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3 Recht auf Entschädigung29 Gesetzliche Rechte und Grundrechte auf Entschädigung
ОглавлениеIn den Debatten liberaler Kreise wurde das Recht auf Entschädigung häufig zitiert und diskutiert. Dabei wird immer wieder das Argument vorgebracht, dass ein grundlegendes (natürliches, menschliches oder moralisches) Recht auf Entschädigung anerkannt werden sollte, weil dies viele Leben verbessern würde. So könnte man in entwickelten Gesellschaften als Wiedergutmachung für die frühere Vorenthaltung gleicher Chancen ein Recht auf Sonderbehandlung in der Ausbildung und im Beruf geltend machen. Oder man könnte davon ausgehen, dass Ungerechtigkeiten aus der kolonialen Vergangenheit durch eine Sonderbehandlung betroffener Drittweltländer in puncto Entwicklungshilfe ausgeglichen werden sollten.
Die Vorstellung von gesetzlichen Rechten auf Entschädigung leuchtet uns unmittelbar ein. Solche Gesetze würden einen (ansatzweisen) Ausgleich für erlittene Schäden vorsehen. Der Schaden, der dadurch behoben werden soll, kann, muss aber nicht durch Fehlverhalten verursacht worden sein. Er kann auch auf Fahrlässigkeit, Zufall oder natürliche Ursachen zurückgehen. Rechtlich gesehen hängt die Entschädigung nicht immer davon ab, dass das Opfer einen Schaden erlitten hat, der sich auf das Fehlverhalten eines anderen zurückführen lässt. Auch werden nicht immer diejenigen, die sich falsch verhalten haben, mit den Kosten der Entschädigung belastet. So gibt es Versicherungspolicen, die vor Schäden durch Katastrophen oder Fahrlässigkeit schützen. Es gibt gesetzliche Rechte, die den Opfern von Gewalttaten Entschädigung zusprechen, aber auch Personen, deren Eigentum beschlagnahmt oder beschädigt wurde, Opfern von übler Nachrede und Kunstfehlern sowie Opfern von Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Erdbeben. Juridische Entschädigungsrechte sind eine durchaus übliche Form, dem Leid von Menschen zu begegnen, die in irgendeiner Form geschädigt wurden, ob dieser Schaden nun auf die (kriminellen) Taten anderer zurückzuführen ist, auf ihre eigene Fahrlässigkeit oder eine Naturkatastrophe. Die Existenz solcher Rechte ist kein Beleg dafür, dass das Recht auf Entschädigung in irgendeiner Weise ein Grundrecht darstellen würde. Gesetzliche Entschädigungsrechte haben nicht immer eine moralische Begründung. Und selbst dann steht dahinter nicht unbedingt ein Grundrecht auf Schadensersatz, sondern häufig ein anderer Anspruch oder eine Institution. Und doch wird von vielen das Recht auf Entschädigung als Grundrecht behandelt. Erstaunlicherweise haben diesen Weg einige Libertäre (Laissez-faire-Liberale)30 und – weniger überraschend – viele Wohlfahrtsliberale (die Parteigänger der sozialen Gerechtigkeit) eingeschlagen. Wo dieses Recht allerdings endet, darüber sind die beiden Gruppierungen sich alles andere als einig.
Seit den 1970er-Jahren konzentriert sich die Diskussion über das Recht auf Entschädigung häufig auf Fälle, in denen Armut und Diskriminierung die Chancen einer bestimmten sozialen Gruppe – in den entwickelten Ländern beispielsweise von Frauen und ethnischen Minderheiten – auf Ausbildung und Arbeit angeblich gemindert haben. Die vorgeschlagenen Abhilfestrategien, die meist mehr diskutiert als wirklich umgesetzt wurden, beinhalteten verschiedene Maßnahmen zur Ausbildung und Arbeitsbeschaffung, die die vorher ungerecht verteilten Chancen wettmachen sollten. Das Recht auf Entschädigung wurde gerechtfertigt – oder bestritten – als Möglichkeit, für vergangenes Fehlverhalten Wiedergutmachung zu leisten.
In der Folge rückten internationale Maßnahmen kompensatorischer Gerechtigkeit in den Fokus der Debatte. Eine zentrale Frage war dabei, ob Wiedergutmachung auch den Nachkommen jener Menschen zusteht, die während und nach der europäischen Invasion der nicht-europäischen Welt31 zu Schaden kamen. Häufig geht man davon aus, dass zu den Opfern der einstigen europäischen Expansion auch die Nachkommen jener Menschen zählen, die früher versklavt wurden (d. h. Bürger schwarzer Hautfarbe in den USA), in ihrem eigenen Land zur Minderheit wurden (Aborigines in Australien, Maori in Neuseeland und Indianerstämme in Kanada und den USA) sowie die Nachkommen von Menschen, die über Jahrzehnte kolonialer Herrschaft unterworfen waren, aber von europäischen Siedlern nicht vertrieben worden waren (die heutigen Bewohner ehemaliger Kolonien). Doch die Argumente für ein Recht auf Entschädigung erfahren weitgehend Widerspruch.