note bekommen, in der Job-Hierarchie eine Stufe hinunterfallen, die Pension verlieren. Die Frage ist nur, wer hört uns zu? Hört uns überhaupt jemand zu, so wir nicht Margarete Mitscherlich, Andreas Kruse, Jean Améry, Simone de Beauvoir, Reimer Gronemeyer, Bernd Marin heißen?

Radikal zu denken, Visionen zu entwickeln, Ideale verwirklichen zu wollen, das sind Eigenschaften, die die Gesellschaft nicht für uns, sondern für eine andere Altersgruppe vorgesehen hat – die Jungen. An uns wird geschätzt, dass wir ruhig, bescheiden, zufrieden sind. Der gute Oldie sieht mehr Positives als Negatives, strahlt Gelassenheit aus, zieht Ruhe und ein bequemes Leben vor, ist emotional stabil, das heißt, regt sich nicht auf, ist kein Wutbürger. Wirklich? Ist die Gelassenheit eines Goldfisches im Glas bewundernswert oder schlicht und einfach die Anpassung an einen nicht von ihm bestimmten Lebensraum. Vielleicht träumt das Zuchttier von einem verwilderten Leben im Brackwasser. Einige von uns geben sich nicht mit der Ruhe im Glas zufrieden. Stéphane Frédéric Hessel war 93, als sein Essay „Empört euch“ publiziert wurde, in dem er unter anderem zum politischen Widerstand gegen die Finanzkrise aufruft. Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter Jean Ziegler, 70, empört sich seit Jahren über den weltweiten Hunger als Massaker und Massenmord und fordert einen Aufstand des Gewissens, denn das eigene Glück ist nur dann möglich, wenn rundum Gerechtigkeit und Solidarität herrschen. Die Welt nicht hinzunehmen wie sie ist, sich nicht dem destruktiven Gehorsam zu unterwerfen, der zu Untertanengeist, Unmenschlichkeit, Ungerechtigkeit führt, dafür plädiert der 92-jährige Psychologe Arno Gruen in „Wider den Gehorsam“. Alice Schwarzer vertritt als 70-Jährige immer noch vehement feministische Positionen und initiiert eine Kampagne gegen Prostitution. Todesdrohungen und Mordanschläge haben Bischof Erwin Kräutler, 75, bis heute nicht davon abhalten können, sich gegen Großstaudammprojekte und für die Menschen im Amazonasgebiet einzusetzen.

„Verfolgen wir mit Radikalität als alte Menschen nicht auch das Ziel, wenn nicht jetzt, wann sonst wollten wir die Welt verändern?“, fragte die Grande Dame der Psychoanalyse Margarete Mitscherlich, und die deutsche Politikerin Rita Süssmuth wird im Deutschlandfunk vom 30. 11. 2012 mit dem Satz zitiert: „Mein Denken ist heute sehr viel radikaler als mit 30 Jahren. Nicht nur die Jungen haben Ideale und Visionen – wir Älteren denken tiefer darüber nach, was wir verändern möchten, und bleiben an den Zielen dran. Visionen und Ideale verschwinden nicht mit dem Älterwerden, im Gegenteil.“

So ist es. Daher protestierten Rentner in Dublin gegen brutale Sparmaßnahmen der Regierung, standen Weißhaarige in Chile an der Seite jugendlicher Demonstranten für gebührenfreie Schulen und Universitäten, machten Ältere mit bei der Occupy-Bewegung, wandten sich sogenannte Straßenoldies in Spanien gegen Banken und Regierung, formierte sich beim Bahnprojekt Stuttgart 21 ein „Block der Grauhaarigen“.

In Japan demonstrierten ältere Menschen nach Fukushima für ein Ende der Atomkraft, in Argentinien haben die „Großmütter der Plaza de Mayo“, entstanden zur Zeit der Diktatur, die Suche nach den damals verschwundenen und geraubten Enkelkindern bis heute nicht aufgegeben, und in den USA wurde eine 84-jährige Nonne verurteilt, weil sie in Tennessee in die mangelhaft geschützte Atomanlage eindrang und eine Friedensfahne schwenkte. Also Schluss mit der Gelassenheit, der Konzentration ausschließlich auf die Interessen des eigenen Bauches. Schluss damit, die Zeit im Alter mit Trivialitäten und Spielereien zu verplempern. Betty Friedan, berühmte amerikanische Altersforscherin, plädiert für aktives Handeln im Sinne eines Vermächtnisses für die Enkel. Wir mögen die im Laufe des Lebens erworbene Weisheit und Generativität und das Wissen um die Entstehung des Sozialstaates einsetzen, um bei der Lösung der Probleme mitzuhelfen, vor der die Gesellschaft heute steht.

Mitreden und Mitgestalten anstelle von Zuhören und Konsumieren. Würden viele von uns gerne, aber wo bitte wären die Foren, abgesehen von Demonstrationen und der Mitgliedschaft in politischen Parteien? Im Supermarkt, in der Straßenbahn, im Park beim Spielen mit den Enkelkindern? Na ihr könnt doch bürgerschaftliches Engagement zeigen, wird uns gerne empfohlen. Ja, könnten wir, und viele von uns übernehmen Ehrenämter, Freiwilligendienste, zivilgesellschaftliches Engagement oder wie auch immer sich unbezahlte Tätigkeiten nennen, wobei Untersu chungen festgestellt haben, dass das ehrenamtliche Engagement bei den über 60- bis 65-Jährigen eher rückläufig ist. Hat vielleicht schon mal jemand nach den Gründen unserer Zurückhaltung gefragt, abgesehen davon, dass wir keine Zeit haben, weil wir uns bei der Betreuung unserer Enkelkinder oder unserer kranken Lebenspartner engagieren, weil speziell wir Frauen uns ein Leben lang um andere gekümmert haben und wir endlich mal eine Auszeit brauchen oder weil die Angebote, um es höflich auszudrücken, interessanter sein könnten. So wenig wie ich als älterer Demenzkranker von Menschen wie Silvio Berlusconi betreut werden möchte, ebenso wenig Lust habe ich, mit noch Älteren als ich Karten zu spielen, weil mich Kartenspiele grundsätzlich langweilen. Es scheint mir nicht extrem erfüllend, den Kirchenraum zu kehren, Altstoffe zu sammeln, ich will keine Folder an Kooperationsstellen verteilen, Besucherinnen begrüßen und Infoblätter ausgeben. Mein Glücksgefühl beim Adventkranzbasteln für den Weihnachtsmarkt oder Brötchenstreichen für das Sportfest hält sich in Grenzen. Büroarbeit war schon in jüngeren Jahren ein No-Go, und eine Datenbank pflegen, selbst wenn es zum Wohle der Kinder auf der ganzen Welt geschieht, wird von mir auch nicht als Highlight empfunden, für das ich Stunden meiner Lebenszeit hingeben würde. Ich möchte nicht als „kostengünstiges Dienstleistungs- und Wertschöpfungspotenzial“ wahrgenommen werden. Zum einen weil ich mehr kann, als angeboten wird, und zum anderen, weil einige dieser Angebote bezahlt werden sollten, damit junge Leute zu einem Nebenverdienst kommen. Ich will keine Löcher stopfen und Risse kitten, die durch falsche politische Entscheidungen entstanden sind, weil sich der Staat aus der sozialen Verantwortung zurückgezogen hat.

Bei einem Besuch der Wiener Freiwilligenmesse 2014 im Museum für Angewandte Kunst stellte ich fest, der Andrang war enorm und viele Ehrenamtliche sind voll zufrieden mit dem, was sie tun. Allerdings gab es von keiner Organisation eine befriedigende Antwort auf meine Frage, ob es denn speziell konzipierte Projekte für Menschen 60plus gebe, bei denen wir Älteren einerseits unsere Erfahrungen einsetzen und andererseits etwas dazulernen könnten. Aufgefallen ist mir, dass nahezu jede Organisation Menschen sucht, die Kindern, mit oder ohne Migrationshintergrund, Nachhilfe geben. Da frage ich mich doch, gibt es keine allgemeine Schulpflicht mehr und wenn doch, was machen die in den Klassenzimmern? Andererseits weiß ich natürlich, dass zum Beispiel Lernpatenschaften, die Betreuung von Flüchtlingen, das Dasein eines Sport- oder Kulturbuddys befriedigend und sinnvoll sein können.

Trotzdem bleibt ein ABER: eine freiwillige, unbezahlte Tätigkeit, die zwar die Sozial- und Kulturbudgets des Staates entlastet, aber das Können und Wissen von uns Älteren nicht wirklich einfordert, muss nicht automatisch als Bereicherung empfunden werden. Im Gegenteil. Es wäre also hoch an der Zeit, die Rahmenbedingungen für Ehrenamt und Engagement neu zu definieren, denn eine Gesellschaft des langen Lebens braucht utopische Bilder eines solidarischen, nachhaltigen Zusammenlebens. Für mich wird sich das Reformprogramm wohl nicht mehr ausgehen, hält man sich die Trägheit der Institutionen vor Augen, aber dann hoffentlich für die nächste Generation der Alten.

Bald alt? Na und!

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