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Pflichten: Nothilfe, Entwicklung und Respekt

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In einem Rahmen, in dem Rechte als grundlegend gelten, werden all unsere moralischen Pflichten unter der Überschrift „Gerechtigkeit“ subsumiert. Ein Pflichtenansatz vom Kantischen Typ hingegen kann auch Verpflichtungen rechtfertigen, die keine Gerechtigkeitspflichten sind und deren Erfüllung nicht als Recht eingefordert werden kann. Manche Arten von Handlungen können nicht für alle anderen vollzogen werden, daher können sie keine universelle Pflicht sein oder entsprechende Rechte begründen. Und doch sind sie nicht von einer bestimmten Beziehung abhängig, sodass sie auch nicht zum Gegenstand einer speziellen, institutionellen Pflicht werden können. Nichtsdestotrotz können sie eine Pflicht darstellen. Eine Theorie der Pflichten ermöglicht – anders als eine Theorie der Rechte – auch „unvollkommene“ Verpflichtungen, die sich nicht bestimmten Trägern zuordnen lassen und daher nicht eingefordert werden können.

Dies eröffnet uns einen weiteren Weg, wie wir Bedürfnisse sinnvoll in eine Theorie menschlicher Pflichten einbinden können. Wir wissen, dass Bedürftige schwach sind und sich nicht selbst helfen können. Daraus folgt: Selbst wenn sie nicht gezwungen werden, sind sie unter Umständen unfähig zu handeln und damit nicht in der Lage, jetzt und in der Zukunft autonom zu agieren aufgrund von Prinzipien, die sich universell teilen lassen. Ist unsere grundlegende Verpflichtung aber die, andere als Akteure zu behandeln, die dieselben Prinzipien verfolgen können, die unser Handeln leiten, dann müssen wir uns zu Strategien und Maßnahmen verpflichtet fühlen, die ihnen jetzt und in Zukunft erlauben, selbstbestimmte Akteure ihres Lebens zu bleiben. Handeln wir anders, dann sehen wir andere nicht als selbstbestimmte Elemente, wie wir selbst es sind. Doch niemand, auch kein Akteur, kann alles tun, um die Autonomie der anderen zu garantieren. Daher kann die Pflicht zur Hilfe niemals die Verpflichtung sein, alle Bedürfnisse zu erfüllen. Sie kann in der Pflicht bestehen, unser Leben nicht auf Prinzipien zu gründen, die anderen und ihren Bedürfnissen schaden bzw. sie außer Acht lassen oder welche Dinge auch immer, die ihnen helfen, ihre Akteurschaft aufrechtzuerhalten. In manchen Situationen erfordern solche „unvollkommenen“ Pflichten ganz spezifische und anstrengende Bemühungen. Die Tatsache, dass wir nicht allen helfen können, zeigt nur, dass wir nicht die Pflicht haben, jedem zu helfen, und nicht, dass wir keine Verpflichtung haben, niemandem zu helfen.

Wenn wir die Anforderung, die Autonomie der anderen aufrechtzuerhalten, nicht gleichgültig übersehen oder vernachlässigen, werden wir, meiner Ansicht nach, in unserem Umgang mit den Armen und Schwachen eine Verpflichtung eingehen, die sich nicht nur auf Gerechtigkeit bezieht, sondern auf verschiedene weitere Prinzipien. Erstens werden wir uns verpflichtet sehen zu materieller Hilfe, die sie in die Lage versetzt, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Wir helfen den Menschen damit, die Armutsschwelle zu überwinden, unterhalb derer autonomes Handeln nicht oder nur in sehr geringem Maße möglich ist. Da wir, wenn Armut und Abhängigkeit sich nicht endlos fortschreiben sollen, dauerhafte und systematische Hilfe brauchen, umfasst dies auch die Verpflichtung zu sinnvollen Entwicklungshilfestrategien und Nahrungsmittelhilfslieferungen.

Hilfe, auf die kein Verlass ist, kann nicht für Autonomie sorgen. Und selbstverständlich führt auch der Verzicht auf Hilfslieferungen in Notfällen nicht zu mehr Autonomie. Da menschliche Bedürfnisse stets wiederkehrende sind, reicht die bloße Nahrungsmittelhilfe nicht aus. Essen verzehrt man, dann ist es weg. Hilfe kann die Handlungsfähigkeit der Armen nur dann sichern, wenn sie soziale und ökonomische Institutionen schafft, die die menschlichen Bedürfnisse langfristig erfüllen. Das bedeutet, dass Hilfe für die Armen und Schwachen auf nachhaltige Produktion setzen muss, damit auch nach dem Abflauen eines Konsumzyklus noch etwas in der Pipeline ist. Soll Entwicklungshilfe wirklich relevant sein, kann sie sich nicht nur auf ökonomische Eingriffe stützen, sondern muss dafür sorgen, dass durch Bildung und institutionellen Wandel menschliche Fähigkeiten und Fertigkeiten gefördert werden, die den Armen und Schwachen helfen, die Kontrolle über ihr Leben zu erlangen.

Da die Grundlage für diese Pflichten der Anspruch ist, dass Handlungsmaximen von allen gleichermaßen geteilt werden können, darf die Entwicklungshilfe die Fähigkeiten anderer zum selbstbestimmten Handeln nicht einschränken oder beschädigen. Sie darf nicht daran scheitern, dass den Hilfsbedürftigen nicht der nötige Respekt erwiesen wird. Die Helfer müssen die Wünsche und Ansichten der Hilfsbedürftigen erkunden und achten. Die Fähigkeit zu einem selbstbestimmten Leben wird nicht gefördert, wenn die Armen die „Gebenden“ als neue Herren erleben. Die Autonomie der Menschen stellt sich nicht ein, wenn man ihnen das Gefühl gibt, Opfer guter Werke zu sein.

Gerechtigkeit über Grenzen

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