Читать книгу "Dein Blut wird die Kohle tränken" - Oleksandr Mykhed - Страница 14

VON DREI SPRINGBRUNNEN UND ZWEIEINHALB AUSSTELLUNGEN

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Die New Yorker Weltausstellung wurde am 30. April 1939 eröffnet und erstreckte sich über rekordverdächtige 492 Hektar. Ihr Thema lautete: „Die Welt von morgen.“ In der offiziellen Ankündigung konkretisierten die Organisatoren: „Der Blick der Ausstellung ist gen Zukunft gerichtet. Es geht uns mitnichten darum, künftige Ereignisse vorherzusagen oder die Form ihrer Entwicklung zu bestimmen. Uns geht es darum, einen neuen und klaren Blick auf das Heute zu präsentieren, und uns so auf das Morgen vorzubereiten […]. Die Erforschung des Jetzt ist die beste Vorbereitung auf die Zukunft.“

Ein besonderes Merkmal, welches die Ankunft der Zukunft verkörperte war die Fernsehübertragung des Auftritts Theodore Roosevelts bei der Eröffnung vor fast 200 000 Menschen. Die Übertragung sahen fast 1000 Zuschauer auf knapp 200 Fernsehgeräten, welche in der Stadt verteilt waren. Es war der Beginn des modernen Fernsehens in New York.

Die Sowjetunion präsentierte ebenfalls ihre innovativen Errungenschaften. Dazu zählte die gigantische 24 Meter hohe und 30 Tonnen schwere Stahlskulptur „Der neue sowjetische Mensch“, die auf einem 60 Meter hohen Sockel stand. Ein Abklatsch der Freiheitsstatue, die statt der Fackel einen Stern trägt. Es wird berichtet, dass die Amerikaner ihre Fahnen noch höher hängen mussten, damit sie über dem Stern wehten. Ebenfalls sehenswert sind die Bilder der Demontage dieses Sterns mit einem Durchmesser von 3,6 Metern.

Die Sowjets präsentierten außerdem eine neuartige Karte des Landes im Maßstab 1:500 000, die mit Diamanten, Rubinen, Silber und allerlei anderem teuren Schnickschnack besetzt ist. Die große und doch so kleine Heimat ist 3,5 Tonnen schwer.

Ebenso wurde eine Leninstatue aus rotem Marmor des Bildhauers Merkurow präsentiert. 1946 wird dieses Denkmal auf den Bessarabska-Platz nach Kyjiw versetzt, genau an den Ort, wo die Deutschen während der Okkupation einen Galgen für öffentliche Hinrichtungen errichtet hatten. Auf dem Sockel stand: „Nur in der Einheit des Schaffens von großrussischem und ukrainischem Proletariat ist eine freie Ukraine möglich. Ohne diese Einheit kann von ihr keine Rede sein. Lenin.“

Auf der Weltausstellung wurde im sowjetischen Pavillon zudem ein Springbrunnen aus Kostjantyniwka gezeigt, der später das Wappen und die Flagge der Stadt zieren sollte.

Zwei Jahre zuvor, auf der Pariser Weltausstellung 1937, war ein anderer Springbrunnen präsentiert worden. Dieser ging jedoch in die Geschichte ein, anstatt im Museumsdepot zu verschwinden oder im Wirbel undurchsichtiger staatlicher Machenschaften unterzugehen, wie dies mit dem Brunnen aus Kostjantyniwka geschah.

In jenem Jahr entschied sich das vom Bürgerkrieg erschütterte Spanien dazu, seine Lage in künstlerischer Form auszudrücken. Das Resultat schlug international wie eine Bombe ein. Der Maler Picasso schuf das Bild „Guernica“, welches die dreistündige Bombardierung der spanischen Kleinstadt Guernica durch die deutsche Luftwaffe thematisiert. Wie immer schwanken die Schätzungen über die Opferzahlen. Sie reichen von 256 bis 1650.

Es ist schwer das Pathos zu vermeiden, doch unabhängig der Zahlen und emotionslosen Statistiken, wird Guernica zu Picassos „Guernica“. Die Tragödie wird zum Symbol, zu Kunst, zur Waffe und die Realität zum Mythos.

Picassos Arbeit wurde zusammen mit dem Springbrunnen Alexander Calders ausgestellt, aus dem statt Wasser Quecksilber floss. Das Werk war der spanischen Kleinstadt Almadén gewidmet, in der zur Zeit des Bürgerkriegs circa 80 Prozent des weltweiten Quecksilberabbaus stattfand. Die Armee Francos eroberte das Städtchen und raubte damit der republikanischen Regierung eine wichtige Einnahmequelle. Calder erschuf eine außergewöhnliche und experimentelle Skulptur mit einer starken politischen Botschaft. Heute befindet sich der Brunnen im Fundació Joan Miró in Barcelona. Allerdings ist die Gefahr gebannt und der Brunnen für Besucher harmlos, denn er steht hinter dickem Glas, was dem Konzept seiner Erstausstellung widerspricht. Damals hatten die Menschen keinerlei Schutz im Kontakt mit dem Gift.

Auch 1937 stand der sowjetische Pavillon dem Rest der Welt in nichts nach und präsentierte ein Meisterwerk des Sozrealismus: die Skulptur „Arbeiter und Kolchosbäuerin“ von Wera Muchina.

Kommen wir zurück auf das Jahr 1939.

Die Ausstellung eröffnete am 30. April in New York. Von den führenden Staaten fehlte damals nur Deutschland. In nur fünf Monaten sollte es in Polen einfallen und damit die Welt von morgen in Flammen aufgehen lassen.

Die Weltausstellung dauerte bis zum 27. Oktober 1940 und wurde zum Atavismus der alten Welt, zu einer überkommenen Prophezeiung. Die Organisatoren mussten Konkurs anmelden und selbst 44 Millionen Zuschauer konnten dieses Schicksal nicht abwenden. Nach Beginn des Krieges baute die Sowjetunion ihren Pavillon ab, während andere Länder ihre Hallen weiter zur Verbreitung ihrer Botschaften und Wahrheiten nutzten. Ein Großteil der Delegationen verblieb in den USA, als sie merkten, dass eine Rückkehr in die alte Welt unmöglich war.

Der zerbrechliche Springbrunnen kehrt erst 2010 in die Geschichte zurück, als der Stadtrat von Kostjantyniwka ihn auf dem neuen Wappen und der Flagge der Stadt bestätigen. Laut Wappenkundlern soll er die „hohe Professionalität der Einwohner und ihre Fähigkeit einzigartige Gegenstände zu erschaffen“ unterstreichen. Das vorige Wappen war 1981 eingeführt worden. Es symbolisierte die wichtigsten Industriezweige der Stadt: Einen Hochofen, eine Destille mit Kornähre und einen Glasschneider.

Wenn uns die Geschichte Kostjantyniwkas eines lehrt, dann dass man Symbole überdenken und seinen eigenen Mythos selbst entwerfen kann. Wenn die Industrie zusammenbricht und die Stadt zu einer Nekropole ihrer kommunistischen Vergangenheit wird, müssen neue alte Symbole der Zerbrechlichkeit gefunden werden. Und noch etwas.

Zwischen den Weltausstellungen von 1937 und 1939 gab es noch eine weitere. Eine, die den Zeitgeist einfing und eine Epochengrenze markierte.

Vom 17. Januar bis zum 24. Februar 1938 fand in Paris die Exposition Internationale du Surréalisme statt. Mehr als 200 Bilder, Collagen, Fotografien und Installationen von 60 Künstlern aus 14 Ländern, darunter Dalí, Magritte, Duchamp, Miró, Tanguy und Man Ray, waren ausgestellt. Kurz gesagt, all jene, deren Arbeiten ein Jahr zuvor auf der Münchener Ausstellung „Entartete Kunst“ hätten gezeigt werden können.

Bei der Eröffnung funktionierte die von Man Ray erdachte Beleuchtung nicht, weshalb man Taschenlampen an die Zuschauer verteilte, damit diese sich selbst ihren Weg leuchteten und die Albträume aus der Dunkelheit verscheuchten.

Im zentralen Ausstellungssaal reichte die von Marcel Duchamp geschaffene Installation des bekanntesten aller Springbrunnen in der Kunstgeschichte bis unter die Decke. Sie bestand aus 1200 Kohlesäcken, gefüllt mit Zeitungspapier.

Die Eruption bahnte sich an.

Der Geruch einer Epoche zerkrümelt in einzelne Tage und den Staub der Geschichte.

Wir riechen ihn und er bedeckt uns.



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