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Kapitel 3: Dankbarkeit

Alle gute Gabe und alle vollkommene Gabe kommt von obenherab,

von dem Vater des Lichts

Jakobus 1:17

Der nächste Morgen begann, wie eigentlich jeder Tag im Paradies auf Erden mit einem wahrhaftigen Bilderbuchsonnenaufgang. Während die ersten Strahlen eines weiteren perfekten Sommertages sich ihren Weg durch die dichten grünen Blätter der Apfelbäume im Garten suchten, glitzerten auf den Wiesen und Blumen noch die Tautropfen der vergangenen Nacht.

Markus stand wie immer um diese Uhrzeit auf der Terrasse, sog die kühle saubere Luft ein, und genoss den Zauber des anbrechenden Tages. Er war sich sicher, in diesen Momenten die Liebe Gottes noch deutlicher zu spüren als sonst. Und er war von ganzem Herzen dankbar dafür.

Er hatte schon einmal versucht, dieses Erlebnis mit seinem Sohn zu teilen, aber der vertrat die Meinung, dass er Gottes Liebe auch richtig gut in seinem Kopfkissen spüren konnte und dass der frühe Morgen sich gerne an sich selbst erfreuen konnte. Markus lächelte beim Gedanken an seinen großen Langschläfer, als er hörte wie die Haustür ganz leise zugezogen wurde.

Außer ihm war sonst so früh niemand wach und er beobachtete von seinem Platz auf der Terrasse neugierig, wie ein Schatten sich leise aus dem Haus schlich. Die Gestalt blickte sich mehrfach um, öffnete ohne ein Geräusch das Gartentor und fuhr schließlich mit einem der Fahrräder davon. Ob Michael das schlechte Gewissen über seinen Auftritt gestern Abend quälte? Auf jeden Fall wollte er heute wohl unbedingt jeglichem Gespräch aus dem Weg gehen. Das kam Markus eigentlich ganz recht.

Ja, irgendwann würde er mit dem Jungen reden müssen. Gott missfiel es, wenn seine Schäfchen im Streit miteinander standen. Aber jetzt noch nicht. Vielleicht morgen. Oder übermorgen. Im Moment fiel Markus jedenfalls noch überhaupt nichts ein, was er Michael auf seine seltsamen Fragen hätte antworten können. Und überhaupt musste er sich jetzt erstmal dem Gespräch mit seinem eigenen Sohn stellen.

Erst als die Sonne schon längst die letzten Tautropfen verdunstet und hoch über den Apfelbäumen stand, hörte Markus, wie Tim aus seinem Hochbett polterte und verschlafen die Treppe heruntergeschlurft kam.

»Guten Morgen, Langschläfer«, begrüßte er ihn. Zur Antwort bekam er ein abwesendes »Hmpf« - eine Mischung aus Grunzen, Gähnen und dem Versuch seinen Vater zu begrüßen, ohne dabei auch nur einen Muskel zu viel zu bewegen.

Tim war an den Kühlschrank gegangen, hatte sich Milch herausgeholt und vor sich auf dem Tisch platziert. Nun saß er etwas unschlüssig da und schien zu überlegen, wie es weitergehen sollte.

Sanft stupste ihn Markus von hinten mit der Müslipackung auf die Schulter, was mit einem weiteren »Hmpf« quittiert wurde.

Naja, schon etwas freundlicher. Als Tim es endlich geschafft hatte, Löffel, Schale, Milch und Müsli zu einem vollständigen Frühstück zu kombinieren, legte Markus das Buch, das er gelesen hatte auf den Tisch, setzt sich Tim gegenüber und lächelte ihn freundlich an.

Tim starrte mit halb geöffneten Augen in die Müslischüssel und schien alle seine Konzentration auf die hohe Kunst des Löffelns und Kauens aufwenden zu müssen.

Innerlich seufzte Markus. Er wusste, dass Tim es ihm krumm nahm, wie er seinen Freund gestern Abend angefahren hatte. Und ja, ein bisschen hatte er ja auch recht, man hätte das Ganze doch auch mit einem flapsigen Spruch abtun können. Michael einfach ins Leere laufen lassen mit seinen Provokationen. So sollte man doch eigentlich mit pubertierenden Teenagern umgehen, oder nicht? Markus probierte es erstmal ganz locker.

»Und? Wer hat das Spiel gestern gewonnen?«, fragte er.

Ganz kurzer Augenkontakt. Dann schnell wieder löffeln, die Milch vom Löffel schlürfen, das Müsli kauen.

»Hmm… Ham mittendrin aufgehört«, kam die Antwort mit vollem Mund.

Oh oh, das klang nicht gut.

»Wieso das denn? Auf das Spiel hattest du dich doch so gefreut. Hattet ihr etwa Streit?«

Löffeln, schlürfen, kauen.

»Hm-Hmm«, machte Tim wieder und schaffte es dann tatsächlich, mit vollem Mund »Star wars geguckt« zu sagen ohne dass größere Teile seines Frühstücks auf Markus landeten.

»Oje«, lachte Markus. »Ihr seid ja echt besessen von den uralten Schinken«

Jetzt sah Tim ihn doch noch direkt an. Er kaute kurz, schluckte sein Müsli runter und sprach dann zum ersten Mal heute Morgen einigermaßen verständlich.

»War aber gut«, sagte er. »Hat uns beide auf andere Gedanken gebracht«, sagte er ernst und sah seinem Vater dabei direkt in die Augen.

Okay. Keine Spielchen mehr. Markus überlegte kurz und wählte seine Worte mit viel Bedacht.

»Hey Tim. Der Ausbruch von gestern Abend tut mir wirklich leid«, sagte er und meinte es auch.

»Ich war noch ganz aufgewühlt, weil du doch gerade eben erst fast einen schlimmen Unfall gehabt hattest. Und Michaels Worte klangen so, als wären sie gegen den Herrn und seine Engel gerichtet. Und das hat mich echt getroffen, weil ich Gott gegenüber so viel Dankbarkeit empfinde für all das Gute, das er für uns getan hat.«

Tim hatte wieder begonnen zu löffeln, aber er sah Markus weiter offen an. Er hört mir zu, dachte Markus. Das ist schon mal gut. Er seufzte.

»Ich meine damit nicht nur deine Rettung gestern. Die natürlich auch. Es ist schon ein gutes Gefühl, zu wissen, dass da jemand ist, der immer auf meinen kleinen Stieselstoffel aufpasst.«

Unwillkürlich musste Tim ein klein wenig grinsen. Er schob sich schnell einen Löffel Müsli in den Mund, um den Anflug von guter Laune vor seinem Papa zu verbergen.

»Aber es ist doch noch so viel mehr, was er jeden Tag für uns tut. Denk doch mal an die viele Zeit, die wir alle füreinander haben. Wie oft wir miteinander spielen, gemeinsam singen, wandern, und, und, und… Bevor Gott uns allen das Paradies schenkte, hatten Eltern nicht so viel Zeit für ihre Kinder. Die mussten dauernd arbeiten oder irgendetwas Wichtiges tun und hatten eigentlich nie richtig Zeit für ihre Familie.«

»Ja, ich weiß«, antwortete Tim zwischen zwei Hapsen. So richtig überzeugt klang er noch immer nicht.

Markus seufzte innerlich. Ihm war es so wichtig, auch bei Tim dieses große Gefühl der Dankbarkeit zu wecken.

»Oder denk an die Natur um uns«, probierte er es erneut, »die herrliche Natur, die Gott so wunderbar wachsen und gedeihen lässt.«

Er wies auf das Fenster. »Die grünenden Bäume, die blühenden Blumen und das tolle Wetter. Nur dank ihm ist jeder Tag im Paradies immer aufs Neue der perfekte Sommertag.«

»Hmmm. Ja stimmt schon.«

»Und…«, machte Markus einen letzten Anlauf und vollführte mit den Armen eine ausufernde Geste »…all das hier!«

»Der Kühlschrank?«, fragte Tim stirnrunzelnd.

Das brachte Markus ein wenig aus dem Tritt. »Nein… «, sagte er unsicher, »Naja, doch, irgendwie schon… Also alles eben…«

»Was Papa meint«, mischte sich Martha jetzt vom Flur her ein, »ist, dass Gott uns einfach alles gegeben hat.«

Schubladen klapperten. Wahrscheinlich war sie wieder auf der Suche nach ihrer Handtasche. Gleichzeitig begann sie in einer etwas gewöhnungsbedürftigen Tonlage zu singen: »Aller gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn…«

Dankbarerweise hörte sie gleich nach dieser Zeile wieder auf zu singen. Markus liebte sie von ganzem Herzen mit allen ihren Eigenschaften. Aber eine musikalische Ader hatte sie nie entwickelt und wann immer sie beschloss zu singen, hieß es für ihre Familie einfach: Zähne zusammenbeißen.

»Uraltes Lied. Stimmt aber trotzdem«, sagte sie, noch immer in den Schubladen kramend. »Alles was wir haben, hat er uns geschenkt. Und wir sollten ihm dafür danken, was wir haben, statt dauernd zu hinterfragen, warum er etwas tut oder nicht.«

Sie schien gefunden zu haben, wonach sie suchte, kam nun in die Küche gehuscht und gab Markus einen flüchtigen ich-muss-jetzt-wirklich-los-Kuss auf die Stirn. An sich liebte er den Elan seiner Frau und wie sie voller Energie auf alles was sie sich im Leben vornahm zustürmte, ohne sich durch Hindernisse oder Probleme im Geringsten ausbremsen zu lassen. Aber besonders morgens hätte er es auch mal schön gefunden, mit ihr in Ruhe eine Tasse Kaffee zu trinken, gemeinsam ein gutes Buch zu lesen oder sogar nochmal kurz wieder ins Bett zu schlüpfen, sobald Tim auf dem Weg in die Schule war.

Keine Chance heute. Mit schnellen Schritten hatte sie die Küche durchquert, sich ihre Kaffeetasse und ein Brötchen geschnappt und war schon wieder halb zur Tür hinaus, als sie plötzlich innehielt. Sie ging noch einmal zurück zu Tim, legte ihre Hände auf seine Schultern und sah ihm eindringlich in die Augen.

»Und jeden Tag danke ich dem Herrn für das größte Geschenk, das er mir je gemacht hat.«, sagte sie mit einem Mal voller Ruhe und ganz und gar im hier und jetzt angekommen. Sie küsste Tim sanft auf die Stirn.

»Passt du bitte heute besser auf dich auf?«, hauchte sie ihm ins Ohr. »Noch einen Engelsbesuch in diesem Monat verkrafte ich nämlich nicht.«

Tim schenkte ihr sein süßestes Lächeln

»Versprochen, Mama.«

Noch gute zwei Sekunden lang blieb sie lächelnd vor ihm stehen. Dann schaltete sie zurück in den Turbogang

»Also dann. Machts gut, ihr Lieben. Ich bin in zehn Minuten mit Sigrid verabredet. Sie hat ein paar neue Zeichnungen für mein Buch.«

Und zu Markus gewandt: »Hab mir ´n Auto gerufen, schaffe es jetzt nicht mehr mit dem Rad. Hab euch lieb.«

Und wusch, war sie schon aus der Haustür raus. Der kleine Wagen war genau in diesem Moment um die Ecke gefahren und Martha stieg ein, ohne den Schritt zu verlangsamen.

Während der Einsitzer beschleunigte, hatte sie bereits ihr Buch geöffnet und begonnen, weiter an der Geschichte zu schreiben, die sie vor Tim und Markus bisher komplett geheim gehalten hatte, trotz bitten, nörgeln, betteln, auskitzeln, und einmal sogar eines höchst sündhaften Angebotes ihres Mannes.


Tim sah seiner Mutter nach, wie sie davonrauschte. Irgendetwas Wichtiges war ihm gerade durch den Kopf gegangen. Aber dann hatte Papa wieder angefangen von Gott zu schwafeln und wie toll doch alles war und wie dankbar alle immer sein mussten, bla bla bla… War ihm doch alles klar. Musste man doch nicht immer wieder durchkauen. Gott hatte uns alle gerettet, danke schön, nächstes Thema. Er nickte an den richtigen Stellen, kaute sein Müsli (Yey… danke Gott für Schokomüsli…) und sagte »Hmmm« und »Ja stimmt«, bis Papa endlich aufhörte zu reden und sich wieder seinem Buch widmete. Nach einer Weile blickte Papa noch einmal hoch und sagte schließlich

»Ich finde, das war ein richtig gutes Gespräch, meinst du nicht auch?«

Na gut, noch ein 'Hmmm', diesmal mit Kopfnicken und Augenkontakt. Das schien das Thema dann wirklich zu beenden.

Ein Blick auf die Uhr. Kurz nach neun. Michael war sicher schon seit einer guten Stunde in der Schule, der alte Streber.

Dass man auch in Gottes Paradies in die Schule gehen musste, war etwas, das Tim anfangs nur schwer hatte verstehen können. Wozu sollte man sich denn bitte mit Mathe, Deutsch und Geschichte herumschlagen, wenn man doch alles, was man für ein glückliches Leben brauchte, von Gott geschenkt bekam?

Na klar, die klassische Antwort, die einem die Lehrer gaben, war, dass Gott den Menschen ja auch das Gehirn geschenkt hatte und wollte, dass sie es auch nutzten, und nicht als stumpfsinnige Zombies durch die Gegend liefen. Aber besonders beim Aufstehen fiel es Tim noch immer schwer, dieser Argumentation zu folgen. Wenigstens hatte Gott niemandem vorgeschrieben, wann er zur Schule gehen musste. Solange du dich in etwa vier Stunden täglich dort aufhieltst, war es Gott soweit egal, ob du ein Frühaufsteher oder Langschläfer warst.

Trotzdem versuchte Tim immer »schon« gegen zehn dort zu sein. Zum einen, damit er dann ab zwei noch etwas von den paradiesischen Nachmittagen hatte, zum anderen, damit er die Chance hatte, Michael vielleicht noch zu treffen, bevor der Schluss machte. Dann also jetzt schnell.

»Muss los zur Schule« sagte er mit vollem Mund. »Hab dich lieb, Papa«.

Und bevor Papa noch »Hast du die Zähne geputzt?« fragen konnte, war er auch schon aufgestanden und aus dem Haus gelaufen.

Genau Vierzig Sekunden später öffnete sich die Küchentür erneut und als Markus von seinem Buch hoch sah stand da ein wesentlich unsicherer Tim vor ihm.

»Was vergessen?« fragte er.

»Äh…. ja… Also… », druckste Tim herum. »Bei der ganzen Aufregung gestern hab ich anscheinend irgendwie vergessen eine klitzekleine Kleinigkeit zu erwähnen… »

Markus sagte nichts, zog aber eine Augenbraue hoch und wartete. Tim sah sich in der Küche um, als könnte ihm der Wasserkocher zu Hilfe kommen und für ihn weiterreden. Tat der aber nicht.

»Also, äh… wegen meinem Fahrrad…«

Das neue Paradies auf Erden

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