Читать книгу Karl in Kopenhagen - Oliver Laube - Страница 10

Seltsame Begegnungen

Оглавление

Matthäus, Cordula und Karl stehen am Anlegesteg. Die meisten Reisegäste gehen bereits zurück zum Hostel, um dort den Rest des Tages zu verbringen. Mittlerweile ist es schon fast Abend.

„Und was machen wir jetzt?“, fragt Cordula ihre beiden Kollegen. Karl erklärt, er müsse früher oder später auf jeden Fall noch ein Geschenk für seine Oma Edeltraud besorgen. Dies habe er ihr vor der Reise zusichern müssen. Und es könne ja nicht schaden, dies möglichst frühzeitig zu erledigen – jetzt zum Beispiel. Matthäus jedoch ist mit diesem Einfall überhaupt nicht einverstanden.

„Es kann ja wohl nicht angehen, dass wir jetzt zusammen sämtliche Geschäfte abklappern müssen, nur weil du ein Geschenk für deine Oma kaufen musst. Damit haben Cordula und ich doch nichts zu tun. Also kannst du das hübsch alleine machen. Und Zeit dafür wirst du gewiss noch genug haben“, entgegnet er und wartet sogleich mit einem Alternativvorschlag auf: „Mich verlangt es jetzt nach einem delikaten Diner in exquisitem Ambiente.“

Karl starrt seinen Kollegen fragend an.

„Was verlangst du?“, erkundigt er sich irritiert.

Damit auch sein Kollege seinen Ausführungen zu folgen in der Lage ist, lässt sich Matthäus zu einer trivialeren Ausdrucksweise herab: „Ich hab Hunger. Lasst uns was essen gehen!“

Mit diesem Plan können sich sowohl Cordula als auch Karl anfreunden. Die drei Kollegen machen sich auf den Weg in die Innenstadt, wo sie die größte Auswahl an Restaurants vermuten. Dabei kommen sie an einer Telefonzelle vorbei, neben der der Schotte Aidin gerade steht und Dudelsack spielt. Nach der Bootstour ist er sofort hierhin marschiert. Aidin findet es nämlich immer wieder aufheiternd, wenn jemand an der Telefonzelle telefonieren will, aber aufgrund der lauten Dudelsackmusik kein Wort verstehen kann. Auf diese Weise sind Aidin jedes Mal aufs Neue begeisterte Zuhörer garantiert – meint er zumindest. Matthäus, Cordula und Karl stellen sich eine Weile dazu und lauschen der Musik. Besonders Cordula, die nebenbei Musikkurse an der Volkshochschule erteilt, ist ganz entzückt und macht sogleich ein Foto von Aidin, der sich höflich verbeugt. Dann gehen die drei weiter.

Tatsächlich finden sie in der Innenstadt einige gut bürgerliche Restaurants der gehobenen Mittelklasse. Matthäus studiert sämtliche Speisekarten und vergleicht die Angebote. Schließlich entscheidet er sich für die Einkehr in ein Gourmetrestaurant, bei dem ihn insbesondere die vortreffliche Weinkarte überzeugt. Es ist nur etwas unglücklich, dass ausgerechnet bei diesem Lokal keine Preise draußen auf der Speisekarte stehen. Vermutlich wird es dafür gute Gründe geben.

„Was haltet ihr beide von diesem Etablissement?“, fragt Matthäus seine beiden Kollegen. Cordula ist einverstanden. Karl hingegen sagt dieses Lokal überhaupt nicht zu. Es ist ihm viel zu vornehm.

„Nee, das gefällt mir hier nicht. Da gehe ich lieber nochmal zu der Imbissbude, an der ich heute Mittag das Fischbrötchen gegessen habe. Das schmeckte nämlich ganz toll. Und auf der Speisekarte standen noch viele andere leckere Sachen“, erklärt er seinen Kollegen.

Da Matthäus auf keinen Fall statt in diesem Gourmetrestaurant in einer schlichten Imbissbude zu Abend speisen möchte, trennen sich ihre Wege. Während Matthäus und Cordula das vornehme Lokal betreten, wobei ihnen ein Ober in einem schwarzen Frack beflissen die Tür öffnet, marschiert Karl davon und läuft durch den leichten Nieselregen durch die erleuchteten Straßen der Kopenhagener Innenstadt. Zwar hat Karl einen ausgesprochen schlechten Orientierungssinn, den Standort der Imbissbude, in der er schon heute Mittag so vorzüglich gespeist hatte, hat er sich aber sehr genau eingeprägt. Und so hat er die Bude bald gefunden und tritt schnell ein. Es riecht sehr lecker nach frittierten Pommes und gegrillter Wurst. Leider ist es jedoch auch heute Abend hier sehr voll und Karl muss eine ganze Weile warten, bis er endlich an der Reihe ist. Er bestellt sich eine Bratwurst XXL im Brötchen und eine riesige Portion Pommes. Nachdem er sein Essen ausgehändigt bekommen und bezahlt hat, sieht sich Karl in der Bude nach einem freien Sitzplatz um. Aber leider findet er keinen. Die wenigen Tische hier drinnen sind bis auf den letzten Platz besetzt. Deshalb geht Karl nach draußen, wo aufgrund der Kälte zu dieser Jahreszeit sonst kein Mensch sitzt, und nimmt auf einem Plastikstuhl an einem Tisch unter der bunten Markise Platz. Genüsslich beißt Karl in die riesige Bratwurst, die er sich zuvor mit reichlich Ketchup garniert hat.

Plötzlich vernimmt Karl hinter sich ein eigenartiges Geräusch. Verwundert dreht er sich um, kann aber keinen Menschen entdecken. Schulterzuckend wendet er sich wieder seiner Bratwurst zu. Doch schon wieder hört er diese seltsamen Laute. Abermals dreht sich Karl um, sieht aber wieder niemanden. Während er immer noch suchend nach hinten blickt, wiederholt sich das Geräusch. Es ist ein Grunzen. Es ist nämlich kein Mensch, der dieses Geräusch erzeugt, sondern ein Schwein. Tatsächlich steht neben Karls Tisch ein lebendiges Schwein – und zwar ein höchst seltenes Dänisches Protestschwein. Es ist rötlich gefärbt und hat in Höhe der Vorderbeine einen weißen Streifen.

Das Schwein hatte einige Jahre auf einem großen Bauernhof bei einem Landwirt im Kopenhagener Umland gelebt. Der Bauer hat sich jedoch kürzlich dazu entschlossen, das Schwein zu verkaufen, und hat tatsächlich in Kopenhagen einen Abnehmer gefunden. In einem Anhänger hat er das Schwein in die Stadt gefahren. Doch gerade als er es an den Käufer übergeben wollte, ist das Tier wild grunzend aus dem Anhänger ausgebrochen, davongelaufen und konnte bislang nicht wieder eingefangen werden. Und deshalb lebt das Schwein nun seit ein paar Tagen mitten im Zentrum von Kopenhagen. Tagsüber versteckt es sich zumeist in einem dunklen Hinterhof in einer abgelegenen Seitenstraße. Doch sobald es draußen dunkel wird, streift es umher, um nach Nahrung zu suchen. Besonders gerne läuft das Schwein zu der Imbissbude, um sich hier von übriggelassenen Essensresten zu ernähren.

Und aus ebendiesem Grund ist das Schwein auch jetzt da. Nur leider findet es hier heute keine Essensreste auf dem Boden. So blickt das Schwein begierig auf Karls Pommesschale, die vor diesem auf dem Tisch steht. Als Karl das Schwein entdeckt, stößt er zunächst einen spitzen Schrei aus. Er hat Angst vor dem Tier. Es handelt sich zwar für ein Dänisches Protestschwein, das über 300 Kilogramm schwer werden kann, um ein verhältnismäßig kleines Exemplar, aber trotzdem kann man ja nie wissen. Karl erkennt, dass das Schwein es wohl auf sein eben erworbenes Essen abgesehen hat. Doch das will er natürlich verteidigen. Deshalb versucht er, mit wilden Handbewegungen das Schwein zu verscheuchen, und tatsächlich weicht dieses ein paar Meter zurück.

Aber das Schwein ist hartnäckig. Es scheint nicht nur interessiert an Karls Essen zu sein, sondern Karl auch sehr sympathisch zu finden. Als sich dieser nämlich von dem Schwein abwendet und sich in dem Glauben, jetzt seine Ruhe zu haben, erneut seinem Essen widmet, kommt das Tier sofort wieder zu ihm gelaufen. Es grunzt laut. Genervt dreht sich Karl um. Das Schwein, offenbar bester Laune, blickt ihn an und grunzt wieder. Gierig öffnet es sein Maul und lässt ein paar gelbliche Zähne aufblitzen. Aus Furcht, das Schwein könne jeden Moment zubeißen, steht Karl von seinem Platz auf, nimmt sich sein Essen und tritt ein paar Schritte zurück, bis er mit dem Rücken an der Außenmauer der Imbissbude steht. Das Schwein trippelt ihm hinterher, lässt ihn nicht aus den Augen, bleibt unmittelbar vor Karl stehen und blickt ihn wieder erwartungsvoll an. Karl passt das alles überhaupt nicht. Er will nur gemütlich seine Wurst und seine Pommes aufessen. Und wenn er nicht bald dazu kommt, wird sein schönes Essen sicherlich kalt werden. Das wäre wirklich zu schade.

Karl sieht das Schwein an. Einen sonderlich gefährlichen oder gar aggressiven Eindruck macht das Tier auf ihn nicht. Auch sein großes Maul hat es mittlerweile wieder geschlossen. Deshalb nimmt Karl all seinen Mut zusammen, brüllt laut: „Das ist mein Essen!“, und stürmt ungestüm auf das Schwein zu. Verschreckt grunzend dreht sich das Tier rasch um, rast davon und ist einen Moment später in der Dunkelheit verschwunden. Nun hat Karl endlich seine Ruhe. Er setzt sich wieder auf seinen Platz und isst zufrieden die Pommes und die Wurst auf. Ihm schmeckt es und deshalb steigt seine Laune rasant. Gewiss wäre dies nicht so, wüsste Karl, in welch schwierige Situation das Schwein ihn noch bringen wird.

Als Karl schließlich aufgegessen hat, macht er sich auf den Weg zu dem vornehmen Restaurant, in dem Matthäus und Cordula speisen wollten, um danach gemeinsam mit seinen Kollegen zurück zum Hostel zu gehen. Karl hat zwar seine Schwierigkeiten, das Lokal wiederzufinden, schafft es aber dennoch mit einiger Anstrengung. Matthäus und Cordula allerdings sind längst nicht mehr hier. Der Ober, der ihnen beflissen die Tür geöffnet hatte, hatte die beiden sogleich zu einem Tisch geführt. Ein Kellner hatte ihnen die Speisekarte gebracht. Doch als die beiden die Preise für das Essen sahen, verging ihnen der Appetit schlagartig.

„Gerade erst habe ich durch meine große Verhandlungsgabe drei Euro und 49 Cent beim Geldwechsel gespart und hier bekomme ich für die Summe nicht einmal ein Glas Wasser. Das mache ich nicht mit“, meinte Matthäus entrüstet zu seiner Kollegin. „Wir gehen!“

Und so kam es, dass Matthäus und Cordula nur wenige Minuten nach Betreten des Restaurants dieses unter den argwöhnischen Blicken des Obers schon wieder verlassen haben. Und da den beiden in der Eile nichts Besseres einfiel, haben sie auf die Schnelle im Stehen in einer schmuddeligen Bude eine Pizza auf der Hand gegessen und sich danach umgehend auf den Weg zurück zum Hostel gemacht.

Aber davon ahnt Karl natürlich nichts, als er vor der Tür zu dem vornehmen Restaurant steht. Er ist davon überzeugt, Matthäus und Cordula hier anzutreffen. Um nicht alleine vor der Tür warten zu müssen, beschließt Karl, nach drinnen zu gehen und dort nach den beiden zu suchen. Er will gerade die Klinke herunterdrücken, da wird ihm die Tür schon von dem eilfertigen Ober am Eingang geöffnet. Dieser verneigt sich ehrerbietend und führt Karl zu einem der herrschaftlich gedeckten Tische. Karl weiß gar nicht, wie ihm geschieht.

„Ich will eigentlich nur zu Matthäus und Cordula“, erklärt er unsicher, aber der Ober versteht kein Wort. Er fordert Karl auf Dänisch auf, an dem Tisch Platz zu nehmen. Zwar hat Karl seinerseits nichts verstanden, setzt sich aber dennoch aufgrund der einladenden Gestik des Obers auf einen der Stühle. Der Ober zündet eine Kerze an, verbeugt sich nochmals kurz vor Karl und nimmt dann wieder seine Stellung im Eingang des Restaurants an der Tür ein. Karl sieht sich suchend um, kann Matthäus und Cordula aber nirgendwo entdecken.

‚Sie sind schon weg‘, stellt er fest und will aufstehen, um das Lokal wieder zu verlassen. Doch in dem Moment tritt ein elegant gekleideter Kellner an den Tisch, um Karl zu begrüßen und ihm die Speisekarte zu reichen. Verwirrt nimmt Karl sie entgegen.

„Ich muss jetzt wieder gehen. Ich wollte nur zu Matthäus und Cordula, aber die beiden sind nicht mehr hier“, klärt er den Kellner auf. Dieser jedoch hat nichts verstanden, glaubt, Karl habe ihn nach der Spezialität des Hauses gefragt, und deutet auf ein besonders teures Gericht in der Speisekarte. Karl schüttelt den Kopf und will aufstehen. Doch der Kellner bedeutet ihm mit beruhigenden Gesten, sitzen zu bleiben. Karl tut, wie ihm geheißen, und nickt scheu. Der Kellner hält Karls Nicken für eine Bestellung und ist der Ansicht, dieser wolle nun die Spezialität des Hauses kosten. Er verschwindet rasch in der Küche, um Karls Bestellung weiterzugeben.

Karl möchte so schnell wie möglich weg von hier. Doch gerade als er abermals aufstehen möchte, taucht neben ihm ein Geigenspieler im schwarzen Anzug auf, der Karl auf seiner Violine ein Ständchen spielen möchte. Aber dieser hat im Moment gar keine Ohren für die schöne Musik. Er muss von hier verschwinden. Schnell. Und unbemerkt. Doch an der Tür steht der Ober, der ihn hereingeführt hat, vor ihm steht der Geigenspieler und an der Küchentür steht der Kellner, der alle Gäste genau im Blick hat. Daher bleibt Karl wohl nur eine einzige Möglichkeit: Er nickt dem Geigenspieler entschuldigend zu und deutet auf die Toilettentür. Der Mann versteht und entfernt sich. Karl steht auf und geht in Richtung der Toilette. Niemand hindert ihn. Dort angekommen nickt er nochmals in den Raum und schließt die Tür hinter sich. Und dann flüchtet Karl unbemerkt durch das geöffnete Klofenster.

„Geschafft“, murmelt Karl erleichtert, als er draußen auf der Straße steht. Nur leider handelt es sich bei dieser um eine ziemlich abgelegene und darüber hinaus sehr dunkle und zwielichtige Nebenstraße. Außer ihm befindet sich hier keine Menschenseele. Und dabei hat Karl doch Angst alleine im Dunkeln.

Da Matthäus und Cordula offenbar nicht mehr in der Nähe sind, bleibt Karl nichts anderes übrig, als sich ohne seine beiden Kollegen auf den Weg zum Hostel zu begeben. Zunächst geht Karl rasch zur Hauptstraße, an der das Restaurant liegt, um von hier aus zum Hostel zu finden. Doch kaum ist er um die Ecke getreten, tritt er auch schon wieder zurück in die Seitenstraße. Denn auf der Hauptstraße läuft der vornehme Kellner des Restaurants mit einem Teller in der Hand umher und sucht draußen vor der Tür nach Karl, weil er ihm die soeben fertiggestellte Spezialität des Hauses – einen gefüllten Rollaal auf Meerfenchel – servieren möchte. Schnell läuft Karl davon, um unentdeckt zu bleiben.

Da er den Weg am Restaurant vorbei nun nicht mehr gehen kann, muss sich Karl wohl oder übel einen anderen Weg suchen. Das ist jedoch leichter gesagt als getan. Innerhalb kürzester Zeit hat Karl vollends die Orientierung verloren. Ziellos und ängstlich irrt er umher. Er hat keine Ahnung, wo er ist. Und fragen kann er hier auch keinen, denn weit und breit ist niemand zu sehen. Offenbar verirrt sich in diese Gegend abends sonst kein Mensch. Und das wird wohl seine Gründe haben. Gerne würde Karl seinen Kollegen Matthäus um Rat bitten und ihn anrufen. Aber Karl besitzt kein Handy und in der einzigen auffindbaren Telefonzelle ist der Münzschlitz durch ein Kaugummi verstopft. Matthäus hatte Karl zwar vorhin einen Stadtplan von Kopenhagen in die Hand gedrückt, auf dem er zuvor die Position des Hostels mit einem roten Kreuz markiert sowie auf der Rückseite Karls Namen und die Adresse des Hostels notiert hatte. Aber, dass sich Karl die Karte in seine Hosentasche gestopft hatte, hat er mittlerweile vergessen. Da sich Karl nicht anders zu helfen weiß, beschließt er, die erste Person, die ihm hier in dieser gottverlassenen Gegend mitten in der Großstadt begegnet, auf jeden Fall nach dem Weg zu fragen.

Kaum hat Karl diesen Entschluss gefasst, da entdeckt er in der Ferne hinter der nächsten Straßenecke ein eigenartiges Licht und vernimmt ein leises Glockengeläut.

‚Da muss doch jemand sein – jemand mit einer sehr hellen Taschenlampe‘, denkt sich Karl und geht etwas schneller. Er erreicht die Kreuzung und blickt forsch um die Ecke. Karl traut seinen Augen nicht: Aus der Dunkelheit heraus bewegt sich etwas Großes auf ihn zu. Etwas, das hell erleuchtet ist. Etwas, das sich nicht auf Rädern, sondern auf Kufen fortbewegt. Etwas, das von zwei lebendigen Rentieren mit je einem Glöckchen um den Hals durch die Nacht gezogen wird. Es ist ein Schlitten, ein großer Schlitten, in dem ein rundlicher älterer Mann mit Brille und einem weißen Rauschebart, einer roten Mütze mit weißem Bommel und einem langen roten Gewand sitzt und die Zügel hält. Kein Zweifel: Dies ist ein Weihnachtsmann. Gut, ganz so befremdlich ist das nicht. Immerhin ist heute der erste Weihnachtstag. Trotzdem ist Karl sehr verunsichert.

‚Was ist denn jetzt los?‘, fragt er sich ängstlich. ‚Wo bin ich denn hier nur hingeraten?‘

Karl bleibt zunächst unschlüssig an der Ecke stehen und beobachtet den Weihnachtsmann, der mit seinem Schlitten weiter auf ihn zu fährt. Offenbar hat er Karl noch nicht gesehen. Dieser überlegt noch einen Moment, dann gibt er sich einen Ruck und tritt unbeirrt hervor. Schließlich hat er sich ja vorgenommen, die erste Person, die ihm begegnen sollte, nach dem Weg zu fragen. Und, wenn diese ein Weihnachtsmann ist, dann ist das nun einmal nicht zu ändern. Aber als Karl einige Schritte auf den Schlitten zugegangen ist, bekommt er es doch mit der Angst zu tun.

‚Vielleicht ist das eine Falle‘, überlegt er, macht kehrt und läuft eilig in die andere Richtung. Plötzlich vernimmt Karl hinter sich eine Stimme.

„So warten Sie doch!“, ruft der Weihnachtsmann ihm zu. Karl rennt schneller.

„Bleiben Sie bitte stehen! Ich tue Ihnen nichts“, fordert der Weihnachtsmann ihn auf. Karl bleibt stehen. Wie dämlich er doch war. Dies ist ein Weihnachtsmann und Weihnachtsmänner sind gemeinhin nicht sehr gefährlich, sondern eigentlich eher harmlos. Zögerlich dreht sich Karl um. In etwa hundert Metern Entfernung steht der beleuchtete Schlitten mit den beiden Rentieren. Der Weihnachtsmann ist mittlerweile ausgestiegen und winkt Karl freundlich zu. Langsam geht Karl zurück. Und dann steht er vor dem seltsamen Herrn mit dem langen weißen Bart.

„Guten Abend“, empfängt ihn der Weihnachtsmann. „Sie müssen gar keine Angst vor mir haben. Wissen Sie, ich bin nämlich der Weihnachtsmann“, erklärt er Karl wissend. Er reicht Karl die Hand, die dieser unsicher und ein wenig verwirrt ergreift.

„Wie ist denn Ihr Name?“, erkundigt sich der Weihnachtsmann bei Karl.

„Bietendüfel. Mein Name ist Karl Bietendüfel“, antwortet Karl dem Weihnachtsmann wahrheitsgemäß.

„Das ist aber ein schöner Name“, findet dieser und Karl ist sichtlich geschmeichelt. „Wenn ich mich nicht täusche, dann wollten Sie eben etwas von mir. Sie kamen so zielstrebig auf mich zugelaufen. Habe ich recht? Ich stehe voll und ganz zu Ihrer Verfügung“, meint der Weihnachtsmann freundlich.

„Eigentlich suche ich das Hostel und wollte Sie nach dem Weg fragen“, erwidert Karl und noch im gleichen Moment wird ihm bewusst, wie grotesk diese Aussage wohl für den Weihnachtsmann klingen muss. Wer weiß schon, wo dieser eigenartige Weihnachtsmann herkommt? Warum sollte er ausgerechnet das Hostel kennen?

Der Weihnachtsmann aber kennt das Hostel und kann Karl deshalb tatsächlich weiterhelfen. Morgen Abend hat er dort nämlich einen Auftritt. Der Hostelbesitzer Jesper hat nämlich – wie jedes Jahr – für den zweiten Weihnachtstag ein großes Weihnachtsfest für seine Gäste geplant und als Höhepunkt des Abends soll der Weihnachtsmann erscheinen und alle Gäste beschenken. Der Weihnachtsmann ist nicht nur ins Hostel, sondern auch zu vielen weiteren Weihnachtsfeiern eingeladen und das nicht nur morgen, sondern auch bereits heute sowie gestern an Heiligabend. Er macht diesen Job schon seit vielen, vielen Jahren und ist gerade auf dem Weg zu seinem nächsten Auftritt am heutigen Abend.

Auf Karls Frage hin erklärt der Weihnachtsmann diesem bereitwillig den Weg zum Hostel. Es ist glücklicherweise gar nicht mehr so weit, wie Karl dachte. Nachdem der Weihnachtsmann seine Wegbeschreibung beendet hat, bedankt sich Karl artig und will sich rasch auf den Weg machen. Denn trotz der netten Worte des Weihnachtsmanns ist ihm die Situation nach wie vor nicht ganz geheuer. Aber der Weihnachtsmann hält ihn zurück.

„Zum Hostel muss ich auch noch, aber nicht mehr heute. Wir werden uns bestimmt bald wiedersehen. Also, bis dann“, sagt er und steigt wieder in seinen Schlitten. Er zieht an den Zügeln und die beiden Rentiere traben los.

„Hohohoho“, ruft der Weihnachtsmann. Dann verschwindet er in der Nacht.

Karl in Kopenhagen

Подняться наверх