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Wege zu sich selbst

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Kulturwandel ist angesagt. Bei vielen von uns bekommt nun die Erforschung des eigenen inneren Prozesses in Wechselwirkung mit der äußeren Welt einen besonderen Stellenwert. Sie wollen ihr Leben und das ihrer Familie und Freunde besser verstehen. Nach außen gerichtete Aktivität alleine wird von ihnen als unbefriedigend empfunden, sie versuchen herauszufinden, was dieser Lebensabschnitt Alter bedeutet.

Wenn wir uns nicht mehr über Beruf, Leistung, Konsum definieren können oder wollen, sondern nur mehr über das, was uns als Mensch ausmacht, dann haben wir – vielleicht zum ersten Mal – die Möglichkeit, uns selbst kennenzulernen. Für diese Reise in die Innenwelt, ob mit Hilfe von Psychotherapie oder in Selbstbeobachtung, ist es nie zu spät. Möglicherweise braucht es gerade für diese Expedition ein gewisses höheres Alter. Von Nasreddin, dem weisen Narr des Orients, gibt es folgende Geschichte:

Nasreddin sitzt als alter Mann mit seinen Freunden im Teehaus und blickt auf sein Leben zurück: „Als ich jung war, war ich voller Tatendrang. Ich wollte jedermann ändern und bat Allah um die Kraft, die Welt zu ändern. Die Jahre vergingen, ich wurde älter und erkannte, dass mein halbes Leben vorbei war und ich niemanden geändert hatte. So bat ich Allah um die Kraft, jene in meiner Nähe zu ändern, die es am nötigsten hatten. Wieder vergingen viele Jahre, nun bin ich alt und mein Gebet ist einfacher: ,Allah‘, bete ich, ,bitte gib mir die Kraft, wenigstens mich selbst zu ändern.‘“ Einige von uns begeben sich auf eine spirituelle Reise und wählen Wege, die so vielfältig sind wie die Menschen auf der Suche. Innehalten, Nachdenken, In-Sich-Hineinhören, Selbstbesinnung, Kontemplation, Gebet, Meditation kennen tatsächlich kein Alterslimit. Diese Wendung nach innen muss nicht automatisch ein Gegensatz zu politischer Aktivität sein, sie kann als Ergänzung gesehen werden, die uns bisher nicht möglich war. Wir haben nun den Luxus, uns die Zeit zu nehmen, um uns eine der schwierigsten Lektionen anzueignen, die von keiner Agentur für lebenslanges Lernen und keinem Grundtvig-Erwachsenenbildungs-Programm angeboten wird: im Hier und Jetzt zu leben, achtsam zu sein. Leider gibt es in unserer Gesellschaft keine Mynas, keine sprechenden Vögel wie in Aldous Huxleys Buch „Eiland“, die herumfliegen und die Bewohner der Insel mit ihren „Hier und Jetzt“-Rufen daran erinnern, darauf zu achten, was in diesem Augenblick geschieht.

In einer Geschichte, die einem unbekannten Zen-Meister zugeschrieben wird, fragt einmal ein Schüler seinen Lehrer, wie dieser es schaffe, Gelassenheit, Ruhe und Achtsamkeit auszustrahlen. Der Lehrer soll darauf geantwortet haben:

„Wenn ich sitze, dann sitze ich. Wenn ich stehe, dann stehe ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich esse, dann esse ich.“ Der Schüler fiel dem Meister in Wort und sagte: „Aber das tue ich auch! Was machst Du darüber hinaus?“

Der Meister blieb ganz ruhig und wiederholte wie zuvor: „Wenn ich sitze, dann sitze ich. Wenn ich stehe, dann stehe ich. Wenn ich gehe, dann gehe ich …“

Wieder sagte der Schüler: „Aber das tue ich doch auch!“

„Nein“, sagte da der Meister. „Wenn Du sitzt, dann stehst Du schon. Wenn Du stehst, dann gehst Du schon. Wenn Du gehst, dann bist Du schon am Ziel.“

Je älter wir werden, desto mehr sind wir auf jenes Jetzt-Erleben angewiesen, denn die Geschehnisse vom Vortag sind Schnee von gestern, und das Morgen kommt oder kommt nicht, Garantieansprüche können wir keine anmelden. Wir Alten verfügen nicht mehr über das gesicherte Zeitguthaben der Jungen, das zwar auch illusorisch aber zumindest wahrscheinlich ist, können uns nur auf die Gegenwart verlassen, haben demnach keine andere Wahl, als uns auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren. Asiatische Weisheitslehren wie Zen haben immer schon ihr Augenmerk auf Achtsamkeit gelegt, auf das bewusste Wahrnehmen des jeweiligen Augenblicks, was nicht bedeutet, dass wir hier im Westen diese hohe Schule der Lebenskunst nicht erfahren können. Schon vor Jahren hat mich die Aussage des damals 74-jährigen österreichischen Physikers Herbert Pietschmann beeindruckt, der in einem Interview in der „Wiener Zeitung“ sagte: „Vor etwa 15 Jahren ist mir aufgefallen, dass ich mir nicht mehr so viel merken kann. Das war zunächst etwas unangenehm, das bedrückt einen. Doch dann habe ich mir gedacht: Wenn das nicht nur mir, sondern allen Menschen so geht, liegt vielleicht ein Sinn dahinter. Und ich glaube, ich habe den Sinn gefunden: Er liegt meiner Meinung nach darin, dass man sich nur mehr darauf konzentriert, im Hier und Jetzt zu leben, in der Gegenwart zu leben, im Augenblick innezuhalten …“

Eine der klassischen Möglichkeiten, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, eine Übung, die jeder von uns – unabhängig von Alter, Geschlecht, gesundheitlicher Konstitution, Religionszugehörigkeit, Ausbildung, Einkommen – ausführen kann: Meditation. Sich hinsetzen, den Geist zur Ruhe kommen lassen, ohne jede Erwartungshaltung in die Stille eintauchen, sich nur auf den Atem konzentrieren, durch den zeitlosen Raum selbst zeitlos werden, zumindest während einer kurzen oder längeren Einheit des Tages. Es ist jene Stille, in der sich Denken, Wahrnehmung, Bilder, Wünsche, Ängste auflösen können. Meditation soll übrigens das Leben verlängern und muss nicht zwingend statisch im Zimmer auf einer Matte am Boden ausgeübt werden. Der indische Philosoph Jiddu Krishnamurti meint, wir können auch meditieren, wenn wir im Bus sitzen, das Gesicht eines anderen Menschen betrachten oder wenn wir einfach spazieren gehen. Wir müssen nichts anderes tun, als uns beobachten, wie wir gehen, wie wir essen, was wir sagen, ob wir Hass und Eifersucht empfinden. Wenn wir uns all dessen bewusst sind, was in uns vorgeht, dann ist das Teil der Meditation.

Leben im Hier und Jetzt könnte die große Herausforderung für uns Ältere werden, egal ob wir reisen, Enkel betreuen, Rasen mähen, Sport betreiben, singen, kochen, einkaufen, denn in Wirklichkeit ist es nicht so wichtig was ich tue, sondern wie ich es tue, ob ich mit Herz, Hirn und Seele dabei bin. Vielleicht ist es unsere Aufgabe, den anderen Generationen dieses Im-Hier-und-Jetzt-sein vorzuleben, ohne dass wir deswegen den Entwurf in die Zukunft außer Acht lassen müssen. Wie sagte doch der Zen-Meister P’ang-yün: „Meine wunderbare magische Kraft liegt im Wasserholen und Holzhacken.“

Bald alt? Na und!

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