Читать книгу Moses und der kalte Engel - Ortwin Ramadan - Страница 6

4.

Оглавление

Kaum hatte Moses die Wohnungstür hinter sich zugezogen, stieß Katja einen tiefen Seufzer aus. Obwohl sie nun schon seit fast einem Jahr zusammenarbeiteten und sie ihm verdankte, dass sie überhaupt im Morddezernat arbeiten durfte, wurde sie nicht schlau aus ihm. Dabei war sie sonst gut darin, hinter die Fassade zu blicken und Leute einzuschätzen. Wenn man, so wie sie, im Ohlsdorfer Affenfelsen aufgewachsen war, gehörte diese Fähigkeit von Kindesbeinen an zum Einmaleins des Überlebens. Aber ihr Chef war ihr nach wie vor ein Rätsel. Manchmal benahm er sich ihr gegenüber wie ein arroganter Schnösel, dann kam er ihr wieder wie ein großes, verunsichertes Kind vor, das vor der Welt auf der Flucht war, ohne es zugeben zu wollen. Und da war noch diese geheimnisvolle Aura, die ihn umgab und ihn in ihren Augen so unverschämt anziehend machte. Oder war es nur sein durchtrainierter Körper?

Helwig griff nach ihrem Diensthandy und schalt sich selbst eine unverbesserliche Närrin. Sie war nicht Polizistin geworden, um sich in ihren Chef zu verlieben. Sie war Polizistin geworden, um die Dreckskerle dieser Welt zur Rechenschaft zu ziehen. Das hatte sie sich jedes Mal geschworen, wenn sie wieder einmal Prügel bezogen hatte. Sie schüttelte sich, dann sah sie sich unschlüssig in der Wohnung um. Schließlich kehrte sie, ohne zu wissen, warum, ins Schlafzimmer zurück, wo der Koffer mit der Frauenwäsche offen auf dem Bett lag. Sie nahm einen Tanga heraus und fragte sich, wem er wohl gehören mochte. Der Stofffetzen war aus rotem, mit Spitze besetztem Satin und nicht einmal groß genug, um als Feigenblatt durchzugehen. Sie würde nie verstehen, warum Männer auf solch einen lächerlichen Firlefanz standen. Und noch weniger verstand sie, warum Frauen sich freiwillig zum Püppchen degradierten.

Sie warf das Höschen zurück in den Koffer und ließ ihren Blick durch das Zimmer wandern. Der weiß lackierte Kleiderschrank war eindeutig ein Designerstück und ein geschmackvolles noch dazu, wie sie neidvoll zugeben musste. Abgesehen davon, dass er nicht in ihre kleine Zweizimmerwohnung passen würde, würde sie sich ein solches Möbelstück von ihrem Gehalt niemals leisten können. Umso mehr fühlte sie sich in ihrer Überzeugung gestärkt, dass der junge Mann, der hier gewohnt hatte und jetzt in Eppendorf in einem Kühlfach der Gerichtsmedizin lag, in etwas Größeres verwickelt gewesen sein musste. Und das konnten in ihren Augen nur Drogen sein. Auch wenn laut dem ersten Obduktionsbericht nur eine geringe Menge Marihuana im Blut des Toten nachgewiesen werden konnte – es passte einfach zu gut. Vielleicht war er einfach nur clever genug, selbst die Finger von dem Teufelszeug zu lassen. Drogen und Geschäft vertrugen sich nicht miteinander.

Plötzlich horchte Helwig auf. Was war das für ein Geräusch? Sie lauschte, aber als sie nichts mehr hörte, entspannte sie sich wieder. Vermutlich trieb sich der Nachbar im Hausflur herum, weil er es vor Neugier nicht mehr aushielt. Eine gute Gelegenheit, sich den Mann einmal vorzuknöpfen, dachte sie grimmig. Helwig verließ das Schlafzimmer und trat auf den Flur hinaus. Zu ihrer Überraschung stand die Wohnungstür offen, obwohl sie sicher war, dass Moses sie hinter sich zugezogen hatte. Sie fuhr herum, während ihre rechte Hand reflexartig unter die Lederjacke glitt, wo sie ihre Dienstwaffe trug Die Tür zum Bad stand ebenfalls einen Spaltbreit offen, obwohl sie hätte schwören können, dass auch sie zuvor geschlossen gewesen war. Also zog sie ihre Dienstwaffe aus dem Schulterholster und holte tief Luft. Als sie sich genügend für eine böse Überraschung gewappnet fühlte, verpasste sie der Tür einen Fußtritt, sodass sie aufflog. Gleichzeitig sprang sie mit vorgehaltener Waffe in das Badezimmer und schrie: »Halt, Polizei!«

Das schwarze Etwas kam aus dem Nichts auf sie zugeflogen und traf sie mitten im Gesicht. Helwig stolperte rückwärts, dann knallte sie mit dem Hinterkopf gegen den Türrahmen, und die Waffe fiel ihr aus der Hand. Mit einem Stöhnen sackte sie zu Boden, ihr Kopf schien zu explodieren. Alles drehte sich und verschwamm vor ihren Augen. Als sie einen Schatten wahrnahm, der über sie hinwegstieg, packte sie zu. Es war ein Hosenbein. Obwohl sie das Gefühl hatte, als würde jemand unaufhörlich mit einem Knüppel auf ihren Schädel eindreschen, ließ sie nicht los. Wenn sie als ehemalige Kickboxerin nicht gelernt hätte, einiges einzustecken, hätte sie in diesem Moment sicher das Bewusstsein verloren. So aber krallte sie ihre Finger in den Hosenstoff. Sie war wild entschlossen, das Bein auf keinen Fall loszulassen.

Moses und der kalte Engel

Подняться наверх