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Zweiter Tag Frühstück
ОглавлениеDer nächste Tag beginnt. Es ist der 26. Dezember, der zweite Weihnachtstag. Karl wacht früh am Morgen auf. Er hat trotz der harten Matratze sehr gut geschlafen und von seiner Begegnung mit dem Dänischen Protestschwein geträumt. Er blickt auf seine Armbanduhr, die neben seinem Bett auf dem blauen Hocker liegt: Es ist kurz vor sieben Uhr früh. Karl setzt sich auf die Bettkante, streckt sich einmal ordentlich und gähnt herzhaft. Normalerweise wacht Karl so früh morgens noch nicht auf. Er genießt die Ruhe und Stille im Hostel.
Doch ganz so ruhig und friedlich wie hier bei Karl ist es nicht überall im Hostel. Von seiner Position im Erdgeschoss kann Karl nicht hören, was sich zur gleichen Zeit in der siebten Etage abspielt: Karl ist nämlich nicht der Erste, der an diesem Morgen im Hostel aufgewacht ist. Nein, Aidin ist ein echter Frühaufsteher. Es ist erst halb sechs Uhr morgens, als er bereits aufsteht. Alle anderen in dem Mehrbettzimmer liegen noch schlummernd in ihren Betten. Normalerweise ist es ja selbstverständlich, dass man sich in einem Mehrbettzimmer zu so früher Stunde sehr ruhig verhält, wenn alle anderen noch schlafen. Und gerade Schotten sind obendrein für ihre ausgesprochene Höflichkeit bekannt. Im Grunde genommen ist Aidin sogar ein besonders höflicher Schotte. Das jedoch hält ihn nicht davon ab, aufzustehen, die Schublade unter seinem Bett zu öffnen und seinen Dudelsack hervorzuholen. Mit diesem stellt sich Aidin ans Fenster und fängt an zu spielen – in einer Lautstärke, die die klapprigen Hochbetten vibrieren lässt. Sheldon schreckt sofort auf.
„Quiet please!“, fordert er Aidin auf. Doch dieser zeigt keine Reaktion und spielt ungerührt weiter. Er ist der festen Überzeugung, alle anderen müssten sich über sein frühmorgendliches Musikstück freuen. Aber da irrt er gewaltig.
Auch Seppel, der erst kurz vor drei Uhr nachts nach mehr als vier Litern Weißbier angetrunken zu Bett gegangen ist, beschwert sich prompt: „Mach ned so oan Krach!“
„Ruhe!“, brüllt Werner so laut er kann. Konrad hingegen sagt nichts, verkriecht sich unter seiner Bettdecke und hält sich beide Ohren zu.
„This ist no Krach. This ist Dudelsackmusik“, klärt der gekränkte Aidin die anderen auf und setzt sein Dudelsackspiel fort.
„Aufhören – und zwar sofort!“, ruft Ansgar und schmeißt sogar sein Kissen in Richtung des dudelsackspielenden Aidins. Ans Aufhören denkt dieser zwar nicht, aber immerhin verlässt Aidin nun tief getroffen und aufgrund der Geringschätzung seiner schönen Musik empört dudelsackspielend das Zimmer. Dann läuft er über den Gang, um auch die anderen Gäste auf dieser Etage mit seiner morgendlichen Musik zu beglücken.
Die ganze Etage erwacht und der ein oder andere Gast stürmt eilig aus seinem Zimmer, um sich aufgebracht bei Aidin über die Lärmbelästigung zu beschweren. Aber dieser spielt unbekümmert weiter. Er kann überhaupt nicht nachvollziehen, dass es Menschen gibt, die sich an seiner melodiösen Dudelsackmusik stören. Denn Aidin ist einer der besten Dudelsackspieler von ganz Schottland. Und das ist nicht bloß seine eigene Meinung. Nein, bei den alljährlichen Highland Games von Fort Adair bei ihm zu Hause begeistert und überwältigt Aidin Jahr für Jahr ein großes Publikum und seine Leistung wird regelmäßig mit dem ersten Preis gekürt. Die Leute hier im Hostel müssten sich doch freuen und ihm sehr dankbar sein, dass er sie schon in den frühen Morgenstunden mit seiner wohlklingenden Musik erheitert. Schließlich ist so ein schönes Dudelsackkonzert die perfekte Basis für einen guten Start in den Tag. Deshalb gelingt es auch niemandem, Aidin zum Aufhören zu bewegen. Den Leuten bleibt nichts anderes übrig, als unverrichteter Dinge in ihre Zimmer zurückzukehren und sich die Ohren zuzuhalten.
Glücklicherweise haben unsere drei Kollegen ihre Zimmer im Erdgeschoss und bekommen so von dem Gedudel im siebten Stock zunächst gar nichts mit. Dafür hat Karl unterdessen ein ganz anderes Problem: Er hat zwar ein Einzelzimmer, doch die Toilette muss er sich mit den anderen Gästen auf dem Gang teilen. Als er jedoch die Toilette im Erdgeschoss, die sich direkt seinem eigenen Zimmer gegenüber befindet, aufsuchen möchte, ist der Klempner Snorre gerade damit beschäftigt, mithilfe eines Pömpels3 eine Verstopfung des Klos zu beheben. Daher steht dieses aktuell nicht zur allgemeinen Benutzung zur Verfügung. Karl ärgert sich maßlos, denn auf dieser Etage gibt es nur das eine Klo. Ungewohnt energisch beschwert er sich bei Snorre für die Störung. Man hätte doch die Verstopfung nachts beheben können, dann wäre man jetzt fertig, meint er. Und er, Karl, hätte laut Reiseunterlagen ein Recht auf die Toilettenbenutzung hier. Und Snorre solle sich gefälligst etwas mit der Arbeit beeilen.
Doch Snorre lässt sich von Karls Geschimpfe nicht beeindrucken. Er ist in ganz Kopenhagen dafür verantwortlich, Verstopfungen in sämtlichen öffentlichen und privaten Toiletten mithilfe seines Pömpels zu beheben. Und er erledigt diese Aufgabe ziemlich gut und gewissenhaft. Nur braucht er eben eine Weile. Nörgelnde und tadelnde Toilettenbesucher ist er schon lange gewöhnt und lässt sich von solchen nicht aus der Ruhe bringen.
„Gedulden Sie sich bitte noch ein wenig“, entgegnet Snorre Karls Vorwürfen höflich. „Immerhin mache ich meine Arbeit auch in Ihrem eigenen Interesse. Schließlich ist eine einwandfreie Toilette nur zu Ihrem Vorteil“, fügt er hinzu und arbeitet unbeirrt weiter.
Gerade als Karl den Klempner Snorre weiter zurechtweisen möchte, kommen Cordula und kurz darauf der verschlafene und herzhaft gähnende Matthäus hinzu. Doch auch auf ihr Drängen hin kann Snorre nicht schneller arbeiten. Vielleicht hätte unter normalen Umständen die Autorität von Matthäus mitsamt seiner mahnenden Worte ausgereicht, den geruhsamen Snorre zur Beeilung anzutreiben. Aber Matthäus, dem immer wieder vor Übermüdung die Augen zufallen, hält sich bedeckt. Seine außerordentliche Müdigkeit lässt sich zum einen durch den hohen Alkoholkonsum am Vorabend, insbesondere aber durch seinen Zimmernachbarn im Zimmer mit der Nummer 4 erklären. Denn Matthäus hat das große Pech, dass dieser zurzeit erkältet ist. Die ganze Nacht lang schallte sein permanentes Schnarchen durch die ausgesprochen dünnen Wände in Matthäus' Zimmer und beraubte diesen seiner wohlverdienten Nachtruhe. Karl hat schon großes Glück, dass er bei ihrer Ankunft ein anderes Zimmer gewählt hatte.
Letztlich werden Matthäus, Cordula und Karl dazu genötigt, Toiletten auf anderen Etagen aufzusuchen. Karl beschließt, mit dem Aufzug in die siebte Etage zu fahren, um möglichst weit weg von dem Klempner Snorre zu sein. Er weiß ja noch nicht, dass hier oben Aidin nach wie vor damit zugange ist, mit seiner lauten Dudelsackmusik die ganze Etage gegen sich aufzubringen. Und so kommt es, dass genau in dem Moment, in dem sich die Fahrstuhltür im siebten Obergeschoss öffnet und Karl auf den Gang tritt, Aidin dudelsackspielend am Aufzug vorbeimarschiert. Eigentlich hört Karl Aidins Dudelsackmusik ja ganz gerne, nur heute Morgen, wo er schon so genervt ist, ärgert ihn die laute Musik. Vorwurfsvoll schüttelt er den Kopf.
Und da passiert etwas Erstaunliches: Aidin hört tatsächlich auf. Allen bisherigen Vorwürfen und Tadeln zum Trotz hat Aidin weitergespielt und jetzt, wo Karl einmal den Kopf schüttelt, beendet er seine Dudelsackmusik umgehend. Anerkennend nickt Karl Aidin zu, geht zufrieden über den Flur und hält nach einer Toilette Ausschau. Was Karl allerdings nicht wissen kann, ist, dass Aidin seine Dudelsackmusik keinesfalls wegen des Kopfschüttelns beendete, sondern aus dem schlichten Grund, dass er jetzt frühstücken möchte. Es ist nämlich genau halb acht, also offizieller Beginn der Frühstückszeit. Aus diesem Grund fährt Aidin mit dem Aufzug nach unten zum Gemeinschaftsraum, in dem das Frühstück stattfindet.
Wenige Minuten später begibt sich auch Karl auf den Weg dorthin. Guter Dinge, da er ja bekanntlich sehr gerne isst, malt sich Karl schon aus, welche Leckereien das Frühstücksbuffet wohl hergeben mag. Als er erwartungsvoll den Gemeinschaftsraum betritt, sind seine beiden Kollegen noch nicht da – dafür aber zahlreiche andere Gäste. Obwohl die Frühstückszeit gerade erst begonnen hat, ist der Raum schon jetzt maßlos überfüllt. Dutzende sitzen an den Tischen und nehmen bereits ihr Frühstück zu sich, ebenso viele bedienen sich am Buffet und wieder genauso viele stehen an der Bar an, um sich hier ein Tablett aushändigen zu lassen. Denn erst wer ein Tablett hat, das man nur durch Vorzeigen seines Zimmerschlüssels an der Bar überreicht bekommt, darf sich am Frühstücksbuffet bedienen. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass tatsächlich nur Gäste des Hostels ein Frühstück erhalten. Also stellt sich Karl hier zuerst an und wartet ungeduldig. Als er einige Minuten später sein Tablett erhält, entdeckt er seine Kollegin Cordula, die sich gerade hinten in die Schlange einreiht.
‚Na, dann kann es ja losgehen‘, denkt sich Karl voller Vorfreude und wendet sich der Schlange am Frühstücksbuffet zu. Doch nach der ersten Freude folgt die Ernüchterung.
‚Das Buffet ist aber mickrig‘, muss Karl desillusioniert feststellen. Tatsächlich ist die Auswahl doch sehr beschränkt.
Bevor sich Karl weiter der kargen Buffettafel widmen kann, entdeckt er Matthäus, der eben den Frühstücksraum betritt. Dieser musste sich noch aufwendig die Haare stylen und hat deshalb etwas länger als seine Kollegen gebraucht. Matthäus blickt sich kurz im Raum um, dann steuert er schnurstracks auf Karl zu, stellt sich neben ihn in die Schlange und versucht, sich auf diese Weise vorzudrängeln. Aber das will Karl nicht mitmachen.
„Du brauchst zuerst ein Tablett“, erläutert er seinem Kollegen deshalb wissend und deutet mit ausgestrecktem Arm auf die erste Schlange, in der auch Cordula wartend steht und die mittlerweile noch viel länger geworden ist. „Erst danach darfst du dich hier anstellen und dich am Buffet bedienen.“
Entsetzt blickt Matthäus auf die Schlange der Wartenden.
„Beeil dich besser. Ich halt dir auch 'nen Platz frei“, bietet Karl nicht ohne Schadenfreude an. Ihn freut es, dass er endlich einmal Matthäus belehren konnte. Sonst ist es ja immer andersherum.
„Lass mir aber ja noch was übrig!“, verlangt Matthäus von Karl, begibt sich leise motzend und fluchend zum Ende der anderen Schlange und wartet dort auf sein Tablett. Er bereut es längst, sich von Cordula zu dieser Reise überredet haben zu lassen.
Bald erreicht Karl am Frühstücksbuffet den Getränkeautomaten. Er verlangt nach Orangensaft, muss aber enttäuscht feststellen, dass dieser bereits aufgebraucht ist. Dies liegt darin begründet, dass die entsprechende Taste am Automaten in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich eingeschränkt ist. Drückt man nämlich auf den Knopf, so bleibt dieser auch dann weiter eingedrückt, wenn man ihn wieder loslässt. Der Orangensaft strömt daher so lange ungehemmt heraus, bis er komplett aufgebraucht ist. Dieser Umstand erklärt auch die große, klebrige Pfütze vor dem Automaten, in der Karl gerade mittendrin steht. Als er das merkt, geht Karl rasch ein paar Schritte weiter. Da sich ihm die Funktionsweise des Kaffeeautomaten nicht erschließt, begnügt sich Karl damit, sich heißes Wasser einzuschenken und einen Teebeutel mitzunehmen. Dann erreicht er den Korb mit den Brötchen. Unglücklicherweise hat sich Aidin, der direkt vor Karl in der Schlange steht, gerade das letzte Brötchen gesichert.
‚So ein Mist‘, denkt sich Karl, während Aidin entzückt „What a wonderful breakfast!“ ruft, als er seine Lieblingsorangenmarmelade entdeckt und sich von dieser die letzte Packung nimmt. Da Karl sich nicht traut, auf neue Brötchen zu warten und damit den gesamten Verkehr aufzuhalten, geht er schnell weiter. Er bedient sich an einer Schüssel mit Joghurt und Dosenobst und greift sich zuletzt noch einen leicht angefaulten Apfel aus der nun leeren Obstschale.
Damit ist die Buffettafel bereits zu Ende und Karl sucht sich enttäuscht einen Sitzplatz. Er hat Glück: Gerade ist ein Stuhl an einem Tisch unmittelbar gegenüber des Buffets freigeworden. Karl wählt diesen Platz, setzt sich hin und fängt an zu essen. Amüsiert sieht er zu, wie die Schlangen immer länger werden und sich die Leute am Buffet drängen. Insbesondere hat er Spaß zu beobachten, wie Matthäus gerade an der Bar steht und um ein Tablett bettelt. Karls Kollege scheint nämlich Schwierigkeiten zu haben, seinen Zimmerschlüssel zu finden, und, ohne dass der Zimmerschlüssel vorgezeigt wird, gibt es kein Tablett. Dass Matthäus seinen Schlüssel nicht finden kann, hat den schlichten Grund, dass er diesen – verschlafen wie er war – in seinem Zimmer hat liegen lassen. Stattdessen hat er absurderweise seinen schwarzen Regenschirm zum Frühstück mitgenommen. Im Übrigen hat Matthäus auch sein dänisches Wörterbuch bei sich im Zimmer vergessen, was die Kommunikation erheblich erschwert.
Schließlich ruft er durch den ganzen Raum Karl herbei, um sich von diesem bestätigen zu lassen, dass er tatsächlich Gast im Hostel ist. Artig steht Karl von seinem Platz auf und tritt zu Matthäus an die Bar. So gelingt es diesem doch noch, den Mitarbeiter, der die Tabletts aushändigt, zu überzeugen, auch ihm eines zu geben. Anschließend marschiert Karl zurück zu seinem Tisch, um sich wieder seinem spärlichen Frühstück zu widmen. Verdrießlich muss er feststellen, dass ihm jemand während seiner kurzen Abwesenheit auch noch den Apfel vom Teller gestohlen hat. Einen Tisch weiter sitzen Aidin, der sich gerade sein Brötchen mit Orangenmarmelade bestreicht, und Sheldon und unterhalten sich darüber, wie gut man hier doch essen kann.
„You eat very well here”, findet Sheldon. Aidin nickt zustimmend und schlürft genüsslich seinen Tee. Auch Karl nimmt seine Teetasse zur Hand und trinkt. Doch die Hälfte des heißen, ekelhaften Gesöffs spuckt er gleich wieder aus, quer über den Tisch und über den gegenüberliegenden Stuhl. Das ist Karl ziemlich peinlich, aber zumindest ist der Gast, der bis vor kurzem auf diesem Stuhl saß, soeben aufgestanden und gegangen. Sonst wäre es für ihn wohl etwas unangenehm geworden.
Kurz nachdem noch ein weiterer Platz am Tisch frei geworden ist, kommt Cordula mit ihrem vollbeladenen Tablett hinzu. Sie hatte Glück, denn der Brötchenkorb war gerade aufgefüllt worden, als sie dort ankam. Gut gelaunt setzt sie sich auf den nun freien Platz neben Karl und beginnt genüsslich zu essen. Karl löffelt unterdessen missgestimmt sein Dosenobst. Wenig später kommt Matthäus hinzu. Genau wie Karl hatte auch er das Pech, dass der Brötchenkorb wieder leer war, als er diesen erreichte. So schnell ging das. Und vor lauter Wut hat sich Matthäus seinen ganzen Teller voll mit Käsescheiben geladen, denn etwas anderes gab das Buffet nicht mehr her. Angewidert blickt er auf die Teepfützen auf dem Tisch und dem freien Stuhl Karl gegenüber. Suchend sieht sich Matthäus nach einem anderen freien Platz in der Nähe um, findet aber keinen. Deshalb greift er sich ein paar Servietten aus einem Spender auf dem Tisch und beginnt notgedrungen damit, den Tee auf dem Stuhl und dem Tisch wegzuwischen. Als er damit fertig ist, deckt er noch den nun trockenen Stuhl mit weiteren Servietten ab, setzt sich vorsichtig hin und beginnt, an den Käsescheiben zu nagen. Aber diese scheinen ihm nicht recht zu schmecken. Auch Karl ist alles andere als begeistert von seinem Frühstück. Nur Cordula ist bester Stimmung. Sie hat sich nämlich gleich fünf Brötchen auf den Teller geladen, die sie inzwischen mit Wurst und Käse belegt beziehungsweise mit Marmelade und Honig bestrichen hat, und gibt ihren dankbar lächelnden Kollegen jeweils ein Brötchen ab. Die freuen sich und essen. Cordula blickt aus dem Fenster.
„Seht mal, die Sonne scheint. Was haltet ihr zwei davon, wenn wir heute mit dem Bus zum Wikingermuseum nach Roskilde fahren?“, schlägt sie ihren Kollegen vor.
„Och nee“, entfährt es Karl. „Bleiben wir doch lieber im Hostel, setzen uns hier gemütlich hin, spielen nochmal Skat, essen mittags Burger in der Bude und spielen weiter Skat bis zum Abend. Nicht jetzt so weit weg fahren“, meint er. Auch Matthäus ist von Cordulas Idee wenig erbaut.
„Heute ist der zweite Weihnachtstag. Da fährt man doch nicht ins Wikingermuseum“, findet er. „Fahren wir doch lieber morgen hin und bleiben heute in Kopenhagen, gehen zum Weihnachtsmarkt, trinken Glühwein und probieren einige dänische Spezialitäten.“
Cordula ist natürlich alles andere als angetan von der ablehnenden Haltung ihrer Kollegen.
„Also Karl und Matthäus, ihr solltet euch schämen, alle beide! Jetzt sind wir einmal im Leben in Kopenhagen und ich für meinen Teil habe kein Interesse, unsere kostbare Zeit durch sinnloses Nichtstun zu vergeuden. Und heute ist das Wetter so schön. Wer weiß, wie das wieder morgen aussieht? Und bedenkt: Das Wikingermuseum liegt direkt am Fjord. Da ist es landschaftlich gewiss sehr reizvoll und man kann tolle Fotos schießen. Außerdem erwarten uns dort fünf alte Wikingerschiffswracks, eine Bootswerft und viele Informationen über die Seefahrt und das aufregende Leben der Wikinger. Diesem kulturellen Vergnügen könnt ihr euch doch nun wirklich nicht sperren wollen!“, schimpft Cordula.
Gerne hätte Karl erwidert, dass er das geplante Unternehmen nicht als kulturelles Vergnügen, sondern vielmehr als bloße Zeitverschwendung ansehe und weder heute noch an jedem anderen Tag nach Roskilde in dieses Museum fahren wolle. Nur traut er sich das natürlich nicht. Wobei, da offenbar auch Matthäus mit Cordulas Idee nicht allzu viel anzufangen weiß, würde er sich dies vielleicht doch trauen. Karls wahrer Grund, seiner Kollegin kein weiteres Mal zu widersprechen, ist ein ganz anderer: Er hat nämlich nach wie vor Hunger und Cordula hat auf ihrem Tablett noch zwei belegte Brötchen liegen. Vielleicht wird sie ihm ja noch eines oder sogar gleich beide abgeben, wenn er ihr jetzt beipflichtet. Also stimmt Karl Cordulas geplanter Unternehmung zu und fragt gleich im selben Satz, ob er wohl noch ein Brötchen haben könne. Da Cordula ohnehin das eine Brötchen, das sie selbst bereits gegessen hat, vollkommen genügt, überlässt sie Karl gleich beide. Dieser freut sich und fängt sofort mit dem Verzehr an. Er wird sich jetzt nicht mehr stören lassen, bis er alles aufgegessen hat.
„So Matthäus, du bist überstimmt. Karl und ich, wir wollen beide heute ins Wikingermuseum fahren. Da wirst du dich wohl oder übel der Mehrheit beugen müssen. So läuft das nun einmal. Also fahren wir dann gleich“, bestimmt Cordula in einem Ton, der keinen weiteren Widerspruch duldet.
Matthäus ist sprachlos. Er selbst hätte auch gerne noch ein Brötchen bekommen. Und natürlich hat er, Matthäus, im Gegensatz zu Cordula Karls wahre Motivation sofort erkannt. Argwöhnisch und auch etwas neidisch blickt er zu seinem Kollegen, der zufrieden und genüsslich die beiden Brötchen verspeist. Dennoch fallen Matthäus im Moment keine schlagenden Argumente mehr ein, das geplante Unternehmen zu vereiteln. Also fügt er sich seinem Schicksal und isst weiter von seinen Käsescheiben.
Es ist ohnehin auch aus ganz anderen Gründen gut, dass die drei heute fahren und sich den Ausflug nicht für morgen vorbehalten. Denn, wie sich noch zeigen wird, haben die drei, insbesondere aber Karl, für morgen ein ganz anderes Programm.