Читать книгу Der Tanzkurs - Otto-Gerd Wolfseher - Страница 10
Richtig glücklich!
ОглавлениеVon meinen Eltern leihe ich mir neben dem Zelt, noch den Campingtisch und die 2 Stühle aus, die sie sich im letzten Jahr gekauft haben. Luftmatratzen und einen kleinen Spirituskocher habe ich selbst. Statt Schlafsack nehmen wir Wolldecken mit. Damit nichts auffällt, hole ich Ulla mit ihrem Koffer zu Fuß vor der Haustüre ab, das Auto habe ich gut Hundert Meter entfernt in der Putzbrunner Straße geparkt. Offiziell fahren wir ja mit dem Bus ab München. Es ist noch ganz früh am Morgen und noch wenig Verkehr. Wir fahren den ganzen Weg auf der Landstraße, da bleibt uns mehr Zeit um die schöne Landschaft zu betrachten und viel länger dauert die Fahrt auch nicht, pressieren tut uns nichts. Wir haben noch soo viel Zeit. In Valley machen wir erst mal Stopp und spazieren Arm in Arm durch das schöne Dorf, das mit seinem Löschteich, den Enten darauf und den alten Bauernhäusern drum herum noch richtig romantisch anmutet. Gott, wär' das schön hier zu leben und zu arbeiten, nicht in das Getriebe der Großstadt zu müssen, denken und sagen wir beide. Gemächlich fahren wir durch das Mangfalltal nach Weyarn hinauf, um Miesbach herum und durch das Leitzachtal nach Fischbachau an den kleinen Campingplatz am Wolfsee. Nach Recht und Gesetz dürften wir als unverheiratetes Paar nicht in einem Zelt schlafen, der Campingplatzbesitzer würde nämlich damit die Unzucht fördern. Ihm geht es aber nicht um die Einhaltung unsinniger Paragrafen, sondern ums Geschäft. Würde er überall die Ausweise streng kontrollieren, bliebe sein Platz halb leer. Wir suchen uns den abgelegensten Zeltplatz aus, der noch im Trockenen liegt. Der Wolfsee ist nur ein kleiner Moorweiher und Teile seiner Ufer sind ziemlich feucht. Wir stellen unser Zelt auf, Ulla hat so etwas noch nie gemacht, ich hab da schon Routine darin, bereits zu meinen Fahrrad- und Mopedzeiten war ich mit Zelt unterwegs. Einmal mit Vater und einem Bruder zusammen mit meinem allerersten Auto, einem Lloyd 300, den man eigentlich nicht als Auto bezeichnen darf, sogar am Gardasee. Von München aus mit diesem Fahrzeug (Höchstgeschwindigkeit 70 Stundenkilometer) und den damaligen Straßen, keine Autobahn, alte Brennerstraße, eine Reise von 2 Tagen!
Eingerichtet ist schnell, wir haben nur das Nötigste mitgenommen, es ist warm und der Wetterbericht hat auch für die nächsten Tage Sonnenschein vorausgesagt. Da braucht man nicht viel. Nachdem die Luftmatratzen aufgeblasen sind, und wir nur noch die Badesachen anhaben, legen wir uns gleich einmal ins Zelt, probieren die Luftmatratzen aus und schließen den Reißverschluss. Jetzt brauchen wir keine Angst zu haben, dass uns jemand beobachtet, nur leise müssen wir sein, der dünne Zeltstoff lässt alle Geräusche durch, ohne auch nur im Geringsten zu dämpfen, aber, das ist uns bekannt und wir richten uns danach.
Wir umarmen, küssen und streicheln uns. Eine starke erotische Spannung ist in uns, wir sind beide wahnsinnig aufgeregt, erwartungsvoll aber doch ein wenig ängstlich und unbeholfen. Ich ziehe ihr die Träger des Badeanzuges vorsichtig über die Schultern herunter, sie lässt es geschehen, wehrt sich nicht dagegen, schließt die Augen und drückt ihre wunderbaren, vollen Brüste an mich. So liegen wir eng umschlungen, regungslos, einer fühlt den anderen, hört auf den Herzschlag des anderen, auf seinen Atem. Wir sind eins, ohne dass wir körperlich ganz vereint sind. Ein richtiges Glücksgefühl durchströmt uns, wir möchten beide, dass dieser Zustand andauern soll, ja sich in einer endgültigen Vereinigung, die wir beide möchten und doch Angst davor haben, noch steigern möge. Die Welt um uns herum ist vergessen, wir sind nur noch glücklich, so glücklich, dass man weinen könnte.
Die liebe Sonne macht unserem Glück ein Ende, erweckt uns aus unserer Trance. Es wird unerträglich heiß in dem kleinen engen Zelt.
Unsere Badekleidung und unsere Frisuren bringen wir wieder in Ordnung. Ich muss noch einige Zeit warten, biss meine Erektion zurückgeht und ich mich der Öffentlichkeit zeigen kann. Wir gehen schwimmen. Das Wasser ist noch ganz schön kühl, aber diese Abkühlung tut uns beiden gut, bringt uns endgültig aus unserem Rauschzustand zurück in die Realität - und die heißt Hunger.
Beim Campingplatz sind auch ein Restaurant und eine große Festhalle. Wir sind aber sparsame Leute und kochen uns auf dem Spirituskocher Spaghetti mit Tomatensoße, die wir zur Vermeidung von roten Flecken auf Hemd und Bluse noch in der Badekleidung essen. Der Tag wäre eigentlich noch lange genug für eine kleine Bergwanderung. Wenigstens bis zur Kesselalm. Leider hat Ulla nicht die passenden Schuhe mit. Sie besitzt gar keine Wanderstiefel. Diese Anschaffung muss sie unbedingt bald tätigen. Es bleibt uns aber noch der flache, breite Weg der Eisenbahn entlang am Waldrand nach Osterhofen und Geitau, der hat sogar einige Ruhebänke, mal im Schatten, mal in der Sonne. Seit ihrer Kindergartenzeit in Piding war Ulla nicht mehr in den Bergen.
Auf den Wiesen blühen immer noch die letzten Schlüsselblumen, der Löwenzahn steht in voller Blüte und das Gras ist fast schon hoch genug für die erste Mahd. Vögel zwitschern und Insekten summen um uns herum. Ab und zu stört ein Auto auf der nahen Bundesstraße den Frieden. Nur ganz wenige Spaziergänger begegnen uns, es ist schön warm, wir träumen vor uns hin. Eine Bank, die nicht ganz so eingesehen ist, nehmen wir in Beschlag. Anfangs sitzen wir noch Arm in Arm, unterhalten uns über Gott und die Welt, später legt sich Ulla hin, sorgfältig streicht sie ihren grauen Faltenrock glatt und ruht mit ihrem Kopf auf meinen Schoß. Wenn ich ganz sicher bin, dass uns niemand sehen kann, streichle ich vorsichtig ihren Busen.
Wir reden über unsere Zukunft. Ulla ist unzufrieden mit ihrer beruflichen Situation, ihr fehlt die Anerkennung ihrer Leistung, sowohl im Verhalten ihrer Kollegen und Vorgesetzten als auch auf ihrem Gehaltszettel. Sie sitzt in der kleinen Filiale sozusagen in der Sackgasse, es geht nicht mehr weiter, auch in 5 Jahren würde es immer noch nicht weiter gehen. Meine Aussichten sind nicht viel besser, aber immerhin verdiene ich wenigstens ganz gut, habe ich vor zwei Wochen wieder eine Lohnerhöhung bekommen, 3 Mark und zwanzig Pfennig bekomme ich jetzt in der Stunde. Nur 2 Kollegen verdienen noch ein paar Pfennige mehr, weil sie schon länger im gleichen Betrieb sind. Im Herbst könnte ich auf die Meisterschule gehen, jeden Freitag Nachmittag an den Samstagen den ganzen Tag und nach 2 Jahren die Prüfung ablegen. Was würde mir das nützen, Meister in einem Beruf ohne Zukunft.
Das Los der einfachen Leute, jeden Tag neun Stunden Arbeit, nur 2 Wochen Urlaub im ganzen Jahr und das, bis wir 60 und 65 Jahre alt sind, geht uns durch den Kopf und trübt die eigentlich gute Stimmung und das Glück des Zusammenseins. Da setzt sich ein Schmetterling auf Ullas Schuhspitze und sofort sind all die unangenehmen Gedanken verflogen. Wir beobachten den bunten Falter, es ist ein Pfauenauge, und wir freuen uns an seinen Farben, an seinen Flügelschlägen und an seiner Neugier, wie er die Schuhspitze untersucht. So plötzlich, wie er gekommen ist, flattert er auch wieder davon, schade.
Es ist Zeit den Heimweg anzutreten. Heute wollen wir beim Oberwirt in Birkenstein essen gehen. Das ist eine bekannte, gute Gaststätte, und Birkenstein ist ein bekannter Marien Wallfahrtsort. Hauptsächlich beten hier Frauen um Fruchtbarkeit. Das ist nicht gerade das, was wir uns wünschen. Ganz im Gegenteil. Für uns gäbe es kein größeres Unglück als eine vorzeitige Schwangerschaft und ein voreheliches Baby. Die Empfängnisverhütung ist für mich und die meisten meiner Altersgenossen die schwierigste Aufgabe der gesamten Sexualität. Da hat der Teufel dafür gesorgt, dass man sich nicht unbedenklich der göttlichen Liebe hingeben kann.
Ich kenne nur zwei Verhütungsmöglichkeiten. Zum einen den vorzeitigen Ausstieg. Das ist eine sehr riskante Methode und kann auch keine richtige Erfüllung der Liebe bringen, wenn man sich der Partnerin nicht voll hingeben und sich ganz fallen lassen kann. Auch für das Mädel ist es nicht angenehm, gespannt darauf zu hoffen, dass der Partner den richtigen Moment erwischt und seinen Penis zurückzieht. Wie soll ein Mädchen oder die Frau da selbst zum Höhepunkt kommen und das absolute Glück erleben? Aber manchmal hat man halt nur die Wahl, entweder so oder gar nicht. Vom oralen Verkehr hatten wir bis dahin keine Ahnung, das wäre auch ein Notausgang gewesen. Die andere Methode ist die Benutzung eines Kondoms. Das ist schon viel, viel zuverlässiger und angenehmer. Die Schwierigkeit liegt lediglich in der Beschaffung der "Verhüterli". Es gibt sie nur in Apotheken oder Drogerien zu kaufen. Man muss seine Wünsche in der Regel einer meist jungen zudem oft auch hübschen Verkäuferin gegenüber äußern. Dazu sind dann noch andere Leute im Geschäft, die das mithören können. Da geniert man sich als junger Kerl doch schon und setzt einen roten Kopf auf. Eigentlich grundlos, denn jedermann weiß, dass man nicht nur Händchen hält, wenn man verliebt ist, die Verkäuferinnen wissen das aus eigener Erfahrung sicher am besten. Aber die haben's gut, nehmen sie aus dem Regal, tippen den Preis in die Kasse, zahlen und stecken sie ein. Da bekommt niemand etwas mit. Damit man nicht gar so oft diese wichtigen Gummiartikel kaufen muss, wäre es gut, sie jedes Mal gleich in größeren Mengen zu erwerben, aber das getraut man sich dann schon zweimal nicht. Nur einmal bildlich die Situation, wenn ich sage, geben Sie mir Hundert von den Fromms Standard und eine Tüte bitte!
Es gibt noch die Möglichkeit, die "Pariser", wie sie umgangssprachlich genannt werden, über den Versandhandel per Nachnahme nach Hause liefern zu lassen. Da ich normalerweise nicht daheim bin, wenn die Postbotin, es ist seit Kindertagen immer die gleiche und wohnt bei uns im Haus, anliefert, müsste meine Mutter die Sendung in Empfang nehmen und bezahlen. Die würde das selbstverständlich machen, aber mir wäre es sehr peinlich. Wenn die dann denkt, wozu braucht der schon wieder welche? Mein Sexualleben geht in der Familie niemand etwas an, den Eltern schon gleich gar nicht, mich interessiert deren Geschlechtsleben ja auch nicht und hat mich auch nicht zu interessieren.
Meine Liebe interessiert mich und damit wieder zurück nach Birkenstein. Über die Wallfahrt nach Birkenstein gibt's auch einen weitverbreiteten Witz und der geht so: "Eine junge Frau ist schon einige Jahre verheiratet und noch immer wird sie nicht schwanger. Sie geht nach Birkenstein und übernachtet beim Oberwirt. Es hilft nicht, sie geht ein zweites Mal und dann ein drittes Mal, dann jeden Monat einmal. Endlich wird sie schwanger. Ihr Glück teilt sie auch ihrer Nachbarin sofort mit, die ebenfalls sehnlichst auf Nachwuchs wartet. Die Nachbarin fährt auch nach Birkenstein und übernachtet beim Oberwirt auch sie wird bald darauf schwanger. Aus Dankbarkeit fährt sie noch einmal nach Birkenstein. Eine weitere kinderlose Nachbarin erfährt von dem Segen der beiden Frauen und will auch nach Birkenstein, erkundigt sich nach den Details der Gebete und Andachten, die dort zu verrichten sind. Da erklärt ihr eine der beiden Schwangeren: Du brauchst nimmer hinfahren der Oberwirt hat jetzt einen anderen, einen ganz alten, Hausl (Hausknecht)."
Bei der Auswahl von Speisen und Getränken achte ich besonders darauf, nichts zu wählen, was Blähungen, Rülpsen oder gar Mundgeruch verursachen könnte, es wird heute unsere erste gemeinsame Nacht werden, da darf nichts Störendes zwischen uns sein. Bin ganz schön aufgeregt deswegen, versuche das so gut es geht zu verbergen. Über die erste Nacht mit einer Jungfrau habe ich schon die wildesten Geschichten gehört und es heißt in einem bekannten Schlager: Beim ersten Mal tut‘s noch weh. Weh tun will ich ihr auf gar keinen Fall. Im Gegenteil. Ich will, dass sie Freude daran hat, dass sie mindestens so glücklich ist wie ich. Wie ich mich verhalten muss, geht mir den ganzen Heimweg zu unserem Zelt durch den Kopf. Eine Patentlösung habe ich nicht parat.
Es ist schon beinahe dunkle Nacht, man sieht fast nur noch Umrisse, als wir den Reißverschluss von unserem Zelt schließen. Beide genieren wir uns trotzdem beim Ausziehen, ich noch mehr als Ulla, sehen uns nicht an, obwohl wir unheimlich neugierig aufeinander sind. Bei meinen ersten Erfahrungen mit Frauen wussten immer die, was zu machen ist. Nun bin ich derjenige, der es eigentlich wissen müsste. Ich bin mir absolut nicht so sicher, wie ich sein sollte. Nur ja nichts tun, was sie nicht will, was ihr unangenehm sein könnte oder gar wehtun würde. Ulla will mich und sie will mich ganz, das fühle ich bei jeder unserer Berührungen. Dann ist es soweit. Sie öffnet sich mir und ich dringe so vorsichtig wie ich kann in sie ein. Nur ein klein wenig zuckt sie, dann ist bei uns jede Kontrolle vorbei, wir versinken ineinander, alles um uns rum, alles was uns vor Kurzem noch bedrückte und ängstigte ist weggewischt. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl überkommt uns. Wir sind nur noch eins. Eine Einheit von Körper und Seele, schwebend über dem Irdischen.
Ach könnte das doch anhalten bis zu unserem Lebensende.
Es dauert lange, bis uns die Realität wieder erfasst, bis wir wieder ganz zurück sind, auf unseren schmalen Luftmatratzen, in dem engen Zelt in das langsam die Kühle der Nacht im Schatten der Berge einkehrt.
So stelle ich mir das Paradies vor, wenn es denn eines gibt.
Die ganze Nacht liegen wir eng aneinander gedrückt, gut zugedeckt, ohne jede Bewegung, aus Angst, die Nähe, die Wärme des anderen zu verlieren. Als wir am Morgen aufwachen, liegen wir noch genauso da, wie wir am Abend eingeschlafen sind. Wir schauen uns in die Augen, lächeln, sind froh, den Anderen zu sehen, zu wissen, dass diese Nacht kein Traum war. Jetzt besitzen wir die endgültige Gewissheit: Wir gehören zusammen und wir werden zusammenbleiben für immer, alle Widerstände werden wir überwinden und noch oft so glücklich sein wie in dieser Nacht. Wir glauben das, wir wissen das, ohne groß darüber gesprochen zu haben, niemals werden wir uns trennen, solange wir am Leben sind.
Heute ist Pfingstsonntag, Kirchtag, Tag der Erleuchtung. Wir besuchen die große Festmesse im St.-Martins-Münster in Fischbachau. 10 Minuten vor dem Gottesdienst sind wir schon in der prächtigen und dazu noch aufwendig geschmückten Kirche. Überall Blumen und Fahnen. Gerade noch rechtzeitig sind wir, um ganz hinten einen Platz, einen Stehplatz, zu bekommen. Nebeneinander sitzen dürften wir eh nicht. Die Frauen und Mädchen sitzen auf der linken Seite, die Männer und Buben rechts, durch den breiten Mittelgang getrennt. Stehen dürfen wir wenigstens nebeneinander aber nicht uns anfassen oder sonst wie berühren. Viele schwarze Lederhosen, graue und grüne Janker, viele dunkle Dirndl mit hellen Schürzen sind zu sehen und noch mehr Fahnen werden hereingetragen, dann kommen die Ministranten und zum Schluss unter dem, von vier ganz in Schwarz gekleideten Männern, getragenen und einem großen Heiligenbild bestickten Baldachin der Herr Hochwürden mit der Monstranz so seinem Kopf vorangetragen, dass sein Gesicht gar nicht zu erkennen ist. Orgelspiel und Kirchenchor und Weihrauch, der Pfarrer zelebriert mit dem Rücken zum Volk und in lateinischer Sprache. Das Volk antwortet in Latein, trotzdem es sicher, genau wie ich, nicht weiß, was die Worte bedeuten, die sich von Generation zu Generation weitervererbt haben. Obwohl ich seit Jahren nicht mehr in der Kirche war, erfasst es mich doch, bewegt mich, bringt mich zum Nachdenken über mein Verhältnis zu Gott, Religion und Glauben.
Seit 2 Jahren gibt es in Rom einen neuen Papst, den Johannes Nummer 23. Der Mann ist mir, anders als sein Vorgänger Pius, recht sympathisch. Ich habe den Eindruck, der hat nicht vergessen wie Armut und einfaches Leben schmeckt, da er doch aus einer großen Familie und einem sehr kleinen Bauernhof kommt. Es soll ja in nächster Zeit ein großes Vatikanisches Konzil veranstaltet werden, das die Kirche dem Volke näher bringen und die Differenzen zwischen den Glaubensrichtungen verringern will. Mir bringt dieses Konzil vielleicht auch die Kirche und den Glauben wieder näher.
Aber, unsere gemeinsame Nacht gestern, das Schönste, das ich meinem zugegebenermaßen noch nicht sehr langem Erdendasein erlebt habe, bleibt für die katholische Kirche eine große Sünde, ich glaube sogar eine Todsünde, die wir beide eigentlich so schnell als möglich beichten müssten und nie wieder begehen sollten. Wir denken gar nicht daran. Ich glaube auch nicht, dass Jesus das als Sünde angesehen hätte. Liebe als Sünde, Sex, (dieses Wort gefällt mir eigentlich gar nicht) nur nach der Trauung und nur zum Zwecke der Zeugung? Wie gerne hätte ich ihn darüber ausgefragt, viele Fragen hätte ich an Jesus Christus, sie werden wohl bis an mein Lebensende auf Antwort warten müssen. Bringt mich dieser Gottesdienst der katholischen Kirche wieder näher? Ulla ist gläubig, das sieht man ihr an. Sie ist ganz bei der Sache und singt und betet alles, kennt jedes Gebet und jedes Kirchenlied auswendig. Singen kann ich nicht und beten? Ich denke mir, wenn ich die Gebete nur so mit leiere, ohne es wirklich zu glauben, dann wäre das eine Beleidigung des katholische Glaubens und der Gläubigen, also lasse ich auch das Beten sein, obgleich ich die meisten Gebete seit meiner Kommunikantenzeit noch nicht ganz vergessen habe und falte nur meine Hände, mache das Kreuzzeichen und knie mich nieder, wenn die Glöckchen dazu auffordern und die anderen das auch tun, verhalte mich ansonsten ruhig und unauffällig. Keiner merkt, dass ich eigentlich nicht so recht dazugehöre.
Fast 2 Stunden geht die Zeremonie, bevor der Pfarrer das Volk segnet sein "gehet hin in Frieden, der Herr sei mit euch" spricht und die Orgel noch mal zu einem gewaltigen Schlusschor braust. Langsam leert sich die Kirche. Die verheirateten Frauen haben es eilig. Sie müssen heim an den Herd. Die jungen Leute stehen noch ein wenig herum, Burschen mit Burschen und Mädchen mit Mädchen. Ein wenig wird hin und her gefrotzelt, dann löst sich auch das auf. Die verheirateten Männer stehen entweder zusammen und ratschen oder sie gehen noch auf eine Maß ins Wirtshaus, bevor sie den Weg an den heimischen Mittagstisch finden. Wir schlendern noch kurz über den Friedhof. Ulla gefallen die vielen schmiedeeisernen Kreuze und wahrscheinlich denkt sie ein wenig an ihren Vater. Wir gehen, jeder in seinen Gedanken durch das Dorf und zur Wallfahrtskirche Maria Birkenstein. Dort ist es ruhig, erst für den Nachmittag ist eine kleine Andacht angesagt. Das Vogelgezwitscher stimmt uns wieder fröhlich, wieder nehmen wir uns in die Arme, setzen uns auf eine Bank und lauschen nur dem Gesang der Vögel und dem Summen der Insekten. Ein ganzer und ein halber Tag bleiben uns noch an dem wir nur uns gehören, keinen Gedanken an Familie, Beruf, Hektik, Lärm und Ärger wollen wir in dieser Zeit verschwenden. Wir wollen nur uns gehören, uns fühlen und glücklich sein.
Der Hunger meldet sich auch an diesem schönen Sonntag zu Wort. Wir sind sparsame Leute und so werfen wir den Spirituskocher an und machen uns eine Gulaschsuppe heiß. Den Gasthausbesuch mit gedecktem Tisch Bedienung und Trinkgeld heben wir uns wieder für den Abend auf. Den heutigen Nachmittag nutzen wir nur zum Baden im Wolfsee. Moorwasser ist gesund, auch wenn's noch nicht ganz „bacherlwarm“ ist. Im Gegensatz zur Isar ist das Moorwasser so weich, als würde es einen streicheln. Unseren Liegeplatz suchen wir uns so, dass wir zum einen nicht so arg eingesehen sind und zum anderen für Ulla möglichst viel Sonne und für mich einigermaßen Schatten zu finden ist. Im Wasser albern wir herum, auf den Luftmatratzen liegend unterhalten wir uns über alles, was uns gerade so in den Sinn kommt, dabei stellen wir fest, dass uns viele Ansichten über alle möglichen Dinge gemeinsam sind.
Wir machen Pläne für die Zukunft. In 2 Wochen wäre wieder ein langes, sogar ein ganz langes Wochenende, Fronleichnam ist am Donnerstag, der 17. Juni, "Tag der Deutschen Einheit" am Freitag. Leider können wir ausgerechnet diese Tage nicht miteinander verbringen. Ullas Mutter hat da ihren 50. Geburtstag. Zusätzlich hat sich in Ottobrunn auch ein für uns unangenehmer Besuch aus Würzburg angesagt und sogar ein Großcousin von Ulla, der Generalvertreter einer Weltfirma im fernen Persien am Kaspischen Meer ist, wird mit seiner Familie da sein.
Ich selbst habe seit etlichen Wochen mit Freunden der Gewerkschaftsjugend ein Treffen in der Nähe von Meran vereinbart. Am liebsten hätte ich es wieder rückgängig gemacht, aber das geht nicht, ohne mir großen Ärger einzuhandeln, außerdem wäre ich sowieso nicht bei der "Schwiegerfamilie" eingeladen gewesen. Dafür kennen wir uns noch viel zu wenig und die Begegnung mit den "Würzburgern" sollte tunlichst vermieden werden. Als Trost bleibt uns, dass noch viele Wochenenden kommen werden und in diesem Jahr auch noch 12 Tage Urlaub.
Wir haben noch diese Nacht und den morgigen Tag bis so um 3 Uhr Nachmittag, dann müssen wir leider wieder zurückfahren. Es wird wieder eine wunderbare Nacht in glücklicher Vereinigung, wir sind so froh uns zu haben. Der Höhepunkt ist wie eine Erlösung von allem, was uns sonst belastet. Wir fühlen uns gleichzeitig leicht und frei, von jedem Alltagsdruck befreit. Diesmal ist auch die Angst, etwas falsch zu machen weniger groß und so wird es noch schöner als in unserer ersten Nacht.
Es fehlen mir die Worte, es so zu beschreiben, wie ich es empfinde. In puncto Liebe und Sexualität ist unsere Sprache ohnehin ganz armselig, und wenn man die allgemein gebräuchlichen V.F.B.-Worte (Ficken, Vögeln, Bumsen) verwenden wollte, dann hat das ganze Thema der körperlichen Liebe einen Geschmack des ordinären, obszönen, überhaupt keine Ähnlichkeit mit dem, was sich in meinem, in unserem Empfinden abspielt. Wir sind nur einfach glücklich und froh, uns so nahe gekommen zu sein, den Gleichklang der Gefühle zu erleben.
Der Dienstag mit Wecker läuten, arbeiten gehen, den ganzen Tag konzentriert seine beruflichen Tätigkeiten zu verrichten, so gut, dass man selbst mit seiner Leistung zufrieden ist und auch der Chef nichts zu beanstanden hat, ist noch so weit von uns entfernt.
Am Montagvormittag verzichten wir auf den Kirchenbesuch, fahren stattdessen an den Schliersee, spazieren einmal rund um den See, schwimmen ein wenig, besuchen das Grab vom Wildschütz Jennerwein und gönnen uns beim Terofal noch ein richtig bayerisches Mittagessen mit Schweinsbraten, Kraut und Knödel, bevor wir am Wolfsee unser Zelt abbauen und die Heimfahrt antreten, glücklich, weil's so schön war und traurig, weil's schon wieder vorbei ist.
Ordnungsgemäß liefere ich Ulla wieder bei ihrer Familie ab und darf zu meiner Überraschung noch zum Abendessen bleiben, kalte Platte gibt es. Um 21.30 Uhr muss ich mich, auch das habe ich in der Tanzschule gelernt, von meiner künftigen Schwiegerfamilie verabschieden. Ulla geht noch bis zum Auto, im Treppenhaus küssen wir uns an einer Ecke, die keine neugierige Nachbarin durch den Türspion einsehen kann, ein letztes Mal ganz kurz, am Auto gibt’s nur noch die Hand, die neugierigen Nachbarinnen sollen noch nicht sehen, wie es um uns steht, das erfahren sie noch früh genug.