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Teil I: Grenzüberschreitender Hunger

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Mit hohen Erwartungen beschloss ich Mitte der 1970er-Jahre, dass die Konzentration auf die Rechte Hungernder einen sinnvollen Ansatz darstellte, um in einer Welt, in der einige Menschen unter extremen und doch vermeidbaren Entbehrungen litten, zumindest einige der grundlegenden Prinzipien der Gerechtigkeit herauszuarbeiten. In der Nachkriegswelt entwickelte sich die Berufung auf Rechtsansprüche – häufig, aber keineswegs immer auf die Menschenrechtskonvention von 1948 zurückgreifend – zum wichtigsten Teil des ethischen Vokabulars. Da es zu jener Zeit nur wenige philosophische Untersuchungen solcher Rechte gab, glaubte ich, dass hier gute Fortschritte zu erzielen seien.

Ständig gab es Berichte über Hungersnöte und extreme Armut in vielen Teilen der Welt, zum Beispiel in Biafra, in Kambodscha und Äthiopien. (Nur wenige Menschen wussten Bescheid über die dramatische Hungersnot in China zwischen 1958 und 1962). Über das Bevölkerungswachstum, das nicht in den Griff zu bekommen war. Und über die Auswirkungen der Ölkrise von 1973 auf die Ärmsten der Armen. Trotz der landwirtschaftlichen Revolution gab es kaum Anzeichen für eine Bewältigung der demografischen Probleme, keine Anzeichen für ein mögliches Ende des Kalten Krieges oder für ein zu begrüßendes Wirtschaftswachstum in bestimmten (nicht allen) armen Ländern. Oder für die allenthalben aufkeimenden Aktivitäten über alle Grenzen hinweg, die nicht nur vielen Menschen deutlich mehr Wohlstand brachten, sondern auch die Korruption gnadenlos ansteigen ließen und eine neue und rastlose Klasse von Superreichen hervorbrachten. All diese tiefgreifenden Veränderungen lagen noch in weiter Ferne: Tatsächlich wurden einige davon nur möglich aufgrund einer veränderten Effektivität und Wirksamkeit von Grenzkontrollen, die mit dem Ende des Kalten Kriegs einhergingen und mit der Ausweitung verschiedenster Formen ökonomischer Liberalisierung.

Wenig überraschend war hingegen, dass der Großteil der ethischen Überlegungen zum Thema „Armut“ und „Entwicklung“, bevor diese Veränderungen eintraten, sich um die extremen Fälle von Hunger und Hungersnot drehten. Der meistakzeptierte ethische Ansatz war ein utilitaristischer, die meistdiskutierte Darstellung Peter Singers Hunger, Wohlstand und Moral.4 Ich bewunderte sein Werk, fand aber, dass der utilitaristische Ansatz auf ungewöhnlichen Annahmen beruhte, die die erforderliche ethische Überhöhung nicht leisten konnten. Ich wollte mehr mit weniger erreichen und hoffte, dass die Berufung auf Rechte einen ökonomischeren und plausibleren Ausgangspunkt bieten könnte, um ethische Fragen rund um Hunger und Hungersnöte zu lösen. Die ersten drei Kapitel der hier vorliegenden Sammlung beginnen also mit Überlegungen zum Thema „Rechte“. Aber sie zeigen auch auf, wo die Probleme bei diesem Grundgedanken liegen und nennen Gründe dafür, dass es sinnvoll sein könnte, Rechte in einen breiteren Bezugsrahmen zu stellen, bei dem die Grundbegriffe „Pflicht“ und „Akteurschaft“ von entscheidender Bedeutung sind. In diesen Aufsätzen und den meisten, die auf sie folgen, setzte ich auf traditionelle Vorstellungen von Rechten – Naturrecht, moralisches Recht oder Grundrechte –, statt nur und spezifisch auf Menschenrechte. In einigen der späteren Kapitel aber wende ich mich der Rechtfertigung und den praktischen Implikationen der Menschenrechte zu, wie sie in der Menschenrechtskonvention von 1948 dargelegt werden.5

In Kapitel 1, „Rettungsboot Erde“ versuchte ich zu zeigen, dass wir sowohl auf utilitaristische wie auf konsequentialistische Annahmen verzichten können. Stattdessen argumentiere ich, dass man auch mit dem Rechtebegriff an sich zu soliden Schlussfolgerungen kommen kann. Ganz bewusst hingegen habe ich mich nicht auf das verführerisch umfassende und doch amorphe „Recht auf Leben“6 eingelassen, das in so vielen ethischen Debatten angeführt wird, vor allem, soweit es die Bioethik betrifft. Ich hoffte, dass ein bescheidenerer und allgemein akzeptierter Grundgedanke, demzufolge jeder (zumindest!) das Recht hat, nicht unrechtmäßig getötet zu werden, weniger Fragen aufwerfen und mir erlauben würde zu zeigen, dass eine Tätigkeit Rechte verletzt, wenn ihre weiteren Auswirkungen zu mehr Toten führen. „Rettungsboot Erde“ hat vermutlich mehr Leser gefunden als jeder andere Aufsatz, den ich je veröffentlicht habe. Man hat mich überzeugt, ihn hier unverändert in die Sammlung aufzunehmen, obwohl ich recht bald zu der enttäuschenden Schlussfolgerung kam, dass das schlichte Recht, nicht ungerechtfertigt getötet zu werden, kein ausreichendes ethisches Fundament für ein Gedankengebäude bot, das sich mit den ethischen Fragen rund um Hunger und Hungersnöte auseinandersetzte, von einer umfassenderen Sicht auf globale Gerechtigkeit ganz zu schweigen. Die Gründe, die mich zu dieser Schlussfolgerung führten, werden in den anderen Aufsätzen dieser Sammlung dargelegt.

Obwohl ich überzeugt bin, dass utilitaristische Argumente nicht ausreichen, um als Leitfaden für das Handeln zu dienen, gelangte ich zu der Auffassung, dass die Berufung auf Rechte durchaus genug Biss hat, wenn man sie um Argumente erweitert, die klar zeigen, wer etwas tun soll und was. Rechte ließen sich nur dann verwirklichen, wenn die Pflichten des Gegenparts von handlungsfähigen Akteuren übernommen werden. Der zweite Aufsatz, „Rechte, Pflichten und der Hunger in der Welt“, entstand sozusagen als „Manifest“ für diesen Gedankengang, der dort klar und eindeutig entwickelt wird. In den 1980er-Jahren entwickelte ich diesen Ansatz in einigen Aufsätzen und einem Buch weiter.7

Das dritte Kapitel im ersten Teil, „Recht auf Entschädigung“, setzt sich mit einem anderen, dauerhaft populären rechte-basierten Ansatz auseinander. Recht auf Entschädigung heißt, dass man jenen, deren Handeln Hunger und Hungersnöte verursacht hat, die Verpflichtung zuschreibt, Maßnahmen zur Abhilfe zu entwickeln. Der eindeutige Vorteil an diesem Gedanken ist, dass er nicht im Unklaren lässt, wer die Pflichten des Gegenparts übernehmen soll. Ich habe diesen Ansatz mit einigem Bedauern aufgegeben, weil ich zu der Schlussfolgerung gelangte, dass auch er keinen überzeugenden Weg bietet, auf Hunger und Elend in fernen Ländern zu reagieren, weshalb er vom eigentlichen Problem eher ablenkt. Das Recht auf Entschädigung ist dort relevant, wo Hunger und Armut nachweislich auf Fehlverhalten von klar identifizierbaren Akteuren zurückgehen. Es ist zwar durchaus richtig, dass es große historische Ungerechtigkeiten gegeben hat. Doch es ist meist auch höchst ungewiss, wessen ungerechtes Handeln zu wessen aktueller Armut beigetragen hat. Außerdem haben Hunger und Armut in der Gegenwart meist vielfältige Ursachen und sind selten handlungsfähigen Akteuren zuzuschreiben, von denen man Wiedergutmachung einfordern könnte. Die Berufung auf das Recht auf Entschädigung richtet sich an handlungsfähige Akteure, die die Verpflichtung zur Wiedergutmachung tatsächlich auch erfüllen können. Doch hier lässt sich nur selten klar auf einen Verursacher deuten. Daraus schloss ich, dass nur eine klare Ausrichtung auf konkrete Handlungen und Pflichten einen überzeugenden Ansatz für eine umfassende Theorie der Pflichten der Gerechtigkeit bieten kann.

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