Читать книгу Der ganz 'normale' Alltag - Norbert Dinter - Страница 5

Rosen für Mama

Оглавление

Schon seit Stunden war Johnny mit seinem Truck auf den staubigen Autobahnen in Richtung Heimat unterwegs, als ihm einfiel, dass sich sein Hochzeitstag am morgigen Mittwoch wieder einmal jähren würde. Vor vierzehn Jahren hatte er seiner Helga das Jawort gegeben, und seit dieser Zeit führten sie eine glückliche Ehe, mit all ihren Höhen und Tiefen, die das Leben so mit sich bringt. Daher lenkte Johnny sein eisernes Ross an der nächsten Ausfahrt von der Schnellstraße und steuerte in die ruhige Kleinstadt, die sich hier an den Rand der grauen Großstädte des Ruhrgebiets anschloss.

Es war bereits einige Minuten nach sechs, und so fand er nur mit wenig Glück noch einen Blumenladen, vor dem eine junge Verkäuferin das bunte Blütenmeer zusammenräumte, um es in das Geschäft zu bringen. Als sie den großen, dunkelblonden Mann aus dem Führerhaus seiner metallicblauen Maschine springen sah, hielt sie jedoch einen Moment inne und beobachtete abwartend, was er nun tun würde.

Johnny lächelte sie an, wobei sich um seine meerblauen Augen einige Fältchen zeigten, und schritt langsam über die Straße auf sie zu. Ein wenig verlegen setzte das Blumenfräulein den Eimer, den es hielt, ab und vergrub ihre Hände in den Taschen ihres Kittels, damit der Mann nicht sehen konnte, wie sie vor Aufregung zitterte.

"Kann ich Ihnen helfen," sprach sie den Fahrer an und hob trotzig ihr Kinn, um ihre Unsicherheit zu überspielen.

"Ich hätte gerne Rosen." antwortete er ihr und schob seine Schlägermütze weit in den Nacken.

"Na, das hört sich aber sehr nach einem schlechten Gewissen an." bemerkte das Fräulein und musterte ihn verschmitzt grinsend von der Seite.

Johnny lachte über ihre vorlaute Äußerung. "Nein, nur Hochzeitstag."

"Nur?" wunderte sich die Verkäuferin. "Ist Ihre Frau so schlimm?"

"Nein," Johnny schüttelte den Kopf. "Ganz im Gegenteil. Sie ist die beste Ehefrau der Welt."

"Sie Glücklicher." entgegnete das Fräulein und führte den Mann in den Laden. "Wie viel Rosen sollen es denn sein? - Leider habe ich nur noch rote Rosen da."

"Das macht überhaupt nichts." winkte der Trucker ab. "Rot ist die Farbe der Liebe. - Ich hätte gerne alle, die sie noch haben."

Leise zählend band das Fräulein die Blumen zusammen.

"Vierzehn," sagte sie schließlich laut. "Es sind genau vierzehn Stück."

"Das passt ja prima." freute sich Johnny. "Morgen ist unser vierzehnter Hochzeitstag."

"Na, wenn das kein Glück bringt." kommentierte die Verkäuferin und tippte den Preis in ihre Kasse.

Während Johnny die Blumen bezahlte, öffnete sich die Ladentür und ein kleines, braunhaariges Mädchen schlich herein.

"Ich hätte gern eine Rose," bat sie das Fräulein und sah sie aus großen, dunklen Augen an. "Eine Rose für Mami, bitte.“

Verlegen schüttelte die Verkäuferin den Kopf. "Ich hab' leider keine Rosen mehr. Der Herr hat die letzten Rosen gekauft."

"Aber ich hab' ihr doch eine Rose versprochen." flüsterte das Kind kaum hörbar und senkte traurig den Kopf. Eine dicke Träne rollte über ihre Wange. "Mami hat Rosen so gern."

Beschämt hockte sich der große Mann neben das zierliche Mädchen und strich ihr die Träne aus dem Gesicht. "Soll ich Dir eine von meinen Rosen geben?"

Stumm nickte das Kind. "Bitte."

"Schön, dann bekommst Du eine von mir." schlug der Mann vor. "Aber erst bringe ich Dich zu Deiner Mami."

Gerührt sah die Verkäuferin dem ungleichen Paar nach, das Hand in Hand die Straße vor ihrem Laden überquerte.

"Ist das Dein Auto?" fragte das Mädchen bewundern, als sie Johnnys Truck erblickte. Ihre dunklen Augen leuchteten vor Freude. "Das ist aber groß."

"Das muss ja auch eine ganze Menge Zeug transportieren." erklärte Johnny.

"Was für Zeug?" wollte die Kleine wissen.

"Nun, Maschinen, Autoteile, Rohre - alles, was für ein kleines Auto zu schwer ist."

"In echt?“ staunte das Mädchen, während es auf den Beifahrersitz krabbelte.

"In echt." bestätigte Johnny lächelnd und nahm hinter dem Steuer Platz. "Wo müssen wir denn hin?"

"Erst mal geradeaus." deutete die Kleine. "Und dann nachher um die Kurve."

"Aber Du kennst den Weg?" interessierte Johnny.

"Klar." nickte das Mädchen. "Ich geh' ihn jeden Tag."

"Na schön, dann wollen wir los." Johnny startete den Motor seiner Maschine.

Erschrocken saß die Kleine für einen Moment still da, doch dann lachte sie wieder. "Boooh, macht der aber einen Krach."

Auf der kurzen Strecke, die Johnny nach den Anweisungen seiner neuen Freundin zurücklegte, erfuhr er von 'Willy mit den bunten Autos' und von 'Rudi mit dem dicken Ball', von 'Susi mit den roten Zöpfen', und zu guter Letzt, das seine kleine Begleiterin Anna hieß.

"Wir sind da." jubelte die Kleine, als sie sich einer hohen Hecke näherten. "Bitte, halt' an."

Johnny stoppte seinen Truck und sah über den Rand der grünen 'Mauer'. Dahinter lag ein Friedhof. Schweigend stieg der große Mann aus und hob Anna aus dem Führerhaus. Das Mädchen lief sofort auf das große Tor in der Hecke zu, doch an der Pforte wand sie sich noch einmal um.

"Wo bleibst Du denn, komm schon." rief sie voller Ungeduld.

Johnny nahm die Rosen und folgte dem Kind. Zielstrebig huschte Anna durch die Reihen, und dem Mann fiel es schwer mit der Kleinen Schritt zu halten. Schließlich stoppte sie vor einem Grab mit einem weißen Stein und kniete sich auf den grasbewachsenen Weg.

"Hallo, Mami." begrüßte sie das gepflegte Stückchen Erde, unter dem, wie auf dem Stein zu lesen war, eine junge Frau begraben lag. "Schau mal, was ich Dir mitgebracht hab. - Rosen, Mami, die hast Du doch so gern."

Und während Anna Helgas Rosen in einer Vase auf dem Grab ordnete, wobei sie ihrer Mama unentwegt von ihren Freunden, vom Papi und von ihren Erlebnissen erzählte, blickte Johnny hinauf in die untergehende Sonne und sprach ein leises Gebet. In seinen blauen Augen schimmerte es feucht.

Der ganz 'normale' Alltag

Подняться наверх