Читать книгу "Dein Blut wird die Kohle tränken" - Oleksandr Mykhed - Страница 13

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Das Chaos tut sein Eigenes. Die Zeit und Epochen zerfallen. Busch-Menschen und Ulmen-Menschen wachsen auch ohne Erde und überleben im Sand. Sie halten die Wüste zurück und wirken gegen das Chaos und die Zeit der Dünen, die zurückkehren und wie die Züge der postapokalyptischen Karawanen vorüberziehen wird.

BACHMUT. 1.

Während der Fahrt nach Bachmut redet der Taxifahrer ohne Unterlass: „Diese Soldaten stehen mir bis hier [er reißt die Hand vom Lenkrad und zeigt sich an den Hals]. Die haben alles geplündert. Alles haben sie kaputt gemacht. Denkst du, dass die hier kämpfen? Die saufen doch nur. Wenn sie neue Stiefel bekommen, versetzen sie die für Suff. Die saufen doch auch mit denen von da drüben. Da rufen die einen die anderen an und sagen, dass sie nun schießen werden und kommen aus den Stellungen. Dann funken die anderen, damit erstere in Deckung gehen. Und auf wen schießen sie letztendlich? Auf die einfachen Leute. Auf uns.“

Das heutige Bachmut ist 445 Jahre alt. 18 Monate lang, war dies die Hauptstadt des Donbass.

Es gibt drei Dinge, die nicht aufhören, mich zu verwundern: Die Schönheit meiner Frau. Die Grobschlächtigkeit der Menschen und das Design der Restaurants und Bars in kleinen Provinzstädten.

„Wir wurden beschossen, aber das hat uns nicht davon abgehalten, 6000 Rosen zu pflanzen und die Uferpromenade zu schmücken.“

„Nach unserer Fahrradtour, sind alle Teilnehmer auf den Sockel geklettert, auf dem einst das Artem-Denkmal stand.“

„Unser Bürgermeister ist bereits seit 30 Jahren im Amt. Er kennt sich mit der Stadtgeschichte wohl besser aus, als die Museumsmitarbeiter.“

„Wir haben bereits 1991 ein Referendum für einen anderen Stadtnamen abgehalten. Damals gelang es nicht, ihn zu ändern.“

„Hier gab es schon immer eine Stadt. Nicht nur einen Bahnhof oder Barracken. Hier hat man gleich eine Festung gebaut.“

„1929 wurde die Kathedrale zerstört, die noch ein Jahr zuvor von der gesamten Stadtgemeinde besucht wurde.“

„In der Stadt gibt es eine wundertätige Ikone der Gottesmutter von Kasan. Immer wenn eine Gefahr oder Epidemie drohte, machte man eine Kreuzprozession. Die Ikone wurde in alle Ecken der Stadt getragen, in jede Siedlung. Dies war eine wohlhabende Stadt und die Ikone war unglaublich reich verziert. Sie konnte heilen. Wo sie jetzt ist, weiß niemand. Doch sagt man, dass sie irgendwo hier vergraben ist und die Stadt weiter beschützt.“

„Als die Deutschen in die Stadt kamen, errichteten sie auf dem Balkon des ältesten Bankhauses einen Galgen.“

Jedes Mal, wenn wir Mitte Dezember ein Heimatkundemuseum besuchen, treffen wir auf Sonderausstellungen zum Anlass des Neuen Jahres. Im Museum von Bachmut begegnet uns eines der komischsten Exponate: Tannenbaumschmuck, mit den Gesichtern Lenins und Stalins. Niemand hat eine Antwort auf die Frage, ob dies Glücksbringer des Festes sind, oder Staatsführer darstellen, die, aufgehängt an einem Ast baumelnd, für festliche Atmosphäre sorgen sollen.

Wie schon in Dobropillja erzählt man uns von einem angeblich versunkenen Schiff voller Gold und von den hunderten Überzeugten, die weiter nach dem Schatz suchen. Schließlich kommt mir der Gedanke, dass das Fehlen eigener Geschichte oder Besonderheiten der Stadt durch die Sage von dem mit Gold beladenen Schiffes ersetzt worden sein könnte.

Die Stadt wurde 1924 in Artemiwsk umbenannt und 2015 zurück in Bachmut.

„Dekommunisierungsgesetze lassen sich leicht schreiben, doch Geld um die Ausstellung zu ändern, gibt man uns nicht.“

„Zur Zeit des Holodomors wurden insgesamt 47 Personen nach dem ‚Gesetz der fünf Ähren‘ verurteilt, 10 von ihnen waren minderjährig.“

„Als die Deutschen die Stadt einnahmen, zogen sie sogleich ihre eigene Glocke auf den Glockenturm. Die hatten sie in Tores gießen lassen. Auf ihr war alles in Deutsch geschrieben. Scheinbar waren sie gekommen, um zu bleiben.“

Eine Aufschrift aus Zeiten der deutschen Besatzung: „Wasser nur für deutsche Soldaten. Russen, die hier Wasser holen, werden erschossen. Wasser für Russen auf der anderen Seite.“

Im Museum gibt es auch einen Teil zur neueren Geschichte mit dem Foto einer Frau, einer lokalen Künstlerin, die eine längere Zeit jeden Tag mit einem Transparent zum Busbahnhof ging, auf dem „Putin erhebt sein Glas und spricht: ‚Auf die Idioten. Ohne euch, gäbe es mich nicht‘“ geschrieben stand.

Daneben hängt ein großes Stück Tapete, auf den die Freiwilligenkämpfer nach ihrem Ausbruch aus dem Kessel von Debalzewe die Namen und Infos der Verwundeten notierten. Ein Jahr später, im Herbst 2017, besuchten Journalisten der Nachrichtenseite zaborona.com das Heimatkundemuseum von Bachmut. Auch ihnen fiel das Stück Tapete auf. Es enthält die Namen von 93 Soldaten, die seit Debalzewe als vermisst gelten sowie die Telefonnummern von Verwandten und Freunden, die weiter hofften, sie zu finden. Die Journalisten riefen diese Nummern an. In den meisten Fällen war dies der erste Anruf, der sich nach dem Schicksal der Vermissten erkundigte.

Daneben hängt das „Wappen der Ukraine, abgerissen von DNR-Kämpfern vom Artemiwsker Rathaus am 23.5.2014. Übergeben von Petro Subar“.

Der Junge war damals 17 Jahre alt.

In einem Interview erklärte er: „Das Wappen lag neben einer Mülltonne. Es war stark verbogen und der Dreizack in Stücke zerbrochen, als wenn man ihn zertrampelt hätte.“ Petro und ein Freund schleppten das zwei Meter große Wappen zu einem Bekannten und versteckten es dort.

„Eine andere Geschichte ist, wie das intellektuelle Bachmut nach den Kämpfen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs zu einem industriellen Zentrum wurde. Innerhalb von 10 Jahren veränderte sich alles.“

„In der Stadt gibt es einen oberen und einen unteren Park. Dort, wo der obere ist, gab es einen Friedhof mit Alleen. Das war ein jüdischer Friedhof. Später wurde hier der Stadtpark angelegt. Und ja, das Riesenrad hier wird ‚Teufelsrad‘ genannt.“

 Wir haben einmal gehört, dass die Kinder hier Knochen gefunden haben und diese zu Skeletten zusammenlegt haben.

 Ihr müsst verstehen, dass die Stadt 445 Jahre alt ist. Egal wo man hier anfängt zu graben. Überall wird man etwas finden.

„1941 hat das Krankenhaus hier 3000 Verwundete versorgt. Später wurden alle erschossen und im Bergwerk verscharrt.“

„14 000 Bewohner wurden getötet. Insgesamt waren sieben Hektar mit Leichen bedeckt. Es gibt hier eine ältere Frau, die damals ein kleines Mädchen war. Genau kann sie sich nicht erinnern. Aber sie weiß noch, wie die Überlebenden die Getöteten beweinten und klagten.“

 Was ist eigentlich Bachmut?

 Eine Pufferzone.

 Zwischen wem?

 Zwischen uns selbst.

„Im Stadtzentrum gibt es zwei leere Sockel, auf denen die einstigen nun gestürzten Helden standen. Doch die Verwaltung lässt sich Zeit damit, etwas Neues aufzustellen, um es danach nicht nochmal abreißen zu müssen.“

„Bei Fahrten zwischen den Städten steht auf der Marschrutka: Bachmut — Tschistjakowe. Und darunter in kleinen Buchstaben: Artemiwsk — Tores.“

„So lange ich lebe, haben wir diesen einen Bürgermeister.“

„Als ich 13 Jahre alt war, habe ich das erste Mal einen Mann mit geschminkten Augen gesehen. Erst dachte ich, das wäre ein Perverser. Doch es war nur ein Bergarbeiter nach der Arbeit. Bachmut ist anders als andere Städte. Hier gibt es auch nicht diese Abraumhalden, die woanders mit ihrem Gestank die Luft verpesten.“

„Wir sollten ein Denkmal einer liegenden Hake machen. Offenbar haben wir nichts aus der Geschichte gelernt.“

Von Februar bis März 1918 existierte hier die Sowjetrepublik Donezk-Krywyj Rih. Sie bestand nur etwas mehr als einen Monat. Die ideologische Basis dieser Vereinigung war die Aufteilung des Landes nicht nach Nationalitäten, sondern nach Wirtschaftszonen. Aus Donbass und Krywbas sollte eine gemeinsame Republik entstehen.

Dabei eroberten sie ein gutes Stück Land von Luhansk über Altschewsk, Jusiwka, Bachmut, Starobilsk, Taganrog, Mariupol, Katerinoslaw bis nach Sumy. Die Hauptstadt war natürlich Charkiw.

Der jungen Republik stand der Revolutionär Fedir Serhejew vor, den man Artem nannte. Zu seinen Ehren benannte man Bachmut später in Artemiwsk. Er schuf jenen Präzedenzfall, an den die Polittechnologen und Ideologen des Separatismus heute anknüpfen, um ihren Sonderweg im Donbass zu legitimieren.

„Als der Krieg begann, kamen die Binnengeflüchteten durch Bachmut. Man verstand kaum, wer warum wohin fuhr.“

„Bachmut wurde seiner Zeit ‚Stadt der Soldaten im Ruhestand und der Rentner‘ genannt. Hier war es so ruhig und gemütlich, dass niemand nirgendwo hinfahren wollte.“

 Das alles befindet sich auf der Straße des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

 Entschuldigung? Was ist die Straße des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes? [Alle lachen]

 Das ist die Straße zwischen dem oberen und unteren Park. Hier hat sich der Sohn des Bürgermeisters eine Villa gebaut. Danach auch sein Vater. Gegenüber den beiden Häusern steht eine Kirche, die auch die beiden gebaut haben.

„Wir haben hier eine besondere Tradition. Zu Ostern gehen alle auf den Friedhof, um zu saufen. Das stammt noch aus Sowjetzeiten, denn nur zu religiösen Feiertagen, konnte man den Leuten dort nicht beikommen. Diese Tradition hat sich gehalten.“

„Die Bergarbeiter sind selbst schuld an Unfällen. Sie kleben die Sensoren ab und ignorieren sie, denn sie müssen ja die Norm erfüllen.“

 Bachmut träumt davon, für seine vielen Rosen im Stadtgebiet ins Guinnessbuch der Rekorde zu kommen.

 Warum Rosen? Ist das etwa ein Versuch, sich mit Donezk zu messen?

 Nein. Rosen sind einfach eine gute Möglichkeit, um Geld zu waschen.



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