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Rundvisning i København

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Ohne Matthäus' kompetente Führung fällt es Cordula und Karl nicht leicht, den Weg zurück zum Hostel zu finden, und mehr als einmal verlaufen sie sich. Da sie aber so schnell unterwegs sind, gelingt es ihnen schließlich trotzdem, gerade noch rechtzeitig zur Stadtführung wieder hier einzutreffen. Alle anderen Gäste des Hostels, die mittlerweile ebenfalls mit Bussen angekommen sind, stehen vor der Eingangstür auf der Straße. Darunter sind selbstverständlich auch Aidin, Konrad, Seppel und Sheldon. Die Gäste haben sich zu mehreren Gruppen zusammengefunden, die sich um je einen Stadtführer scharen. Cordula und Karl schließen sich einer Gruppe an, vor der eine sehr routiniert aussehende ältere Dame steht, die ein Schild mit der Aufschrift ‚Rundvisning i København‘ in die Höhe hält. Auch ohne die fachkundige Hilfe von Matthäus und seinem dänischen Wörterbuch erschließen sich Cordula und Karl, dass diese Worte wohl so etwas wie ‚Stadtführung in Kopenhagen‘ bedeuten. Die Stadtführerin, die gut Deutsch spricht, stellt sich den Gästen als Gunnhild vor. Gunnhild ist bereits seit über zwanzig Jahren als Stadtführerin in Kopenhagen tätig und beginnt sogleich mit der Führung.

Als Erstes führt sie die Gruppe zum traditionsreichen und sehr belebten Stadthafen Nyhavn. Beide Seiten dieses kleinen Hafenarms werden von farbenfrohen Giebelhäusern geziert. Cordula ist ganz begeistert und macht mal wieder ein Foto nach dem anderen. Auch allen anderen Leuten gefällt es hier sehr gut. Während Gunnhild den Reisetrupp mit einigen interessanten Informationen versorgt, lässt sich Karl auf einer Bank nieder, um nach den vielen Strapazen des Tages ein wenig zu entspannen. Doch seine Freude währt leider nicht lange, denn schon bald geht Gunnhild mit der Gruppe weiter. Karl folgt widerwillig.

Als Nächstes steht das Schloss Amalienborg, das aus vier baugleichen Palais besteht, die um einen achteckigen Platz herum angeordnet sind, auf dem Programm.

„Das Schloss ist die Residenz unserer Königin Margrethe II. Die Herrschaften in den blauen Uniformen gehören der königlichen Garde an, die unsere Königin bewacht“, erklärt Gunnhild und erzählt ausführlich von der Geschichte des Schlosses. Alle Reisegäste hören begeistert und sehr interessiert zu. Nein, nicht alle. Karl hört nicht zu. Stattdessen nähert er sich vorsichtig einem der Wächter, der starr vor einem kleinen roten Holzhäuschen steht, sich nicht einen Millimeter vom Fleck bewegt und unentwegt ausdruckslos nach vorne starrt. Karl beobachtet ihn ein wenig. Er wundert sich, wie es dem Wachmann wohl gelingen mag, so beharrlich und fortwährend auf der gleichen Stelle zu stehen und sich überhaupt nicht zu rühren. Karl jedenfalls könnte das nicht. Er überlegt, ob der Wächter überhaupt echt ist.

‚Vielleicht ist dies ja lediglich eine Wachsfigur. So könnte das Königshaus sicher eine Menge Geld sparen und niemand würde es merken‘, denkt sich Karl.

Um seine Vermutung zu überprüfen, schleicht sich Karl vorsichtig von der Seite an. Dann springt er plötzlich hervor und ruft laut: „Buh!“

Doch der Wächter bewegt sich nicht. Karl fuchtelt wild mit den Armen in der Luft herum, aber der Wachmann zeigt noch immer keine Reaktion.

Unterdessen erklärt Gunnhild der Gruppe, in welchem der vier Palais die Königin residiert und dass ein königliches Banner über dem Dach weht, wenn die Königin anwesend ist. Aktuell weht über dem Dach eine große dänische Flagge. Die Königin ist also vor Ort. Cordula ist zwar sehr interessiert an Gunnhilds Erläuterungen, gleichwohl will sie es unter keinen Umständen versäumen, das Schloss ausreichend oft im Bild festzuhalten. Also entfernt auch sie sich von der Gruppe, um nach geeigneten Perspektiven Ausschau zu halten. Dabei fällt ihr Blick auf Karl, der gerade dem Wachmann die Zunge herausstreckt. Schnell eilt Cordula zu ihrem Kollegen herüber, um ein Foto von ihm und dem Wächter zu schießen.

„Stell dich doch mal neben den Wachmann. Ich werde dann ein Foto von euch beiden machen“, verlangt Cordula von Karl.

„Das kannst du dir sparen. Das ist nämlich – glaube ich – bloß eine Wachsfigur“, entgegnet Karl. „Er bewegt sich jedenfalls keinen Millimeter. Selbst als ich ihn erschreckt und ihm die Zunge herausgestreckt habe, zeigte er keine Regung. Der ist gewiss nicht echt und der guckt auch so böse. Das kann also kein gutes Foto werden“, erklärt er ihr weiter. Cordula jedoch überzeugen seine Ausführungen nicht.

„Stell dich einfach neben den Wachmann, ich regle das schon“, sagt sie deshalb zu ihrem Kollegen. Dieser tut, wie ihm geheißen. Cordula marschiert derweil zielstrebig auf den Wächter zu und lächelt ihn freundlich an.

„Einen schönen guten Tag wünsche ich Ihnen. Entschuldigen Sie die Störung, aber wären Sie so gütig, nett in die Kamera zu lächeln, wenn ich Sie und meinen Kollegen Karl zusammen fotografiere?“, bittet sie ihn höflich und zu Karls großer Überraschung reagiert der Wachmann, der Cordula offenbar genau verstanden hat, sofort.

„Selbstverständlich mache ich das gerne“, antwortet er prompt. Cordula schießt ihr Foto, auf dem der Wächter freundlich grinst und Karl ihn nur ungläubig anstarrt. Anschließend bedankt sich Cordula überschwänglich, verabschiedet sich von dem Wachmann und geht mit Karl zusammen weiter. Dieser kann es noch immer nicht begreifen, wie es Cordula geschafft hat, den Wächter sowohl zum Reden als auch zum Lächeln zu bringen. Doch dann unterrichtet Cordula ihren Kollegen, dass man im Umgang mit anderen Menschen stets freundlich und nett sein sollte und auf diese Weise häufig zu seinem Ziel gelangt. Das leuchtet Karl nach einiger Überlegung ein.

Die beiden beeilen sich, um den Anschluss zu ihrer Gruppe zu halten. Gunnhild führt diese nämlich bereits zur in unmittelbarer Nähe gelegenen Frederikskirche, die auch Marmorkirche genannt wird. Dieses spätbarocke Gotteshaus beeindruckt insbesondere durch seine gewaltige Kuppel. Am nächsten Abend soll hier übrigens der gemeinsame Weihnachtsgottesdienst, den der Hostelbesitzer Jesper für seine Gäste als Auftakt des abendlichen Weihnachtsprogramms eingeplant hat, stattfinden. Begeistert schießt Cordula mehrere Fotos. Von hier aus geht der Reisetrupp unter Gunnhilds fachkundiger Führung weiter in Richtung Innenstadt.

In der Zwischenzeit hat es Matthäus geschafft, sein Vorhaben erfolgreich abzuschließen. Mithilfe seines dänischen Wörterbuchs und seines raffinierten Verhandlungsgeschicks ist es ihm tatsächlich gelungen, einige Passanten dazu zu bewegen, mit ihm – zu einem für ihn sehr günstigen Wechselkurs – Euros gegen Dänische Kronen einzutauschen. Matthäus ist sehr zufrieden mit sich. Nun ist er auf der Suche nach Cordula, Karl und dem Reisetrupp. Da trifft es sich gut, dass diese soeben am Kongens Nytorv angekommen sind, also an dem großen Platz, an dem Karl heute Mittag in einer Bank sein Geld gewechselt hatte und auf dem Matthäus in der letzten Stunde seine Geschäfte abgeschlossen hat. So hat Matthäus die Gruppe, die gerade vor dem Königlich Dänischen Theater steht, bald schon entdeckt. Freudig schließt er sich dem Trupp an und berichtet seinen beiden Kollegen sogleich stolz von seinen großen Erfolgen beim Geldwechsel:

„Seht ihr? Ich habe es euch doch gleich gesagt. Genauso macht man das. Ich habe hier in Kopenhagen haufenweise nette Menschen getroffen, die allesamt gerne bereit waren, mir in meiner Not zu helfen. Und mit meinem hervorragenden Verhandlungstalent und mithilfe des Harvard-Konzepts habe ich stets einen guten Wechselkurs erhandelt. Auf diese Weise habe ich drei Euro und 49 Cent gespart. Die kann ich nun für etwas Sinnvolles ausgeben, während ihr beide euer Geld gedankenlos verschleudert habt“, belehrt Matthäus selbstbewusst seine beiden Kollegen, die zwar seine Euphorie nicht ganz teilen können, aber jedenfalls nicht mehr sauer auf ihn sind.

Natürlich möchte sich nun auch Matthäus den letzten Teil der Stadtführung nicht entgehen lassen – diese hat er schließlich mitbezahlt. Er geht direkt hinter Gunnhild ganz vorne, hält seinen geschlossenen Regenschirm in die Höhe und tut so, als sei nicht sie, sondern er der Stadtführer und alle würden nur ihm folgen. Das gefällt ihm. Schließlich steht er ausgesprochen gerne im Mittelpunkt. Gunnhild führt die Reisegruppe zum Rathaus, einem imposanten Backsteinbau mit einem hohen Turm. Leider befindet sich auf dem Rathausplatz eine riesige Baustelle, auf der zurzeit die U-Bahn ausgebaut wird. Besonders Cordula ist darüber sehr unglücklich. Denn wegen der Baustelle ist es ihr nahezu unmöglich, ein schönes Foto von dem sehenswerten Gebäude zu schießen. Ganz in der Nähe befindet sich der große Freizeitpark von Kopenhagen. Unsere drei Kollegen nehmen sich vor, diesem auf jeden Fall im Reiseverlauf einen Besuch abzustatten. Immer wenn Gunnhild etwas erklärt, nickt Matthäus wissend, damit es so aussieht, als hätte er alles schon vorher gewusst. Außerdem versucht er des Öfteren, durch gezielte schlaue Nachfragen auf die anderen einen besonders intelligenten Eindruck zu machen. Mittlerweile ist bereits die Sonne untergegangen und es wird dunkel.

Abschließend lotst Gunnhild die Gruppe zur Christiansborg und zur alten Börse. Beide Gebäude stehen auf einer kleinen Insel. Gegenüber befindet sich ein Anlegesteg, von dem aus in regelmäßigem Takt Ausflugsboote starten. Dort nimmt der Hostelbesitzer Jesper den Reisetrupp in Empfang. Gunnhild beendet die Führung, verabschiedet sich und geht davon. Das Programm aber ist noch nicht vorbei. Jesper hat nämlich für seine Gäste eine Stadt- und Hafenrundfahrt auf einem Ausflugsboot organisiert, die jetzt, unmittelbar nach der Stadtführung, starten soll.

Es dauert gar nicht lange, bis das Boot vorfährt. Die Passagiere der letzten Fahrt steigen aus und Jesper tritt hervor, um dem Kapitän die Tickets zu zeigen und seine Gäste an Bord zu winken. Dank Matthäus' beherztem Einsatz stehen er und seine beiden Kollegen ganz vorne, können deshalb gleich als Erste einsteigen und sich die besten Plätze sichern. Sie entscheiden sich für drei Plätze in der allerletzten Reihe, um zumindest einen ungestört freien Blick nach hinten zu haben. Auch alle anderen Gäste beeilen sich, an Bord zu gelangen, und so füllt sich das Boot sehr rasch. Unmittelbar vor Karl nimmt der britische Guard Sheldon Platz. Da dieser nach wie vor seine hohe schwarze Bärenfellmütze auf dem Kopf trägt, die er auch in seiner Freizeit nur selten absetzt, ist Karls Sichtfeld nach vorne sehr stark eingeschränkt. Dies ist Karl jedoch relativ gleichgültig. Er ist nämlich mittlerweile wieder müde und möchte die Bootsfahrt für ein kleines Schläfchen nutzen. Er setzt sich die Kapuze seiner Regenjacke auf – damit es nicht so auffällt, dass er schläft –, gähnt, schließt die Augen und ist wenig später eingeschlafen.

Bald ist das Boot voll und legt ab. Das Ausflugsboot lässt die Christiansborg und die alte Börse hinter sich und fährt sodann durch den bereits von der Stadtführung bekannten Nyhavn. Cordula knipst wie wild. Es ist zwar bereits dunkel, die meisten Gebäude sind jedoch hell erleuchtet und bieten damit besonders schöne Fotomotive. Das Boot fährt durch die unterschiedlichsten Flüsse und Kanäle und durchquert verschiedene Viertel. Der Bootsführer verweist in deutscher Sprache auf die wichtigsten Sehenswürdigkeiten und weiß zu jeder noch einige interessante Geschichten zu erzählen.

Leider beginnt es nach etwa zehn Minuten leicht zu regnen. Die Sitzplätze verfügen über keine Überdachung, sodass Matthäus, Cordula, Karl und alle anderen Mitfahrenden dem Regen schutzlos ausgeliefert sind und entsprechend nass werden. Schnell schließt Cordula ihre Jacke und zieht sich ihre Kapuze über. Glücklicherweise hat sich ja auch Karl, der noch immer schläft und nichts von dem Regenschauer mitbekommt, vorhin seine Kapuze aufgesetzt. Während sich Cordula und Karl lediglich durch ihre Jacken und Kapuzen schützen können, holt Matthäus triumphierend seinen schwarzen Regenschirm hervor.

„Es zahlt sich aus, wenn man immer einen Regenschirm dabei hat“, erläutert er fachkundig und spannt den Schirm über sich auf. Cordula, die zwischen ihren beiden Kollegen sitzt, freut sich ebenfalls, denn Matthäus' Regenschirm ist so groß, dass auch sie überwiegend vor dem Regen geschützt ist. Anders ist dies hingegen bei Karl. Dieser wird nicht mehr durch Matthäus' Schirm geschützt. Ganz im Gegenteil: Die Regentropfen, die seitlich vom Schirm abperlen, tropfen genau auf seine Hose. Ein Glück, dass der Regenschauer lediglich von kurzer Dauer ist. Ansonsten wäre Karl wohl pitschnass geworden, hätte sich eine schlimme Erkältung zugezogen und den Rest der Reise krank im Bett verbringen müssen.

Im letzten Teil der Rundfahrt fährt das Ausflugsboot durch den Kanal, der zurück zur Christiansborg und zu dem Anlegesteg führt. Auf diesem Teilstück muss das Boot einige tief gelegene Brücken durchqueren. Die letzte Brücke, unter der das Boot durchfahren muss, ist die niedrigste.

Der Bootsführer warnt: „Bleiben Sie auf jeden Fall auf Ihren Plätzen sitzen und ziehen Sie notfalls die Köpfe ein.“

Da Karl noch immer schläft, hat er natürlich von dieser Durchsage nichts mitbekommen. Weil er jedoch nicht besonders groß ist, schwebt er nicht in der Gefahr, sich im Sitzen an der Brücke den Kopf zu stoßen. Aber vor ihm sitzt ja Sheldon mit seiner hohen Bärenfellmütze. Und es kommt, wie es kommen musste: Da die Ansage lediglich auf Deutsch erfolgte, hat Sheldon, der ausschließlich Englisch spricht, kein Wort verstanden. Und er passt auch nicht weiter auf, als sich das Boot der Brücke nähert. Kaum ist es unter der Brücke angekommen, reißt es Sheldon die Mütze vom Kopf. Und wem landet sie mitten im Gesicht? Karl natürlich. Dieser erwacht, springt erschrocken von seinem Platz auf und – BOING – stößt sich den Kopf.

„Aua!“, ruft Karl laut und alle drehen sich verwundert nach ihm um. Auch Sheldon blickt wütend zu ihm und deutet auf die Mütze, die Karl nun verunsichert in den Händen hält.

„This is my Bearskin!“, sagt er bestimmt, greift nach seiner Mütze und sieht Karl noch einmal anklagend an. Dabei ist dieser doch schon geplagt genug. Auch Matthäus schüttelt vorwurfsvoll maßregelnd den Kopf.

„Das war wirklich nicht sehr clever von dir“, bemerkt er treffend. „Hast du etwa die Ansage nicht gehört? Alle sollten sitzen bleiben. Und was machst du? Du stehst auf. Na, hoffentlich hat es auch schön wehgetan. Das sollte dir eine Lehre sein, Karl. Vielleicht solltest du zukünftig nur noch mit Helm aus dem Haus gehen.“

Cordula hingegen ist mit Matthäus' Rüge überhaupt nicht einverstanden.

„Wie kannst du nur so etwas sagen, Matthäus? Der arme Karl ist doch schon geplagt genug. Und du musst auch noch den Finger in die Wunde legen“, meint sie, hält aber trotzdem den Moment, in dem sich Karl mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf hält, mit ihrem Fotoapparat im Bild fest. Dann aber wendet sie sich besorgt ihrem Kollegen zu.

„Hat es sehr wehgetan? Brauchst du ein Pflaster?“, erkundigt sie sich fürsorglich und kramt sogleich in ihrer schicken Umhängetasche, in der sie für alle Fälle immer ein kleines Erste-Hilfe-Set mit sich rumträgt, um Karl ein Pflaster zu suchen. Doch dieser lehnt das Angebot dankend ab. Wie soll er sich auch in die Haare ein Pflaster kleben?

„So schlimm war es auch wieder nicht“, entgegnet Karl seiner Kollegin. Ihm ist das alles sehr peinlich.

Wenige Minuten später hält das Boot wieder am Anlegesteg und die Passagiere steigen aus.

„Ich glaube, jetzt haben wir alles gesehen. Damit können wir eigentlich wieder nach Hause fahren“, meint Matthäus pessimistisch. Na, wenn er sich da mal nicht täuscht.

Karl in Kopenhagen

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