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Die Macht des Lichtes
ОглавлениеTobias Müller
In diesem Selbstporträt von Tobias Müller, unserem ersten Stipendiaten an der Fotoakademie-Koeln, können Sie viele der noch zu besprechenden Gestaltungsaspekte wiederfinden. Die Hauptlichtquelle, ein großer Reflektorschirm, beleuchtet die räuberische Szene im sogenannten Rembrandtlicht, was eine gewisse dramatisch-dynamische Stimmung erzeugt. Der Schirm ist so aufgestellt, dass sein Widerschein auf der Tapete ein deutliches Glanzlicht erzeugt, das den Blick auf die diebischen Hände im Bild lenkt. Dabei ist das Glanzlicht so »transparent« gestaltet, dass die Farbigkeit der dunklen Wand nicht leidet. Nebenbei wird zugleich die Materialbeschaffenheit, also die feine Struktur der Tapete, im Bild herrlich modelliert. Dasselbe gilt auch für die Falten in Hemd und Hose.
Das Licht sorgt aber nicht nur für eine gute Strukturwiedergabe, sondern auch noch für eine dreidimensionale Wirkung. Es ist so positioniert, dass der Bilderrahmen durch seine Schattenbildung auf der Wand deutlich erkennbar in den Händen des Diebes liegt. Durch die Schattenbildung wird auch erkennbar, wie Tobias und die Vase deutlich vor der Wand stehen, sich so vom Hintergrund lösen und dem Bild eine räumliche Tiefe verleihen. Nebenbei sind die Plastizität im Gesicht und die Rundung der Vase herrlich durch Schattenverläufe herausgearbeitet. Damit die Schatten nicht zu dunkel wiedergegeben werden, ist das Hauptlicht durch eine weitere kleine Lichtquelle, knapp unterhalb der optischen Achse positioniert, aufgehellt. Betrachten Sie den Schatten von Tobias auf der Wand. In der Höhe des Kopfes ist der Schatten viel heller als auf Höhe des Knies, wodurch der Blick des Betrachters vom Bildrand weg in die hellere Bildmitte geführt wird. Die aufhellende Lampe ist mit ihrem »Hotspot« auf das Gesicht von Tobias gerichtet und durch deren schmalen Abstrahlwinkel ergibt sich der Helligkeitsverlauf der Schatten.
Wenn Sie das Bild genau analysieren, werden Sie feststellen, dass die Vase auf ihrer linken Seite eine zusätzliche Aufhellung der Schatten von links her erhält, die auf dem Modell aber nicht wirksam wird. Der äußerste Rand der Vase ist durch die »Zangenaufhellung« aus unmittelbarer Nähe von einer dritten Lichtquelle erfasst. Da das Modell viel weiter von dieser Lichtquelle entfernt ist, sorgt der sogenannte Verlaufskontrast dafür, dass das Modell selbst davon unberührt bleibt.
Dieter Faustmann
In den Bildern von Dieter Faustmann können Sie die metaphorische Kraft des Lichtes erkennen. Sein Erstrahlen im Spiegel in einem ansonsten dunklen Raum hat etwas Magisches und zugleich Bedrohliches. Der »Weg ins Licht« wird auch in Horrorfilmen gerne als Licht im Spiegel dargestellt. Der leere Stuhl erweckt zunächst Assoziationen der Vergänglichkeit. Gleichzeitig erklärt das Bild das Licht als wenig himmlisch und der Stuhl bekommt etwas sehr Makaberes, wenn Sie die Schreibtischlampe entdecken, die das spiegelnde Licht erzeugt … eine Verhörsituation? Beim zweiten Bild muss ich unweigerlich an Motten denken, die das Licht umschwirren. Zugleich legt die Kombination aus Licht und Engeln eine völlig andere Lesart nahe, bei der das Licht etwas Heiliges hat. Dieter spielt in diesen Bildern stark mit unterschiedlichen Assoziationsfeldern, in denen Licht als Motiv kulturell fest verankert ist, und deutet sie geschickt und spannungsreich um.
Tobias Müller – »Die Bedeutung der Fotografie«
In diesem Bild illustriert Tobias Müller die Bedeutung der Fotografie aus seiner persönlichen Sicht. Durch die Akzentsetzung mit Licht auf Brust und Stirn versucht er, den Betrachter das Bild so lesen zu lassen, dass erst durch das Licht Verstand und Herz wieder zu einer Einheit werden. Eine schöne Metapher für die Fotografie …
Dana Stölzgen – »Magische Orte«
Dana Stölzgen verwendet in ihren »Magischen Orten« das Licht, um den Locations Leben einzuhauchen. In der ersten Aufnahme wirkt die Lampe wie ein Theaterspot, nur dass die Akteure die Bühne bereits verlassen haben. In der zweiten Aufnahme stehen die beiden Lampen da wie ein altes Ehepaar, das eventuell früher einmal zu Gast in dieser Kneipe war. Das Licht der Lampen verkörpert einen Großteil des Charakters dieses alten Paares. Die Verlassenheit des Ortes wird in der dritten Aufnahme gleich auf mehreren Ebenen versinnbildlicht. Die Schirme stehen da wie ein vergessenes Pärchen, wodurch das Thema des zweiten Bildes wieder aufgegriffen wird. Auch hier ist ein Schirm etwas größer als der andere, so wie bei den Lampen. Und es sieht so aus, als würde der eine Schirm den Weg in Richtung Licht antreten, welches im Hintergrund zur Tür hereinscheint. Auch hier wird das Licht wieder als Metapher für einen (zukünftigen) Weg oder den Abschied genutzt. Geschickt greift der Stuhl im Vordergrund die Stühle des ersten Bildes auf und vereint die Bilder zu einer kleinen Geschichte des Hinfortgehens.
Kathrin Kolbow – »Albträume«
In »Albträume« von Kathrin Kolbow wird das »Verrückte« nicht zuletzt durch das Licht untermalt. Es kommt als Seitenlicht von links und rechts, zudem auch noch als Gegenlicht. Es sind also gleich drei Hauptlichtquellen eingesetzt. Eine natürlich wirkende Beleuchtung erhalten Sie mit einer solch »wüsten« Ausleuchtung nicht. Diese Ausleuchtung entstammt eher einem Theater. Hier erzeugt Kathrin eine sehr surreale und passend zu den Albträumen geheimnisvolle Wirkung.
Horst Mumper
In diesen Szenen, Ausschnitten aus einer Kurzgeschichte, untermalt Horst Mumper die emotionalen Zustände seiner Protagonisten durch eine entsprechende Lichtführung. In dem Bild mit Barbie in der Kutsche setzt er ein sehr klassisches hochfrontales Licht mit einer großen Lichtquelle und kombiniert diese mit einer Aufhellung durch Verlängerung. So erhält er ein sehr strahlendes, sonniges Licht. In diesem Fall sorgt eher die Farbgebung für den traumhaften, surrealen Effekt. Im zweiten Bild kombiniert Horst Mumper passend zur bedrohlichen Figur des Hulk ein eher düsteres Seitenlicht. Gleichzeitig erscheint Barbie jetzt, der Dramatik der Szene entsprechend, im Rembrandtlicht.
Rolf Franke
Die Bilder von Rolf Franke wirken oft sehr filmisch. Er fotografiert gerne auf sehr komplex aufgebauten Filmsets, die die in diesem Buch vorgestellte »Nasentheorie« verwenden, um natürliches Licht nachzuahmen. Tatsächlich wird das »Fensterlicht« in dieser morgendlichen Szene durch Filmscheinwerfer und das (in Kapitel 3 vorgestellte) »Multilight« erzeugt.
Maya Claussen
Maya Claussen nutzt die Lichttheorie für diese Bilder, die in einem strikten Reportageansatz erstellt wurden, um das vorhandene Licht vor Ort bewusster zu sehen und dessen Bildwirkung bereits in der Situation zu erkennen. So kann sie einen idealen Standpunkt für ihre Aufnahmen finden. Das hochfrontale Licht der ersten Aufnahme fällt durch ein Dachfenster. Es wirkt so, als würde die Frau auf einer Bühne stehen. Erst das Erkennen dieser Lichtsituation macht das Motiv für die Fotografin überhaupt interessant – dagegen nicht, dass diese Frau Milch umgießt. Ebenso verleiht das dramatische Seitenlicht auf den Lehrer in der Schulklasse dem Bild einen Großteil seiner erzählerischen Kraft. Schulen Sie Ihre Wahrnehmung und üben Sie im Studio, auch wenn Sie später vor Ort und in Reportagesettings arbeiten möchten. So können Sie den richtigen Moment abpassen. Und dieser Moment ist oft erst durch das richtige Licht gegeben. Weshalb Sie lernen sollten, es zu erkennen.
Maya Claussen
Maya Claussen nutzt die Lichttheorie auch für Interieurs, wie dieses Beispiel zeigt. Jedes Objekt hat ein »Gesicht« und lässt sich daher genau wie ein solches lichtgestalterisch behandeln. Das Bettzeug erhält Seitenlicht, genau wie die Wand auf der rechten Seite. Das Buch im Vordergrund ist so gedreht, dass es Rembrandtlicht auf der kurzen Seite erhält.
Vildan
Im Stillleben von Vildan können Sie feststellen, dass die Frucht und das Haar jeweils in ein stark durch Verlängerung aufgehelltes hochfrontales Licht getaucht sind. Dabei verwendet die Fotografin das Licht eines Fensters als Hauptlichtquelle. All diese Begriffe und Zusammenhänge erscheinen Ihnen jetzt eventuell noch sehr rätselhaft, doch dafür halten Sie ja dieses Buch nun in Händen: um das Licht sehen und im wahrsten Sinne des Wortes begreifen zu lernen.