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Strafe und Entschädigung bei Locke und Nozick

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Diese Unterscheidungen bieten uns einen Rahmen, vor dem wir Nozicks Anspruch auf Entschädigungsrechte in den ersten Kapiteln von Anarchie, Staat, Utopia behandeln können. Obwohl Nozick sein Unterfangen in die Nachfolge Lockes stellt, unterscheidet es sich doch sowohl im Ausgangspunkt als auch in der Argumentation erheblich von Lockes Traktat Über die Regierung.33 Lockes begrifflicher Rahmen ist ein theologischer: Er sieht die Menschen als grundlegend frei, nur dem Naturrecht und den unter Menschen getroffenen Absprachen unterworfen. Die Grundlage der Moral bilden bei ihm die menschlichen Pflichten, nicht die Menschenrechte. Er argumentiert, dass der Mensch dem Naturrecht nur unvollkommen gehorcht und der einzig gerechte Weg, dessen Einhaltung zu verbessern, ein System der Durchsetzung ist, das nachvollziehbar sein muss. Läge nun die Bestrafung in den Händen Einzelner, wären die Resultate eben ungerecht und willkürlich. Die Durchsetzung des Naturrechts durch Strafe muss also auf die Gesellschaft übertragen werden. Die politische Ordnung ist gerechtfertigt als bester Weg, das Naturrecht umzusetzen. Lockes Bild beruht zentral auf der Freiheit des Menschen und auf seinen Pflichten. Er sieht ihn nicht als Träger von Rechten, die Ansprüche darauf begründen, was getan oder unterlassen werden sollte. In seiner Perspektive sind die Menschen Akteure, nicht ihrem Schicksal Unterworfene. Es geht ihm zuallererst darum, die Ausführung von Pflichten sicherzustellen, nicht um die Rechte, die beachtet werden, falls die Pflichten erfüllt werden. Der Gedanke der Entschädigung ist für ihn nebensächlich.

Wo Locke sich mit Fehlverhalten aus der Perspektive des Opfers auseinandersetzt, spricht er nicht von Entschädigung, sondern von Wiedergutmachung. Er geht davon aus, dass (anders als das Recht zu strafen) das Recht auf Wiedergutmachung nur dem „Geschädigten“ zukommt. Es gesteht diesem zu, von dem Übeltäter „so viel wiederzuerlangen, wie es der Wiedergutmachung für den erlittenen Schaden dient.“34 Dieses Recht auf Wiedergutmachung ist ein Recht auf das Äquivalent des Schadens, nicht auf das Äquivalent des Verstoßes. Locke geht nicht davon aus, dass es ein allgemeines Maß moralischer Werte geben kann. Er nimmt vielmehr viel bescheidener an, dass es eine Reihe von Verstößen gibt, bei denen sich der verursachte Schaden – nicht der Verstoß selbst – ausgleichen lässt, indem man ein Äquivalent zur Verfügung stellt.

Zwischen der begrenzten Rolle, die Locke der Entschädigung zuweist, und der zentralen Rolle, die sie bei Nozick annimmt, liegen Welten. In Nozicks Augen kann eine Entschädigung nicht nur für den Schaden geleistet werden, den man zugefügt hat, sondern unter bestimmten Umständen auch für das Fehlverhalten selbst, d. h. für Handlungen, die Rechte verletzt haben. Eben dieser Punkt ist Grundlage seiner Aussage, dass bestimmte Rechteverletzungen erlaubt sind, falls es dafür Entschädigung gibt. Überraschenderweise bleibt er nicht auf dem Standpunkt, dass Handlungen, die Rechte verletzt haben, verboten sind und Handlungen, die das nicht tun, erlaubt. Stattdessen stellt er die Frage, was mit risikobehafteten Handlungen passiert, die jemandes Rechte verletzen könnten. Und wie geht man mit privater Durchsetzung der Gerechtigkeit um? Er stimmt Locke zu, dass eine solche riskant wäre und vermutlich Rechte verletzen würde. Dann aber argumentiert er, dass riskante Strafaktionen nur dann verboten werden könnten, wenn eine Entschädigung für diese Einschränkung der Freiheitsrechte vorgesehen ist.35 Ein sich herausbildender Staat könne legitim das Gewaltmonopol für sich beanspruchen, indem er riskante Maßnahmen privater Justizausübung verbiete, wenn er jene entschädige, deren (angenommenes) Recht zu strafen er damit verletze. Dieses Argument wurde vielfach kritisiert: Ich aber möchte mich hier auf einen dieser Kritikpunkte beschränken.

Nozicks Standpunkt ist selbst für einen Rechtetheoretiker kurios – ganz zu schweigen von der libertären Perspektive –, da er zu schließen scheint, dass Rechte mit einem grundlegenderen Wertemaßstab abgewogen werden können und dass sie daher nicht alle ethisch von grundlegender Bedeutung seien.36 Nozick geriet in diese Lage, weil er versuchte, eine weitgehend utilitaristische Sicht auf Psyche und Handeln des Menschen mit einer Theorie der Rechte zu verknüpfen. Er musste Handlungen ansehen, als besäßen sie einen klar bestimmbaren Wert bzw. Nutzen, um sie als kompensierbar zu betrachten. Und doch bestand er darauf, dass Rechte grundlegende Nebenbedingungen beim Streben nach Zielen und nach Zwecken seien. R. P. Wolff brachte das schön auf den Punkt, als er Nozick vorwarf,

ein Modell, das als theoretisches Konstrukt des Utilitarismus galt, mit einer Moraltheologie zu kombinieren, die dem übergriffigen Paternalismus des Utilitarismus widerspricht.37

Wolff meint weiter, Nozick

sollte angesichts seiner extrem starken Theorie individueller Rechte, Nebenbedingungen und so weiter ... vollkommen konsistent zu dem Schluss gelangen, dass keine nicht erlaubte Grenzüberschreitung (d. h. Verstoß gegen Rechte) erlaubt sei, ungeachtet jeglicher Entschädigung.38

Nozicks Rückgriff auf Entschädigungen bei Rechtsverstößen wurde eingehend kritisiert. Hier habe ich nur die grundsätzliche Unglaubwürdigkeit des ganzen Unterfangens aufgezeigt. Dies sollte Grund genug für Skepsis sein, wenn es darum geht, ein grundlegendes Recht auf Entschädigung mit einer Position zu verflechten, die versucht, einen minimalen Staat zu rechtfertigen.

In der Folge möchte ich mich mit einem weiter gefassten Begriff des Rechts auf Entschädigung auseinandersetzen, wie er von nicht-libertären Rechtetheoretikern hervorgebracht wird. Man möchte doch meinen, dass Rechtetheoretiker auf die Ungewissheit menschlichen Handelns eingehen und zu der Frage Stellung nehmen, ob es falsch ist, Handlungen zu verbieten, die eine Rechtsverletzung nur riskieren. Ein schlüssigerer Ansatz für libertäre Rechtetheoretiker, um der Ungewissheit menschlichen Handelns Rechnung zu tragen, wäre es, nicht auf einen rechteunabhängigen Bewertungsmaßstab für das Handeln zu setzen, sondern in ihre Überlegung eine Wahrscheinlichkeitsabschätzung einzubeziehen, ob das Handeln unter bestimmten Umständen eine Rechteverletzung darstellen würde oder nicht. Das soll nun nicht heißen, dass eine Theorie der Rechte sich nicht auf eine adäquate Handlungstheorie stützen sollte, was sie häufig nicht tut.

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