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Was ist zu tun?
ОглавлениеDie Fakten zu Hunger, Armut und Hungersnöten in der Welt würden eine endlose Liste ergeben. Doch zeigen uns diese Fakten nicht, was zu tun ist. Wir müssen aber aktiv werden. Welche Maßnahmen wir für gut halten, hängt zum Teil von unserer Wahrnehmung der Fakten ab, die wiederum davon abhängt, welche ethische Einstellung wir vertreten. Sowohl unsere Wahrnehmung der Probleme als auch unsere Entscheidung zum Handeln spiegeln unsere ethische Theorie wider. Ethische Theorien sind kein dekoratives Beiwerk zu unserer Reflexion über praktische Probleme. Sie bestimmen vielmehr unsere ganze Sichtweise. Sie lassen uns bestimmte Fakten und Prinzipien als wichtig wahrnehmen und andere als unwesentlich. Sie fokussieren unser Handeln – oder unser Nichtstun.
Ich werde mich hier mit drei verschiedenen Theorien auseinandersetzen, was gegen Hunger und Hungersnöte unternommen werden sollte. Zwei davon sind sehr bekannt und werden in der englischsprachigen Welt ausführlich erörtert. Die dritte ist in vielerlei Hinsicht älter und vertrauter, erhält aber deutlich weniger öffentliche und philosophische Aufmerksamkeit. Ich werde die ersten beiden Theorien kritisch betrachten, die dritte hingegen empfehlen.
Der erste Ansatz sieht im menschlichen Glück und Wohlbefinden die Richtschnur für die Einschätzung von Handlungsmöglichkeiten. Seine bekannteste moderne Version ist der Utilitarismus. Für Utilitarier geht es bei ethischen Forderungen immer darum, was anderen nützt. Der zweite Ansatz betrachtet die Einhaltung der Menschenrechte als grundlegend und beschreibt die entscheidenden Aspekte des Hungers in der Welt als Frage der Gerechtigkeit, die sichergestellt wird, indem man Rechte respektiert. Der dritte Ansatz legt die Erfüllung von menschlichen Verpflichtungen oder Pflichten zugrunde und geht davon aus, dass wir gegenüber anderen, vor allem hilfsbedürftigen anderen, sowohl Pflichten der Gerechtigkeit als auch solche des Helfens und Nützens haben, die wir erfüllen müssen. Da keine Maßnahme gegen den Hunger bzw. Entwicklungshilfestrategie sich allein auf individuelles Handeln gründen kann, zeigen alle drei Positionen Wege auf, wie sich sowohl öffentliche und institutionelle Politik wie individuelles Handeln anbahnen lassen.