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Richtungsabhängige Lichtwirkung

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Horst Mumper

In diesem Bild spielt Horst Mumper mit unserem kollektiven Gedächtnis. Er zitiert Fotos von Hanns Martin Schleyer, die 1977 im »Deutschen Herbst« durch die Medien gingen. Das Licht ist wie in den Originalen frontal eingesetzt. Die Bilder wirken dadurch wie Belege. Die Entführer wollten sagen: »Wir haben Herrn Schleyer und er lebt.« Ich vermute, dass diese Aufnahmen nur aufgrund ihrer unfreiwillig perfekt passenden Gestaltung zu Bildern des kollektiven Gedächtnisses wurden. Auf ironische Weise entlarvt Horst Mumper den »selbst gestrickten Charakter« dieser Ursprungsbilder und macht den Zynismus dieser Entführungsinszenierung sowie ihrer Ausschlachtung durch die Medien schmerzhaft spürbar.


Uwe Müller

Uwe Müllers Version vom »Mädchen mit dem Perlenohrring« greift eine der ursprünglichen Ideen Jan Vermeers auf. Vermeers Bilder öffnen ein Fenster in die Vergangenheit, die im Bild weiter lebendig erscheint. Der Künstler vermochte es, dem Betrachter dieses Gefühl der Anwesenheit in einem bereits lange vergangenen und dennoch im Bild weiter andauernden Moment in beklemmender Weise zu vermitteln. Seine Bilder scheinen die Zeit angehalten zu haben. Das Mädchen taucht aus dem Dunkel des Bildhintergrundes auf, indem das Licht sie von links, aus der Vergangenheit, zum Strahlen bringt. Der überraschte Moment ist wie in der Bewegung festgehalten. Das Mädchen wendet sich vom Licht der Vergangenheit ab und dem Betrachter, der Jetztzeit, mit einem flüchtigen Blick zu. In der Renaissance ist dieses Spiel mit der Vergänglichkeit und dem Festhalten des Momentes für die Ewigkeit – und somit für einen Betrachter, der erst in späteren Jahrhunderten geboren wird – häufig wiederzufinden. Als Hauptlicht für dieses Bild ist ein hochfrontales Licht aus großer Lichtquelle eingesetzt, das maximal plastisch nach der Verlängerungsmethode schwach aufgehellt wurde. Die Aufheller hatten einen leicht grünlichen Anstrich, sodass die Schattenpartien diesen Farbton angenommen haben und einen alternden Firnis nachahmen.


Britta Strohschen

Britta Strohschens Version des berühmten Gemäldes »Der Mann mit dem Goldhelm« weicht stark vom Original ab. Und dabei beziehe ich mich nicht nur auf die eigenwillig witzige motivische Umsetzung. Wie im Original wird der Mann vom Licht aus der Vergangenheit, also von links, beleuchtet, während der Körper ein Voranschreiten in die Zukunft vermittelt. Der Blick ist aber in die Bildmitte, auf den Betrachter und auf die Jetztzeit gerichtet. Diese Version erweckt das Gefühl, dass der Mann aus der Vergangenheit in unserer Gegenwart angekommen ist. Der edle Goldhelm ist einer schnöden Frisurvorbereitung gewichen. Ist der Mann des Goldenen Zeitalters in der profanen Gegenwart angekommen? Im Original weist der Blick des Mannes nach rechts unten, wo eine dunkle Zukunft zu vermuten ist. Auch die Grauwerte erscheinen im Original deutlich dunkler. Der Mann taucht dort nur sehr schwach aus dem Dunkel des Bildhintergrundes auf. Das Original vermittelt eher den Eindruck, dass der Mann mit dem Goldhelm aus einer strahlenden Vergangenheit, die bereits an Leuchtkraft verloren hat, in eine dunkle Zukunft geht. Diese Sichtweise wird dadurch unterstrichen, dass bereits zur Zeit der Entstehung im späten 17. Jahrhundert der Helm, der aus dem späten 16. Jahrhundert stammt, als Relikt einer früheren goldenen Zeit galt. Auch die starke Abwärtsdiagonale in die rechte untere Bildecke verstärkt diesen Eindruck. Das Original ist durch ein Rembrandtlicht geprägt, das sehr steil eingesetzt wurde. Dadurch liegen ein Auge und der Mundwinkel bereits im Schatten. Taucht der Mann genau wie das Goldene Zeitalter im Schatten der Zeit ab? In der modernen Version hat Britta Strohschen den Schatten durch leichte Aufhellung nach der Verlängerungsmethode über die Ochsenschnur hinaus weit weniger dramatisch gestaltet und das Abtauchen so zu einem Auftauchen in unserer Zeit uminterpretiert.



Dieter Faustmann

Dieter Faustmann spielt in diesem Auszug aus einer Serie mit Symbolen und Metaphern unserer Kultur. Jesus, der Sohn eines Zimmermanns, hält uns ein Stoppschild aus einem Zollstock entgegen: Jesus als schmuddeliges Schlüsselkind im Büßerhemd. Das bedrohliche Seitenlicht, aus der Zukunft einfallend, lässt nichts Gutes für das Kommende erahnen. Die plastizitätsfreie Aufhellung und die schmuddeligen Grauwerte sowie die Flecken auf dem Negativ unterstützen diesen irritierenden Eindruck ebenso wie der schwarze »Trauerrand«. Auch die Geste der Wandlung wird in neuem Kontext gezeigt: Die Hostie ist einem schnöden kleinen Verpackungskarton gewichen. Das Seitenlicht zerschneidet das Gesicht fast mittig und lässt das zweite Auge im tiefen Schatten untergehen. Die Zangenaufhellung vermittelt einen zwielichtigen Eindruck. Die Zerrissenheit wird durch die dezente dunkle Mittellinie im Bild weiter unterstrichen.


Raffaele Horstmann

Raffaele Horstmann setzt sich in diesem Bild, ein Auszug aus einer größeren Serie, mit der Rolle der katholischen Kirche in der Geschichte auseinander. Das Unterlicht spricht dabei eine sehr diabolische Sprache. Dies wird durch die dunklen Grauwerte weiter unterstützt. Das Licht kommt von einer Softbox, die sehr nah am Modell positioniert wurde. Sie ist, ähnlich einem »Tablett«, direkt vor der Brust platziert, leuchtet senkrecht nach oben und erfasst die tieferliegende Bauchpartie nur noch mit ihren Randstrahlen, wodurch diese bereits im Schatten liegt. So wurde das magische »Aus-dem-Dunkel-Auftauchen« erzeugt. Damit die der Softbox abgewandten Schultern und die Stirn des Modells nicht in einem kompletten Schwarz untergehen, wurde sehr dezent nach der Kompromissmethode aufgehellt. Hierzu wurde eine Styroporplatte knapp oberhalb der Kamera senkrecht vor das Modell gehalten, die das Licht der Softbox in diese Bereiche reflektierte.


Maya Claussen

Nicht weniger schmerzhaft wirkt das »Tableau vivant« von Maya Clausen, das ein Gemälde von Frida Kahlo zum Ursprung hat. Das frontale Licht leuchtet das Modell völlig schattenfrei aus. Es zeigt gnadenlos den makellosen Körper, der durch eine geplante Operation weiter perfektioniert werden soll. Der Hintergrund wirkt nicht wie ein Operationssaal, sondern wie ein Gefängnis, in dem die Unglückliche gefangen ist. Das Licht ähnelt den Belegfotos der »Vorher-Nachher-Fotos« bei solchen Operationen. Es stammt in diesem Fall von einem »Multilight« mit ca. zwei Meter Durchmesser und ist direkt hinter der Fotografin aufgebaut – ein Licht, das auch gerne für echte Modefotografie verwendet wird.


Konstantin Nemerov

In diesem Modefoto von Konstantin Nemerov wird das Licht wieder sehr knapp oberhalb der optischen Achse und ein wenig nach links versetzt eingesetzt. Zur Aufhellung der ohnehin sehr schmalen Schlagschatten ist eine Softbox unterhalb der optischen Achse verwendet. Geschickt setzt Konstantin Nemerov hier die Farbgestaltung und die dynamische Linienführung als Kontrast ein, um das ansonsten zu flächige, sachliche Licht aus der Bildmitte heraus mit Leben zu füllen.

Gestalten mit Licht und Schatten

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