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Teil II: Grenzüberschreitende Rechtfertigungen

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Schon zu Beginn der 1980er-Jahre wurde mein Verständnis von globaler Armut verändert durch Amartya Sens wunderbaren Aufsatz: Poverty and Famines.8 Sobald ich ganz begriffen hatte, inwieweit Hunger und Not sowohl von institutionellen Strukturen als auch vom alltäglichen wirtschaftlichen Handeln beeinflusst wurden, schien die Idee, dass das Recht auf Entschädigung einen wesentlichen Beitrag zur globalen Gerechtigkeit leisten könnte, wenig überzeugend, obwohl sie bis heute beliebt ist. Von diesem Zeitpunkt an versuchte ich es mit einem streng nach vorne gerichteten und praktischen Blick auf eine gerechte Reaktion auf Hunger und Elend. Ein praxisorientierter Ansatz kann nicht davon ausgehen, dass Schuldige jederzeit identifiziert und zur Wiedergutmachung des von ihnen angerichteten Schadens herangezogen werden können. Doch wenn Gerechtigkeit sichergestellt werden soll, ist es nötig, die Pflichten handlungsfähiger Akteure des Wandels genau zu benennen.

Die Kapitel in Teil II beschäftigen sich mit Fragen, die sich ergeben, wenn Rechtfertigung über Grenzen reichen soll. Die politische Philosophie des Westens wurde geprägt von der Vorstellung, dass Gerechtigkeit etwas ist, was sich auf einzelne Gemeinschaften, Städte oder Staaten bezieht und daher begrenzt werden kann, vielleicht sogar muss. Obwohl Versionen und Elemente eines ius gentium bzw. Formen internationaler Justiz und Rechte schon seit der Antike bekannt sind, galten sie im Allgemeinen als anwendbar nur auf Gerechtigkeitsfragen zwischen klar begrenzten Gemeinschaften, Städten oder Staaten bzw. auf die Art und Weise, wie diese begrenzten Gemeinschaften, Städte oder Staaten mit Außenseitern umgehen. Bis vor kurzem jedenfalls haben nur wenige die institutionellen und praktischen Implikationen durchdacht, die sich ergeben, wenn man diese Begrenzung aufgibt zugunsten institutionalisierter Formen eines Weltbürgertums.

Argumente für solch ein kosmopolitisches Gerechtigkeitssystem über Grenzen hinweg drehen sich nicht nur darum, dass man die Reichweite der Gerechtigkeit ausdehnen sollte, wie es zum Beispiel geschieht, wenn ein Staat sein Territorium vergrößert oder Konzessionen erwirbt. Meist geht es vielmehr darum, dass man Grenzen auf eine spezifische Weise durchlässiger macht – und daher auf andere spezifische Weise weniger effektiv. Interessanterweise beziehen sich viele der politischen Argumente für durchlässigere Grenzen selbst heute, in den Zeiten der Globalisierung, auf staatliche Interessen: Der freie Handel steigert den nationalen (d. h. staatlichen) Wohlstand. Der freie Austausch von Ideen stärkt das gegenseitige Verständnis der Nationen und damit die nationale Sicherheit. Dürfen sich (manche) Personen frei zwischen den Staaten bewegen, trägt dies ebenfalls zum nationalen Wohlstand bei. Solche Argumente waren meiner Ansicht nach nicht ausreichend, um eine vollständigere Öffnung der Grenzen zu rechtfertigen, da diese ja das Konzept nationaler und staatlicher Interessen an sich, auf das solche Argumente sich stützen, auflösen oder unterminieren würden. Also ging ich etwas vorsichtiger zu Werk.

Kapitel 4, „Gerechtigkeit und Grenzen“, nimmt die Frage auf, ob der Anspruch auf universelle Gültigkeit der Gerechtigkeitsprinzipien genug Substanz bietet, um zu zeigen, dass Letztere sich tatsächlich über alle Grenzen hinweg erstrecken sollten. Meine Schlussfolgerung war, dass auch dieser Ansatz wenig überzeugend war, denn universelle Form und universelle Reichweite sind zwei verschiedene Dinge. Die Tatsache, dass die Prinzipien der Gerechtigkeit formal universell sind, liefert keine Aussagen über ihre Reichweite oder über die Vorzüge bzw. Mängel der verschiedenen Formen von institutionalisiertem Kosmopolitismus. In Kapitel 5, „Ethische Überlegungen und ideologischer Pluralismus“, setze ich mich mit Problemen auseinander, die entstehen, wenn sich die Glaubensformen und intellektuellen Fähigkeiten jener Menschen unterscheiden, die von den verschiedensten Grenzen getrennt werden, was zur Folge hätte, dass sie Dingen und abweichenden Meinungen, die den anderen jenseits der Grenze völlig vertraut sind, nicht folgen können oder sich von ihnen nicht durch vernünftige Argumente überzeugen lassen. Kapitel 6, „Begrenzte und kosmopolitische Gerechtigkeit“, spinnt diese Überlegungen fort und vergleicht kommunitaristische Rechtfertigungen, die innerhalb gewisser Grenzen (oder „Sphären“) offensichtlich funktionieren, weshalb man diese auch als Grenzen der Gerechtigkeit betrachten müsse, mit den „semi-kosmopolitischen“ Positionen, die auf die Vorstellung der menschlichen Vernunft abzielen, wie sie John Rawls und viele andere vorgetragen haben.

Das letzte Kapitel in Teil II, „Pluralismus, Positivismus und die Rechtfertigung der Menschenrechte“, untersucht die Möglichkeit der Rechtfertigung der Menschenrechte, wie sie in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg erklärt und weitgehend akzeptiert wurden. Die Menschenrechte sind ja nur eine Version der Idee, dass menschliche Wesen Rechte haben: eine einzigartig erfolgreiche und wirkmächtige Version, die jedoch nicht erhaben ist über philosophische Reflexion, Kritik oder (wenn möglich) Rechtfertigung. Eine Reihe herausragender politischer Philosophen haben umfassende Arbeit im Hinblick auf die Rechtfertigung der Menschenrechte geleistet, vor allem nach der Jahrtausendwende. Doch ein viel zu großer Teil dieser Diskussion bzw. der Verteidigung der Menschenrechte wird immer noch von einer Autoritätsperspektive aus geführt (und akzeptiert). Die Übereinkunft der Staaten, der internationalen Gemeinschaft, der Wohlmeinenden, wird häufig als ausreichend betrachtet, selbst von jenen, die eine autoritative Argumentation in vielen anderen Kontexten ablehnen würden. Hier versuche ich einen Weg aufzuzeigen, die aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte abgeleiteten Rechte zu verteidigen, ohne kontroverse metaphysische oder theoretische Forderungen zu stellen.

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