Читать книгу Meerhabilitation - Oana Madalina Miròn - Страница 5

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2 Tessa

Ich hatte mir erst mal für ein ganzes Jahr ein kleines, idyllisches Häuschen direkt an der Nordküste von Seltjarnarnes gemietet. Ich weiß, ganz schön mutig, so nah am Wasser zu leben, wo das Klima hier derart wild und erbarmungslos war, aber für mich war es die einzig richtige Option. Erstens konnte ich so meinem geliebten atlantischen Ozean möglichst nahe sein, zweitens, war ich nicht weit von der Hauptstadt entfernt, wo ich auch Arbeit finden konnte, und drittens hatte ich genug Abstand zu den übrigen Menschen.

Ich musste erst mal alleine sein und zu mir selbst finden. Mich wieder erinnern, wer ich eigentlich war, und wohin mein Weg gehen sollte. Viel zu lange hatte ich mich in der Vergangenheit herumkommandieren und beeinflussen lassen. Mich „besitzen“ lassen. Damit war jetzt Schluss!

Nun konnte ich seit Langem wieder meine eigenen Entscheidungen treffen.

Ich schaute auf die Stadtkarte und versuchte mich zu orientieren. Ohne Google Maps war das eine richtige Herausforderung. Ich blickte in die Richtung, wo sich das Haus hätte befinden sollen.

Üppige, mit Schnee behangene Bäume, die hörbar unter der eisigen Belastung ächzten, versperrten mir den Blick. Ich sah einen schmalen Trampelpfad, der sich zwischen den Bäumen hindurch schlängelte und ging diesen vorsichtig hinab. Ich machte kleine Schritte, versuchte nicht auszurutschen und plötzlich sah ich es.

MEIN kleines Haus!

Ich war endlich an meinem Ziel angekommen. Es war einfach wunderschön. Von der Situation übermannt, blieb ich einfach kurz stehen und genoss den Ausblick.

Ganz einsam und doch so stabil und stolz, stand es einfach nur da. Zirka zweihundert Meter bis zum Wasser und der leicht zum Ozean geneigte Hang, machten den Ausblick auf den Atlantik einfach perfekt. Ich stand mit offenem Mund da und verfiel in eine Art Starre. So schön hatte ich es mir einfach nicht vorgestellt. Klar, ich kannte das Haus von etlichen Fotografien, doch es hier und jetzt mit eigenen Augen zu betrachten, verschlug mir den Atem. Ich wusste, warum ich mich ursprünglich in dieses Haus verliebt hatte. Wenn man am Hang stand und hinuntersah, konnte man die gesamte Schönheit überblicken. Die unendliche Weite bis zum Horizont ließ mich alles vergessen. Die Kraft der Natur überrollte mich mit voller Gewalt und ließ mich sprachlos zurück!

Die Fassade des Hauses war an der dem Hügel zugewandten Seite mit dunkelbraunen, vertikal angebrachten Holzlatten verkleidet, die nordisch angehauchten Fenster waren weiß gestrichen. Die in Richtung des Ozeans ausgerichtete Seite war komplett mit rustikalen Natursteinen bis zum Dach hin zugemauert. Nur in der Mitte dieser Steinmauer befand sich eine Tür, wahrscheinlich konnte man durch diese Tür auf die Terrasse gelangen. Zwischen den Steinen, die aussahen, als hätte man sie einzeln in der freien Natur gesammelt und mit viel Liebe an der Hausmauer angebracht, wuchs dichtes Moos, das teilweise unter dem Schnee hervorblitzte. Das Dach war mit einer dicken Schneedecke bedeckt, was dem Ganzen eine gemütliche Note verlieh. Zum Wasser hin konnte ich eine kleine Steinterrasse erkennen, die weiße Pracht ließ meiner Fantasie noch viel Raum übrig.

Ich konnte es kaum erwarten, das Haus zu betreten. Wie ein Überraschungsei stand es da und wartete darauf ausgepackt zu werden. Rasch ging ich hinunter und suchte den Haustürschlüssel. Wie mit der Vermieterin vereinbart, lag er unter einem großen Stein neben der Eingangstür. Da die Einbruchsrate in Island sehr gering war, wollte die Hausbesitzerin die Tür überhaupt unversperrt lassen, aber ich bestand darauf, trotzdem den Schlüssel zu verstecken.

Als ob ein Einbrecher unser tolles Versteck nicht ohnehin nach einer fünf minütigen Suche gefunden hätte. Ich lachte kurz in mich hinein. Typisch österreichische Mentalität. Ich musste mich langsam davon lösen und freier, wilder werden. Öfter Risiken eingehen … Ja, ich musste unbedingt an mir arbeiten!

Ich schloss die Tür auf und öffnete die aus massivem Holz bestehende, mit Metallbeschlägen und isländischen Ornamenten versehene Eingangstür. In der Mitte war ein schwerer Messingtürklopfer in Form eines Pferdekopfes, dem Nationaltier Islands, angebracht. Mit einem leisen Knarren ging sie auf. Mein Herz machte einen freudigen Satz als ich hineinging. Ich konnte meinen Augen nicht trauen.

Der Innenbereich war riesig! Ich blickte auf einen offenen loftähnlichen Wohnbereich und stand plötzlich in einem riesigen Raum, der schöner nicht hätte sein können. Die Wände waren in einem ruhigen, graublauen Ton gestrichen, der untere Wandabschnitt mit marineblauen, vertikalen Holzlatten verziert. Es hatte einen maritimen, skandinavischen Touch. Eine riesige, dunkelbraune Vintage Ledercouch, die auch als ausziehbare Schlafcouch diente, ein massiver Holztisch, ein gemütlicher Schaukelstuhl in der Ecke, ein paar Sitzpölster, geschmackvolle Wandlampen und ein weißes Bücherregal – das war die gesamte Inneneinrichtung. Der Kochbereich bestand aus einer Kochnische mit den nötigsten Geräten, einem stabilen, quadratischen Holzesstisch mit zwei Stühlen und einer dunkelblauen Glasvitrine. Flauschige Tierfelle waren über den graubraunen Parkettboden verteilt. In die Nordwand, die dem Meer zugewandt war, hatte man ein drei mal vier Meter großes Panoramafenster eingebaut, mit einer endlos langen, mit Pölstern verzierten Fensterbank davor. Ich wusste jetzt schon, dass ich an diesem Platz viele Stunden mit Lesen verbringen würde. Die vielen Fenster ließen so viel Licht hinein, dass die Sonnenstrahlen das Haus durchfluteten und den Wohnbereich in einen magischen Ort verwandelten. Ich war überwältigt.

So einfach und doch so hübsch! Das war mein neues Zuhause und ich fühlte mich sofort wohl. Ich war angekommen. Geistig und vor allem körperlich. Ich konnte mir das Grinsen einfach nicht verkneifen, nahm Anlauf und ließ mich quietschend auf die große Couch plumpsen.

Ich schloss die Augen und atmete den neuen Duft der Freiheit ein. Es roch nach Zedernholz mit einem Hauch von Mut und Selbstbewusstsein. Ich wusste, dass alles gut werden würde. Den schwersten Abschnitt hatte ich bereits hinter mir gelassen. Jetzt konnte mein neues Leben beginnen, mit allem, was dazugehört.

An den nächsten Tagen machte ich mir eine Liste mit den nötigsten Sachen, die ich besorgen musste. Essen und Trinken, Gläser und Besteck, Körperpflegeartikel und einige Dekoartikel, um dem neuen Zuhause meine eigene Handschrift zu verleihen. Ja, ich hätte mir nichts Schlimmeres vorstellen können, als im verschneiten Island ohne Tampons festzusitzen. Da ich mein gesamtes Hab und Gut zurücklassen musste, empfand ich es nun als eine riesengroße Erleichterung, mich komplett neu einzurichten und neue Sachen zu kaufen.

In den darauffolgenden Tagen hatte mich schon so gut eingelebt, dass ich beschloss, es endlich mit der Stadt aufzunehmen. Ich war wieder bereit, Menschen um mich zu haben, und mich mit dem einen oder anderen auszutauschen. Isolation funktionierte nur bedingt, es war wieder an der Zeit, meine kleine, schützende Blase zu verlassen. Ich packte mich im Inuit-Style gut ein, streifte mir meine pinken Moonboots über und schon konnte es losgehen!

Dieses Mal nahm ich mutig den Bus. Die Taxifahrten würden meine Ersparnisse auf Dauer deutlich minimieren. Ich kam besser als erwartet zurecht. Kaum im Zentrum Reykjaviks angekommen, führte mich mein allererster Weg zum größten Autohändler, den ich finden konnte. Ich betrat den Laden und kam mir vor wie im Land der Riesen, denn anscheinend fuhren hier alle nur SUVs und riesige Geländewagen, deren Reifen fast so groß waren wie ich selbst. Hier herrschte die Devise »bigger is better«.

»Guten Tag! Kann ich Ihnen behilflich sein?«, begrüßte mich der freundliche Autoverkäufer mit einem gekonnten Perlweißlächeln. In seinem dunkelblauen Anzug sah er eigentlich eher aus wie ein Politiker. Ich mochte keine Politiker. Sein Aftershave machte die Situation nicht besser, denn er roch, als hätte er darin gebadet. Ich versuchte durch den Mund zu atmen.

»Guten Tag, wenn sie mich schon so fragen, ich bin auf der Suche nach einem Auto«, antwortete ich leicht irritiert. Man konnte es mir nur allzu gut ansehen, dass ich mit dem Fahrzeugangebot deutlich überfordert war. Autos zählten für mich zu den Gebrauchsgegenständen, die mich von A nach B beförderten, mehr nicht.

»Zum Kauf oder als Leasing?«, fragte er mich.

Aha, der Kunde wurde anscheinend bereits bei der ersten Frage klassifiziert und in Schubladen gesteckt. Hätte er mich gleich fragen sollen, wie viel Geld ich auf dem Konto hatte?! Irgendwie amüsierte mich die Situation.

»Ich würde gerne ein praktisches, kleines Auto kaufen, wenn geht, gebraucht, nicht älter als drei Jahre. Allerdings bin ich nicht gleich davon ausgegangen, mit einem Truck nach Hause zu fahren«

Der Verkäufer leckte sich kurz die Lippen, als er das Wort „kaufen“ hörte und ich könnte schwören, winzig kleine Dollarscheine in seinen Pupillen erkannt zu haben.

»Ich bin eher auf der Suche nach einem kleineren Wagen, einen VW Polo, oder so?« Ich war mir aber ziemlich sicher, dass ich mit solch einem Auto nicht nach Hause fahren würde.

»Wenn Sie mir eines glauben können, ist es die Tatsache, dass Sie in ganz Island keinen VW Polo finden werden. Bitte vertrauen Sie mir, wenn Sie den Winter hier überleben möchten, dann würde ich Ihnen dazu raten, sich die großen Jungs hier anzusehen«, sagte er stolz und zeigte auf die Ausstellfahrzeuge. Von Jeep, Nissan, Kia, Opel bis BMW, VW und Audi, alles was einen Namen hatte, war hier bunt vertreten und stehts in XXL-Ausführung.

»Na ja, einen Blick kann ich ja mal darauf werfen«, sagte ich verunsichert, wusste aber insgeheim, dass der Verkäufer recht hatte. Die Winter hierzulande waren sehr lang und rau. Ich lebte hier quasi am Nordpol und wollte mich im Straßenverkehr sicher bewegen.

Tja, das waren auch schon meine letzten Worte, bevor ich eine halbe Stunde später in meinem nigelnagelneuen, moosgrünen Jeep das Autohaus verließ. Hoch über dem Boden schwebend und mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht, der mich selbst überraschte, düste ich die Straße hinunter Richtung Mall. Der Autoverkäufer hatte nicht nur einen guten, sondern einen ausgezeichneten Job gemacht. Seine Monatsprovision war ihm jetzt schon sicher. Doch alles in allem hatte ich mich vollkommen richtig entschieden. Der isländische Winter ließ mir keine andere Wahl.

»Carpe diem, Tessa! Carpe diem!«, sagte ich leise zu mir.

»Das hast du dir so was von verdient!«

Das Fahren in diesem Monstrum bereitete mir solch eine Freude, dass ich deutlich spürte, wie meine Wangen zu glühen begannen. Rechte Kurve, linke Kurve, in den Außenspiegeln konnte ich den Pulverschnee in allen Richtungen davonspritzen sehen. Ich fühlte mich wie ein kleines Kind, das ins Bällebad hüpfen durfte.

Plötzlich huschte vor meinen Augen ein schwarzes Etwas vorbei! Direkt vor mein Auto!

VOLLBREMSUNG!!!

Ich schrie erschrocken auf, der Jeep geriet ins Wanken, Spurhaltung ade! Wie in Zeitlupe konnte ich erkennen, wie ich mich im Uhrzeigersinn zu drehen begann. Die Umgebung drehte sich im Kreis, weiße Landschaft, Bäume, weiße Landschaft, Bäume … Ich hielt das Lenkrad so fest, dass sich sogar meine kurz geschnittenen Fingernägel ins Leder zu bohren begannen. Das war’s dann wohl mit meinem neuen Wagen, wie gewonnen, so zerronnen. Im Radio lief „At last“ von Etta James. Das Auto drehte sich rhythmisch im Takt zur Musik. Das hatte beinahe schon etwas von einer gefühlvollen Tanzeinlage auf dem Eis, wie im Eiskunstlauf. Was für eine absurde Situation! Ich kam von der Straße ab und landete mit einem lauten Knall im nächstgelegenen Schneehaufen!

Stille.

Ich wagte es nicht mal, mich zu bewegen. War ich verletzt? Gelähmt oder etwa tot?!

»Tessa, jetzt mal tief durchatmen!«, ermahnte ich mich mit einem leicht panischen Unterton. Ich öffnete die Augen, bewegte vorsichtig meine Finger, meine Arme, meine Beine und hob schließlich ganz langsam den Kopf. O. k., soweit ich das beurteilen konnte, war ich o. k. Meine Hände zitterten, ich spürte wie das Adrenalin durch meine Adern zischte.

»Oh, mein Gott, Miss, alles o. k?!«, hörte ich draußen jemanden rufen. Eine männliche Stimme. Warum nannten mich alle nur »Miss«?. Das war auf so vielen Ebenen falsch, aber eigentlich sollte es mir schmeicheln. Er hämmerte gegen meine Fensterscheibe und versuchte den Schnee wegzuwischen.

»Hallo?!! Ja, ich bin hier drinnen!«, rief ich instinktiv zurück.

»Ich hole Sie hier raus! Nur keine Panik!«, antwortete der Fremde.

»Ist gut! Ich warte dann so lange.«

Herrgott, wie peinlich, Tessa! Sehr intelligente Antwort. Na klar, wo sollte ich denn sonst hin? Ich war ja regelrecht im Auto gefangen. Schamesröte stieg mir ins Gesicht.

Der nette Helfer schaffte es irgendwie mit viel Mühe und Not, die Fahrertür mit den Händen vom Schnee freizuschaufeln und öffnete sie mit einem kräftigen Ruck. Da ich mich dagegenstemmte, um ihm zu helfen, plumpste ich im gleichen Moment hinaus und fiel hochkant auf ihn drauf! Gemeinsam fielen wir wie ein Fleischklops in den Pulverschnee.

Er landete rückwärts im Schnee und ich klatschte recht tollpatschig auf ihn drauf.

»Ähm, hallo. Ich meine, danke!«, stammelte ich vor mich hin.

Mit einem breiten und gleichzeitig unwiderstehlichen Lächeln sah er mich an. Unsere Gesichter waren nur fünf Zentimeter voneinander entfernt, ich konnte seinen warmen Atem spüren.

»Gern geschehen«, antwortete er.

Oh, mein Gott! So nah war ich einem männlichen Wesen sage und schreibe seit Jahren nicht mehr gewesen! Er lag einfach nur da und machte keine Anstalten, sich von mir wegzubewegen. Er fand unsere verzwickte Lage sehr amüsant und lächelte mich unentwegt an. Dumpfe, stampfende Geräusche lenkten mich plötzlich ab und mit einem Mal sprang mich wie aus dem Nichts ein schwarzes, nasses Fellknäuel an.

»Schleck!«

Seine feuchte Zunge schlabberte alles ab, was sie erwischen konnte und landete auf meinem Gesicht. Das kitzelte überall und ich konnte nicht anders, als mich zur Seite zu rollen und kichernd den Überfall über mich ergehen zu lassen.

»Magnus, runter! Komm her!«, befahl er dem schwarzen Riesen mit einem leicht amüsierten Unterton.

Der Hund sprang auf und befolgte brav die Befehle. Hechelnd, mit seiner heraushängenden rosaroten Zunge, die fast bis zum Boden reichte, saß er neben seinem Herrchen und beide sahen mich an. Was für ein zuckersüßes Duo, da kriegte man fast Diabetes!

»Danke! Vielen Dank, dass Sie so schnell zur Stelle waren und mir geholfen haben«, bedankte ich mich und wischte mir dabei den warmen Hundesabber aus dem Gesicht. Glitschig!

»Na ja, zur Stelle ist gutgesagt«, gab er zurück.

»Magnus ist Ihnen vors Auto gelaufen. Ich weiß nicht, wie er sich von seiner Leine befreien konnte. Das ist so untypisch für ihn! Das hat er bisher noch nie gemacht«, sagte er und kraulte seinem Hund neckisch die Ohren.

Mamma Mia! Was für ein Mann! Ich stand einfach nur da und konnte nicht aufhören, ihn anzustarren. Er war groß! Sehr groß. Er hatte breite Schultern, große Hände und mit Sicherheit eine Schuhgröße von mindestens 50. Ich schämte mich fast dafür, wohin meine Gedanken plötzlich abschweiften, als ich die Relation der Körperteile berücksichtigte! Dunkelblondes Haar, zu einem Man Bun zusammengebunden, dichter, aber gepflegter Bart und stahlblaue Augen machten ihn auf jeden Fall zu einem richtigen Hingucker. Ein gepflegtes Äußeres und ein warmherziges Inneres. Wenn man ihn so ansah, konnte man ihm mit Leichtigkeit zutrauen, mein Auto mit nur einem Arm hochheben zu können! Ein richtiger Wikinger wie aus meiner Lieblingsserie Vikings. Ragnar Lothbrock war ein Winzling dagegen, kein Wunder, dass er allein die Schneemassen mit seinen bloßen Händen wegeschaufeln konnte. Durchatmen, Tessa, tief durchatmen.

»Hi, ich heiße Raik. Magnus haben Sie ja bereits kennengelernt«, stellte er sich vor und reichte mir die Hand. Ich nahm seine Hand und schüttelte sie so lange, dass es uns fast schon peinlich wurde. Leicht irritiert ließen wir voneinander los.

»Hallo, bitte duzen wir uns. Tessa. Mein Name ist Tessa. Vielen Dank noch mal. Du hast mir das Leben gerettet«, gab ich zurück und lachte ihn an.

»Bist du verletzt? Geht es dir gut?«, fragte er besorgt nach.

»Danke, aber soweit ich es beurteilen kann, geht es mir gut. Mein Herzschlag hat sich Gott sei Dank auch schon normalisiert. Gut, dass Magnus nichts geschehen ist. Das ist das Allerwichtigste«, antwortete ich.

»Ich bin Tierarzt, kein Humanmediziner, aber wenn du möchtest, kann ich dich gerne ins nächstgelegene Krankenhaus für einen schnellen Check-up hinfahren, nur um sicherzugehen«, bot er mir an.

»Nein, danke! Alles in bester Ordnung. Ich muss den Schreck mal verdauen, es geht mir wirklich gut. Ich denke, ich werde ganz vorsichtig nach Hause fahren und mir einen heißen Tee kochen«, antwortete ich und lächelte ihn an.

»Ein sicheres Fahrzeug hast du ja schon mal«, sagte er und betrachtete interessiert den Jeep. Er umrundete mein Fahrzeug und stellte erleichtert fest, dass das Auto nichts abbekommen hatte.

»Danke, das Auto habe ich mir vor nicht länger als dreißig Minuten gekauft«

»Da hast du einen ausgezeichneten Kauf getätigt! Kaum auszudenken, was sonst alles hätte passieren können«, antwortete er und fuhr sich mit den Händen durchs Haar.

»Ja, das stimmt«, pflichtete ich ihm bei.

»Na dann, komm gut nach Hause. Vielleicht läuft man sich ja wieder über den Weg«, verabschiedete er sich freundlich.

Ich hätte schwören können, er wollte noch etwas sagen. Etwas Eigenartiges lag in der Luft … Das konnte ich definitiv spüren.

»Ja, vielleicht. Auf Wiedersehen und danke noch mal«, verabschiedete ich mich ebenfalls und stieg in meinem Jeep. Ich fuhr langsam los und blickte in meinen Rückspiegel. Er stand noch immer wie angewurzelt da und schaute mir nach. Magnus auch. Ich beobachtete die beiden so lange, bis ich bei der nächsten Kreuzung abbog.

Ich fuhr schnurstracks nach Hause. Keine Umwege mehr, die Einkäufe mussten ein anderes Mal getätigt werden. Der Zwischenfall hatte mir einen richtigen Schrecken eingejagt. Trotzdem musste ich schmunzelnd zugeben, dass der Vorfall auch eine angenehme und unerwartete Wendung genommen hatte. Der wilde Mann und sein Hund. Was für eine Begegnung! Meine Hände wurden bei dem Gedanken immer noch feucht.

Am liebsten wäre ich nochmal zurückgefahren und hätte ihn gefragt, ob er auch gerne Tee trinke. Aber nein, das wäre vollkommen ausgeschlossen, denn Männer kamen für mich in meiner jetzigen Situation definitiv nicht in Frage. Noch nicht. Instinktiv schüttelte ich den Kopf, um mich wieder zu besinnen, und konzentrierte mich auf die Straße.

Ich betrachtete mich im Spiegel. Graugrüne, traurige Augen sahen mich an. Wo ist das Feuer geblieben? Ich war zu jung, um mit diesem Thema abzuschließen. So unverbraucht noch, so wenig erlebt und doch so übersättigt von Geschehenem. Mein Herz wurde bereits einmal gebrochen, ein zweites Mal durfte so etwas nicht wieder passieren.

Ich musste meine Lebensfreude wiederfinden. Ich spürte, dass das Feuer tief in mir drinnen noch nicht ganz erloschen war. Es loderte es immer noch, ich musste es nur vor dem Erlöschen retten.

Zuhause angekommen, machte ich mir einen heißen Tee, nahm mir die kuscheligste Decke, die ich im Haus finden konnte, und ging raus ins Freie.

Die kleine steinerne Terrasse mit zwei Stühlen und einem runden, kleinen Steintisch war das i-Tüpfelchen. Der Ausblick? UNBEZAHLBAR!

Vor mir erstreckte sich der gesamte Nordatlantik in seiner vollen Pracht. Nicht einmal der eiskalte Winter konnte seine Schönheit schmälern. Der Nordwind frischte auf und begann die Wellen aufzuwühlen. Sie peitschten mit unerbittlicher Kraft gegen den Küstenhang, der sich rechtsseitig kilometerlang vor meinen Augen erstreckte. Alles begann zu schäumen, der Wind spielte mit meinen offenen Haaren und wirbelte sie in alle Richtungen. Ich schloss meine Augen und genoss die Laune der Natur. Was für ein einziges Naturschauspiel! Ich dachte nur, wie schön mussten der Sommer und der Herbst erst sein, wenn mir bereits der Winter vor lauter Schönheit die Luft zum Atmen nahm?!

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