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Kapitel 6: Autos

Und er spannte seinen Wagen an und nahm sein Volk mit sich.

2. Mose 14:6

Tim ging zum Ausgabeschalter und sagte: »Hi. Ich hol die Einkäufe für Familie Adams ab.«

Es klackte, ratterte und zischte ein wenig, dann kamen auf dem Förderband ein rechteckiges und ein großes rundes Paket angefahren. Eingepackt waren die Einkäufe wie immer in das seltsame braune Papp-Papier Zeugs, das sich so lustig blubbernd auflöste, wenn man es mit warmem Wasser übergoss. Mama kippte die braune Brühe dann immer draußen in die Blumen oder auf die Kartoffeln, weil es angeblich einen super Dünger abgab.

Seit Tim als ganz kleiner Knirps einmal ein Stück davon in den Mund gesteckt hatte, stand er dem Zeug aber ziemlich kritisch gegenüber. Der Engel, den Mama und Papa sofort gerufen hatten, meinte zwar, dass es ganz ungefährlich sei und überhaupt kein bisschen giftig, nein, ganz im Gegenteil. Aber diesen ekligen Geschmack und das widerliche Geblubber im Mund hatte Tim nie vergessen und misstraute dem braunen Zeug seither.

Vorsichtig bohrte er oben ein kleines Loch in das eckige Paket und linste hinein. Schade… Keine Chipstüte dabei. War wohl doch zu knapp für seine Nachbestellung gewesen. Er klemmt sich die Pakete unter den Arm und trug sie vor den Laden. Dann holte er das Buch wieder heraus und tippte darin auf ein kleines blaues Auto. Bei 'Anzahl der Passagiere' tippte er auf 'nur Gepäck' und als Ziel wählte er 'Zuhause'.

Fast augenblicklich erschien auf dem Buch ein grüner Haken. Da schien wohl eins direkt in der Nähe 'gegrast' zu haben, freute sich Tim. Und tatsächlich fuhr gleich darauf ein kleiner Transporter um die Ecke des Ladens, hielt vor Tim und öffnete die obere Abdeckung.

Die 'Nur Gepäck'- Fahrzeuge sahen den normalen Autos ziemlich ähnlich: eine kleine runde Kugel mit vier Rädern unten, einer Kabine darüber und dem albern überdimensionierten Dach obendrauf. Das war optisch eigentlich echt eine Schande. So hübsche kugelrunde Flitzer, und dann da oben dieser eine unförmige schwarze Riesenflügel.

Natürlich wusste Tim aus dem Technikunterricht, wie ungemein praktisch und gut durchdacht das große 'Solarsegel' war. Wer hatte sich eigentlich so einen blöden Namen ausgedacht? Die fuhren ja nicht mit dem Segel wie Schiffe. Egal. In jedem Fall war dieses 'Segel' einfach nur hässlich.

Superpraktisch, weil es sich wie eine Art Blume zu einem großen Kreis ausfahren und in jeden möglichen Winkel kippen lassen konnte? Definitiv.

Richtig sinnvoll, weil die kleinen Autos damit immer die besten Sonnenplätze anfahren und Strom für das gesamte Dorf sammeln konnten? Keine Frage.

Ne tolle Sache, weil eigentlich immer eins aus der riesigen Flotte kleiner selbstfahrender 'Sonnensammler' irgendwo in der Nähe stand, wenn man mal eins brauchte? Definitiv.

Aber trotzdem: Extrem hässlich. Da hätte Gott sich doch ganz sicher auch etwas ein klein wenig Hübscheres ausdenken können, oder?

Andererseits war Tim schon seit längerem überzeugt, dass diese Autos in Wirklichkeit einfach auch nur getarnte Pinguine waren. Pinguine hatten er und Michael nämlich einmal in einer Natur-Einheit aus nächster Nähe beobachten können. Sie hatten sich schlapp gelacht über ihr tollpatschiges Watscheln, ihr komisches Aussehen und ihre ungelenken Bewegungen. Da waren sie sich mal beide einig gewesen: Gott hatte hier eine völlige Fehlkonstruktion abgeliefert. Zumindest dachten sie das, bis sie die Tiere dann unter Wasser beobachtet hatten. Wie sie pfeilschnell und unglaublich präzise durch das Wasser schossen, jede Bewegung elegant und perfekt koordiniert. Erst da hatten sie kapiert, dass dies ihr eigentliches Zuhause war. Sie hatten sie einfach zuerst nicht 'in ihrem Element' gesehen.

Und genau so war das eben auch bei den Autos. Wenn sie Leute transportieren, wirkten sie irgendwie fehl am Platz, ihr Sonnensegel passte nicht richtig zum Rest des Outfits und eigentlich brauchte sie auch kaum jemand so richtig. Aber bei der Sonnenernte, wenn sie einzeln oder in großen Gruppen auf den Feldern standen, die Segel maximal ausgeklappt und sich wie ein Schwarm wilder Vögel alle gleichzeitig bewegten, um sich perfekt in Richtung Sonne auszurichten, dann hatten sie eine Anmut, die ihnen sonst völlig fehlte.

Er hatte Michael einmal von dieser Theorie erzählt. Aber der hatte nur gegrinst und geantwortet: »Wie ein Schwarm wilder Vögel also…?«

Und am nächsten Nachmittag hatte er darauf bestanden, dass sie sich in einer sehr albernen Aktion leise wie Indianer auf den kleinen Hügel bei den Feldern schlichen, nur um anschließend auf ihre Räder zu steigen und mit lautem Gebrüll auf so einen Schwarm zuzurasen.

Bei der Erinnerung musste Tim lächeln. Es hatte echt witzig ausgesehen, wie die kleinen Wägelchen bei ihrem 'Angriff' wild in alle Richtungen davongestoben waren. Tatsächlich wie ein Schwarm Tauben oder eine Herde Wildpferde. Trotz mehrfacher Versuche war es ihnen an dem Tag nicht gelungen, eines dieser Wildpferde mit ihren Überraschungsangriffen einzufangen und zuzureiten. Aber 'ne Menge Spaß hatten sie gehabt. Und auch nur ein ganz klein bisschen schlechtes Gewissen.

Tim drückte auf den dreieckigen Knopf, der perfekt zum ganzen Design des Autos passte. Im Gegensatz zum Sonnensegel. Daraufhin klappte der gesamte obere Teil des Wagens nach hinten und gab den Blick auf den inneren Teil frei. Bei diesem Modell gab es keine Sitzbank, so dass auch größere Gepäckstücke bequem eingeladen werden konnten.

Er legte die Einkäufe in die Mitte, schloss die Abdeckung wieder und schon setzte sich der Wagen mit einem leisen Surren in Bewegung. Eigentlich echt praktisch, die Dinger.

Während er dem Auto nachschaute, fragte sich Tim, warum die in seiner Familie so selten genutzt wurden. Höchstens mal von Mama, wenn sie wie heute schnell zu Freundinnen ins Nachbardorf wollte. Aber normalerweise ging sie lieber zu Fuß. Natur genießen und so.

Papa steckte sowieso meistens in seinen Noten und musste selten irgendwo hin. Wenn er mal raus ging, dann nur runter zur Schule für die Orchester- oder Chorproben. Und Tim selbst liebte sein Fahrrad und den Rausch der Geschwindigkeit beim Querfeldeinrasen einfach viel zu sehr. In einer kleinen Metallkugel sitzen und die Landschaft draußen nur vorbeiziehen sehen? Neee. nix für ihn.

Und außerdem stand er Autos nach der Geschichtseinheit über die Ankunft Gottes immer noch sehr kritisch gegenüber. Echt komisch, dass die überhaupt noch Autos hießen, so wenig, wie sie mit den alten Benzinfressern von damals noch gemein hatten.

In der Einheit hatten sie nach Gründen suchen sollen, warum Gott bei seiner Rückkehr zu den Menschen erstmal so sauer gewesen war, und Tim und Michael hatten den Teil mit den Autos abbekommen.

Er erinnerte sich noch immer gut an die Eindrücke von kilometerlangen Autoschlangen, die sich auf riesigen Straßen durch die Gegend bewegten. Und aus jedem einzelnen kam giftiger Qualm, der irgendwie die Umwelt zerstörte und gleichzeitig die Menschen vergiftete. Und noch schlimmer: Die Leute damals wussten das sogar schon und fuhren trotzdem immer weiter mit diesen Dingern.

Tim öffnete das zweite Paket und machte sich daran, sein glänzend neues Vorderrad einzubauen. Während er den Schnellspanner löste, überlegte er, ob die Leute damals wirklich einfach dumm gewesen waren, weil sie so offensichtliche Dinge einfach nicht gesehen hatten.

Als er im Unterricht die vielen parkenden Autos in den Städten gesehen hatte, Stoßstange an Stoßstange, in fast jeder Straße der riesigen Städte, war ihm sofort klar gewesen, dass da doch etwas nicht richtig gelaufen sein konnte.

Naja, nicht ganz sofort. Zuerst hatte er angenommen, das sei irgendwie eine Fotomontage, damit sie die Autos zählen und dann später in einer Matheeinheit darauf zurückkommen und Berechnungen dazu anstellen konnten.

Aber nein, es war wirklich so, dass diese riesigen Ansammlungen von Metall, Plastik, Elektronik und Öl damals den Großteil ihrer Zeit damit zubrachten, einfach nur so im Weg rumzustehen. Die Leute brauchten sie meist nur einmal morgens, um zur Arbeit zu kommen (dann standen sie DA wieder unnütz rum) und abends, um zurück nach Hause zu kommen.

Später in Mathe - war ja klar, dass das noch kommen musste - hatten sie dann berechnet, dass die tatsächliche Nutzung der Autos damals durchschnittlich bei unter 5 Prozent gelegen hatte.

Fünf Prozent! Spätestens da hätte doch mal jemandem auffallen müssen, was für ein Irrsinn das Ganze war: Tonnen von Materialien werden aus aller Welt angeschleppt, in schmutzigen Fabriken zu überdimensionierten Stahlkolossen zusammengeschraubt und dann stehen die Teile da 95 Prozent ihres Lebens einfach nur im Weg rum und sehen hässlich aus?

Hallo? Irgendwie… Nicht besonders effektiv, oder?

Aber statt mal auf die Idee zu kommen, dass das für die ein, zwei Fahrten pro Tag doch wohl ´ne ziemlich blöde Lösung und extreme Verschwendung ist, steigen sie Tag für Tag wieder in ihre Stahlmonster und ärgern sich, dass in den Straßen keiner mehr durchkommt wegen der tausend anderen Stahlmonster, die gerade ganz genau dasselbe vorhaben. Einfach saublöd. Echt gut, dass Gott den ganzen Unsinn mit den Autos so schnell nach seiner Ankunft beendet hatte.

Tim zog den Schnellspanner fest und überprüfte, ob das Rad sich frei drehen konnte. Sah gut aus. Jetzt nur noch die Bremse einhängen und er konnte wieder los. Er warf gerade das alte Vorderrad in den Recycling Container neben dem Laden als sein Buch ein leises 'Ping' von sich gab. Ein Grinsen breitete sich in Tims Gesicht aus: Der kleine Haken neben seiner Nachbestellung war gerade auf grün gesprungen.

Das neue Paradies auf Erden

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