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Rinteln Info

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15. Juli 2006, zehn Uhr zwanzig. Wir hatten gerade die Stadt verlassen und würden in fünf Minuten den Flugplatz erreichen. Ich war ein bisschen skeptisch: Vor sechs Tagen scheiterte hier schon einmal der Versuch, mit den Kindern einen Gastflug zu machen und es gab eigentlich keinen Grund anzunehmen, dass wir heute mehr Glück haben würden.

Am vergangenen Sonntag saßen Anna Lena, Oliver und ich fast drei Stunden vor dem Tower auf der kleinen Veranda und sahen in der Zeit gerade mal zwei Starts. Eine „Morane“ flog ab in Richtung Osten und etwas später verabschiedete sich eine blauweiß bemalte „Cessna“ mit lauten Motorgeräuschen und verschwand bald im Dunst der Wolken, die sich mehr und mehr ringsum über den Bergen aufbauten.

Ich war ein bisschen sauer, denn wir hatten uns vorher beim Flugleiter gemeldet. Er wollte seine Piloten fragen, ob von ihnen jemand Lust darauf hatte, mit uns eine Runde über Rinteln zu drehen. Aber offensichtlich war keiner mehr da. Der Mann hätte wenigstens Bescheid sagen können. Als ich noch einmal die Treppe hinaufstieg, um nachzufragen, war die mit einem Knauf versehene Eingangstür zu und ließ sich von außen nicht öffnen. Kurz entschlossen drehte ich mich um und forderte die Kinder auf, mir zum Auto zu folgen. Der Flug hätte dreiundneunzig Euro gekostet und es gab natürlich tausend andere Möglichkeiten, das Geld im Urlaub auszugeben ...

Da tauchte endlich die Abfahrt zum Flugplatz auf. Ich bog

von der Hauptstraße ab und fuhr zügig auf dem schmalen bi-tumierten Weg entlang. Diesmal würden wir nicht so lange warten. Heute Nachmittag lagen vierhundert Autobahnkilometer vor uns und ich wollte die verbleibende Zeit bis zur Heimfahrt keinesfalls sinnlos vergeuden.

Das Wetter war ja wirklich fantastisch. Ein paar Wolken hingen seidig glänzend am strahlend blauen Himmel und die Sicht schien sehr gut zu sein — nirgendwo gab es Dunstschleier. Ich parkte meinen Renault Twingo im Schatten des Hangars und betrat mit den Kindern das Fluggelände. Zwei Männer saßen auf der Veranda und unterhielten sich angeregt. Rechts auf der Wiese standen mehrere Motorflugzeuge — eine gelb weiß lackierte Maschine mit dem Kennzeichen D-EEIM, die irgendwann einmal in Frankreich gebaut worden war (ich hatte keine Ahnung, wie die Typenbezeichnung hieß) und dahinter blinkte im Sonnenlicht die bereits oben beschriebene „Cessna“ ...

Bei dem Anblick lachte das Fliegerherz in mir. Ob es heute funktioniert? Anna Lena war zwar schon in Verkehrsflugzeugen mitgeflogen, aber das hier würde für sie eine ganz neue Erfahrung sein. Mit Oliver hatte ich schon zwei Flüge in der Eisenhüttenstädter „Morane“ absolviert — er wusste deshalb, was gleich auf uns zukommen würde.

„Entschuldigen Sie bitte — wir möchten einen Gastflug machen.“

Der ältere Herr unterbrach das Gespräch, sah mich an und antwortete dann freundlich:

„Sie wissen, was das kostet?“

„Klar — ich habe hundert Euro im Portemonnaie .“

„Gut — willst du?“ Sein Gegenüber zögerte kurz:

„Na klar — von mir aus“ und stand auf. Ich übergab beide Geldscheine. Jetzt war die Sache perfekt. Es konnte losgehen. Vor der französischen „Motormühle“ blieben wir stehen und der Pilot meinte, dass wir mit diesem Flugzeug fliegen würden, weil es bereits ordnungsgemäß gecheckt war.

Ich half den Kindern beim Einsteigen und ermahnte sie, nicht auf die Landeklappe zu treten. Dann setzte ich mich auf den rechten vorderen Platz, schnallte Anna Lena, Oliver und mich selbst an und überprüfte gleich, ob die Gurte fest genug angezogen waren. Auch der Pilot stieg nun ein und startete mit einem Schlüssel die Zündung des Motors. Der sprang sofort an. Wir waren bereit und meldeten uns über Funk:

„Delta Mike rollt mit drei Fluggästen zur Startbahn elf.“ Vom Tower kam prompt die Bestätigung. Ein letzter Kon-trollblick — der Mann neben mir gab Gas und wir setzten uns in Bewegung. Die Kinder wirkten ein wenig angespannt. Angst? Und wenn schon — gleich würden wir in der Luft sein und alle irdischen Sorgen hinter uns lassen. In wenigen Minuten tauchen wir in das azurfarbene Blau der Atmosphäre und sind eins mit der Maschine, die uns hoch über die Berge zu den Wolken trägt ...

Wie oft hatte ich das schon im Segelflugzeug erlebt und es war jedes mal dasselbe: Sobald die „Kiste“ abhob, fühlte ich mich seltsam frei und unbeschwert glücklich wie ein Kind, dass gerade zum ersten Mal das vorher heiß begehrte Spielzeug in den Händen hielt.

Inzwischen erreichten wir die Startbahn und bewegten uns zum Endpunkt. Aus Sicherheitsgründen war vorgeschrieben, dass man die ganze Piste für den Abflug nutzte. Wenn der Motor versagte, musste genügend Rollfläche bleiben, um rechtzeitig zum Stehen zu kommen ...

„Oliver — schau mal. Die Funkfrequenz von Rinteln Info ist eingestellt. 122.92.“

Er nickte und sah weiter nach draußen. Wir drehten uns am Ende der Bahn in Startrichtung und der Pilot wandte sich nach hinten zu den Kindern.

„Was ist? Woll’n wir .?“

Beide nickten. Der Tower bestätigte die Erlaubnis zum Abheben. Volllast. Unser Motor brüllte auf und Anna Lena krümmte sich ein wenig zusammen. Nun fürchtete sie sich doch ... Eine Minute später flog die Maschine, das Kind beru-higte sich und wirkte dann noch etwas entspannter, als wir in einer Höhe von achthundert Fuß die erste Linkskurve einleiteten.

Jetzt nahm der Pilot die Leistung auf Dreiviertel zurück und wir sackten ein paar Meter ab. Es kribbelte zwei, drei Sekunden im Bauch und dann ging der Flug ganz normal weiter. Was für ein Panorama lag plötzlich vor uns: Die Weser schlängelte sich wie ein silbriges Band durch die Landschaft; dahinter standen dichtgedrängt viele Häuser und auf den beiden Brücken rollten Spielzeugautos hin und her. Wir flogen in Richtung Klippenturm, der einhundertachtzig Meter über der Stadt auf einem Berg thronte. Von dort hatte man den besten Ausblick über das ganze Tal, wenn die Wetterbedingungen so waren wie heute.

Der Pilot sprach mich an:

„Geh mal in die Seitenruderpedalen und halte das Flugzeug im Geradeausflug“.

Klar — warum nicht. Die „Kiste“ reagierte aufjede Bewegung, die ich nun mit dem Steuerknüppel machte. War das ein irres Gefühl. Der Mann neben mir hatte seine Hände auf die Schenkel gelegt und ließ mich einfach machen. Natürlich würde er sofort eingreifen, wenn es gefährlich wird.

Der Motor arbeitete mit gleichbleibender Leistung und schon nach wenigen Minuten wusste unser Pilot, dass dies nicht mein erster Flug war. Die Kinder beobachteten aufmerksam das Gelände.

„Papa — hinter dem Berg ist die A2“, riefOliver und ich nickte.

„Wir müssen jetzt links abkurven, sonst wird die Sicherheitshöhe unterschritten.“

Fast unter uns befand sich nun der von mir angesteuerte Turm und ich betätigte gleichzeitig den Knüppel und die Pedalen. Oh — was war das? Die Maschine hatte plötzlich zu viel Schräglage und „rutschte“ über den hängenden Flügel einige Meter in die Tiefe. Ich versuchte mit dem Querruder gegenzuhalten und atmete erleichtert auf, als sie sich „gehorsam“ in die Normalfluglage zurückdrehte. Der Pilot riet mir mit einem Lächeln auf den Lippen, bei der nächsten Kurve das Sei-tenruder nur kurz anzutippen. Das hier war eben doch kein Segelflugzeug ...

„Papa — guck mal nach rechts — da fliegt noch jemand herum.“

Stimmt, der Junge hatte recht. Etwa fünfhundert Meter von uns entfernt kurvte ein weiß lackierter Segler und versuchte, thermische Aufwinde auszunutzen. Was für ein schöner Anblick . Man konnte sehen, wie er immer weiter nach oben stieg. Herrlich — wir waren nicht allein unter den Wolken und mussten darauf achten, dass der Mindestabstand zwischen den Flugzeugen eingehalten wird.

„Kinder — wo ist der Flugplatz?“ fragte ich und beide zeigten in die richtige Richtung. Gut. Ein Pilot darf nie die Orientierung verlieren ...

Der Mann neben mir hatte inzwischen die Hände im Nacken verschränkt und sagte:

„Flieg wohin du willst.“

Unter uns lag die Stadt und wir flogen auf den Doktorsee zu. Jede Menge Boote schaukelten an den Anlegestellen.

„Da kann man auch Wasserski fahren“, meinte der Pilot und verfolgte mit aufmerksamen Blicken, wie ich die Maschine steuerte.

Ich wollte noch einmal das unterhalb des Klippenturmes liegende Bremer Landschulheim überfliegen und leitete deshalb eine Rechtskurve ein. Diesmal klappte es schon besser und die Maschine glitt butterweich durch die Luft. Wieder lag der Ort mit den vielen roten Dächern vor uns. Wenige Minuten später erreichten wir den ineinander verschachtelten Häuserkomplex und der Pilot schaute interessiert nach unten.

Bis heute wusste er gar nicht, dass es in Rinteln eine solche Einrichtung gab. Ob Ina in dem Augenblick wegen des Motorgeräusches nach oben sah und ahnte, dass wir in diesem Flugzeug saßen? Sie war bestimmt gerade dabei, Wäsche aufzuhängen. Ihre Schwester und deren Lebensgefährte arbeiteten dort seit mehreren Jahren als Herbergseltern und wir halfen den beiden jedes mal, wenn wir sie besuchten.

Sechsundneunzig Betten standen in den Gebäuden und da hatte man tatsächlich stets irgendetwas zu tun: Sauber machen, Essen kochen und Schäden reparieren. Es ging immer das eine oder andere Teil kaputt, wenn sich so viele Kinder im Haus aufhielten.

Die vereinbarte Viertelstunde lief gleich ab. Ich flog rechts an der Landebahn vorbei und ordnete mich dann in die Platzrunde ein. Der Pilot drosselte die Antriebsleistung und wir sanken mit einem Meter pro Sekunde nach unten. Am Ausgangspunkt (gedachte Linie vom Ende der Piste zum sogenannten „Gegenanflug“) meldete er uns zur Landung an und schaute skeptisch nach hinten, weil Anna Lena ein bisschen blass aussah.

„Hoffentlich hält sie durch?“

Ich beruhigte ihn. Das Mädchen verfügte genauso wie ihre Mutter über jede Menge Selbstbeherrschung. Sie würde sich zusammenreißen und erst am Boden fragen, wo es zu den Toiletten geht ...

Die letzten beiden Kurven durfte ich noch fliegen, dann übernahm der Mann neben mir das Steuer. Er fuhr die Klappen aus und setzte das Flugzeug sicher auf die Bahn. Die Erde hatte uns wieder und noch während des Ausrollens sah man den Kindern an, dass sie beide erleichtert waren. Das Abenteuer Flug war überstanden.

Vielleicht gelingt es mir irgendwann doch, Oliver so richtig für die Fliegerei zu begeistern? Jedenfalls konnten die Beiden ihren Freundinnen und Kumpels nun stolz erzählen, dass sie in einer echten „Motormühle“ mitfliegen durften ...

Auf der Rückfahrt in die Stadt fragte mein Sohn: „Du sag mal Papa — der Pilot hatte die ganze Zeit seine Hände im Nacken. Wer steuerte da eigentlich die Maschine?“ Ich zuckte leicht mit der Schulter und antwortete schmunzelnd: „Na ich ...“.

Eisenhüttenstadt, 22. 07. 2006

Michaela. Erzählungen & Gedichte

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