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Begegnungen

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Bedächtig las Lotte das Wechselgeld an der Kasse des Supermarktes auf und ließ es in ihr abgegriffenes Portemonnaie gleiten. Hinter ihr wartete Kathy darauf, dass ihre Vorgängerin endlich das Fließband freigab, damit auch sie ihren Einkauf bezahlen konnte.

Mit einem abfälligen Blick musterte Kathy Lottes farblose Erscheinung. Es war offensichtlich, dass die Jahre nicht spurlos an dieser Frau vorübergingen. Ihre grauen Haare hingen strähnig um das hagere, faltige Gesicht. Die dunkle Kleidung wirkte abgestoßen und schäbig.

"Was ist nur aus ihr geworden?" dachte Kathy. "Wie kann man sich nur so gehen lassen? Sieh' Dir nur diese alten Klamotten an, die sie trägt. Vollkommen unmodern. Und ihre Haare. Ein richtiger Fettkopf. Aber das ist so typisch Lotte. Die hat ja noch nie viel auf ihr Äußeres gegeben. Und uns lag sie ständig damit in den Ohren, dass sie keinen Freund hat.

Aber dann hat sie diesen Walter kennengelernt. Mein Gott, war das ein Dödel. Ja, Lotte; Nein, Lotte; Wie Du willst, Lotte. Fünfunddreißig - oder waren es sogar vierzig - Jahre hat ihre Ehe bestanden. Dann ist er gestorben. Wahrscheinlich hat er sich todgesoffen. War doch sowieso das Einzigste, was er gut konnte. Außer Kindermachen natürlich.

Lotte war doch ständig schwanger. Hat ihre ganze Figur durch die Bälger kaputtgemacht. Richtig unförmig ist sie geworden. Na ja, hübsch war sie ja nie."

Schnippisch rümpfte Kathy noch kurz die Nase, ehe sie sich der Kassiererin zuwandte und sie um Wiederholung des genannten Betrages bat.

Aus den Augenwinkeln beobachtete Lotte, wie Kathy das Geld abzählte.

"Was hat sie sich heute wieder herausgeputzt." ging es ihr durch den Kopf. "Sie sieht aus, als wollte sie zu einem Maskenball. Das Gesicht angemalt wie ein Clown, und ein Fähnchen an, wie ein junges Küken. Irgendwie sollte man sich doch altersgerecht kleiden.

Aber so war Kathy ja schon immer. Herausgeputzt wie ein Pfingstochse. Und den Jungs schien es zu gefallen. Ständig hing ein ganzer Schwarm an ihren Fersen.

Sie konnte sich gar nicht entscheiden, wessen Antrag sie annehmen sollte. Kein Wunder also, das sie es nachher auf drei Scheidungen gebracht hat. Wahrscheinlich wären es noch mehr geworden, wenn sie nicht diesen reichen Harry geheiratet hätte. Nach dessen Tod brauchte sie keinen Trauschein mehr, um ihren Spaß zu haben. Vielleicht durfte sie ja auch nicht mehr heiraten. Es gibt doch solche Klauseln in Testamenten, die das verbieten.

Oder sie hatte keine Zeit. Die ist doch ständig auf 'm Trip gewesen. Mal 'n Wochenende in London, eine Woche Paris, Urlaub auf Ibiza oder Bildungsferien in Amerika. Und wenn sie mal Zuhause war, pendelte sie zwischen Partys und Veranstaltungen hin und her. Ob Tennis, Reiten oder Schlittschuhlaufen, alles hat sie ausprobiert. Selbst jetzt ist sie immer noch auf Achse.

Nee, dat wär' kein Leben für mich."

Langsam nahmen beide Frauen ihre Einkäufe hoch und strebten dem Ausgang zu.

Für einen kurzen Augenblick schoss beiden derselbe Gedanke durch den Kopf:

"Mein Gott, wenn man bedenkt, dass wir als Kinder einmal Freundinnen waren."

Der ganz 'normale' Alltag

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