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1.4 Weitere Richtungen im Bild

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Mit der oberen Bildhälfte ist das Gute, das Leichte und Luftige, das Göttliche, das Transzendente, das Starke und Mächtige, aber auch das Ungreifbare und Unerreichbare verknüpft. Die Gestaltungslehre für den normalen Bildaufbau lehrt, dass ein eher oben im Bild platzierter Akzent, also ein Bildelement, das den Blick des Betrachters stark auf sich zieht, die entsprechende Wirkung beim Betrachter auslösen kann. Auch Licht aus dieser Richtung kann die Wirkung weiter unterstützen. Das Bild wirkt dann oft leicht, fröhlich und strahlend wie im linken Beispiel in Abbildung 1–8. Ein heller Bildhintergrund könnte die Wirkung in dieser Richtung weiter steigern, genau wie das gezeigte Gegenlicht, das ich noch ausführlich besprechen werde.


Abbildung 1–8

Die Richtung, aus der eine Lichtquelle eingesetzt wird, entscheidet über die emotionale Grundstimmung in einem Bild.

Die untere Bildhälfte weckt eher Assoziationen mit dem Schweren, Erdigen, dem Negativen, Melancholischen, Depressiven oder dem Teuflischen. Aber nicht nur die Platzierung von Akzenten in diesen Bildbereichen erzeugt derartige Bildwirkungen. Licht von unten hat ebenfalls etwas Dämonisches, wie wir alle als Kind mit der Taschenlampe unter dem Kinn feststellen konnten und wie auch das mittlere Beispiel in Abbildung 1–8 zeigt. Der dunkle Bildhintergrund unterstützt diese Stimmung weiter.

Exkurs

In den Edgar-Wallace-Filmen wird gerne Klaus Kinski mit Unterlicht als Wahnsinniger dargestellt. Der Effekt ist sehr dramatisch bis theatralisch, wenn in einem ansonsten dunklen Wald Kinski plötzlich mit einem starken Unterlicht beleuchtet wird, dessen Ursprung aber ein Rätsel bleibt. Schauen Sie mal auf YouTube unter »Die Gruft mit dem Rätselschloss« oder scannen Sie den nebenstehenden QR-Code.


In »The Shining« verfällt Jack Nicholson als Jack Torrance langsam dem Wahnsinn. In den Szenen, wo er in der Bar mit einem Barmann spricht, der nur in seiner psychotischen Fantasie vorhanden ist, wird das Unterlicht eingesetzt, um diesen Wahn auch über die Lichtgestaltung zum Ausdruck zu bringen. Die Wirkung ist sehr subtil, da Stanley Kubrick für diesen Zweck die Bar selbst als Beleuchtungskörper umgebaut hat, die das Unterlicht durch ihre einfache Anwesenheit im Bild »erklärt«. Zudem wird die Szene durch die Flächenleuchten der Bar aufgehellt, wodurch die Schatten des Unterlichtes weit weniger dramatisch ausfallen als etwa bei den Edgar-Wallace-Filmen. Suchen Sie auf YouTube nach »The Shining – Bar Scene« oder verwenden Sie den nebenstehenden QR-Code.


Die Mitte des Bildes assoziieren wir gerne mit Statik oder Ruhe bzw. mit einer eher nüchternen Feststellung von Tatsachen oder einfach mit dem Hier und Jetzt, also der realen Gegenwart. Fotos mit einem mittigen Akzent werden oftmals wie »Feststellungen« gelesen. »Das ist der Eiffelturm«, »das ist mein Auto«, »das ist meine Familie beim Camping« etc. sind oft gehörte Sätze beim Betrachten von Bildern mit mittig platzierten Akzenten. Auch Licht aus der Nähe der optischen Achse, also von der Mitte aus, kann diese »PassfotoWirkung« entfalten, wie das rechte Beispiel in Abbildung 1–8 zeigt. Gerne nutzte etwa die Modefotografie der 90er-Jahre Licht aus der optischen Achse, um den oftmals wenig lebensnahen Inszenierungen mit Topmodels einen realistischen »Live-Look« mitzugeben.


Abbildung 1–9

Licht aus unterschiedlichen Richtungen eingesetzt, erzeugt Bilder mit verschiedenen Grundstimmungen. Die jeweilige Wirkung kann dann weiter gestützt werden durch eine entsprechende Platzierung von bildwichtigen Akzenten in derselben Bildrichtung.

Wird ein Bildakzent an einer bestimmten Stelle im Bild platziert, stellt sich fast immer die Bildaussage oder Bildwirkung gemäß oben stehender »Landkarte der Akzentwirkungen« ein. Licht, das aus der entsprechenden Richtung auf das Motiv fällt, löst beim Betrachter eine ähnliche Wirkung aus. Weitere Gestaltungselemente wie Linienführung, Flächenaufteilung oder auch verwendete Farben entfalten jedes für sich ebenfalls bestimmte Bildwirkungen. Verwenden Sie die einzelnen Gestaltungselemente in entsprechender Weise, also so, dass sie eine ähnliche Wirkung entfalten, können diese sich gegenseitig verstärken und so dem Bild die gewünschte Aussage mitgeben.

Die Lichtrichtung bestimmt die Grundaussage oder Grundstimmung, die das Bild erhält, und kann durch die klassische Bildgestaltung unterstützt werden.

Der Einfluss der klassischen Bildgestaltung auf die Bildwirkung wird in diesem Buch dennoch eine eher untergeordnete Rolle spielen. Im Vordergrund soll vor allem die Lichtgestaltung mit ihrer Wirkung stehen.

Exkurs

In etlichen impressionistischen Gemälden von Claude Monet und Édouard Manet wird die Schwere der Feldarbeit von Bauern dadurch ausgedrückt, dass die Personen sehr weit unten im Bild dargestellt sind. Auch Vincent van Gogh oder Jean-François Millet haben dieses Thema in sehr ähnlicher Weise dargestellt.

Meist wird die Aussage durch einen dunklen braunen Acker als Hintergrund unterstützt, der häufig auch noch im Halbschatten liegt. Zudem wird der Horizont oberhalb der Köpfe platziert, wodurch die Bauern »heruntergedrückt« erscheinen. Als Kontrast dazu dient ein oft strahlender Himmel im oberen Bilddrittel. Das von weit oben ins Bild kommende Licht soll die Heilsversprechung des Göttlichen darstellen. Die Bauern sind zusätzlich oft betend dargestellt. So wird das göttliche Licht als Kontrast zur dunklen Farbpalette, der Position der gedrückten Hauptakzente, und zur demütigen Haltung der Abgebildeten genutzt, um die Schwere der Feldarbeit darzustellen.

Gestalten mit Licht und Schatten

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