Читать книгу Der ganz 'normale' Alltag - Norbert Dinter - Страница 10
Der sonnenverwöhnte Jüngling
ОглавлениеIch sitze an meiner Kasse im Supermarkt und sehe wieder diesen blonden, blauäugigen Jungen, der mir vor ein paar Tagen zum ersten Mal aufgefallen ist, als er sein Leergut bei mir abgab. Ich beobachte, wie er elegant durch den Laden geht und seine Waren zusammensucht. Mit seiner intensiven Sonnenbräune und den stark gebleichten Haaren erweckt er nicht nur meine Aufmerksamkeit, denn die lauen Außentemperaturen dieses Frühlings laden gewiss noch nicht zu einem Sonnenbad ein. Mit einem freundlichen Lächeln auf den schmalen Lippen bettet er seinen Einkauf auf das Fließband meiner Kasse und begrüßt mich höflich.
Während ich seine Waren über den Scanner zieh, überlege ich krampfhaft, wie ich ihn in ein Gespräch verwickeln könnte. Zu gern würde ich ihn näher kennenlernen, aber wieder fehlt mir der Mut. Oder ist es nur meine Angst, dass ich ihn nachher nicht wiedersehen könnte? Die Angst, meine Offenheit könnte ihn nicht nur gegen mich, sondern auch gegen meinen Arbeitgeber aufbringen?
Als er eine Flasche Bier auf das Transportband stellt, kommt mir der Gedanke, ihn nach seinem Ausweis zu fragen. Dann könnte ich seinen verwunderten Blick und sein offenes Geständnis, er habe ihn nicht dabei, damit beantworten, das ich feststelle: 'Schade, so werde ich Ihren Namen jetzt wohl doch nicht erfahren.'
Doch stattdessen hülle ich mich in Schweigen und nenne nur den Betrag, den er zu zahlen hat. Für einen kurzen Moment treffen sich unsere Blicke, während er mir das Geld gibt, und wieder lächelt er mir zu. Am Liebsten würde ich ihn auf der Stelle an mich drücken und nicht mehr loslassen, doch der nächste Kunde wartet schon.
Noch ist der Jüngling nicht aus dem Laden gegangen, denn das einpacken seines Einkaufs beschäftigt ihn eine Weile. Mir kommt die Idee, ihm zu sagen, dass er etwas vergessen habe. Und wenn er sich erkundigt, was das sei, werde ich feststellen, dass er vergaß, mir seine Adresse und seine Telefonnummer zu geben.
Doch schon nimmt er seine Tasche hoch und verabschiedet sich. Wieder einmal habe ich meine Chance verpasst. Und so sitze ich da, träume von ihm und warte darauf, dass er mit einer Freundin erscheint oder dass er einmal den Mut findet, mich anzusprechen.