Читать книгу Meerhabilitation - Oana Madalina Miròn - Страница 8

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5 Raik

»Magnus! Maaaaaagnus!«, rief ich aus voller Kehle.

»Magnus, komm her mein Junge!«

Ich lief schweißgebadet durch Reykjaviks Straßen. Wie konnte er nur davonlaufen? Das hatte er bisher noch nie gemacht! Was war denn nur in ihn gefahren?

Ich hatte ihn bereits gleich nach dem ersten Vorfall mit der hübschen Rothaarigen, der er vors Auto gelaufen war, kastriert. Das war einfach das Beste für ihn. Ich konnte es nicht zulassen, dass ihm was zustoßen würde. Weniger Hormone, weniger Freiheitsdrang. Dachte ich jedenfalls …

Es fing an zu nieseln und wurde deutlich kühler. Der Wind peitschte mir ins Gesicht. Die vereisten Regentropfen fühlten sich wie tausend Nadelstiche auf der Haut an. Auch das noch! Ich konnte ihn unmöglich hier draußen alleine lassen, nicht bei diesem Wetter. Was, wenn ihm was zugestoßen war? Daran durfte ich gar nicht denken. Ich ließ diesen grausamen Gedanken los und suchte weiter.

»Magnus! Magnus!«

Einige Passanten schauten mich im Vorbeigehen an, als wäre ich ein Alien. Hatten sie denn noch nie einen verzweifelten Mann gesehen?!

»Entschuldigen Sie, haben Sie vielleicht einen großen, schwarzen Labrador gesehen? Er ist von zu Hause weggelaufen?!«, fragte ich schließlich zwei Damen aufgeregt, die gerade die Straße überquerten.

»Nein, haben wir leider nicht«, sagte die jüngere.

»Haben Sie es schon im Tierheim versucht? Sie wissen ja, da werden viele Ausreißer abgegeben«, sprach sie mir ermutigend zu.

»Ja, das ist eine gute Idee, vielen Dank!«, antwortete ich und machte mich sofort auf dem Weg ins Tierheim. Dass ich darauf noch nicht gekommen war! Ich hatte vor lauter Aufregung gar nicht ans Tierheim gedacht.

Ich fuhr natürlich viel zu schnell, doch das war mir zu diesem Zeitpunkt völlig egal. Ich wollte nur noch meinen Hund wiederfinden und ihn sicher nach Hause bringen.

Im Tierheim angekommen riss ich die Türe regelrecht auf und lief zum Empfang. Eine kleine, unscheinbare ältere Dame mit einer viel zu großen Hornbrille schaute in Zeitlupentempo zu mir auf. Sie legte ihren Kopf leicht schief und hielt einen Moment inne, bevor sie sprach.

»Guten Tag, der Herr, was kann ich für Sie tun?«, begrüßte sie mich äußerst freundlich und ruhig, für meinen Geschmack zu ruhig. Ich war auf 180 und konnte meine innere Unruhe kaum noch zurückhalten. Anscheinend hatte sie mit solch verzweifelten Tierbesitzern schon öfter zu tun gehabt und wollte die heikle Angelegenheit so schnell wie möglich abmildern. Ich ging darauf ein, denn ich spürte, wie mir bereits der Schweiß den Rücken hinunterrannte. Ich musste mich wieder beruhigen, nur so würde ich Magnus wieder zurückbekommen. Ich atmete ein paar mal tief durch.

»Hallo, mein Name ist Dr. Sigurdsson! Ich bin auf der Suche nach meinem eineinhalbjährigen, schwarzen Labrador. Er ist heute um die Mittagszeit von Zuhause weggelaufen. Das ist so überhaupt nicht seine Art … Hier sind die Registrierungs- und die Chipnummer, er ist auf meinen Namen gemeldet«, sagte ich und händigte ihr die Dokumente aus.

»Ok, einen kleinen Moment bitte, ich muss die heutigen Neuzugänge von heute durchsehen«, gab sie zurück und tippte gekonnt auf ihrer Tastatur herum.

Sie lehnte sich ein wenig nach vorne, kniff ihre Augen zu kleinen Schlitzen zusammen und fing konzentriert an, die Datenbank durchzuforsten. Ich wollte ihr empfehlen, ihre Augen mal richtig durchchecken zu lassen, denn anscheinend erfüllte ihre Brille nicht den Sinn und Zweck, doch das wäre in dieser Situation mehr als absurd. Nach einigen Minuten, die mir wie Stunden vorkamen, blickte sie schließlich wieder hoch.

»Es tut mir sehr leid, Dr. Sigurdsson, Ihnen das mitteilen zu müssen, doch Ihr Hund wurde heute nicht bei uns abgegeben. Wenn Sie möchten, kann ich mich gerne mit den anderen Tierheimen in der näheren Umgebung kurzschließen und Sie informieren, sobald ich etwas Neues in Erfahrung bringen sollte«, sagte sie.

Ich merkte, wie meine Beine plötzlich weich wurden, und ich mich kurz am Tresen festhalten musste, um nicht dem Wusch nachzugeben, mich einfach auf den Boden zu zusetzen. Mir gingen tausende Gedanken durch den Kopf und ich malte mir die schrecklichsten Szenarien darüber aus, was passiert sein könnte. Diese Ungewissheit brachte mich in den Wahnsinn. Ich musste raus!

»Ja, bitte! Das wäre sehr nett von Ihnen! Vielen Dank«, bedankte ich mich trotzdem höflichst bei Ihr, ließ meine Kontaktdaten und ein großzügiges Trinkgeld zurück und verließ blitzartig das Gebäude.

Ich ging wieder zurück zu meinem Auto und fuhr los, schließlich konnte ich nichts anderes tun, als selbst durch die Gegend zu fahren und nach ihm Ausschau zu halten. Ich fuhr die gesamte Gegend ab, nahm mir als Allererstes seine Lieblingsplätze und Spazierrouten vor. Auch seine heiß geliebte Küstengegend, wo wir fast jedes Wochenende spazieren gingen, um die Wellen anzubellen, blieben erfolgslos.

Total entkräftet, heiser und resigniert fuhr ich bei Einbruch der Dämmerung wieder nach Hause. Ich kontrollierte zum hundertsten Mal meine Sprachbox. Keine einzige Nachricht vom Tierheim.

Ich ließ mich auf die Couch fallen. Nicht einmal meine Schuhe zog ich mehr aus. Ich lag einfach nur da und starrte auf die kahle Decke. Inständig hoffte ich, ihn wohlauf wieder in meinen Armen halten zu können. Er war mein Kumpel, er war meine Familie. Einige Minuten später fielen mir vor Erschöpfung schließlich die Augen zu.

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