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Eifersucht

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Ich sitze vor dem Computer und schließe die Augen. Heute ist Tag sechsundzwanzig nach dem großen Knall. Das Ende einer ziemlich außergewöhnlichen Beziehung. Der letzte Satz hört sich nach besonders gut an — doch so war es keinesfalls. Diese Szene will einfach nicht aus meinem Kopf verschwinden:

Herbst 2005. Sie stieg aus dem Auto und plötzlich — ohne das irgendein Anlass dazu bestand — tänzelte sie auf beiden Füßen, legte ihre Daumen an die Ohrmuscheln mit sonst abgespreizten Fingern und rief: „Ätsch — ich bin nicht schwanger — Ätsch, ich bin nicht ...“ In dem Moment war ich völlig perplex und befand mich kurze Zeit irgendwo auf einem anderen Stern ...

Einen Monat zuvor waren wir mit Anna Lena und Oliver für eine Woche in Palma de Mallorca und verbrachten den vierten Tag vormittags am Pool. Ihr fiel auf, dass sich ungewöhnlich viele schwangere Frauen im Hotel aufhielten. Sie meinte salopp: „Da muss man ja aufpassen, dass das nicht ansteckend wirkt .“ Ein Scherz? Einfach nur so dahingesagt?

Im Januar desselben Jahres hatte ich mich endlich doch sterilisieren lassen. Es war damals der dritte Versuch, denn so ein Eingriff war ja durchaus auch mit Risiken verbunden. Aber sie durfte aufgrund ihrer Krankheiten keine Kinder mehr bekommen und vertrug auch die Pille nicht. Und Kondome kamen für uns beide nicht in Frage ...

Mein Gott — ich hatte Oliver und Friederike und mit Vierundvierzig musste man nicht mehr unbedingt Vater werden ...

Im Sommer 2005 sprach mich David (einer ihrer Brüder) an. Ina sei mit einem fremden Mann im Auto durch die Gegend gefahren. Sie arbeitete damals als ABM-Kraft; vielleicht war das ein Kollege? Ich wusste es nicht und zuckte mit der Schulter.

Möglicherweise wollte sie mir nun mitteilen: He, Du — ich bin zwar fremdgegangen, aber es ist ja nichts passiert? Welche Bedeutung hätte diese spontane Geste sonst haben können? Damals versuchte ich, das Geschehen einfach zu ignorieren, weil sie ja öfter mal Gedanken äußerte, die in dem Augenblick gar nicht in den jeweiligen Zusammenhang des Gespräches passten. Wahrscheinlich hatte ich auch Angst vor der Wahrheit?

Zwei Monate später unterstellte ich ihr — obwohl es dafür keine Beweise gab —, dass sie ein Verhältnis mit dem „Möchtegernschwager“ Frank (so nannte sie ihn manchmal tatsächlich) hat. Die häufigen und sehr vertraulich geführten Telefonate zwischen ihm und ihr waren mir schon lange aufgefallen und in den vielen Nächten, die ich allein bei mir zu Hause saß, kamen da gewisse Gedanken in mir hoch ...

Sie und ich — wir sahen uns ja nur wenige Stunden am Tag und wenn ich Spätdienst hatte, verging eine ganze Woche, ohne das wir auch nur ein Wort miteinander wechselten ...

Ja — an dem Tag war ich schon mittags angetrunken und sie bügelte meine Wäsche im Wohnzimmer. Da kam dann aus meinem Mund diese Frage ... Oh oh — sie lachte ungläubig und schrill auf:

„Ich und Frank?“

Das klang so wie: Sag mal Alter, bist du jetzt völlig verrückt geworden? Eine Minute später rief sie ihn an und teilte ihm mit, was ich gerade ausgesprochen hatte. Hier vor meinen Augen ...

Gespielte Fassungslosigkeit? Ich war mir nicht sicher ... Am darauffolgenden Wochenende fand meine Geburtstagsfeier statt und sie ließ es mich ganz deutlich spüren: mitten in einem Tanz löste sie sich von mir; meinte, keine Lust mehr zu haben, hob ihre Hände und tanzte mit einem anderen Mann, der gerade zufällig in unserer Nähe stand weiter und ließ mich vor aller Augen wie einen dummen Trottel auf dem Parkett stehen ...

Anschließend bat ich sie um ein Gespräch und sie sagte mit eiskalten Augen:

„Entweder du änderst dich, oder es ist bald aus mit uns .“ Danach verließ ich meine eigene Feier. Am nächsten Morgen rief ich sie an und sagte kurzangebunden:

„Mir reicht es, es ist Schluss!“

Dann ging ich zu Fuß (wegen dem Restalkohol) in ihre Wohnung und holte meine Teller ab. Am Nachmittag klingelte das Telefon. Mutter erzählte mir, dass Ina mit ihr telefoniert hatte. Sie sei sehr traurig gewesen und hätte ziemlich fassungslos gesagt:

„Der beendet nach zwei Jahren einfach so unsere Beziehung?“

Sie riet ihr, mir ja nicht hinterherzulaufen ...

Das machte sie auch nicht. Schon am folgenden Montag klingelte ich Ina an und bettelte mit gebrochener Stimme darum, aus dem Ende eine Auszeit zu machen. Zögernd willigte sie ein ...

An dieser Stelle möchte ich nun einiges über ihre Vergangenheit erzählen:

Sie stammt aus einer großen Familie und ist zusammen mit acht Geschwister aufgewachsen. 1972 trennte sich die Mutter vom Vater und stand dann mit all den Kindern allein da. Der älteste Sohn war zu diesem Zeitpunkt — wie man so schön sagt — erwachsen und ersetzte in den darauffolgenden Jahren mehr oder weniger den Papa.

Ina hatte, als ich sie kennen lernte, noch nie längere Zeit mit einem anderen Menschen (außer ihrer Tochter) zusam-mengelebt. Warum? Es gab da etwas in ihrer Kindheit, worüber ich nicht schreiben möchte. Als der Vater auszog, hörte das Martyrium endlich für sie auf und vielleicht war das der Grund, warum sie auch später nie einen Mann ganz dicht an sich rankommen ließ. Auch mich nicht?!

Sie war zwölfJahre die Geliebte eines höheren Angestellten und wurde — trotzdem die beiden nie verhütet hatten — erst zum Ende der Beziehung schwanger. Der Herr leugnete die Vaterschaft. Um seine Ehe zu retten? Welche Frau bekommt über einen so langen Zeitraum nicht mit, dass ihr Göttergatte fremdgeht?

Ina hatte ja tatsächlich — wie sie mir gegenüber irgendwann zugab (um klarzustellen, dass sie als Frau für wichtige Leute immer unendlich begehrenswert war) eine Woche lang beim Chef der hiesigen Kripo in ... gewohnt und bezeichnete ihn als egoistisches Schwein.

Der damals aktuelle und dann verklagte Liebhaber erfuhr übrigens nie etwas davon. Vielleicht ahnte er ja, dass Ina ihm nicht treu gewesen war? Jedenfalls kam es zum Prozess und der endete mit den bekannten „neunundneunzig Komma noch was Prozent“. Anna Lena stammte eindeutig von ihm und Ina erzählte mir mal, dass sie nach dem Urteilsspruch beide Daumen mit sonst abgespreizten Fingern an die Ohrmuscheln legte, den Kopf hin und her wiegte und ein „Ätsch ...“ in Richtung des Exgeliebten abfeuerte. Diese Szene kommt dem Leser vielleicht bekannt vor? Stimmt ...

Nicht unerwähnt bleiben darf, dass Ina etwa drei Jahre, bevor wir zusammenkamen, ganz brutal vergewaltigt wurde. Abends im Park auf der Insel. Und sie schrieb mir später, dass sie nie wieder mit einem Mann intim sein könne. Doch in den ersten sechs Monaten unserer Beziehung hatten wir wirklich viel und guten Sex. Bei ihr oder bei mir in der Wohnung ...

Erst danach schlich sich wohl eine gewisse Routine ein und die Abstände zwischen den gemeinsamen Erlebnissen wurden immer größer.

1996 bekam Ina (wegen Lähmungserscheinungen, deren Ursachen lange nicht erkannt wurden) einen Beipass im Gehirn gelegt und ich wusste bis zu dem Zeitpunkt als sie mir davon erzählte gar nicht, dass es so was überhaupt gibt. Nach dieser Operation litt sie an Sprachstörungen und manchmal, wenn meine Exfreundin aufgeregt war, redete sie so schnell und abgehackt, dass man sie kaum verstehen konnte. Außerdem gestand sie mir erst nach einer Folgeuntersuchung, dass sie einen Gehirntumor hatte, der jedoch in den letzten Jahren nicht gewachsen war. Die Ärzte diagnostizierten damals auch eine fortschreitende Demenz ...

Ina war oft, wenn ihr irgendetwas nicht passte, derart brutal direkt in ihrer Wortwahl, dass ich mich in solchen Momenten richtig unwohl fühlte und schnell das Weite suchte ...

Auch Oliver hatte ab und zu Angst vor ihr, wenn sie ihn

— sozusagen „aus heiterem Himmel“ — am Mittagstisch mit harter, lauter Stimme verbal angriff (zieh nicht hoch, setz dich ordentlich hin, beim Essen wird nicht gesprochen). Irgendwann meinte er mal:

„Die hat mir gar nichts zu sagen.,

In diesem Zusammenhang muss noch etwas erwähnt werden: Gitta, Inas Freundin aus glorreichen DDR-Chorzeiten hatte voriges Jahr — wie immer — zum Geburtstag eingeladen. Ich rief sie an und fragte, ob es ein Problem sei, wenn ich meinen Jungen mitbringe, der das Wochenende bei mir verbrachte. Oh ja — das ging natürlich nicht. Oliver sei keinesfalls eingeplant und müsse deshalb zu Hause bleiben. Daraufhin sagte ich meine Teilnahme ab. Ina schimpfte zwar lautstark, aber das war für sie natürlich kein Grund, selbst auf das tolle Fest zu verzichten ...

Der Junge freute sich richtig, als ich ihm am Vorweihnachtstag mitteilte, dass mit meiner Freundin endgültig Schluss sei.

Während der gesamten Beziehung haben sie und ich höchstens drei Mal zusammen in einem Bett übernachtet. Nur weil mein Schnarchen störte? Zugegeben: Ich rauche seit dem vierzehnten Lebensjahr. Aber hinter mir liegen zwei Ehen, in denen es selbstverständlich war, dass man gemeinsam in einem Raum schlief ...

Wenn wir verreisten, hatte jeder sein eigenes Zimmer. Später wurde ich in der separat ausgebauten Ziviwohnung einquartiert, die zum Objekt des Bremer Landschulheimes in Rinteln gehörte, während Ina mit Anna Lena weiterhin die Nächte bei ihrer Schwester und deren Lebensgefährten verbrachte (die als Herbergseltern eine sehr gemütlich eingerichtete Privatunterkunft hatten).

Nicht nur einmal stand ich dann früh vor der verschlossenen Tür und musste klingeln, damit mich jemand einließ. Im Oktober 2006 fuhren wir nach Saarlouis, um dort den fünfzigsten Geburtstag einer ihrer besten Freundinnen mitzufeiern.

„Du schläfst in der Abstellkammer!“

Das war tatsächlich ernst gemeint. Ich entschied mich erst im letzten Moment, doch mitzukommen, obwohl kaum noch Hoffnung bestand, dass wir uns wieder aufeinander zu bewegen ...

Noch etwas fällt mir heute ein: Meine Exfreundin setzte damals die Annonce lediglich deshalb in die Zeitung, weil Anna Lena unbedingt einen Vater haben wollte. Alle anderen Kinder in der Schulklasse erzählten oft von ihren Eltern und die Kleine konnte es nicht mehr ertragen, an diesen Gesprächen immer nur halb beteiligt zu sein.

Und zwischen Anna Lena und mir entwickelte sich recht schnell ein sehr gutes Verhältnis — man könnte fast sagen, dass wir beide bis zum großen Knall fast schon solche Gefühle füreinander empfanden, wie sie bei Väter und Töchter allgemein üblich sind . Sie wusste natürlich, dass ich nicht ihr „Erzeuger“ war, aber das hatte für uns beide keine Bedeutung ...

Bis zum vorigen Sommer erhielt Ina Hartz IV und ich unterstützte meine beiden Mädchen, so gut ich konnte. Wir hat-ten abgemacht, dass ich in der Woche, wenn wir uns jeden Tag sahen, fünfzig Euro zahlte — für das Abendbrot, dass die kleine Familie dann gemeinsam einnahm. Das war natürlich mehr, als Ina tatsächlich verbrauchte. Den Rest sollte sie für Anna Lena verwenden. Dazu kamen meine Beiträge für den Kauf von Geburtstagsgeschenken und als es sehr eng wurde, übernahm ich auch ab und zu für Ina einige Ratenverpflichtungen. Das wurde dann ordnungsgemäß verrechnet.

Es kam während jener Zeit durchaus vor, dass ich wegen der eigenen hohen Unterhaltsverpflichtungen und der weiten Fahrstrecke zur Arbeit (65 km) am Monatsende manchmal total blank war und auf die nächste Gehaltsüberweisung wartete.

Zum Glück erfolgte im April 2006 meine Rückversetzung an die Justizvollzugsanstalt ... und dann entspannte sich unsere Lage etwas, weil die Spritkosten um mehr als die Hälfte zurückgingen ... Als Gegenleistung übernahm Ina das Waschen und Bügeln meiner Wäsche. Bis vor sechs Monaten funktionierte das auch sehr gut und dann betrat sie meine Wohnung fast gar nicht mehr. Unsere Beziehung geriet in eine gewaltige Schieflage ...

Seit anderthalb Jahren hatten wir etwa alle drei Monate einmal kurz Sex, weil es wegen dem Kind angeblich so wenig Gelegenheiten gab, miteinander ins Bett zu gehen (oder auf die Wohnzimmercouch, was vorher immer mal möglich war) ...

Ina hat am Stadtrand einen Garten und von Anfang an übernahm ich dort alle möglichen Arbeiten. Ich hätte nie gedacht, dass mir so was wie Rasenmähen oder Umgraben tatsächlich mal Spaß machen könnte. Aber das war so.

Am meisten genoss ich die Stille und saß — wenn das Tageswerk vollbracht war — oft unter dem Apfelbaum neben der kleinen Laube. Im ersten Sommer tapezierte ich das Schlafzimmer und half mit, die Abflüsse für das Bad und die Küche zu verlegen.

Irgendwo im Hinterkopf hatte ich den Gedanken, dass wir; Ina, Anna Lena und ich hier richtig schöne Sonnenabende verbringen könnten. Doch meine Exfreundin übernachtete kein einziges Mal draußen. Sie ekelte sich viel zu sehr vor dem Kleingetier und schüttelte sich schon — nur wenn sie daran dachte ...

Ina ließ sich immer weniger im Garten sehen und vertraute darauf, dass ich mich um alles kümmerte. Irgendwann sagte ein guter Freund:

„Gert, denke daran, dass du nicht der Inhaber bist. Ich würde dort nicht so viel machen; es sei denn, sie beteiligt sich wieder mehr.“

Wenn Feten gefeiert wurden, war sie natürlich da und präsentierte ihren zahlreichen Freunden das gut gepflegte Grundstück ...

In dem Zusammenhang erinnere ich mich an einen Vorfall, der sich auch im Januar 2006 ereignete. Eine Schwester von Ina rief mich an und meinte, ich sei ihre letzte Rettung. Im Korridor stünden die verpackten Teile von zwei Schränken und ich müsse sofort zu ihr fahren und das Zeug aufbauen. Oliver war bei mir und sie überredete ihn dann einfach. Für fünf Euro erklärte er sich schließlich bereit, mit zukommen ...

Während mein Sohn dann bei Maude im Wohnzimmer fernsah, räumte ich erst einmal den Platz frei, wo die Schränke aufgestellt werden sollten. Überall lag schmutzige Wäsche herum und auch andere diverse Teile. Als diese Arbeit erledigt war, tauchte ein Neffe auf und wir begannen mit dem eigentlichen Aufbau. Wegen dem wenigen Platz öffneten wir die großen Pakete gleich im Korridor. Irgendwann tauchte Maude aus der Küche auf und schimpfte, weil sie über Holzteile steigen musste, um zur Toilette zu gelangen. Dann kümmerte sie sich überhaupt nicht mehr um uns.

Gegen Mittag kam Frank von der Arbeit nach Hause, grüßte verlegen und verschwand dann irgendwo in der Wohnung. Offensichtlich wusste er gar nicht, dass seine Lebensgefährtin Möbel gekauft hatte. Wir waren fast fertig und Maude schickte Oliver los, um vom Döner-Stand Essen zu holen. Als ich vor ging, schüttelte ich sprachlos den Kopf: Sie saß blitze blau in ihrer Küche. War inzwischen so voll, dass kein einziges verständliches Wort über ihre Lippen kam. Frank saß auf der Couch und schämte sich. Ihm erklärte ich dann, dass wir die Schränke zusammengeschraubt hatten, um ihnen mehr Standfestigkeit zu verleihen ...

Nachdem mein Sohn zurück war, brachen wir sofort auf und nahmen unsere Portionen mit. So was hatte ich noch nie erlebt: Man baute irgendwo Möbel auf und die Mieterin kippte sich eine ganze Flasche Schnaps hinter die Binde (und behauptete später, dass der Neffe und ich den Fusel ausgetrunken hätten). Sie konnte, selbst wenn sie wollte, gar nicht mehr „Dankeschön“ sagen und tat dies auch später nicht ...

Als wir sechs Monate danach den Schlafraum meiner Freundin renovierten und die neu bestellten Möbel auspackten, stellte sich heraus, dass der Eckschrank wegen Platzmangel gar nicht aufgestellt werden konnte. Außerdem hatte Ina (ohne Absicht) fünf Betten geordert ...

Zwar nahm die Lieferfirma fast alle überflüssigen Teile anstandslos zurück, aber das Jugendzimmer musste sie komplett behalten, sonst hätte es keinen Preisnachlass gegeben. Da ich sowieso eine neue Schlafstelle brauchte, löste sich auch das Problem friedlich in Luft auf. Insgeheim hatte ich die Hoffnung, dass nun unser Sexleben wieder etwas mehr in Schwung kommen würde, aber das blieb leider ein Traum ...

Im November 2006 war Ina mit Anna Lena in Berlin. Das Kind musste sich einer schweren Operation unterziehen und blieb deshalb mindestens vierzehn Tage im Krankenhaus. In der Zeit sollte ich den Korridor meiner Exfreundin neu tapezieren und auslegen. Zwei ganze Tage dauerte der Spaß. Vier Lagen alte Tapete und eine dicke Schicht weißer, trockener Farbe waren da natürlich ein Problem, weil ich wusste, wie penibel Ina war, wenn es um ihre Wohnung ging. Also lief fast ständig der Staubsauger, um zu verhindern, dass zuviel Schmutz in die anderen Räume gelangte ...

Beim Zuschneiden des Teppichs passierte mir dann ein Fehler. Statt ihn an die Wand zu legen, schnitt ich die eine

Seite nach den Linienmustern auf der Rückseite der Ausleg-ware. Die waren ja bestimmt auch gerade, nur leider konnte man das von den Wänden nicht behaupten. Es fehlten im hinteren Teil zwei Zentimeter. Eigentlich fiel das kaum auf, weil die Tapete auch ein kleines Stück des Fußbodens bedeckte ...

In die Übergänge zu den Zimmern klebte ich schmale Teppichbahnen. Das war natürlich nicht professionell, doch die zahlreichen neugierigen Nachbarn lobten meine Arbeit überschwenglich. Vielleicht wollten sie auch nur höflich sein?

Als Ina nach Hause kam, gab es Ärger. Und wie. Mit eisiger Stimme zählte sie alle Mängel auf. Ich schlich hinter ihr her und beseitigte die Tapetenreste an den Schaltern. Die Aus-legware musste selbstverständlich neu gekauft werden und das hatte ich natürlich zu bezahlen. Selbst ihre Freundin Petra hätte das besser hingekriegt. Ina meinte dann, als sie sah, wie sehr sich meine Gesichtszüge inzwischen versteinert hatten, dass sie eben eine pinglige Kuh sei ...

Einige Tage später holte ich Anna Lenas Meerschweine ab, die während des Krankenhausaufenthaltes bei Frank im Garten untergebracht waren. Er wusste schon Bescheid. Meine Exfreundin hatte ihn ausführlich informiert.

„Für Ina mache ich keinen einzigen Handschlag mehr“, sagte ich und er grinste kurz.

Ob Frank schon ahnte, wie bitterernst ich das meinte? Bei dem Gespräch ging es noch um ein anderes Thema: Anfang Oktober waren Ina und ich zur Abgrillparty ihrer Nachbarn eingeladen. Der Gastgeber ließ während des Abends direkt vor meinen Augen wirklich keine Gelegenheit aus, Inas runden, festen Hintern zu betatschen. Sie protestierte zwar einmal halbherzig, doch ich hatte nicht den Eindruck, dass meine Exfreundin wirklich entrüstet war. Es schien ein Spiel zu sein, dass ihr vielleicht sogar gefiel. Wenn ich achtzehn gewesen wäre, hätte es bestimmt richtig Probleme gegeben.

Natürlich war ich sauer und teilte ihr das später auch in einem Brief mit. Einige Tage danach fand Franks Geburtstagsfeier statt und Ina tat drei Stunden lang so, als sei ich überhaupt nicht anwesend. Sie war mir immer noch böse wegen meiner Vorwürfe und erwartete, dass ich mich endlich entschuldigte ...

Schließlich reichte es mir (wieder einmal) und ich stand auf, um mich von den Anwesenden zu verabschieden. Ina kreischte hysterisch:

„Lasst den doch gehen ... Lasst den doch gehen!“

Nachdem ich weg war, muss die Party erst richtig abgegangen sein. Frank meinte im Garten:

„Du sag mal, Eberhard (Inas Nachbar, der bei fast jeder Fete dabei war, warum eigentlich?) ist ja ein Grabscher, wie er im Buche steht.“

Am zweiten Dezember fand das nächste Familientreffen statt. Maudes Ehrentag. Sie wies Eberhard energisch in die Schranken, als er — wie üblich — mit der Hand über ihr Hinterteil strich.

„Fahr doch nach Polen und nimm dir eine Nutte“, sagte sie.

Ina machte etwas anderes. Sie setzte sich etwa ein Meter von mir entfernt auf sein extra für sie angewinkeltes Bein und wehrte sich nicht, als er ihre linke Hand festhielt. Einmal drehte sie sich um und sah mir direkt in die Augen: Na, was sagst du jetzt, Alter? Da fiel die letzte Klappe ...

Sieben Tage später (ich hatte wieder einmal Spätdienst gehabt), bat Ina mich nach der nächsten Feier hoch in ihre Wohnung. Sie wollte wohl die Nacht zärtlich ausklingen lassen. Doch dazu kam es nicht mehr. Bei dem dann stattgefundenen Streitgespräch bezeichnete sie Frank als Schwätzer und sagte, dass ihr die Meinung der Familie völlig egal sei ...

Ich ging ohne Gruß und fuhr am nächsten Tag statt zu ihr mit meinem Sohn nach Fürstenwalde ins „Schwapp“.

In der darauffolgenden Woche traf ich Ina im Kaufland. Sie wollte erst so tun, als ob sie mich nicht kennt. Doch ich sprach sie an und wir redeten kurz miteinander vor ihrem Auto.

Was mit dem Geld für Anna Lenas Geburtstags- und Weih-nachtsgeschenke sei, fragte sie. Ich hätte versprochen, die Hälfte der Summe zu bezahlen. Außerdem hielt sie mir vor, dass ich am Sonntag nicht zum Mittagessen erschienen war und ihrer Tochter nur telefonisch zu ihrem Ehrentag gratuliert hatte. Meine Stimme im Anrufbeantworter hätte so kalt und herzlos geklungen ...

Sie würde von mir spätestens morgen einen Brief bekommen, den ich am Vormittag im Postamt abgegeben hatte, antwortete ich. Wieder trennten wir uns ohne Handdruck oder Gruß ...

In dem Brief schlug ich ihr vor, unsere Beziehung nach all dem, was vorgefallen war, nun endgültig zu beenden. Die zweiunddreißig Euro für den Teppich wollte ich in ein Kuvert legen und diesen mit all den anderen Gegenständen, die ihr gehörten, an ihren Bruder übergeben. Sie sollte unverzüglich meinen Wohnungsschlüssel in den Briefkasten werfen. Einen Tag vor Inas Geburtstag rief ich sie nachmittags an. Wieder fragte sie mich wegen dem Geld. Als ich vorschlug, die Moneten am Abend zur Feier mitzubringen, meinte sie:

„Oh nein. Da sind meine Freunde und Familienangehörigen. Du bist nicht eingeladen ... Du kannst ja am Sonntag vorbeikommen .“

Daraufhin antwortete ich, dass es unter diesen Umständen jetzt tatsächlich besser sei, einen Schlussstrich zu ziehen. Zögernd willigte sie ein.

„Wir gehen im Guten auseinander und sehen uns in Zukunft sowieso nur noch ganz selten“, meinte ich.

Drei Stunden nach dem Gespräch klingelte mein Telefon. Ina fragte nach, was mit dem Geld für Anna Lena sei — ich könne doch das Kind nicht dafür bestrafen, dass wir Stress miteinander haben. Ich antwortete kurz und bündig, dass sich das für mich erledigt hat ...

Insgesamt drei- oder viermal ging ich während unserer Beziehung bei den so zahlreichen Partys wegen irgendwelcher Probleme mit Ina vorzeitig los und beschloss zu Hause spontan, sämtliche vorrätigen Bierflaschen nacheinander auszutrinken. Saufen und Schlafen. Schlafen und Saufen. Bis alles alle war. Meist zehn oder zwölf halbe Liter. Dann erschien ich natürlich nicht zum sonntäglichen Mittagessen und Ina kam rüber in meine Wohnung. Sie sah mich in dem Zustand und verschwand wieder, ohne ein Wort zu sagen ... Einmal nuschelte ich wohl:

„Lass mich endlich in Ruhe!“

Alle meine Briefe oder Nachrichten wurden, wenn sie Kritik enthielten, entweder als lächerlich abgetan oder einfach stillschweigend ignoriert. Trotzdem fragte sie mehrmals, ob man mit ihr nicht reden könne ...

Als Ina den Schlüssel in meinen Postkasten warf, legte sie ein Kuvert dazu. Sie lasse sich von keinem Mann der Welt verbiegen, stand da in den Abschiedszeilen und ich grübelte lange darüber nach, was sie damit meinte. Offensichtlich war meine Exfreundin nicht bereit, wenigstens die Grundregeln einer Partnerschaft einzuhalten. Ich überflog den Zettel und zerriss ihn dann. Nun ist seit neun Tagen Ruhe eingekehrt und ich atme erleichtert auf. Die Stille tut mir wirklich gut ...

Übrigens: Anna Lena rief mich am zehnten Januar früh kurz vor halb acht an und gratulierte mir zum Geburtstag. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich konnte mich endlich von ihr verabschieden. Sie bekommt im März, wenn die neue Anthologie mit der Geschichte „Lena“ erscheint, ein Freiexemplar von mir. Natürlich mit Widmung.

Ich werde ihr das Buch dann wie ein Paket zukommen lassen — sozusagen als nachträgliches Geburtstags — und Weihnachtsgeschenk ...

Frank meldete sich an diesem Tag ebenfalls und sprach folgenden Satz auf meinen Anrufbeantworter:

„Nicht traurig sein .“ Er zögerte kurz. „Du weißt schon, was ich meine .“

Eisenhüttenstadt, 14. Januar 2007

Als die Anthologie „Collection deutsche Erzähler“ Ausgabe 2007 erschien, schickte ich Ina und Anna Lena ein Freiexemplar per Post zu. Ina rief mich nach dem Erhalt des Buches an und bedankte sich herzlich. Sie meinte, dass wir unbedingt noch einmal reden müssten. Also trafen wir uns Ende März 2007 in ihrer Wohnung. Im Korridor lag ein neuer Teppich, der in der hinteren Hälfte geteilt war. Meine Exfreundin sagte salopp, sie hätte sich um einen Meter vermessen. Das von mir versaute Teil schmückte nun die Küche. Sie verschwendete keinen Gedanken daran, dass diese Auslegeware eigentlich mir gehörte und ich wollte in dem Moment auch nicht kleinlich sein und schwieg ..

Michaela. Erzählungen & Gedichte

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