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Altersbilder so bunt wie ein Regenbogen

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Manuela, 30, verheiratet, zwei Kinder, arbeitet im Marketingbereich. Sie ist die Tochter einer Freundin von mir. Wenn Manuela und Gerhard Gäste haben, kommt häufig die Rede auf Manuelas Großmutter, 82. Diese begann mit 60 einen Karatekurs sowie ein Seniorenstudium. Letzteres hat sie abgeschlossen, die Karatestunden wurden gegen Qi Gong-Lektionen ausgetauscht. Dazu kamen eine Ausbildung als Visagistin sowie mehrere Massagekurse. Manuelas Großmutter unternimmt jährlich eine große Reise, zuletzt war die Mongolei an der Reihe. Während des Jahres betreut die 82-Jährige „ältere Menschen“, wie sie es nennt. Sie macht regelmäßige Hausbesuche bei pflegebedürftigen Siebzigjährigen und erfüllt damit die Forderung einiger Experten, die meinen, wir Alten sollten doch ein Sozialjahr absolvieren. Im Gegensatz zu Manuela, die eine gut sortierte Hausapotheke ihr Eigen nennt, nimmt die Großmutter nicht einmal Medikamente gegen zu hohen Blutdruck oder zu hohes Cholesterin. Wird Manuela gefragt, ob sie Angst vorm Älterwerden hat, dann gibt sie zu: „Ein bisschen schon, aber wenn ich mir meine Großmutter ansehe, dann beruhige ich mich wieder.“

„Wenn jemand sagt, Altwerden ist schön, dann weiß er nicht, wovon er spricht.“ Die 58-jährige Renate sieht ihre kommenden Jahre mit pessimistischen Augen. Die Arbeit in einer Spitalsambulanz wird immer anstrengender. Zum einen weil es an Personal mangelt, und zum anderen, weil sie selbst den Schichtdienst nicht mehr so leicht übersteht wie früher.

Dazu kommt, dass ein großer Teil ihres Geldes, das sie als Pensionsvorsorge monatlich in eine Versicherung einbezahlt hat, im Verlauf der Finanzkrise verloren gegangen ist. Renate hat berechtigte Angst, mit der staatlichen Pension später einmal nicht auskommen zu können, also wird sie nach ihrem 60. Lebensjahr weiterarbeiten müssen, vorausgesetzt der Arbeitgeber erlaubt es. Renates Mutter ist vor fünf Jahren gestorben. Nach deren Tod begann sich ein schleichender körperlicher Verfall des Vaters abzuzeichnen, trotzdem lebt der 83-Jährige noch alleine in seiner Wohnung. Fremde Hilfe lehnt er ab, in ein Heim will er nicht. Also wechseln sich Renate und ihre beiden Geschwister bei der Pflege ab. Von Zeit zu Zeit schrammt Renate an einem Burn-Out vorbei, und daran wird sich in den nächsten Jahren nicht viel ändern.

Zwei Beispiele von mir bekannten Menschen, die die beiden Extremseiten der gegenwärtigen Altersbilder illustrieren. Alter als Lust oder als Last. Auf der einen Seite das Schreckensbild des schmerzgekrümmten, hilflosen Pflegefalls, auf der anderen Seite der aktive, lebenslustige Oldie. Derzeit steht es 70 zu 30 für die Lebenslustigen. Die Philosophie des aktiven Oldies lautet: Altern ist ein einziger Spaß. Wir machen, was wir wollen, und wir lächeln immer. Wir „Silver-Consumer“ lächeln, wenn wir eine Versicherung abschließen, der Bank unsere Einlagen anvertrauen, neue Inkontinenzwindeln erstehen, altersgerechte Matratzen kaufen und im Reisebüro den nächsten Urlaub buchen. Wir lächeln, wenn wir beim Bergsteigen, Schwimmen, Radfahren, Tanzen, Essen, Trinken fotografiert werden. Wir lächeln im Rollstuhl, im Schwimmbad, im Bett, in der Küche, unterm Riesenrad. Wenn wir gefüttert werden, lächeln wir weniger. Wenn uns die Tochter im Heim besucht, wir aber unter Alzheimer leiden und keine Ahnung haben, wer sie ist, lächeln wir auch nicht wirklich. Aber ansonsten sehen wir immer gesund und sportlich aus, geben uns optimistisch, sehen im Leben nur das Positive.

Was dagegen zu sagen ist? Nichts, absolut nichts, so das Lächeln nicht zum gesellschaftlichen Terror, zum Leistungsdruck wird und sich als allein gültiges Bild behauptet, das aussagt: Alter ist ein einziges Vergnügen, in dem alle jede Minute ihres Lebens nur Spaß haben. So wie das Defizitmodell ist auch dieses produktivitätsorientierte positive Modell einseitig ausgerichtet und kann möglicherweise bei vielen von uns, die nicht „aktiv altern“ können oder nicht bloß Aktivität um der Aktivität willen vortäuschen wollen, Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle hervorrufen. Und aus ist es mit dem nicht enden wollenden Spaß.

In Wirklichkeit geht es weder darum, ein verharmlosendes Hohelied auf das Alter zu singen, noch ein Schreckensszenario mit allen nur möglichen gruseligen Details zu malen. Es ist an der Zeit, diese Lebensphase, die als globale Herausforderung gilt, mit ihren Höhen und Tiefen zu erforschen, die Chancen und Grenzen zu erkennen und jedem Einzelnen von uns die Möglichkeit zu geben, diese Jahre eigenverantwortlich gestalten zu können.

Als ich vor Kurzem an einer internationalen Tagung über die Zukunft des Alters teilnahm, richtete eine Teilnehmerin an die dort anwesenden Wissenschaftler und Altersexperten die Frage: „Haben Sie schon einmal über Ihr eigenes Altersbild nachgedacht, das Sie im Kopf mit sich herumtragen?“ Stille machte sich in der Runde breit.

Ich habe die Anregung aufgenommen und über mein eigenes Altersbild nachgedacht. Keine Großväter. Beide starben kurz nach Kriegsende. Die Großmutter mütterlicherseits wird begraben, als ich sechs bin. Mein Erinnerungsalbum zeigt eine müde, abgearbeitete Frau mit viel Verständnis für Kinder. Der Großmutter väterlicherseits musste täglich das Essen gebracht werden. Meine Mutter und ich gingen immer um die Mittagszeit vom 18. in den 17. Bezirk. Als Jugendliche machte ich die literarische Bekanntschaft von Bert Brechts unwürdiger Greisin, die sich mit 72 nicht mehr weiter für die Familie aufopfern will, sondern nach dem Tod ihres Mannes ein neues Leben beginnt. Ich war schon damals eindeutig auf ihrer Seite. Jene alte Frau, die Tag und Nacht im Miethaus gegenüber bewegungslos am Fenster saß, verachtete ich allerdings. Sie hätte präzise Auskunft geben können, wann ich und andere Menschen in der Straße abends weggingen, nachts nach Hause kamen, ob wir alleine oder zu zweit waren. Dieses Am-Fenster-Sitzen kannte ich schon als Kind von einigen Frauen im Dorf. Mir war damals völlig unklar, was es draußen zu sehen gab, außer stündlich vorbeifahrende Züge und hin und wieder einen Menschen, der einkaufen, zum Friedhof oder in die Kirche ging. Irgendwann waren diese Frauen im Dorf „weg vom Fenster“, und es läutete das Totenglöckchen.

Dann gab es Tanten. Eine führte mit 80 noch eine Geschirrhandlung, trug statt der verordneten Altersdauerwelle Zöpfe und erschien mit einem zwanzig Jahre jüngeren Liebhaber. Sie galt als kein guter Umgang für uns Kinder. Eine weitere Tante übersiedelte mit 75 in die Nachbarortschaft und ließ das Haus radikal umbauen. Dazu gehörte auch, dass sie den Sichtschutz, die über 50-jährigen Stauden und Bäume, erbarmungslos absägte und ausgrub und stattdessen zehn Zentimeter hohe Ligusterstöckchen pflanzte. Abgesehen vom Baum-Mord bewunderte ich ihre selbstbewusste Haltung der Zukunft gegenüber, immerhin war sie 75, in meinen Augen also knapp an der Todesgrenze. Liguster ist zwar an sich schnell wachsend, aber dieser ließ sich Zeit. Als er endlich halb so hoch war wie die alten Stauden, musste sie wegen Demenz ins Heim. Eine andere Tante, Diabetikerin und 85, lag jeden Nachmittag genussvoll in ihrer Glasveranda und ließ die Sonne auf ihren nackten Körper scheinen.

Gestorben ist sie mit 94. Ich erinnere mich an einen Freund der Familie, der mit 80 per Autostopp zwischen Salzburg und seiner Zweitwohnung in Sopron pendelte. Stühle, Bettteile, Türstöcke, Koffer waren auf den Reisen mit dabei. Interessanterweise fand er immer jemanden, der ihn und sein Mobiliar mitnahm. Da er ein genialer Erzähler von Geschichten und Mulatschakfesten war, machten einige der Autofahrer sogar einen Umweg, um ihn und die Türstöcke direkt in Sopron abzuliefern. Ich erinnere mich an die Nachbarin im Dorf, die mit 75 so schwer erkrankte, dass die Familie bereits das Begräbnis plante. Sie erholte sich, als wäre nichts gewesen. Ein paar Jahre später kam es wieder zu einem längeren Spitalsaufenthalt. Es sah schlecht aus, aber noch einmal gewann ihr Lebenswille, bis sie mit 93 starb.

Das für mich entscheidende Altersbild begegnete mir aber inmitten schneebedeckter Berge unter knallblauem Himmel und kräftiger Wintersonne in Arosa, Schweiz. Bei einer Schneewanderung bemerkte ich eine interessante Gestalt, die mehr tänzelte und hüpfte als im Schnee zu stapfen. Aus der Nähe sah ich dann eine Person um die 80 in einem merkwürdig bunten Mantel, ein grüngraues Wollmützchen und darunter ein mageres Gesicht voller Falten, fröhlich zwinkernde Augen, die Mundwinkel in die Höhe gezogen, Kopfhörer in den Ohren, einen – damals hieß das so – Walkman um den Hals gehängt. Die Frau sang vor sich hin, winkte mir verschmitzt lächelnd zu, drehte sich einmal im Kreis und tänzelte weiter – ein Ausdruck von Lebensfreude pur. Ich war 45 und wusste sofort, so möchte ich im Alter auch unterwegs sein. Und wie sieht es mit Ihren Altersbildern aus?

Bald alt? Na und!

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