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Kapitel 4: Geschenke

Alles, was ihr bittet in eurem Gebet, glaubt nur,

dass ihr´s empfangt, so wird´s euch zuteil werden.

Markus 11, 24

Bittet, so wird euch gegeben,

suchet, so werdet ihr finden

Mathäus 7.7

Sie standen draußen am Gartenzaun und begutachteten zusammen das Fahrrad. Markus hatte sein Werkzeug mitgebracht und versuchte jetzt mit einem Hammer, einer Zange und mehreren Flüchen das verbogene Vorderrad wieder in eine einigermaßen vernünftige Form zu bringen.

»Von wegen 'ein bisschen verbogen' …«, grummelte er und versuchte den Stiel des Hammers als Hebel für die Zange zu benutzen. Nachdem er zum dritten Mal abgerutscht war, ohne das verbogene Rad auch nur einen Millimeter gerader zu biegen, gab er stöhnend auf.

»Nix zu machen«, schnaubte er. »Das Ding ist echt hin. Wie hast du das denn bloß geschafft?«

Tim nuschelt etwas das »ein Stein« hätte heißen können, aber auch genug Platz für freie Interpretation offenließ.

»Hilft ja nichts.«, sagte Markus. »dann müssen wir halt mal schauen.«

Er schlug sein Buch wieder auf und sagte: »Guter Gott. Unser Tim braucht anscheinend ein neues Fahrrad.«

Im selben Moment erschienen auf den Seiten des Buches Bilder von Mountainbikes, Stadträdern, E-Bikes und anderen Modellen.

»Also eigentlich«, meinte Timm kleinlaut, »würde ich gern einfach genau so eins wieder haben« Er zeigte auf das verbogene Fahrrad. »Das war toll«.

Markus suchte ein wenig im Buch herum, fand schließlich das entsprechende Modell und tippte darauf.

»Wird aber ein bisschen dauern«, sagte er. »Größere Sachen kommen nicht gleich am nächsten Tag.«

Tim nickte stumm und stellte sich darauf ein, heute zu Fuß zur Schule zu gehen.

»Kurze Frage… », hörten sie plötzlich die Stimme Gottes. Sie klang hier draußen etwas weniger beeindruckend als gestern und schien direkt aus dem Buch in Papas Hand zu ihnen zu sprechen. »Brauchst du das wirklich?«

Na klar. War ja zu erwarten, dass der alte Mann da oben seine Standardfrage stellt. Tim hatte sich schon oft gefragt, warum Gott manchmal so knauserig wirkte und bei allen größeren Anschaffungen immer mehrfach nachhakte. Ja, ja, es passte zu seinen neuen Geboten von wegen 'die Schöpfung achten', 'Ressourcen schonen' und so weiter, aber mal ehrlich: Konnte er nicht einfach per Wunder neue Ressourcen erschaffen? Wozu der Geiz?

Trotzdem hatte er natürlich mal wieder Recht.

»Naja«, gab Tim also zu, »eigentlich ist ja vor allem das Vorderrad richtig kaputt. Der Rest hat nur 'n paar Kratzer abbekommen und der Gepäckträger ist ein bisschen schief«

»Ein Vorderrad geht schnell«, antwortete Gott sofort, »das könnte ich dir in zehn Minuten in den Laden schicken. «

Jetzt freute sich Tim doch. »Super«, sagte er, »dann brauch ich nur bis dahin zu schieben und kann den Rest fahren. Danke!«

»Doppelt super«, freute sich Markus, »dann kannst du da ja auch gleich noch die Einkäufe fürs Mittagessen abholen«

Sofort verfinsterte sich Tims Miene wieder ein wenig.

»Manno Papa…«, nörgelte er. »Ich bin doch schon so spät dran. Wenn ich jetzt auch noch die Einkäufe wieder hochschleppen muss, dann … «

Markus wedelte nur mit dem inzwischen zugeklappten Buch.

Okay… Da konnte Tim natürlich nichts gegen sagen. Er zog eine leidende Grimasse, streckte seufzend die Hand nach dem Buch aus und klemmte es sich auf den Gepäckträger.


Der Weg zum Laden ging größtenteils bergab und normalerweise genoss es Tim jeden Morgen, die Strecke herunterzurasen und den Fahrtwind seine Haare zerzausen zu lassen. Kein Fahrtwind heute, nicht mal ein kleines Lüftchen. Dafür bei jedem dritten Schritt ein lautes PLONCK, ein unangenehmes Ziehen am Lenker und dann ein kleiner Schlenker nach links. Mann, wie nervig. Heute war definitiv nicht sein Glückstag.

Und wegen dem steilen Berg musste er sich auch echt ziemlich gegen das dumme Ding stemmen und bekam langsam Krämpfe in der rechten Hand, die dauernd die Bremse ziehen musste. Er hatte ungefähr die Hälfte der Strecke bis zum Laden geschafft, als sich das Vorderrad mit einem lauten 'KRRRZ' endgültig verkantete und nun weder vor noch zurück ging.

Na toll. Und jetzt? Genervt nahm Tim das Buch vom Gepäckträger und warf das Rad einfach auf die Seite.

Erst mal Pause machen. Nach der ganzen Plackerei hatte er sich eine kleine Belohnung verdient, fand Tim. Mit einigen Wischbewegungen navigierte er in dem Buch bis auf die Seite mit Mamas Einkaufsliste. Unter der klassischen Überschrift in verschnörkelter Schrift

'Bittet, so wird euch gegeben'

füllte die Seite eine Flut kleiner Bilder mit Untertiteln. Brot, Kartoffeln, Ketchup, Saft (Orange), Schinken, Salami, Käse, Toilettenpapier, Spülmittel und Zwiebeln und neben jedem Bildchen stand ein kleiner grüner Haken. Ganz unten fand Tim schließlich das große Plus Zeichen, das er gesucht hatte. Nach ein paar weiteren Wischbewegungen waren ganz unten auf der Liste jetzt zwei neue Bilder hinzugekommen: Eins von einer Tüte Chips und eins von einer Flasche Cola.

Soweit so gut… uuuund… der Haken hinter dem Bild erschien in…

Orange.

Naja, besser als rot. Bei Orange bestand wenigstens noch ´ne Chance, dass seine Bestellung rechtzeitig ankommen konnte, bis er unten beim Laden war. Manchmal ging sowas ganz schnell. Schien davon abzuhängen, ob es etwas Alltägliches oder etwas Ausgefalleneres war.

Oder davon, ob Gott gerade gute Laune hatte oder nicht. Wer konnte das schon wissen. Auf das Fahrrad hätte er sicher mehrere Tage warten müssen. Der neue Kühlschrank hatte damals ja sogar über eine Woche gedauert. Aber Chipse und Cola…? Vielleicht wurde das ja heute doch noch sein Glückstag.

Ein Blick auf das Fahrrad genügte, um ihm diese Hoffnung gleich wieder kaputt zu machen. Das Vorderrad klemmte nicht nur fest, es hatte sich völlig verkeilt. Ein kleiner Stein war so zwischen Schutzblech und Felge geraten, dass es sich keinen Millimeter bewegen ließ. Er versuchte es mit Klopfen, mit Schieben und Ziehen, versuchte den Stein mit den Fingernägeln herauszubekommen, aber das blöde Ding saß einfach bombenfest.

Er blickte den steilen Berg herab. Na super. Jetzt würde er sein Rad die gesamte restliche Strecke tragen müssen. Genervt ließ er sich wieder auf den von der morgendlichen Sonne bereits leicht aufgeheizten Teerboden fallen.

Aber bequem sitzen konnte er so auch nicht. Irgendetwas piekste ihn an seinem linken Bein. Er schaute verwundert auf seine ausgebeulte Hosentasche. Hatte er da vielleicht einen Stift oder ein Stück Holz drin vergessen?

Er stand wieder auf, wühlte in den Tiefen seiner Tasche und hielt plötzlich ein etwa zehn Zentimeter langes Stück Holz mit einer Kerbe darin in der Hand. Verwundert drehte er es hin und her. Das hatte er da aber garantiert nicht reingetan. Dann erst fand er den kleinen Sicherheitsknopf ganz am unteren Ende. Er drückte darauf und aus der Kerbe klappte mit elegantem Schwung eine Klinge heraus. Michaels Schnitzmesser lag in seiner Hand als hätte es schon immer darauf gewartet, ihm zu gehören.

Fassungslos drehte er es in seiner Hand hin und her. Das war ganz ohne Zweifel Michaels Messer. Das erkannte er an dem eingeritzten M auf der Vorderseite.

Tim musste schlucken. Dieser große, grummelige und gestern sowas von mies gelaunte Kerl hatte ihm sein oberheiliges Schnitzmesser geschenkt. Einfach so. Ohne großes Tamtam und Bitte-Danke und Verpackung und Schleifchen.

Das war soooo Michael. Ohne ein einziges Wort hatte er Tim das gesagt, was er gerade am allerdringendsten hören wollte: Du bist groß. Du bist mutig. Du bist kein kleiner Knirps mehr. Tim musste zweimal schlucken und eine kleine Träne aus dem Augenwinkel wegdrücken. Es war schön, so einen Freund zu haben. Er würde das Messer von nun an immer bei sich zu tragen, das nahm er sich ganz fest vor.

Und es natürlich auch nutzen, wo immer sich eine Gelegenheit bot. Wie zum Beispiel gerade jetzt. Er setzte die Klinge direkt zwischen Felge und Schutzblech an und hatte damit schon nach wenigen Sekunden den Stein herausgehebelt. Sorgfältig wischte er jeden Dreck von dem Messer, klappte es zu und ließ es behutsam wieder in seine Tasche gleiten. Der restliche Weg hinunter zum Laden fühlte sich fast wie ein Spaziergang an.

Das neue Paradies auf Erden

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