Читать книгу Ströme meines Ozeans - Ole R. Börgdahl - Страница 203

Allaire, 12. März 1895

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Heute Morgen wurde die Wiege geliefert. Es ist ein wunderschönes hölzernes Bettchen, etwas breiter als ein normales Kinderbett. Es muss ja auch Platz für zwei Kinder haben. Nach der Besichtigung habe ich den Eindruck, als warte jetzt alles auf mich, aber ich habe wirklich noch nicht den Eindruck, dass es bald soweit ist. Den Kindern wird es in meinem Bauch wohl gefallen, stelle ich mir vor. Sie bekommen jeden Morgen und Nachmittag die herrliche Luft aus dem Wald und vom See über meine Lungen geatmet und dazu noch die ruhigen Bewegungen, wenn ich langsam über die Wege schwanke. Dann sind da noch die Stimmen. Meine Stimme und Mutters Stimme. Wir werden nie sehr laut, wir reden sanft. Ich erzähle von Victor, sodass die Kinder schon jetzt von ihrem Vater hören. Mutter erzählt dann von mir, aus der Zeit, als ich noch klein war, sodass die Kinder später auch alles von mir wissen. Es ist so herrlich darüber nachzudenken, auch wenn es großer Unsinn sein mag. Ich rechne, wie oft ich den Weg am See und durch den Wald schon gegangen bin. Jeden Tag zweimal, seit einundzwanzig Tagen, das sind über vierzig Spaziergänge. Ich beschreibe beim Gehen auch den Weg für meine Kinder. Ich sage dann immer, dass wir auf der Wiese sind oder jetzt gleich an dem Baum vorbeikommen, dessen Äste wie ein Schirm über dem Weg hängen. Ich erwähne es auch, wenn wir den See erreichen oder wenn wir direkt durch den Wald zurückgehen. So mache ich es jedes Mal und jedes Mal gehe ich den gleichen Weg, in den ersten Tagen mit Schwester Catherine oder jetzt mit Mutter. Der Spaziergang ist ja auch so herrlich schön. Es beginnt immer am Sanatorium, dann den halben Weg um den Park herum, bevor wir durch die Schneise, entlang am Waldrand gehen. Der Park ist jetzt satt grün, von der Wiese, auf der auch schon wilde Blumen blühen. Unter den wenigen Bäumen, die das Grün unterbrechen stehen weißgemalte Bänke, die gleichen, die auch am Weg um den Park stehen. In den ersten Tagen waren diese Bänke verwaist, doch jetzt genießen noch andere Patienten die frische Luft. Die Schneise am Waldrand ist eine ungemähte Wiese. Die Halme hängen tief vor Feuchtigkeit, weil hier vor dem Winter keine Sense ihre Arbeit getan hat. Wir brauchen dreißig Minuten bis zum See. Ich gebe die Geschwindigkeit vor, ich bin nicht besonders schnell. Am See bleibe ich immer einige Minuten stehen und blicke hinaus. Mit viel Fantasie stelle ich mir den See als das große Meer vor. Das Ufer auf der anderen Seite ist mein Ziel. Ich weiß, dass es nicht Tahiti ist, aber ich stelle es mir einfach vor. Ich muss dieses Meer bald überqueren, um wieder mit Victor vereint zu sein. Mutter schaut mit mir zusammen über den See und sie weiß dennoch nicht, was ich jedes Mal denke. Ich habe es ihr auch noch nie erzählt, es sind meine Fantasien. Ich brauche die Pause nicht nur für meine Fantasien, auch mein Körper verlangt danach. Dann, wenn es wieder geht, setzen wir unseren Weg fort. Er führt jetzt für ein ganzes Stück am See entlang. Der Wind frischt auf, streicht durchs Schilf, das hier überall wächst. Mutter bindet mir dann immer ein Tuch um den Kopf, obwohl mir eigentlich nicht kalt ist. Wenn wir so gehen und uns unterhalten, müssen wir aufpassen, die Abzweigung nicht zu verpassen. An der Abzweigung geht es in den Wald hinein. Es war schattig, der Weg schlängelt sich, die Bäume stehen dicht am Pfad. Der Boden ist hier auch schwieriger zu gehen. Morgens ist er noch sehr feucht. Mutter mag den Wald nicht, doch sie hat sich noch nie beklagt. Nach einer Viertelstunde kommen wir an dem großen Findling vorbei und können schon das Sanatorium sehen. Wir sind zurück in der Zivilisation. Ich liebe diesen Spaziergang.

Ströme meines Ozeans

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