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3.1. Wie konstruieren Sie Ihre Welt?

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Der Konstruktivismus ist ein erkenntnistheoretischer Diskurs. Die Hauptaussage ist: Wir können nicht erkennen und wissen, wie die Welt wirklich ist. Was «die Realität» ist. Unser Hirn ist ohne Pause am Denken und konstruiert jeden Augenblick eine innere Welt, welche die äussere Welt nicht objektiv abbildet. Wenn ich etwas sehe, verbinde ich es sofort mit meinen ganz persönlichen Erfahrungen und gebe ihm aus meinem Erfahrungshintergrund meine ganz persönliche Deutung. Das ist die Art, wie unser Hirn arbeitet. Es ist wichtig, dass Sie das verstehen.

«Die Vorstellung, unser Denken teile uns nur mit, wie die Realität eben sei, ist keine ernsthafte Option mehr.»

Bohm, David, Der Dialog. Das offene Gespräch am Ende der Diskussionen

Ich erläutere diese Aussage anhand eines Beispiels: Ein Mann, der mitten im Leben steht, hat in seiner Vergangenheit eine einschneidende Erfahrung gemacht. Er erlebte ein Erdbeben, und der Zufall wollte es, dass er in diesem Augenblick mitten auf einer Brücke stand. Er fragte sich in Todesangst, ob die Brücke wohl einstürzen wird. Er hatte Glück, die Brücke hielt den Erdstössen stand und er überlebte das Erdbeben unbeschadet.

Jahre später geht er mit seiner Partnerin zusammen über eine Brücke. Diese fragt ihn, ob es ihm nicht gut gehe, er sei so bleich, und warum er es plötzlich so eilig habe, sie hätten ja Zeit. Er sagt: «Ich hasse Brücken.»

Sie kann seine Abneigung gegen Brücken absolut nicht nachvollziehen. Ihr Vater war Ingenieur, der verschiedene Brücken berechnet und geplant hat. Er nahm sie als Kind jeweils mit, um ihr die vollendeten Brücken zu zeigen und zu erklären. Seit diesen Tagen hat sie eine besondere Beziehung zu Brücken. Sie findet Brücken interessant und schön. Sie sagt: «Brücken sind schön!»

Was würden Sie wohl sagen, wenn diese beiden in einen lautstarken Streit ausbrechen würden über die Frage, ob Brücken schön oder hässlich sind? Sie würden wohl den Kopf schütteln. Es ist doch so offensichtlich: Diese beiden Menschen konstruieren intern «Brücke» ganz unterschiedlich. Und zwar aus ihren unterschiedlichen Erfahrungen, die sie in der Vergangenheit mit Brücken gemacht haben. Welche der beiden konstruierten Realitäten ist wahr? Welche ist richtig? Ist eine Realität wahrer als die andere?

Natürlich sind beide Konstrukte in einer bestimmten, ganz persönlichen Art wahr. Beides sind individuelle Konstrukte. Es gibt keinen Grund, darüber zu streiten. Und doch finden wir uns täglich in ähnlichen Situationen: Wir machen eine Aussage, diskutieren und argumentieren mit dem Gegenüber auf eine Art, als ob wir wüssten, was Sache ist, was Realität ist, was wahr ist. Und doch reden wir nur immer über unsere inneren Konstrukte. Und nicht über die «objektive Realität».

Können Sie sich vorstellen, welche Wirkung es auf unsere Gespräche hätte, wenn wir sagen würden: «Diesen Punkt verstehe ich (konstruiere ich) auf diese Art, wie konstruierst du ihn, was sind deine Ideen dazu?» Können Sie sich vorstellen, dass das eine ganz andere Atmosphäre schaffen würde? Sie könnten miteinander in einem weiten Raum über wichtige Dinge nachdenken, und Sie kämen auf bedeutsame Gedanken und Ideen! Ich werde im Kapitel 8 (Lernprozesse verhindern – die Sensibilitäten) mehr dazu schreiben.

Das ist die Art, wie unser Hirn arbeitet. Wir denken etwas (denken uns etwas aus), und zwei Sekunden später meinen wir, es sei wahr. Wenn Sie einen Berg fotografieren, wirft der analoge Fotoapparat in dem Moment, in dem er den Verschluss des Objektivs öffnet, das äussere Bild auf den Film im Inneren der Kamera und schafft so ein einigermassen objektives Abbild des Berges. Wenn Sie die Fotografie später betrachten, haben Sie oft den Eindruck, dass der Berg doch viel schöner ausgesehen hat. Das heisst, Ihr inneres Konstrukt des Berges war anders als das Abbild, das der Fotoapparat geschaffen hat.

Wenn wir uns überlegen, was in der digitalen Kamera passiert, ist es schon viel komplizierter. Im Augenblick, in dem der Verschluss geöffnet wird, macht der Prozessor des Gerätes sehr viele Rechenoperationen.

Beim Menschen ist es eigentlich ganz ähnlich wie bei der digitalen Kamera: Wir sehen etwas. Ein Reiz trifft auf unsere Netzhaut. Der Sehnerv leitet den Reiz ins Hirn, und sofort beginnt das Hirn zu arbeiten. Es setzt die Reize zu einem inneren Bild zusammen. Dann verbinden wir sofort dieses innere Bild mit unseren vergangenen Erfahrungen, mit unserer inneren Welt. Wir geben ihm unsere Deutung, unser Verständnis, verbinden es mit unseren Gefühlen, mit unseren Wertungen und unseren Gedanken.

Man könnte sagen, dass wir nicht mit den Augen sehen, sondern mit dem Hirn. Im visuellen Kortex passieren die gleichen Prozesse, ob Sie die Augen offen oder geschlossen haben. Sie können sehen, auch wenn Sie die Augen geschlossen haben, oder nicht? Das ist wichtig, dass Sie das verstehen.

Das, was im Hirn der verschiedenen Menschen passiert, ist absolut individuell. Wir konstruieren unsere Welt völlig unterschiedlich und finden uns anschliessend immer wieder in den gleichen, unfruchtbaren Diskussionen wieder. Wir meinen, wir wissen, was Sache ist, und vergessen, dass es nur unsere Idee über die Situation ist, unser Konstrukt über die aktuelle äussere Realität.

Dieses Muster, das ich eben beschrieben habe, läuft in der Kommunikation zwischen den Menschen genau so ab. Wenn wir etwas erleben, das wir nicht verstehen können, z. B. die Art und Weise, wie die Kollegin nebenan arbeitet, schaffen wir ein inneres Konstrukt. Wir überlegen uns, warum die das so macht. Dieses Konstrukt ist jedoch meistens falsch, weil wir nicht wirklich wissen, wie die Person zu diesem Verhalten kommt (obwohl wir denken, wir wüssten es). Oder anders gesagt: Wir schaffen ein falsches Konstrukt, weil wir nicht wirklich verstehen, wie diese Person denkt und funktioniert. Diese falschen Konstrukte haben Wirkung: Irritation!

Wir wenden dieses falsche Konstrukt nämlich sofort an, wenn Sie dieser Kollegin gegenüber eine Aussage über ihr Verhalten machen. Diese ist irritiert, weil sie eine völlig andere Idee hat, warum sie sich eben so verhalten hat. Sie benutzt intern ein ganz anderes Konstrukt, sie hat ein ganz anderes Verständnis ihres Verhaltens.

Wenn Sie aber verstehen, wie Ihr Kollege nebenan, Ihre Mitarbeiterin im Leistungsbereich funktioniert, können Sie anders damit umgehen. Sie können plötzlich nachvollziehen, dass das eine mögliche Variante ist, wie Menschen arbeiten können. Das führt zu neuen Einsichten und einem viel entspannteren Umgang mit Kollegen, Kolleginnen und Mitarbeitenden.

In diesem Buch schreibe ich über die Unterschiedlichkeit der Menschen im Leistungsbereich. Ich schreibe auch über die grundsätzliche Art, wie man die Welt unterschiedlich konstruieren und verstehen kann. Und über die Muster, mit denen man gemeinsame Lernprozesse verhindert, obwohl man das nicht beabsichtigt.

Ich beschreibe ein Persönlichkeitsmodell, das in der Zusammenarbeit mit Mitarbeitenden, Kolleginnen und Kollegen sehr hilfreich ist. Das sehr gute Wirkung hat auf die Atmosphäre im Team und auf den Umgang der Mitarbeitenden untereinander.

Wenn die Leute dieses Wissen anwenden, verändern sich die Beziehungen auf allen Stufen, von der Arbeitsgruppe bis zum Führungsteam auf der obersten Ebene. Dann kann es passieren, dass die Leute gerne zur Arbeit kommen. Dass es wieder möglich ist, neues Wissen zu generieren. Dass die Denkarbeit innovativ und kreativ ist, weil die Leute verstehen, wie es funktioniert.

Ich wünsche Ihnen viel Spass bei der Lektüre des Buches. Viele Einsichten in eigene Muster und in Muster von Kollegen, Mitarbeitenden und Vorgesetzten.

Sie werden im Vorbeigehen auch lernen, welche Muster in Ihrer Paarbeziehung spielen. Wie Sie Ihre Beziehung zusammen einfacher und lustvoller gestalten können. Weil Sie verstanden haben, was Ihr Partner meint, wenn er etwas sagt, und wie Ihre Partnerin ihre eigene Welt konstruiert.

Ein Punkt ist mir noch wichtig: Das Modell «Personality Patchwork» ist ein Beziehungsmodell, ein Kommunikationsmodell, das hilft, die Interaktionen zwischen Menschen zu verstehen. Wir alle haben diese Charaktermuster, die ich im Folgenden beschreiben werde. Sie werden also zuerst etwas über sich selber, über Ihre eigenen Muster lernen. Mit diesem neu erworbenen Wissen werden Sie fähig sein, in einer anderen Qualität über sich selber nachzudenken. Erst dann wird es möglich sein, dass Sie auch im Team über diese Muster nachdenken und kommunizieren können. Wenden Sie Ihr neu erworbenes Wissen achtsam an. Nur Ihr Gegenüber kann letztlich sagen, welche Muster zu ihm gehören. Wenn Sie das Persönlichkeitsmodell benutzen, um sich gegenseitig Etiketten anzuhängen, werden Sie das Potenzial des Modells verpassen.

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