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Ankunft in Kopenhagen

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Am späten Vormittag erreicht der Bus die Stadtgrenze von Kopenhagen, fährt durch die Vororte der Stadt in Richtung Zentrum und schließlich zum Hostel, in dem die drei Kollegen und alle anderen Reisegäste in den folgenden fünf Tagen untergebracht sind. Vor allem Cordula ist verzückt, drückt sich die Nase an der Fensterscheibe platt und versucht, durch das Fenster schon erste Fotos von den Sehenswürdigkeiten der Stadt zu schießen. Nur leider hat ihr das Wetter einen Strich durch die Rechnung gemacht: Die letzten zwei Stunden hat es ununterbrochen geschüttet wie aus Kübeln und an den Fensterscheiben hängen dicke Regentropfen, weshalb Cordula das Fotografieren bald wieder aufgibt. Mittlerweile hat sich das Wetter aber wieder beruhigt. Es regnet nicht mehr und die Sonne schafft es sogar an der einen oder anderen Stelle, die dichte Wolkendecke zu durchdringen. Alle Reisegäste freuen sich sehr, dass sie ihr Ziel gleich erreicht haben. Immerhin haben sie eine fast vierzehnstündige Busfahrt hinter sich. Und sogar Karl ist inzwischen aufgewacht. Er gähnt herzhaft und blickt verschlafen, aber durchaus nicht uninteressiert aus dem Fenster.

Einige Minuten später trifft der Bus am Hostel ein, hält an und alle Gäste steigen freudig aus. Nur Karl möchte gerne bis zuletzt sitzen bleiben, um dem größten Trubel bei der Kofferausgabe zu entgehen. Aber seine beiden Kollegen drängen.

„Beeil dich bitte ein wenig! Wir wollen schließlich noch was von dem Tag haben“, gebietet ihm Matthäus entschieden und Karl will seinem Kollegen nicht widersprechen.

Also nimmt Karl schnell seinen Rucksack, folgt seinen beiden Kollegen gehorsam und wartet zusammen mit allen anderen Reisegästen auf die Aushändigung der Koffer. Dabei blickt er sich um: Sie stehen in einer etwas schäbigen Seitenstraße. Auf der linken Straßenseite befindet sich ein großes Tor, das den Zugang zu einem Platz mit zersprungenen Pflastersteinen bildet, der zu einer heruntergekommenen Fabrikhalle gehört, deren Fenster allesamt herausgebrochen sind. Rechts daneben wird derzeit ein altes Hochhaus abgerissen. An vielen Stellen ist der graue Putz abgeblättert. Auf dem Gelände stehen ein riesiger Kran mit einer Abrissbirne sowie einige weitere Baufahrzeuge. Im Moment wird hier jedoch nicht gearbeitet. Vor dem bunt bemalten Bauzaun türmt sich ein Berg aus Sperrmüll und daneben steht ein großer Container mit Bauschutt. Auf der anderen Straßenseite stehen eine Litfaßsäule mit herunterhängenden, verschlissenen Plakaten, ein zerbeultes Straßenschild, dessen Aufschrift man beim besten Willen nicht mehr erkennen kann, sowie ein Müllcontainer, aus dem der Müll nur so herausquillt. Dahinter befindet sich das Hostel. Es ist ein breites, rot-braun verputztes Gebäude mit sieben Obergeschossen und großer Fensterfront. Auf Karl wirkt es riesig und nicht sehr einladend. Aber wenn er sich so in der Straße umsieht, muss Karl offen zugestehen, dass das Hostel im Vergleich zu allen anderen Gebäuden einen sehr makellosen und anständigen Eindruck macht. Fasziniert blickt er hoch zur obersten Etage.

‚Von da oben hat man bestimmt einen sehr schönen Ausblick‘, denkt sich Karl und hofft, ein Zimmer so weit wie möglich oben und mit vielen Fenstern zu erhalten.

Es dauert gar nicht lange, bis der Busfahrer Matthäus, Cordula und Karl ihre Koffer gereicht hat. Denn Matthäus, der sich sehr gerne und auch häufig vordrängelt, hat dafür gesorgt, dass sie ganz vorne stehen, und den Busfahrer dazu aufgefordert, seinen beiden Kollegen und ihm als Erstes die Koffer herauszugeben. Nach Erhalt ihres Gepäcks steuern die drei Kollegen den Eingang des Hostels an.

„Schön ist es hier nicht“, bemerkt Matthäus beiläufig, aber treffend und rümpft die Nase. Weder Karl noch Cordula können ihm widersprechen.

Die drei sind schon eine komische Gesellschaft: Cordula und Matthäus gehen zielstrebig voran, Karl folgt vorsichtig und in gebührendem Abstand. Cordula trägt ihre schicke Umhängetasche, die sie extra für die Reise gekauft hat, und ihren Fotoapparat und zieht einen blauen Rollkoffer hinter sich her. Matthäus hält neben seinem großen schwarzen Lederkoffer auch noch seinen aufgespannten Regenschirm in den Händen.

„Es regnet doch gar nicht“, wundert sich Cordula.

Matthäus jedoch hat da seine ganz eigene Logik: „Tatsächlich regnet es zurzeit nicht. Es kann aber jeden Moment losgehen, denn wie ihr“, er blickt sich um und stellt fest, dass Karl ihm sowieso nicht zuhört, „also, wie du sicher auch festgestellt hast, hat es die letzten zwei Stunden nahezu ununterbrochen ordentlich geschüttet. Auch jetzt noch ist der Himmel stark mit Wolken behangen. Und wer weiß, ob ich den Schirm schnell genug geöffnet bekomme, bevor meine Frisur komplett ruiniert und mein edler schwarzer Wollmantel nass und lädiert ist? Der Schirm klemmt nämlich etwas“, erklärt er.

Karl hat von dem Gespräch nichts mitbekommen. Teilnahmslos marschiert er die letzten paar Meter bis zum Eingang über die Straße. Mit seinem winzigen braunen und ziemlich altmodischen Koffer, den ihm seine Oma Edeltraud für diese Reise geschenkt hat, und seinem überdimensionierten blauen Rucksack sieht er schon etwas merkwürdig aus. Aber das macht ihm nichts.

Und dann sind die drei drinnen. Der Eingangsraum ist groß. Links schließt ein langer Flur zu den Zimmern und rechts das Treppenhaus an. Daneben befinden sich zwei Aufzüge. In der Mitte des Raumes steht die Rezeption, an der der Hostelbesitzer Jesper sitzt, um die neuen Gäste persönlich in Empfang zu nehmen. Es ist nur gut, dass Matthäus, Cordula und Karl sich so beeilt haben, denn noch ist es hier sehr leer. So müssen sich die drei nicht lange anstellen und sind bald an der Reihe.

„Herzlich Willkommen im Hostel!“, begrüßt Jesper die drei Kollegen freundlich.

„Guten Tag“, erwidern Matthäus und Cordula. Karl nickt nur kurz. Matthäus nennt seinen Namen und stellt dem Hostelbesitzer seine beiden Kollegen vor. Dann holt er die Reservierungsunterlagen aus seinem Koffer heraus und legt sie auf die Theke.

„Sie haben drei Einzelzimmer im Erdgeschoss“, erklärt Jesper und reicht Matthäus die Zimmerschlüssel. Doch noch bevor dieser die Schlüssel ergreifen kann, hat Karl sie sich schon weggeschnappt. Mit großem Missfallen hat er natürlich mitbekommen, dass er und seine Kollegen lediglich Zimmer im Erdgeschoss und nicht – wie zuvor von ihm gewünscht – im obersten Stockwerk erhalten. Nun will Karl zumindest von ihren Zimmern das schönste für sich reservieren. Schnell ergreift er sein Gepäck und eilt nach links den Gang entlang.

„Was hat Karl denn jetzt schon wieder?“, fragt Matthäus Cordula kopfschüttelnd.

„Ich weiß es nicht“, muss diese gestehen.

„Na, vielleicht muss er aufs Klo“, überlegt Matthäus laut und wendet sich wieder dem Hostelbesitzer Jesper zu. Dieser legt drei Formulare, die Matthäus, Cordula und Karl noch ausfüllen müssen, auf die Theke.

„Ich glaube, ich fülle besser das für Karl auch noch aus. Zum einen ist er ja gerade nicht hier und zum anderen wäre Karl vermutlich etwas überfordert damit“, meint Matthäus.

„Das ist aber nett von dir“, findet Cordula.

Während Cordula und Matthäus ihre Formulare ausfüllen, rennt Karl eilig über den Gang, auf dem sich beidseitig zahlreiche Türen aneinanderreihen. Die drei Kollegen haben die Schlüssel für die Zimmer mit den Nummern 5, 6 und 7 bekommen. Schnell schließt Karl jede der drei Türen auf und wirft hastig einen Blick in die dahinterliegenden Räume. Diese sind denkbar klein. Der Großteil der Zimmer wird von je einem sehr schmalen Bett mit weißen Bezügen und einem schwarzen Eisengestell ausgefüllt. Hinter dem Bett steht jeweils ein kleiner blauer Hocker, der sich sowohl als Sitz als auch als Nachttisch verwenden lässt. Auf der anderen Seite des Bettes hängt an der Wand ein winziges Waschbecken mit einem schmutzigen Spiegel darüber. Hingegen fehlen in den Zimmern eine Dusche und eine Toilette. Diese müssen sich Matthäus, Cordula und Karl nämlich mit den anderen Gästen auf dem Gang teilen.

Es gibt auch keinen Kleiderschrank. Stattdessen steht dem Bett gegenüber ein klappriger Kleiderständer mit einigen Bügeln. Daneben ragen ein paar Kleiderhaken aus der Wand. Unter dem Bett befindet sich eine große Schublade, in der man seinen Koffer platzieren soll, denn für diesen ist in den kleinen Räumen beim besten Willen kein Platz mehr. Problematisch ist nur, dass der Abstand zwischen Bett und Wand so eng ist, dass die Schublade nicht ganz zu öffnen ist, ohne dass man zuvor das Bett zur Seite rückt. Dass schon viele Leute zuvor diese Feststellung haben machen müssen, lässt sich an den zahlreichen schwarzen Streifen, die offenbar der Griff der Schublade an der weißen Wand unterhalb des Waschbeckens hinterlassen hat, erkennen. Im Übrigen haben die Zimmer auch keine Fenster. An der Decke befindet sich lediglich eine Lüftung, die für etwas Frischluft sorgt, im Gegenzug aber sehr laut surrt.

Nacheinander schreitet Karl die drei Räume ab. Da die Zimmer jedoch alle gleich aussehen, entscheidet er sich schließlich deshalb für das Zimmer mit der Nummer 7, weil die Zahl 7 seine Lieblingszahl ist. Außerdem befindet sich direkt gegenüber das Etagenklo. Karl betritt den Raum und wirft seinen Koffer und seinen schweren Rucksack achtlos auf den Boden. Dann geht er wieder nach draußen auf den Gang. Soeben kommen Matthäus und Cordula um die Ecke. Matthäus stellt seinen Koffer ab und stürmt auf seinen Kollegen zu.

„Was sollte das denn jetzt? Warum bist du so schnell und ohne jede Vorankündigung mit all unseren Zimmerschlüsseln abgehauen? Wir sind gerade erst hier angekommen und schon machst du uns peinlich. Die Leute hinter uns haben schon vorwurfsvoll den Kopf geschüttelt, als du so unvermittelt weggelaufen bist“, fragt und tadelt er Karl missbilligend. Diesem fällt zunächst keine passende Antwort ein. Seine wahren Beweggründe möchte er natürlich nicht preisgeben – deshalb erst recht nicht, weil ohnehin alle Zimmer gleich aussehen und Matthäus ihn aufgrund dieser Tatsache bestimmt herzlich auslachen würde.

„Ich, ich wollte, also, ich habe mir gedacht, dass …“, stammelt Karl los. Doch dann hat er eine Idee: „Ich wollte nur nachsehen, ob unsere Zimmer sauber sind und ob die Betten gemacht sind. Ansonsten hätte ich mich sofort über die Missstände beschweren können“, erklärt er überzeugend und freut sich über seine gute Ausrede.

„Das war echt klasse von dir!“, jubelt Cordula begeistert. „Ein sehr guter Gedanke“, fügt sie hinzu. Matthäus hingegen ist nicht recht überzeugt, begnügt sich aber dennoch mit Karls Antwort. Er hat bereits seinen Koffer wieder an sich genommen und schreitet nun auf die Zimmertür des Zimmers mit der Nummer 5 zu. Schnell läuft Karl ihm hinterher und reicht seinem Kollegen beflissen den zugehörigen Schlüssel.

Nachdem Karl auch Cordula ihren Schlüssel gegeben hat, verschwinden die drei zunächst in ihren Zimmern. Karl blickt sich noch einmal in dem spärlich eingerichteten und sehr überschaubar kleinen Raum um. Hier wird er wohl die nächsten fünf Tage leben müssen. Er überlegt, ob er seinen Koffer ausräumen soll, entscheidet sich aber dagegen. Zum einen ist Karl einfach zu faul dafür, zum anderen wüsste er nicht, wohin er seine Sachen räumen sollte. Schließlich gibt es keinen Kleiderschrank. Deshalb ist Karl hier eigentlich schon fertig und verlässt den Raum. Er geht zu Cordulas Zimmer und klopft an die nur angelehnte Tür.

„Herein!“, ruft Cordula und Karl tritt ein. Cordula ist gerade damit beschäftigt, einige Kleidungsstücke aus ihrem Koffer zu räumen, um sie in der Schublade unter dem Bett zu verstauen. Dabei hat sie ein Problem: Die Schublade lässt sich nämlich nicht öffnen.

„Die Schublade klemmt. Kannst du mir mal helfen?“, bittet sie deshalb Karl, dem es mit etwas Feingefühl tatsächlich gelingt, die Schublade – soweit das aufgrund des Platzmangels im Zimmer möglich ist – zu öffnen. Cordula ist sehr froh und bedankt sich bei ihrem Kollegen.

„Wann sollen wir denn von hier losgehen, Karl?“, fragt sie ihn. Das weiß Karl natürlich auch nicht.

„Da musst du mal Matthäus fragen“, gibt er ihr deshalb zur Antwort. Da Cordula noch mit ihrem Koffer beschäftigt ist, beauftragt sie Karl, sich bei Matthäus zu erkundigen.

Gehorsam verlässt ihr Kollege den Raum und geht zu Matthäus' Zimmer. Weil er auf sein Klopfen hin keine Antwort bekommt, geht er einfach hinein, denn auch Matthäus' Tür ist nur angelehnt. Matthäus sitzt gerade auf der Bettkante und hält in der einen Hand ein kleines Heft, das in jedem Zimmer ausliegt und in dem einige Verhaltensregeln und sonstige wichtige Informationen zum Leben im Hostel stehen. In der anderen Hand hält Matthäus ein dänisches Wörterbuch, das er extra für diese Reise erworben hat – insbesondere natürlich, um sich an der einen oder anderen Stelle wichtigmachen zu können, wenn er der Einzige ist, der über dänische Sprachkenntnisse verfügt. Das Heft mit den Verhaltensregeln ist nämlich ausschließlich auf Dänisch verfasst, aber Matthäus möchte mit seinem Ehrgeiz trotzdem versuchen, sich den Inhalt eigenständig zu erschließen. So erfährt er zum Beispiel, wo sich die Feuerlöscher befinden oder dass das Frühstück morgens um halb acht im großen Gemeinschaftsraum im ersten Obergeschoss beginnt oder dass man sich doch bitte in den Zimmern möglichst leise verhalten, dort keinen Müll hinterlassen soll und das Zimmer vor der Abreise noch einer umfangreichen Reinigung zu unterziehen hat. Er blickt gar nicht auf, als sein Kollege hereintritt.

„Cordula lässt fragen, wann wir von hier losgehen“, berichtet Karl Matthäus. Dieser sieht noch immer nicht auf.

„Sobald ich hier fertig bin“, erwidert er beiläufig und beachtet Karl nicht weiter. Dieser überlegt, ob diese Information Cordula als Antwort wohl genügt, entschließt sich dann aber doch zu einer Nachfrage.

„Und wann soll das sein?“, erkundigt er sich weiter.

„Was weiß ich? Aber eine halbe Stunde brauche ich bestimmt noch“, entgegnet Matthäus und blickt hoch zu Karl. „Immerhin ist es auch in deinem Interesse, wenn ich mich mit den Gepflogenheiten im Hostel vertraut mache. Du willst dich ja wohl hier nicht daneben benehmen. Und außer mir ist ja ganz offensichtlich keiner von euch dazu in der Lage, den Inhalt dieser Broschüre zu verstehen“, fügt er hinzu und wendet sich wieder dem Heft zu.

Karl verlässt den Raum und geht zu Cordula, um ihr die Neuigkeiten zu überbringen. Seine Kollegin ist ganz froh darüber, dass die drei noch eine Weile im Hostel verbleiben werden. Der Akku ihres Fotoapparats ist nämlich fast leer und sie muss ihn dringend aufladen. Nur leider hat sie diesbezüglich ein weiteres Problem: Sie findet die Steckdose nicht.

„Kannst du mir vielleicht sagen, Karl, wo sich hier eine Steckdose befindet?“, fragt sie ihren Kollegen. Doch dieser hat leider auch keinen blassen Schimmer. Oberflächlich sucht er die Wände ab. Da er aber nichts findet, zuckt er nur ratlos mit den Schultern.

„Da musst du mal Matthäus fragen“, erwidert er. Da Cordula ihn bittet, auch das zu übernehmen, verlässt Karl erneut folgsam das Zimmer, klopft bei Matthäus an und betritt dessen Raum. Matthäus sitzt immer noch auf der Bettkante, liest in dem Heft und blättert dazu in seinem Wörterbuch.

„Cordula lässt fragen, wo hier im Raum eine Steckdose ist“, richtet Karl seinem Kollegen Cordulas Frage aus. Glücklicherweise hat Matthäus genau das gerade eben in der Broschüre nachgelesen und kann deshalb weiterhelfen. Ohne aufzublicken erklärt er Karl in kurzen Worten, dass die Steckdose unterhalb des Waschbeckens zu finden sei. Mit dieser Information geht Karl zurück zu Cordulas Zimmer und zeigt seiner erleichterten Kollegin die Steckdose.

In dem Moment ruft Matthäus Karl herbei. Artig verlässt dieser Cordulas Zimmer und geht zu seinem Kollegen. Matthäus hat das Heft mittlerweile durchgearbeitet und versucht gerade, seinen schwarzen Lederkoffer in der Schublade unter dem Bett zu verstauen. Nur leider ist der Koffer zu groß, als dass er in die – aufgrund des Platzmangels nicht ganz zu öffnende – Schublade hineinpasste. Deshalb fordert Matthäus seinen Kollegen auf, ihm dabei zu helfen, das Bett so zu verrücken, dass sich die Schublade ganz öffnen lässt. Mit vereinten Kräften schieben die beiden das Bett zur Seite. Das hat zwar tatsächlich zur Folge, dass sich die Schublade nun weit genug öffnen lässt. Aber dafür zeigt sich auf dem Boden, wo eben noch das Bett stand, eine derart dicke und fiese Staubschicht, dass Matthäus angewidert zurückschreckt und niest.

„Pfui, das ist ja ekelhaft!“, findet er und rümpft die Nase. „Karl, du hast doch vorhin berichtet, du hättest die Sauberkeit der Zimmer bereits einer umfassenden Inspektion unterzogen. Besonders gründlich kannst du dabei nicht vorgegangen sein, wenn dir sogar dieser widerliche Unflat durch die Lappen gegangen ist. Auf dich ist wirklich kein Verlass! Nun rücke zumindest deine Nachlässigkeit zurecht und melde dieses Übel an der Rezeption! Die sollen unverzüglich jemanden vorbeischicken, der hier mal ordentlich sauber macht“, weist Matthäus seinen Kollegen an.

Folgsam verlässt Karl das Zimmer und geht in Richtung der Rezeption, um sich dort in Matthäus' Namen zu beschweren. Doch leider ist es hier derzeit so voll, dass sich Karl kein Gehör verschaffen kann. So marschiert er erfolglos zurück. Gerade möchte er sich in Matthäus' Zimmer begeben, um seinem Kollegen hiervon Mitteilung zu machen, als Cordula aus dem Nachbarzimmer ruft: „Karl, kommst du mal eben?“

Also lässt Karl von Matthäus' Tür ab und geht wieder einmal zu Cordula herüber. Diese ist immer noch damit zugange, ihre Habseligkeiten in ihrem Zimmer unterzubringen, musste dabei aber feststellen, dass an dem Kleiderständer die Bügel fehlen. Deshalb fragt sie Karl, ob dieser ihr wohl von seinen Bügeln welche zur Verfügung stellen würde. Dazu ist Karl natürlich gerne bereit, zumal er sowieso vorhat, die folgenden Tage aus Koffer und Rucksack zu leben, und deshalb selbst gar keine Bügel benötigt. Also geht er gutwillig zu seinem Zimmer, um von dort seine eigenen sieben Bügel zu holen. Gerade hat er sie ergriffen, da stürmt Matthäus aufgebracht in den Raum.

„Karl, was machst du denn da?“, beschwert sich dieser. „Ich habe dich doch soeben freundlichst gebeten, für mich zur Rezeption zu gehen und da mal ordentlich Dampf zu machen, damit die jemanden vorbeischicken, der mein Zimmer gründlich reinigt. Aber nein, du gehst einfach tatenlos zurück in dein Zimmer. Also, ich muss schon sagen: Du bist wirklich sehr ungefällig. Da habe ich mir mehr von dir erhofft.“

Karl versucht gerade, zu einer Erklärung anzusetzen, da hören er und Matthäus aus Cordulas Zimmer ein lautes Gerumpel. Schnell laufen sie zu ihrer Kollegin herüber. Cordula ist versehentlich gegen den Kleiderständer gestoßen und dieser ist krachend in sich zusammengefallen. Während Karl sich freundlicherweise sogleich bemüht, den Kleiderständer zusammen mit Cordula wieder aufzubauen, eilt Matthäus jetzt selbst zur Rezeption, um sich dort zu beschweren. Er drängelt sich einfach vor die wartende Menge und erklärt sein Anliegen. Da momentan niemand zur Verfügung steht, der sich der Verschmutzung annehmen könnte, reicht der Hostelbesitzer Jesper dem verdutzten Matthäus einfach einen Staubsauger, damit dieser die Verunreinigung selber beseitigen kann.

Leise vor sich hin motzend und das Gesicht verziehend nimmt Matthäus den Staubsauger entgegen und geht zurück zu seinem Zimmer. Leider muss er dort feststellen, dass seine Steckdose nicht funktionstüchtig ist. Also geht er in das Zimmer von Cordula, die gerade gemeinsam mit Karl den Wiederaufbau des Kleiderständers erfolgreich beendet hat. Da allerdings die Steckdose in Cordulas Zimmer durch ihren Fotoapparat blockiert ist, bietet Karl seinem Kollegen die Steckdose in seinem Zimmer an. Zum Glück ist das Staubsaugerkabel lang genug. Nach seiner Saugaktion stellt Matthäus den Staubsauger einfach in Karls Zimmer ab, da ihm der Weg zur Rezeption zu weit ist. Karl, der zeitgleich den Raum betritt, stört sich daran nicht. Während sein Kollege auf den Flur eilt und die Tür schwungvoll zuwirft, zieht sich Karl die Schuhe aus und legt sich aufs Bett. Wer weiß, wann Matthäus endlich mit allem fertig ist? Der ganze Trubel hat Karl sehr ermüdet. Er gähnt und einen Moment später ist er mal wieder eingeschlafen.

Matthäus, Cordula und Karl sind natürlich nicht die Einzigen, die sich das Reiseschnäppchen ins Hostel nicht entgehen lassen konnten. Und so kommen neben dem Bus unserer drei Kollegen noch zwei weitere aus verschiedenen Teilen Deutschlands und sogar einer aus Großbritannien an diesem Vormittag in Kopenhagen am Hostel an. Der Bus mit Matthäus, Cordula und Karl war der erste, der hier heute eingetroffen ist. Da sich die drei auf Matthäus' Drängen so beeilt hatten, kamen sie ja sehr zügig an der Rezeption an und konnten schnell einchecken. Den meisten anderen Gästen wird dieses Glück leider nicht zuteil, denn die Schlange an Wartenden wird immer länger und reicht schon längst bis weit auf die Straße hinaus.

In der Schlange steht Konrad. Er war zwar mit demselben Bus gefahren wie unsere drei Kollegen, hat sich allerdings wesentlich weniger beeilt als diese. Matthäus war er schon auf dem Rastplatz kurz vor der Fährüberfahrt nach Dänemark als ein wenig sonderbar aufgefallen. Konrad ist ein überaus zerstreuter Geschäftsmann. Schon wieder starrt er konzentriert und ununterbrochen auf seinen Laptop, den er fast immer mit sich trägt. Für ihn ist dies der erste Urlaub seit über zwanzig Jahren. Für Konrad nämlich gibt es nichts Wichtigeres als die Arbeit an seinem Computer. Jahr für Jahr arbeitete er Tag und Nacht daran und hat nicht einen einzigen Tag Urlaub genommen. Seine ständige Arbeit hatte aber leider zur Folge, dass er mit der Zeit zunehmend weltentfremdet, exzentrisch und idealistisch geworden ist. Daher hat sein Arbeitgeber ihm diese Reise nach Kopenhagen zwangsweise zur Erholung verordnet. Nur fällt es Konrad auch hier in Kopenhagen sehr schwer, sich von seiner Arbeit zu lösen. Und so merkt er gar nicht, wie vor ihm mehr und mehr Leute einchecken und er schließlich an der Reihe ist.

„Der Nächste bitte“, ruft Jesper und Konrad blickt überrascht auf. Geistesabwesend geht er nach vorne zur Rezeption und nennt seinen Namen. Jesper reicht Konrad einen Schlüssel für sein reserviertes Mehrbettzimmer im siebten Obergeschoss und legt ihm noch ein Formular zum Ausfüllen vor.

Hinter Konrad in der Schlange steht eine andere eigenartige Gestalt – und zwar Aidin, ein Schotte mit Schottenrock, der immerzu auf seinem Dudelsack spielt. Auch jetzt. Konrad fühlt sich furchtbar gestört. Als er schließlich mit dem Ausfüllen des Formulars fertig ist, begibt sich Konrad eilig zum Treppenhaus und Aidin kommt dran.

„Hello, my name ist Aidin. Ich komme aus Scotland. Ich habe reserved ein Bett in einem room für sechs people“, sagt er in schottischem Akzent und spielt eine kurze Melodie auf seinem Dudelsack. „This is ein Dudelsack“, erklärt er wissend.

Hinter Aidin amüsiert sich jemand prächtig – und das ist Seppel. Seppel kommt aus Bayern, trägt eine Lederhose und einen traditionell bayrischen Filzhut mit einer Feder. Er grinst Aidin, der sich überrascht umdreht, freundlich an.

„Very pleased“, sagt Aidin, deutet eine höfliche Verbeugung an, lässt sich dann von Jesper einen Schlüssel aushändigen und macht sich auf den Weg in Richtung Aufzug. Nun kann Seppel einchecken.

„Servus, i bin da Seppl! Hobt ihr a Woassbia fia mi?“, fragt er den Hostelbesitzer in seinem bayrischen Dialekt. Jesper zuckt nur fragend mit den Schultern. Er hat nichts verstanden. Er spricht zwar gut Deutsch, da viele seiner Gäste aus Deutschland kommen, aber eben kein Bayrisch. Grinsend nimmt Seppel seinen Schlüssel entgegen und steuert den Aufzug an.

Als Nächster steht der britische Guard Sheldon mit roter Uniform und einer hohen schwarzen Bärenfellmütze auf dem Kopf in der Schlange. Das erste Mal in seinem Leben wurde er von der Queen persönlich in den Urlaub geschickt. Mit strenger Miene tritt er vor und nennt seinen Namen. Man reicht ihm den Schlüssel und auch Sheldon marschiert zum Fahrstuhl. Weitere Gäste folgen.

Wie es der Zufall will, stehen genau diese vier, also Konrad, Aidin, Seppel und Sheldon, etwa zehn Minuten später zusammen mit zwei anderen Personen – Werner und Ansgar – auf dem Gang im siebten Obergeschoss vor einer Zimmertür. Alle sechs haben nämlich je ein Bett in einem Mehrbettzimmer reserviert und werden sich für die nächsten Tage ein Sechsbettzimmer teilen. Werner schließt die Tür auf. Das Mehrbettzimmer ist – ebenso wie die Einzelzimmer im Erdgeschoss – ziemlich klein und sehr spartanisch eingerichtet. Drei Hochbetten mit Eisengestellen stehen eng nebeneinander. Unter den unteren Matratzen befinden sich jeweils zwei große Schubladen. Auf der einen Seite ist eine breite Fensterfront, auf der anderen Seite befinden sich das kleine Badezimmer sowie die Eingangstür, durch die die sechs nun ihr Zimmer betreten. Schnell hat sich jeder ein Bett reserviert: Aidin, Sheldon und Konrad schlafen jeweils auf einer der unteren Matratzen, Ansgar, Seppel und Werner erhalten jeder eines der oberen Betten. Aidin nimmt seinen dicken Lederkoffer und sucht nach einem Kleiderschrank.

„Has anybody seen einen Kleiderschrank?“, fragt er in die Runde.

„Nee, hob i ned, aba macht nichts“, antwortet Seppel. Er trägt sowieso immerzu dieselbe Lederhose und hat als Gepäck nur einen kleinen Rucksack dabei. Sheldon entdeckt als Erster die großen Schubladen unter den Betten, in die man seine Koffer legen soll. Nachdem Aidin den seinigen in einer Schublade verstaut hat, nimmt er seinen Dudelsack zur Hand und beginnt darauf zu spielen. Sheldon setzt sich auf einen Stuhl und kämmt feinsäuberlich seine schwarze Bärenfellmütze. Ansgar blickt aus dem Fenster, Seppel isst eine mitgebrachte Brezel und Werner macht einen Pups. Und Konrad? Konrad hat sich auf der Bettkante niedergelassen, ist in ein Computerprogramm vertieft und versucht, sich sowohl die Nase als auch die Ohren zuzuhalten. Aber das funktioniert gar nicht gut.

Karl in Kopenhagen

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