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1.2 Die lange und die kurze Seite des Modells

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Bei einem nicht frontal in die Kamera blickenden Modell wird die eine Seite des Gesichts länger und die andere kürzer im Bild erscheinen, gemessen von der Nasenspitze bis zum linken bzw. rechten Gesichtsrand. Stehen Sie vor einem Modell, so sehen Sie immer die lange Seite des Modells. Die von Ihnen abgewandte Seite ist immer schmal beziehungsweise kurz. Es ist unmöglich, so vor einem Modell zu stehen, dass Sie direkt in dessen »kurze Seite« schauen!

Gehen Sie um ein Modell herum, so wird die Ihnen zugewandte Seite immer lang sein. Die zunächst noch kurz erscheinende, also abgewandte Seite wird in dem Moment lang erscheinen, wenn Sie die »Nasenlinie« des Modells überschritten haben. Diese »Nasenlinie« verläuft von der Nase aus in die Richtung, wohin die Nase zeigt. Überschreitet der Fotograf diese Nasenlinie, wechseln die kurze und die lange Seite im Gesicht des Modells ihre Position. Die Angabe »kurze Seite« oder »lange Seite« ist immer von der Kamera aus gesehen zu verstehen, also so, wie sie sich vom jeweiligen Standpunkt aus im Bild darstellt.

Die einzige Ausnahme von dieser Regel ergibt sich, wenn Sie genau mittig vor einem Modell stehen, also direkt frontal vor dessen Nase genau auf der gedachten Nasenlinie, da dann beide Seiten des Gesichts exakt gleich lang im Bild erscheinen. Nur in diesem Sonderfall gibt es keine lange bzw. kurze Seite.


Abbildung 1–4

Gesichter zeigen dem Betrachter, von der Nase aus gemessen, eine lange und eine kurze Seite.

In Hinblick auf die Plastizität im Bild ist es nicht unerheblich, auf welcher Seite Sie eine Lichtquelle platzieren. Licht, das Sie auf der »kurzen Seite« (linkes Beispiel in Abbildung 1–5) auf ein Modell fallen lassen, erzeugt mehr Plastizität als auf der »langen Seite« (rechtes Beispiel).

Gesichter erscheinen besonders plastisch modelliert, wenn das Licht auf die »kurze Seite« fällt.


Abbildung 1–5

Die Beleuchtung von der kurzen Seite erzeugt eine deutliche Plastizität, während eine Beleuchtung von der langen Seite das Gesicht eher flächig erscheinen lässt.

Von der Kamera aus gesehen, sind bei Beleuchtung von der kurzen Seite die Schattenpartien immer auf der kamerazugewandten, längeren Gesichtshälfte sichtbar. Erst dahinter, in größerem Abstand zur Kamera, folgen die erleuchteten Gesichtspartien auf der abgewandten Seite. Bei Beleuchtung von der langen Seite aus weichen die Schatten nach hinten (von der Kamera aus gesehen) zurück. Somit wird nur die kleinere und zudem weiter entfernte Gesichtspartie von den für die plastische Bildwirkung so wichtigen Schatten erfasst. Oder um es mit einem alten Fotografen-Merksatz zu formulieren: »In einem Foto sollten einem die Schatten entgegenkommen.« Zumindest als erster Anhaltspunkt ist dieser Merksatz recht gut brauchbar.

Wir werden diesen Merksatz im Weiteren noch deutlich detaillierter hinterfragen müssen. Er ist nur eine erste grobe Stütze, von der viele Fotografen bewusst abweichen. Irving Penn, ein Großmeister des klassischen Porträts, nutzt das Licht zum Beispiel fast immer auf der langen Seite seiner Modelle und erhält dennoch sehr plastisches Licht. Ähnlich ging es bisweilen in der niederländischen Malerei des Barock und einigen anderen Stilrichtungen zu, wo das Licht oft auf der langen Seite des Modells zu finden ist. Es gibt eben neben der Plastizität noch viele andere Aspekte, die bei der Ausleuchtung eines Modells berücksichtigt werden sollten. Zum Beispiel wirkt ein Gesicht mit Licht auf der kurzen Seite deutlich schlanker als eines mit Licht auf der langen Seite. Dadurch ist es zum Beispiel möglich, bei stark asymmetrischen Gesichtern die größere Gesichtshälfte in den Schatten zu legen, wodurch diese kleiner und das Gesicht insgesamt wieder symmetrischer erscheint.

Beim Porträt eines Modells, das direkt in die Kamera blickt, sind beide Seiten gleich lang. Für die Plastizität der Ausleuchtung ist es in diesem Fall egal, auf welche Seite das Licht fällt.

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