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9.

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Der Himmel hatte sich auf der Fahrt ins Präsidium bedrohlich zugezogen, und als Helwig auf dem Parkplatz hielt, trommelten die ersten Regentropfen bereits auf das Autodach. Sie stellte den Motor ab, machte aber keinerlei Anstalten auszusteigen. Moses, der bereits seine Hand am Türgriff hatte, hielt irritiert inne.

»Haben Sie Angst, der Regen könnte Ihnen etwas anhaben?«, fragte er scherzhaft.

Helwig umklammerte das Lenkrad und schwieg. Dann drehte sie den Kopf und sah Moses an: »Stimmt das? Dass Sie mit denen was zu tun haben?«

»Mit wem?«, fragte Moses verwundert.

»Na, mit diesen Bonzen. Dieser Reederfamilie.«

Moses wusste nicht, was er darauf entgegnen sollte.

Helwig musterte ihn. »Diese schicke Tussi wusste Bescheid, ist es nicht so?«

Moses wich ihrem Blick aus. Er fühlte sich irgendwie ertappt, und das ärgerte ihn. Schließlich seufzte er.

»Ja«, gestand er. »Es stimmt. Diese ›Bonzen‹ haben mich als Kind adoptiert.«

Helwig richtete ihren Blick wieder nach vorne in den Regen. Das Lenkrad ließ sie immer noch nicht los.

»Dann sind Sie also auch in so einer Villa aufgewachsen«, stellte sie nüchtern fest. »Lassen Sie mich raten: Blankenese oder Nienstedten?«

»Haben Sie vielleicht etwas dagegen?«, erwiderte Moses zunehmend gereizt. Er hatte wenig Lust, sich für seine Herkunft zu rechtfertigen, nur weil seine junge Kollegin am anderen Ende der Gesellschaft aufgewachsen war. Es war weder sein Verdienst noch seine Wahl gewesen.

Aber Helwig bohrte weiter. »Nun sagen Sie schon: Ist es Blankenese oder Nienstedten?«

»Nienstedten«, sagte Moses widerstrebend.

Helwig nickte, als hätte sich ihr Verdacht bestätigt.

»Und warum weiß das keiner?«, wollte sie wissen.

»Weil ich nicht will, dass alle das denken, was Sie jetzt denken!«, entgegnete Moses.

»Und das wäre?«

»Dass ich diesen Job nur zum Zeitvertreib mache, weil ich es nicht nötig habe, mir die Finger schmutzig zu machen.«

Helwig drehte sich ihm wieder zu und sah ihn mit ihren blauen Augen an.

»Und sind Sie reich?«, fragte sie. Als Moses sich abwandte, fügte sie hinzu: »In der Kantine erzählt man sich übrigens hinter vorgehaltener Hand, dass Sie eine Segeljacht in Wedel liegen haben. So ein richtig schickes Teil.«

Moses spürte, wie allmählich die Wut in ihm aufstieg. Wie seine Kollegen dahintergekommen waren, dass er ein Segelboot besaß, war ihm ein Rätsel. Er hatte stets alles unternommen, um genau das zu verhindern.

»Ich wüsste nicht, was Sie meine privaten Verhältnisse angehen!«, herrschte er seine Kollegin an. Ihre Neugier nervte ihn, denn sie berührte ein Thema, über das er nicht gerne redete. »Abgesehen davon wäre es schön, wenn Sie sich nicht am Kantinentratsch beteiligen würden.«

»Verstehe«, sagte Helwig trocken.

»Gut. Dann lassen Sie uns unsere Arbeit machen«, brummte Moses und stieg aus dem Wagen. Helwig folgte ihm, und nachdem sie sich durch den Regen ins Präsidium gerettet hatten, fuhren sie, ohne ein weiteres Wort zu wechseln, mit dem Fahrstuhl in ihre Abteilung.

Vor der Glastür, die zu den Büros führte, wartete zu ihrer Überraschung eine Nonne. Sie war ganz in Weiß gekleidet, geradezu winzig und wirkte ein wenig orientierungslos.

»Können wir Ihnen vielleicht helfen?«, erkundigte sich Moses.

Die kleine Nonne drehte sich zu ihnen um. »O ja!«, sagte sie erleichtert. »Das können Sie sicher. Ich bin zum ersten Mal hier.«

»Zu wem möchten Sie denn?«, fragte Helwig freundlich.

»Ich bin Schwester Ingeborg. Leider konnte ich nicht früher kommen. Man hat mich gebeten zu dolmetschen.« Als sie die ratlosen Gesichter der Kommissare bemerkte, fügte die winzige Frau hinzu: »Mein Spezialgebiet sind afrikanische Sprachen.«

Endlich fiel der Groschen. »Ach ja, natürlich!«, sagte Moses. »Wir haben schon auf Sie gewartet. Kommen Sie bitte mit!«

Er öffnete die Glastür und führte die Ordensschwester in ihre Abteilung. »Wo ist sie?«, fragte er Elvers, die gerade aus der Teeküche kam.

»Sie meinen die junge Frau?« Elvers blies auf ihr heißes Getränk. »Die ist in der UHA. Die Kollegen haben sie vor gut einer halben Stunde abgeholt. Der Staatsanwalt hat grünes Licht gegeben.«

»Gut«, sagte Moses. Dann wandte er sich an die Ordensschwester. »So wie es aussieht, müssen Sie uns leider begleiten.«

Hamburgs zentrale Untersuchungshaftanstalt, in einschlägigen Kreisen nur »Dammtor« genannt, lag mitten im Stadtzentrum am Holstenglacis. Dass der gewaltige Ziegelsteinbau noch aus der Kaiserzeit stammte, war ihm unschwer anzusehen. Das Gebäude überragte die umliegenden Häuser und den angrenzenden Planten-un-Blomen-Park wie eine aus der Zeit gefallene Trutzburg. Auch heute noch. Auch wenn man im Laufe der Jahre durch Umbauten der Zellen und eine radikale Modernisierung versucht hatte, die Haftanstalt heutigen Standards anzupassen, war sie noch immer eine in Stein manifestierte Demonstration der Staatsmacht. Innerhalb der meterdicken Mauern roch es auch weiterhin nach Angst, Verzweiflung und scharfen Scheuermitteln. Daran vermochten auch die mittlerweile weiß gestrichenen Wände und Flure nichts zu ändern. Moses war jedes Mal froh, wenn er diesen Ort wieder verlassen konnte. Umso länger kam ihm die Warterei vor. Die Zeugin aus ihrer Zelle zu holen konnte doch verdammt noch mal nicht so lange dauern! Er trommelte mit den Fingern auf der Tischkante herum und warf der Ordensschwester ein hilfloses Lächeln zu. Im Gegensatz zu ihm und Helwig schien der kleinen Frau weder die beklemmende Umgebung noch das Warten etwas auszumachen. Sie saß kerzengerade auf dem Stuhl und beobachtete ihn scheinbar amüsiert, was sein Unwohlsein nur noch steigerte. Er sah aus dem vergitterten Fenster, das so hoch unter der Decke angebracht war, dass es lediglich einen demütigen Blick in den verhangenen Himmel erlaubte. Dann griff er nach seinem Handy, um seine Nachrichten zu kontrollieren. Juliane musste schließlich längst in Paris gelandet sein, wo sie in eine Air-France-Maschine nach Singapur umsteigen musste, ihrem zweiten Zwischenstopp auf dem Weg ins Nirgendwo. Aber die Inbox war leer.

»Keine guten Nachrichten?«, fragte Schwester Ingeborg fröhlich.

»Wie kommen Sie darauf?« Moses überraschte die Frage. Er steckte das Handy wieder ein.

»Sie sehen enttäuscht aus.« Die Schwester warf ihm ein listiges Zwinkern zu. »Wenn man so lange mit Menschen arbeitet wie ich, erkennt man so etwas.«

»Waren Sie eigentlich lange in Afrika?«, erkundigte sich Helwig. Der Respekt, den sie der kleinen, drahtigen Frau gegenüber zeigte, verblüffte Moses aufs Neue. Immerhin schien die freundliche Nonne wie ein Gegenentwurf zu seiner ungestümen Kollegin, die durch die Welt lief, als gelte es, einen Krieg zu gewinnen.

»Ob ich lange in Afrika gelebt habe?«, fragte die Ordensschwester mit einem heiteren Lachen. »Afrika ist meine zweite Heimat, mein Kind! Immerhin war ich dort mehr als drei Jahrzehnte als Lehrerin und in der Missionsarbeit tätig. Und ich vermisse es sehr.« Sie beugte sich vor und raunte den Kommissaren verschwörerisch zu: »Ehrlich gesagt verabscheue ich dieses Hamburger Schietwetter. Besonders jetzt, im Winter!«

Helwig grinste von einem Ohr zum anderen. In diesem Moment ging die Tür auf und ein griesgrämiger Justizbeamter warf einen prüfenden Blick in den karg möblierten Raum. Dann führte er die Freundin des Ermordeten in Handschellen herein.

»Ich glaube, das ist nicht nötig«, sagte Moses mit Blick auf die Handschellen.

»Sie sind der Chef.« Der Beamte nahm seiner Gefangenen die Handschellen ab, wobei er betont langsam zu Werke ging. Danach schlurfte er wortlos aus dem Raum. Als die schwere Tür ins Schloss fiel, hob die junge schwarze Frau ruckartig den Kopf. Sie sah sich hastig um, dann sah sie wieder auf ihre Hände, die sie in ihrem Schoß verschränkt hatte.

»Ich nehme an, das ist die junge Frau, von der Sie mir erzählt haben«, sagte Schwester Ingeborg, während sie die Frau anlächelte.

»Bitte reden Sie mit ihr«, bat Moses die Nonne. »Erkundigen Sie sich bitte nach ihrem Namen und ihrem Ausweis.«

Schwester Ingeborg wandte sich an die sichtlich eingeschüchterte junge Frau und sprach sie in verschiedenen Sprachen an. Als diese keinerlei Reaktion zeigte, zuckte sie mit den Schultern. »Also Swahili oder Aramäisch versteht sie offensichtlich nicht. Auch kein Arabisch.« Sie sah Moses an, und die vielen Falten auf ihrer Stirn vertieften sich. »Ich weiß nicht recht, in Afrika gibt es an die zweitausend Sprachen. Können Sie mir denn nicht wenigstens sagen, woher sie stammt?«

»Leider nein«, sagte Moses. »Versuchen Sie es trotzdem weiter.«

Moses fuhr sich über den Nacken. Er fühlte sich müde. Wie den ganzen Tag schon.

Schwester Ingeborg seufzte und unternahm einen erneuten Anlauf. Diesmal erhielt sie tatsächlich eine flüchtige Reaktion. Die junge Frau hob kurz den Kopf, stierte sie mit großen Augen an, nur um dann wieder auf ihre ineinander verschlungenen Hände zu sehen. Über das zerknitterte Gesicht der Ordensschwester huschte indessen ein strahlendes Lächeln.

»So wie es aussieht, versteht das arme Kind Igbo«, erklärte sie erfreut. »Das wird vornehmlich im Süden Nigerias gesprochen.«

»Dann kommt sie also aus Nigeria?«, erkundigte sich Moses. Gleichzeitig ärgerte er sich darüber, dass das Ausländeramt für den Abgleich der Fingerabdrücke und eine Identifizierung derart viel Zeit benötigte.

»Das ist anzunehmen«, sagte Schwester Ingeborg, während sie die verängstigte junge Frau mit einem warmherzigen Blick bedachte. »Meine Mitschwestern und ich betreuen in unserer Einrichtung einige Flüchtlinge aus Westafrika. Allerdings sind das ausschließlich junge Mütter mit Kindern.«

Moses fiel es nicht leicht, seine Ungeduld zu zügeln. »Bitte fragen Sie sie nach ihrem Namen und ob sie irgendwelche Dokumente besitzt.«

»Und warum sie mich angegriffen hat und fliehen wollte!«, fügte Helwig hinzu. Die Schwellung in ihrem Gesicht war zwar etwas zurückgegangen, dafür leuchtete ihre linke Wange jetzt in verschiedenen Blautönen.

»Ich verstehe leider nicht viel von dieser Sprache«, sagte Schwester Ingeborg. »Aber ich werde es versuchen.«

Sie strich über ihr weißes Habit und wandte sich wieder an die Zeugin. Zuerst schien die junge Frau nicht auf ihre Bemühungen eingehen zu wollen, aber dann entwickelte sich zwischen ihr und der Ordensschwester ein stockendes Gespräch. Die Antworten auf die Fragen kamen am Anfang nur zögernd, aber nach und nach schien die Erleichterung darüber, endlich mit jemandem sprechen zu können, gegen ihre Furcht und ihr offenkundiges Misstrauen zu gewinnen. Helwig und Moses verstanden allerdings nicht das Geringste von dem, was zwischen den beiden gesprochen wurde. Dennoch verfolgten sie angespannt jedes Wort. Bis Helwig es nicht länger aushielt.

»Was sagt sie denn?«, fragte Helwig. »Können Sie das nicht zwischendurch übersetzen?«

Schwester Ingeborg wechselte noch kurz ein paar Worte mit der jungen Frau, die daraufhin schüchtern nickte. Dann wandte sie sich an die Kommissare und fasste das Gespräch mit ernster Miene zusammen: »Sie hat gesagt, dass sie Adanna heißt und aus dem Süden Nigerias stammt. Und dass sie seit einem Jahr in Deutschland ist. So wie ich das verstanden habe, wurde ihr Asylantrag aber abgelehnt.«

»Demnach ist die junge Dame also ausreisepflichtig«, stellte Moses fest. »Das könnte erklären, warum sie auf meine Kollegin losgegangen ist und fliehen wollte.«

»Nicht unbedingt«, korrigierte ihn Schwester Ingeborg. »Wenn ihr in ihrem Heimatland Gefahr droht oder sie in der Ausbildung ist, könnte sie auch ›geduldet‹ sein. Ein unschönes Wort, wie ich finde.«

»Nun gut«, sagte Moses. »Dann fragen Sie sie bitte, woher sie Jan Mattis kennt. Und in welcher Beziehung sie zu ihm stand. Ich will wissen, weshalb sie sich in seiner Wohnung aufgehalten hat.«

Schwester Ingeborg drehte sich wieder der Zeugin zu. Die Antworten der jungen Nigerianerin kamen erneut zögernd, plötzlich wurde sie jedoch laut. Mit angstgeweiteten Augen brachen die Worte aus ihr heraus. Am Ende konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Schwester Ingeborg erhob sich und umrundete den Tisch, um sie in den Arm zu nehmen.

Die Kommissare wechselten konsternierte Blicke. Der heftige Gefühlsausbruch kam für sie völlig überraschend.

»Was hat sie gesagt?«, fragte Moses, nachdem sich die Zeugin wieder ein wenig beruhigt hatte.

»Leider verstehe ich nicht alles«, seufzte Schwester Ingeborg. Sie hatte sich neben die junge Afrikanerin gesetzt und tätschelte ihre Hand. »Soweit ich das mitbekommen habe, hat sie diesen jungen Mann, von dem hier die Rede ist, bei einer Hilfsorganisation kennengelernt.«

»Lassen Sie mich raten: Die Hilfsorganisation heißt ProAid«, unterbrach Moses die Ordensschwester.

Eine kurze Nachfrage bestätigte seine Vermutung.

»Mich würde interessieren, wie dieser Mattis sein Geld verdient hat«, meldete sich Helwig zu Wort. Sie musterte die Zeugin, die mit gesenktem Kopf vor ihr saß. »Fragen Sie sie bitte, ob er sie auf den Strich geschickt hat.«

Schwester Ingeborg machte keinen Hehl aus ihrer Abscheu. »Sie denken, das arme Kind wurde zur Prostitution gezwungen?«

»Das wäre zumindest eine Erklärung, wie ihr arbeitsloser ›Freund‹ zu so einer Wohnung kommt«, erwiderte Helwig grimmig. »Bitte fragen Sie!«

Als Schwester Ingeborg dem widerstrebend nachkam, reagierte die junge Afrikanerin erneut mit einem Gefühlsausbruch. Schwester Ingeborg lächelte und beruhigte sie.

Die Kommissare warteten ungeduldig auf eine Antwort. Endlich wandte sich die Schwester wieder ihnen zu.

»Gott sei Dank liegen wir alle falsch!«, sagte sie erleichtert. »Es ist alles ganz anders.«

»Wie denn jetzt?«, drängte Helwig. »Hat er sie auf den Strich gezwungen oder nicht?«

Schwester Ingeborg lachte ein wenig schelmisch. »Der junge Mann und die junge Frau waren verlobt und wollten heiraten. Sie sagt, es sei Liebe auf den ersten Blick gewesen.«

Moses und Helwig tauschten fragende Blicke. Konnte es nicht dennoch sein, dass die junge Frau, wie so viele andere auch, von Menschenschleppern nach Europa geschleust worden war, um hier zur Prostitution gezwungen zu werden? Und dass Mattis so naiv gewesen war, sich mit den Hintermännern anzulegen, indem er sich in ihren »Besitz« verliebt hatte?

Die junge Nigerianerin sagte etwas zu Schwester Ingeborg, woraufhin das Gesicht der Nonne immer trauriger wurde. Dann drückte sie die Hand der jungen Frau und übersetzte: »Sie fragt nach ihrem Verlobten. Jan ist seit zwei Tagen nicht nach Hause gekommen. Jetzt hat sie große Angst, dass ihm etwas zugestoßen ist.«

»Und warum denkt sie das?«, hakte Moses nach. »Warum hat sie Angst um ihn?«

Schwester Ingeborg unterhielt sich erneut mit der jungen Afrikanerin. Schließlich wandte sie sich wieder an die Kommissare.

»Soweit ich das verstanden habe, wollte ihr Verlobter sich mit jemandem treffen. Das war vorgestern Abend.«

Helwig richtete sich sofort kerzengerade auf: »Mit wem wollte er sich treffen? Hören Sie, das ist wirklich wichtig für uns! Bitte sagen Sie ihr das.«

Schwester Ingeborg schüttelte den Kopf. »Sie weiß es nicht. Angeblich hat ihr Verlobter ihr lediglich aufgetragen, ihren Koffer zu packen. Mehr hat er ihr nicht erzählt.« Als sie die skeptischen Mienen der Kriminalbeamten sah, fügte sie hinzu: »Ich glaube ihr. Ich bin mir sicher, das arme Kind sagt die Wahrheit.«

Sie warf einen mitfühlenden Blick auf die Frau. »Sie spricht übrigens fließend Englisch.«

»Wie bitte?«, entfuhr es Helwig. »Das kann doch nicht sein!«

»Sie wollte es nicht zugeben«, erklärte die Nonne. »Weil sie Angst vor der Polizei hat. Sie will nicht abgeschoben werden. Bitte, das müssen Sie verstehen!«

Helwig schüttelte fassungslos den Kopf, während Moses unschlüssig mit den Fingern auf der Tischkante herumtrommelte. Eine Angewohnheit, die Juliane an ihm hasste und die seine Kollegen mitunter in den Wahnsinn trieb. Diesmal war es nicht anders. Helwigs strenger Blick kam prompt. Schweren Herzens fällte er eine Entscheidung.

»Ich kann die junge Frau nicht einfach laufen lassen«, sagte er. »Nicht solange ihre Identität nicht zweifelsfrei geklärt ist. Sie ist eine wichtige Zeugin.«

Das behagte ihm nicht, zumal sie bislang nicht einmal wusste, warum sie überhaupt festgehalten wurde. Dennoch nickte er Helwig zu, die daraufhin aufstand, um den Justizbeamten vor der Tür über das Ende der Befragung zu informieren. Der uniformierte Wärter kam herein, und Moses fragte sich unwillkürlich, ob die betonte Langsamkeit seiner Bewegungen daher rührte, dass die Zeit innerhalb dieser kalten, meterdicken Mauern in gewisser Weise eingefroren war. Der Beamte berührte die Nigerianerin an der Schulter, und nachdem Schwester Ingeborg ihr ein paar aufmunternde Worte zugeflüstert hatte, stand sie widerstandslos auf. Als der Beamte sie jedoch am Arm fasste, um sie aus dem Raum zu führen, riss sich die junge Frau plötzlich los. Sie fuhr herum und sah Moses direkt an. »Bitte sagen!«, flehte sie ihn in gebrochenem Deutsch an. »Wo Jan? Tot?«

Moses und der kalte Engel

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