Читать книгу Lykanta - Oliver Speier - Страница 4
2 Platz für die Neuen
ОглавлениеDer stechende Geruch von Pisse war das Erste, was mir beim Erwachen in die Nase drang. Die nasse Strumpfhose und der nicht minder nasse Rock, welche beide kalt und klebrig an meinen Beinen anlagen, ließen keinen Zweifel daran, dass ich der Verursacher dieses Gestankes war. Das eben Erlebte trat mir wieder vor Augen und mit einem Aufschrei fuhr ich hoch. Ein Gurt, der sich von meiner Schulter, quer über meinen Brustkorb in Richtung Becken schlang, warf mich zurück in meine sitzende Position. Als ich mich hektisch umblickte, wurde mir bewusst, dass ich in einem Auto saß und der Gurt mich eben davor bewahrt hatte, in meiner Panik durch die Frontscheibe zu springen. Die Szene im Park schoss mir durch den Kopf und mit einem zittrigen Aufseufzen wurde mir klar, dass ich wohl geträumt hatte. Blieb nur die Frage zu klären. Wem hatte ich ins Auto gepinkelt? Mit schamrotem Kopf drehte ich mich zum Fahrer. Meine Röte wandelte sich schlagartig in fahle Blässe. Fassungslos starrte ich auf die Frau aus dem Park, also hatte ich doch nicht geträumt.
Als ich sie so anstarrte, warf sie mir einen kurzen Blick zu, ehe sie nach einer Zigarettenpackung griff und sich eine Zigarette heraus angelte. Nachdem diese entzündet war, bot sie auch mir eine an. Ich schüttelte den Kopf, woraufhin sie schweigend weiterfuhr, ganz so, als wäre nichts Besonderes geschehen. Ich nahm sie genauer in Augenschein. Sie war schlank und hatte eins dieser Gesichter, die Frauen wie mich in die Verzweiflung stürzten. Schmal, klassisch, die Haare schwarz, dicht und etwas über schulterlang. Nur die Klamotten passten nicht so recht ins Erscheinungsbild. Statt Pariser Chic gehörten ihre eher in die Pfadfinderecke. Zudem hingen sie in Fetzen an ihr herunter. Im Gegenlicht der vorbeifahrenden Autos, sah ich immer wieder dunkle Flecken aufblitzen, die verdächtig nach Blut aussahen.
So unauffällig wie möglich, hob ich meine Hand an meinen Hals und begann daran zu fühlen. Fast sofort spürte ich die Bisswunde.
" Du hast mich gebissen! ", hörte ich mich atemlos flüstern, um den Satz danach nochmals lauter zu wiederholen. " Du hast mich verdammt nochmal gebissen! " Ich klappte die Sonnenblende vor mir herunter und betrachtete die Wunden im Spiegel. Wie in einem billigen B-Movie prangte dort die Bissspur und auch sonst bot ich ein verheerendes Bild. Der Mascara war verlaufen und die Schminke wild übers Gesicht verschmiert. Meine Nase und Oberlippe waren blutig und verschwollen, Blut war mir übers Kinn gelaufen und angetrocknet. Meine Haare hingen mir wirr um den Kopf und es waren Blätter und Dreck darin. Scheiße, dabei hatte ich erst vor zwei Tagen stolze 90 Euro beim Frisör für die neue Dauerwelle hingeblättert. Als mir bewusst wurde, über was ich mich gerade aufregte, verfiel ich in hysterisches Gekicher.
Meine Fahrerin drehte den Kopf zu mir und meinte trocken. " Eben dachte ich noch du flippst gleich aus, aber du scheinst es ja recht locker zu nehmen, was da vorhin passiert ist. "
Ansatzlos verstummte ich. In was war ich hier bloß hineingeraten. Mein Mund fühlte sich wund und trocken an. Als ich mit meiner Zunge meine Lippen befeuchten wollte, kam ich dabei an meinen linken oberen Eckzahn und spürte wie er gefährlich in meinem Mund wackelte. Ich blickte in den Spiegel und drückte mit der Zunge leicht gegen ihn. Er kippte einfach aus meinem Mund und fiel in meinen Schoss. Entsetzt starrte ich auf die Zahnlücke. Ich tastete hektisch nach meinem Zahn und als ich ihn fand, streckte ich ihn in Richtung meiner Fahrerin. " Mein Zahn ist ausgefallen! ", quäkte ich mit erschreckend schriller Stimme.
Alles was ich als Reaktion bekam, war ein kurzer Blick darauf und den Satz. " Ja das ist normal, der macht Platz für die Neuen. "
" Für die Neuen? " Bei meiner Frage musste ich sie recht dämlich angeschaut haben. Sie zog die Lippen nach hinten und zeigte mir ihre Fangzähne, die strahlend weiß und verdammt gefährlich aufblitzten. Langsam sank mein Arm in meinen Schoß. Meine Gedanken überschlugen sich bei dem Versuch, das eben Gesagte zu verdauen. Erneut tastete ich mit der Zunge in die Zahnlücke und meinte, schon ein Kratzen zu spüren. Verstohlen blickte ich in den Spiegel. Dort zeigte sich jedoch nur die Lücke, welche mir nun endgültig das Aussehen einer Pennerin verpasste.
" Wieso kann ich mich im Spiegel sehen? ", fragte ich erstaunt und blickte dabei zu meiner Fahrerin.
" Weil du hineinblickst? " Bei ihrer Entgegnung warf sie mir einen ironischen Blick zu. Als sie ihn wieder auf die Straße richtete, glitt ein belustigtes Lächeln über ihr Gesicht. Nach einer kurzen Pause sprach sie erneut. " Warte erst mal, bis du Vampire Pizzas essen siehst. "
" Pizza? ", kam es total verdattert über meine Lippen " Ich dachte, äh, aber du hast mich doch vorhin gebi.." , meine Worte erstarben auf meinen Lippen. Irgendwie brachte ich es nicht über mich das Offensichtliche auszusprechen.
Ihr Lächeln verschwand und als sie mir antwortete, meinte ich sogar einen leicht entschuldigenden Unterton herauszuhören. " Klar, ohne Blut geht es nicht, wobei die Menge sehr stark von deiner Lebensweise abhängt, aber das erkläre ich dir später. Im Endeffekt ändert sich für dich nicht viel in der Ernährung. Im Gegenteil, du kannst sogar fast bedenkenlos sündigen, ohne dass dir die Kalorien auf die Hüfte schlagen. "
Bei ihren Worten legte sich meine Hand schuldbewusst auf mein kleines Bäuchlein, es hatte sich jeder Diät der letzten Jahre widersetzt. Meine unbewusste Bewegung war nicht unbeobachtet geblieben. Ihr Tonfall wurde leicht anzüglich, als sie darauf deutete. " In spätestens fünf Tagen ist der verschwunden, wenn du bis dahin noch lebst. "
" Wenn ich bis dahin noch lebe? ", ich klang recht schrill als ich die Frage heraus quiekte.
Ihr schuldbewusster Blick kehrte zurück und nun war es an ihr nach den richtigen Worten zu suchen. " Wie soll ich beginnen? Es gibt Regeln bei uns die strikt eingehalten werden müssen. Zudem sind Vampire ", hier fixierte sie mich kurz " in der Art ihre Probleme und Streitigkeiten zu regeln, recht aggressiv. Nicht genug damit, da sind auch noch Rauwolf und seine Köter die uns das Leben schwer machen. Oh, und bevor ich es vergesse, in letzter Zeit kommen auch noch die Hunter dazu, die immer öfters ganze Gruppen von uns auslöschen.“ Sie bemerkte meinen schockierten Blick und lächelte mir beruhigend zu.“ Genug gelabert, jetzt schauen wir erst mal, dass wir in den Unterschlupf vor der Stadt kommen, danach sehen wir weiter. "
Als wäre damit alles gesagt, verstummte sie und konzentrierte sich wieder auf den Verkehr. Nur ab und an schnippte sie Asche aus dem Wagenfenster. Ich saß neben ihr und versuchte das eben Gehörte einzuordnen und zu verdauen. Sie hatte den Werwolf erneut Rauwolf genannt, was wohl sein Name war. Sie sah ihn somit als Person und nicht als Tier. Mit dem Begriff Hunter konnte ich momentan nichts genaues anfangen, aber es klang nicht gut. Das alles erinnerte mich an den Film „Underworld“ den ich vor ein paar Jahren im Kino gesehen hatte. Während ich so grübelte, betrachtete ich meine Klamotten. Ich sah aus, als hätte ich zwei Wochen Wildnis hinter mir. Alles war dreckig, die Strumpfhose hatte Laufmaschen und mein rechter Schuh fehlte. Was noch fehlte, war meine Handtasche. Hektisch begann ich im Wageninneren nach ihr zu suchen. Als ob meine unbekannte Fahrerin meine Gedanken lesen konnte sagte sie. " Deinen Schuh und die Handtasche hab ich in den Kofferraum geworfen, also keine Panik. "
Die Vorstellung meine Handtasche verloren zu haben, hatte mich tatsächlich mehr aus der Ruhe gebracht, als unser ganzes bisheriges Gespräch. Männer werden so was wohl nie nachvollziehen können, aber jede Frau wird mir bestätigen, dass eine Handtasche für uns Frauen einfach überlebenswichtig ist.
Ich sank in den Sitz zurück und versuchte meine Lage zu überdenken. Verstohlen blickte ich zu der Frau neben mir. Sie wirkte nicht wie eine blutrünstige Killerin und im Park hatte sie mir ja auch irgendwie geholfen. Also würde sie mich wohl nicht gleich umbringen, wenn ich ihr jetzt ein paar Fragen stellte.
Äh, korrigiere, sie hatte mich ja bereits umgebracht, oder etwa nicht? Ich tastete mit meinen Fingern am Handgelenk nach meinem Puls. Nichts! Gänsehaut überzog schlagartig meinen Körper, doch ehe ich deshalb in Panik geraten konnte, spürte ich ein sanftes Pochen unter meinen Fingern. Mein Gefühl der Erleichterung hielt nicht allzu lange an, denn der Puls kam nur alle paar Sekunden und irgendwie konnte ich ihn kaum ertasten. Als meine Fahrerin zu sprechen begann, zuckte ich erschrocken zusammen, da ich total in meine Beobachtung vertieft gewesen war.
" Sorry wegen der Wandlung, aber ich hab echt Blut gebraucht und zwar leider soviel, dass ich dich entweder wandeln, oder sterben lassen musste. " Ich schaute sie an und fragte ängstlich. " Mein Puls ist kaum noch da, werde ich jetzt eine Untote? "
Sie schüttelte den Kopf. " Nein, Vampire sind keine Untoten, aber je weniger Blut du im Körper hast, desto langsamer schlägt dein Herz. Im Extremfall fällt dein Körper in Stasis, bis er wieder Blut bekommt. "
Dadurch hatte ich ein paar Antworten und noch mehr Fragen erhalten. Meine nächste Frage kam auch prompt. " Wie regle ich das mit meinem Job? Ich kann meinem Chef ja kaum erklären, dass ich ab jetzt nur noch Nachts arbeiten kann? " Kaum war der Satz draußen, war er mir peinlich. Was ich da von mir gab, klang ja recht oberflächlich und snobistisch. Der Job sollte jetzt wohl mein geringstes Problem sein.
Meine Frage schien sie jedoch nicht zu stören, denn sie antwortete ruhig. " Am besten du kündigst so schnell wie möglich. Fürs Geld verdienen gibt es bei uns Arbeit genug. Du solltest auch deine Wohnung aufgeben und den Kontakt zu deiner Familie abbrechen." Sie warf mir einen Blick zu und wirkte recht zerknirscht, als sie weiter sprach. " Hast du Mann und Kinder? " Ich schüttelte den Kopf. Zögerlich meinte sie. " Auch wenn sich das jetzt blöd anhört, das ist gut, erspart viel Schmerz und Ärger.. "
Ich blickte zu ihr. Sie schien nach den richtigen Worten zu suchen. " Was noch? ", fragte ich, um es gleich hinter mich zu bringen. Es musste ja was schlimmeres sein, wenn sie zögerte es mir zu sagen.
" Du wirst keine Kinder mehr bekommen können! ", platzte es aus ihr heraus. Dabei sah sie mich an, als erwartete sie, ich würde bei dem Satz ausflippen. " No Prob. ", kam meine fast schon flapsige Antwort. Grinsend blickte sie mich an. " Na dann ist ja alles bestens. Ich hab sowieso vermutet, dass Kinder nicht auf Platz eins deiner Prioritätenliste stehen. "
" Wie kommst du jetzt darauf? ", fragte ich und blickte sie erstaunt an. Sie deutete mit einer Hand auf mein Kostüm." Schon deine Klamotten sind nicht von der Stange und die Uhrzeit, zu der du noch unterwegs warst, sagen mir, dass du keine kleine Angestellte warst. Dazu dein Alter, die Frisur. Ich würde behaupten, du warst was höheres in deinem Job, oder kurz davor in eine hohe Position aufzusteigen. Da würden Kinder wohl eher hinderlich sein, hab ich recht? " Sprachlos starrte ich sie an und nickte. Mit wenigen Sätzen hatte sie meinen beruflichen Werdegang umrissen und dabei voll ins Schwarze getroffen. Das mit den fehlenden Kindern hatte zwar noch andere Gründe, aber die gingen nur mich was an. Wir verfielen wieder in Schweigen, doch nach einer Weile unterbrach ich die Stille um mein drängendstes Problem anzusprechen. " Ich brauch Klamotten zum Wechseln und ein paar Sachen aus meiner Wohnung. "
Sie schüttelte bedauernd den Kopf. " Mit unserem derzeitigen Aussehen können wir da heute nicht hin, wenn uns einer sieht, verursachen wir zu viel Aufmerksamkeit. Ich schau, dass wir Klamotten für dich auftreiben und in den nächsten Tagen holen wir dann alles, was du noch brauchst, aus deiner Wohnung. "
Mit dem Satz hatte ich fast gerechnet, aber ihr Versprechen mich später zu meiner Wohnung zu bringen, reichte mir fürs erste. " Danke! ", sagte ich erleichtert. " Ich heiße übrigens Eleonora Schmidt, aber du kannst Ellen zu mir sagen. "
Sie klatschte sich mit der Hand an die Stirn, drückte ihre Zigarette im Aschenbecher aus und streckte mir ihre Hand entgegen, wobei sie entschuldigend nuschelte. " Sorry, ich hab mal wieder keine Manieren. Ich heiße Cassandra, erfreut dich kennen zu lernen, auch wenn die Umstände recht krass waren. "
Nach kurzem Zögern schüttelte ich ihre Hand, die sich nass und klebrig anfühlte. Als ich meine zurückzog, klebte frisches Blut daran. " Du blutest! ", japste ich erschrocken. Sie nickte nur und fuhr entspannt weiter, wobei sie locker antwortete. " Jepp und nicht zu knapp. Der Drecksack hätte mir das Licht ausgeblasen, wenn du ihm nicht ein paar Kugeln auf den Pelz gebraten hättest. Wird Zeit den Unterschlupf zu erreichen, ich brauch dringend einen Nachschlag und dich müssen wir auch noch einquartieren. "
Beunruhigt starrte ich Cassandra an, aber sie schien nicht kurz vor einer Ohnmacht, oder einem Schwächeanfall zu stehen. Ich versuchte mich also zu entspannen und meine blutverschmierte Hand so gut ich konnte zu ignorieren. Um mich abzulenken, stellte ich meine nächste Frage. " Sag mal, solltest du bei all dem Blut hier nicht in Blutrausch verfallen? Du weißt schon, so, wie in den Filmen? "
Sie fing zu kichern an, um sich jedoch gleich an die Seite zu fassen. " Scheiße, die sind bestimmt gebrochen. ", stöhnte sie und hielt sich dabei die Rippen. Ich dachte sie würde meine Frage ignorieren, doch nachdem sie sich etwas erholt hatte, beantwortete sie diese. " Also erstens ist es mein eigenes Blut, zweitens Vampirblut und drittens, würde dich gutes Essen zu unkontrollierter Fresssucht verleiten? "
" Na ja, süßes ab und an. " Gab ich ohne groß nachzudenken als Antwort.
Cassandra brach in schallendes Gelächter aus. Zumindest kurz, ehe sie förmlich über dem Lenkrad zusammenklappte, gurgelnde Geräusche von sich gab und von krampfartigen Anfällen geschüttelt wurde. Unser Wagen geriet ins Schlingern und ich versuchte hektisch das Lenkrad zu erwischen. Just als ich es im Griff hatte, richtete sie sich mit einem Ächzen auf und brachte den Wagen wieder unter Kontrolle. Zum Glück hatten wir die Stadt verlassen und fuhren alleine auf der Landstraße, was wohl schlimmeres verhindert hatte.
Sie blickte zu mir. " Ellen ich mag dich irgendwie, auch wenn dein Humor uns eben fast umgebracht hätte. " Kleinlaut erwiderte ich. " Tut mir leid, das wollte ich nicht. " Sie winkte ab. " Nicht so schlimm, mir ging es schon dreckiger. Dabei fällt mir ein, wir brauchen einen neuen Namen für dich, je weniger deinen richtigen Namen kennen, desto besser. "
Ich horchte alarmiert auf. " Sag bloß, mein richtiger Name gibt ihnen Macht über mich? " In Gedanken, sah ich schon dunkle Gestalten, finstere Rituale abhalten, bei denen ich zur seelenlosen Sklavin gemacht wurde.
Erneut begann sie gequält zu kichern, ehe sie antwortete. " Du siehst wohl zu viele Schundfilme. Die Sache hat einen anderen Grund. Durch deinen Namen können andere an deine Adresse, Familie und Freunde kommen und dadurch einen enormen Druck auf so ein Küken wie dich ausüben. So, wir sind gleich da. Am besten du überlässt das Reden mir und sagst so wenig wie möglich. "