Читать книгу Die Metamorphose des Herrn Fuchs - Otto W. Bringer - Страница 11

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21. April 1956

Sonntagmorgen. Der mit Herr Fuchs angesprochene euphorisch. Einmal gesiegt, immer gesiegt, Jetzt die beste Gelegenheit, zur Villa zu gehen. In weißem Hemd und Cordhose wird er sich als «Baron Fernando von Fuchs» vorstellen. Sie werden ihn herein bitten. Platz nehmen lassen, wo er möchte. Auf dem rosafarbenen Sofa im Wintergarten. Die junge Frau ihm Likör und Gebäck bringen und sich neben ihn setzen. Ihn bitten, aus seinem Leben zu erzählen. Sie sei allein, der Vater soeben telefonisch gebeten worden, in der Stadt an einer Diskussion teilzunehmen.

Fährt mit der Straßenbahn bis Endstation. Geht leichten Fußes die kurvenreiche Landstraße. Alle Vögel sind schon da, pfeifend mit zum Kuss gespitzten Lippen. Das Bauernhaus ist nicht zu verfehlen. Erkennt das Schwarzweiß der Kühe von weitem. Die Villa, dem Bauernhaus gegenüber.

Oh, ein Glöckchen neben dem Eingang. An einem Hebel aus glänzendem Messing. Daran eine Schnur aus Leder, das Glöckchen zu läuten. Ziehe einmal und es klingt wie an der Sakristei-Tür, wenn die Messe beginnt. Nichts rührt sich. Nochmal, kräftiger. Nichts. Zwei-, dreimal so heftig, sodass sich das Glöckchen fast überschlagen hätte. Ein erschrockenes Kegg hören lässt und nichts geschieht. Niemand zuhause? Vielleicht weiß Angelika, wann sie wiederkommen.

„Hallo, Angelika!“ Die Tochter des schwerhörigen Bauern im gegenüber liegenden Haus überrascht, dass jemand nach ihr ruft. Eilt ihm entgegen:

„An der Stimme habe ich Sie erkannt. Sie sind doch einer der beiden Bauleute, mit denen ich gesprochen. Ihnen noch zehn Eier verkauft, erinnere mich. Im weißen Hemd und beiger Hose habe ich Sie nicht gleich erkannt. Verzeihung.

„Wissen Sie, wo die neuen Besitzer der Villa sind? Habe geklingelt, aber niemand zuhause.“

„Das trifft sich gut, Frau Johanson, die Tochter des Professors, bei mir gute Nachbarschaft zu feiern. Sie hat mich zuerst zu Champagner eingeladen. Heute ich sie zu einem ländlichen Mittagessen. Spiegeleier mit Speck, Schinken, Butter und Brot, alles selbst gemacht. Bis auf die Eier.“ Lacht. „Haben Sie Zeit, haben Sie Lust, kommen Sie herein. Können mit uns essen. Frau Johanson, die Tochter des Villenbesitzers wird nichts dagegen haben. Erzählen Sie uns eine lustige Geschichte, die Sie beim Anbau des Wintergartens erlebt haben. Und alle haben ihren Spaß.“

Im niedrigen Zimmer der Tisch gedeckt. Rund herum vier Stühle. Auf einem die Frau. Frau, die er sucht. In die er sich sofort verliebte, als er sie im Wintergarten sah. Jetzt ist sie hier, die Schöne. Nicht geträumt. Das seit Wochen ersehnte Wunder geschehen. Sie sieht ihn an und lächelt, reicht ihm die Hand:

„Ich bin Aviva. Wie heißen Sie?“ Ferdi überrascht: „Ferdi“. Räuspert sich: „Verzeihung, gnädige Frau, Freunde nennen mich Ferdi. Fernando von Fuchs mein Name“. Froh, im letzten Romanheft gelesen zu haben, wie Graf von Stetten sich Isabella, der Tochter des Königs vorgestellt.

„Nehmen Sie doch Platz, links von mir bitte, dann verstehe ich Sie und alles ist gut.“ Lächelt und rückt ihren Stuhl zurecht, als wollte sie Distanz gewinnen. Sicher sein, einem fremden Mann keine Chance zu geben, die Hand nach ihr auszustrecken.

Ferdi, der sich Fernando genannt, wollte loslegen, da fällt ihm ein, er ist ein Baron, kein Hilfsarbeiter am Bau. Angelika konnte nicht wissen, dass er die Rolle des Handlangers nur gespielt. So, wie er es in einem Roman gelesen. Als Sohn eines Konzernchefs sollte er die Firmen seines Vaters besuchen. Die Mentalität einfacher Arbeiter kennenlernen. Kontrollieren, ob sie pünktlich am Arbeitsplatz sind. Das Resultat ihrer Arbeit fachlich korrekt, den Vorgaben von Architekt oder Auftraggeber entspricht. Niemand sollte erfahren, dass er als kommender Nachfolger den Konzern von der Pike auf kennenlernen sollte. Was jetzt? Ferdi grübelt, was passt zu mir und dem, was ich gelesen? Ja, so ginge es:

„Ich war einige Monate unterwegs, im Auftrag meines Vaters Baustellen seiner Firmen in Westdeutschland zu kontrollieren. Qualität der Arbeit und Verlässlichkeit der Arbeiter. Inkognito, wie Sie sich denken können. Zog Arbeitskleidung an. Bewarb mich, um unerkannt zu sein, als Waisenkind, das für geringes Entgelt Arbeit als Handlanger sucht. Nacheinander in mehreren Firmen den Auftrag meines Vaters erfüllt. Hier gegenüber die Villa, das letzte Objekt meiner Kontrollbesuche.“

Ein Waisenkind bin ich, das stimmt. Ein Glück, dass Abebi jetzt in unserem Team und ich Interessantes von ihm erzählen kann. „Von Abebi, dem einzigen Schwarzen im Team muss ich Ihnen erzählen. Machte mit einer Reisegruppe zwei Wochen Ferien in Ägypten. Wir segelten zum Schluss auf einem Felachenboot bis an die Grenze von Nubien. Mir war sehr heiß, zog Hemd und Hose aus und sprang in den Nil, mich abzukühlen. Trieb aber stromab, immer weiter vom Boot entfernt. Bald keine Kraft mehr, gegen die Strömung zu schwimmen, das Boot einzuholen. Abebi noch an der Stelle, an der wir abgesegelt. Als hätte er es geahnt. Sah mich kommen, sprang ins Wasser und zog mich an Land. Besorgte mir einen Djellaba und legte mich in den Beiwagen seines Motorrades. Fuhr bis Kairo, wo ich die Reisegruppe traf, mit ihr wie geplant, nachhause fahren konnte. Abebi konnte ich überreden, mit mir nach Deutschland zu kommen. Er suchte Arbeit als Maurer und fand sie in einer Firma meines Vaters.

„Was können Sie uns noch von diesem Schwarzen erzählen? Er muss Sie sehr beeindruckt haben.“

„Abebi hat viel Fantasie, sich vorzustellen, was es gar nicht gibt. Sieht Geister und hört ihre Stimme. Auch körperlich stärker als alle anderen. Hält eine Back, gefüllt mit 20 kg Mörtel eine Stunde an ausgestreckten Armen. Ohne zu schwanen.“

„Muss es nicht schwanken heißen?“ „Oh ja, schwanen.“ „Schwanken, Herr Baron. Ich will nicht zudringlich werden. Leiden Sie unter Sprechstörungen? Es muss fürchterlich für Menschen sein, sich nicht richtig ausdrücken zu können. Andere ihn nicht oder falsch verstehen. Hänseln und verspotten sogar. Haben Ihre Eltern Sie nicht zu einem Therapeuten gebracht? Meist kann man ihnen helfen. Edward VI., König Groß-Britanniens stotterte bei seiner Antritts-Rede und niemand lachte. Jeder wusste, er hatte eine schwere Kindheit. Alle aber jubelten, als er 1945 auf dem Balkon des Buckingham-Palastes mit seiner Familie und Churchill den Sieg über die Nazis verkündete, ohne zu stottern. War Ihre Kindheit auch schwer? Probleme mit dem Sprechen gehabt? Möchten Sie darüber sprechen? Oder lieber nicht? Ich respektiere Ihre Entscheidung, gleich, wie sie ausfällt.“

Ferdi, alias Fernando, greift zu Brot, verstreicht Butter und legt zwei Scheiben Schinken darauf. Beißt zu wie ausgehungert. Was kann er sonst tun als essen, was man ihm anbietet. Kauend noch bittet er Angelika:

„Sind Sie so freundlich, mir das letzte Spiegelei mit Speck auf meinen Teller zu legen? Vielleicht auch ein Bier dazu? Echt Düssel-Alt, das obergärige mit wenig Alkohol? Ein solches Mittagessen muss gefeiert werden. Mit zwei schönen Frauen, die lieb zu mir sind.“

Beißt und kaut länger am Schinkenbrot als nötig, Zeit zu gewinnen und nachzudenken. Eidotter mit Speck kauend rutscht ihm, versehentlich, wie es scheint, heraus:

„Jetzt sitze ich zwei schönen Frauen gegenüber, die ich auf der Stelle umarmen möchte, würden sie es mir erlauben.“

Woher er diesen Mut genommen, weiß er nicht. Es kam so aus ihm heraus. Aus irgendeiner Tiefe, weit ab vom Gehirn. Das, wie man sagt, verpflichtet ist zu denken. Wie sagte Jupp noch beim Abschied? Ich soll mehr auf meine Gefühle vertrauen. Nicht so viel denken. Wissen könnte man eh nicht alles.

Die beiden ein wenig verwundert, aber auch amüsiert. Aviva lenkt ab: „Welche Absicht hatten Sie, als sie sich auf den Weg zu diesem Vorort machten? Ist doch der Wintergarten fertig. Kein Maurer mehr nötig. Wohne mit einem Vater schon eine Woche in dieser Villa gegenüber. Sagen Sie es, frei von der Leber. Sie finden schon Worte, die ich verstehe.“

Ihre hellblauen Augen blicken in seine Bernstein strahlenden und lächelt. Streicht mit der Linken ihr langes, hellblondes Haar aus der Stirn hinter das linke Ohr. Um besser hören zu können? Vermutlich will sie besser verstehen, wenn ich rede. An ihrem linken Ohrläppchen blinkt Rot im Licht der Lampe über dem Tisch. Was kann es sein? Noch nie gesehen bei einer Frau. Eine neue Art von Hörgerät darin versteckt? Ich werde lauter sprechen als normal, damit sie mich gut versteht. Vor allem aber ablenken. Sie darf nicht wissen, dass ich nur ihretwegen hier bin. Hoffentlich kann ich mich beherrschen.

„Ja, wo soll ich anfangen? Am besten, als ich noch zur Schule ging. Zum ersten Mal im Dorf und nicht in der elterlichen Villa außerhalb.“ Hebt seine Stimme ein, zwei Dezibel an und sieht aus dem Fenster, als erinnere er sich:

„Levin war mein bester Freund. Schon in der Grundschule spielten wir Fußball. Obwohl es kein Fußball war, sondern ein runder Kieselstein. Schossen ihn nicht wie heute mit Schwung. Sondern stießen ihn mit dem Fuß über den sandigen Platz, soweit wir konnten. Wer das Tor mit den wenigsten Schüben erreichte, war Sieger. Der Verlierer musste ihm eine Flasche mit Dotzwasser schenken.“

Aviva und Angela gleichzeitig „Was ist Dotzwasser?“ Ha, jetzt bin ich der Besserwisser:

„Kleine Flasche aus Glas mit Sprudelwasser und viel Kohlensäure. Verschlossen nicht mit einer Kapsel wie heute, sondern mit einer Glaskugel innen am oberen Ende der Flasche. Die perlende Kohlensäure drückt sie nach oben und verschließt sie von innen. Wollten wir trinken, mussten wir diese Glaskugel mit dem Daumen kräftig nach unten drücken. Dann rasch an den Mund, das zischende, perlende Wasser schlucken. Dieses erste Mineralwasser konnte man damals an allen Kiosken kaufen. Nicht mehr nur in Baden-Baden und anderen Mineralbädern. In denen Leute vier Wochen lang täglich Wasser aus Quellen der Erde trinken. Weil es gesund sein soll.“

„Sie brauchen nicht so zu schreien, sprechen Sie ganz normal. Ich verstehe Sie dann besser. Angelika wird es genauso ergehen, nicht wahr, meine Liebe? So jetzt zu Ihrem Problem: Dotzwasser kann nicht die Ursache Ihrer Sprachschwierigkeiten sein. Es muss andere Gründe haben. Weiß von meinem Vater, er ist Psychiater, dass bestimmte Erlebnisse in der Kindheit Gemüt und auch die Sprache beeinträchtigen können. Was war damals passiert?“

Ferdi nicht damit gerechnet, zögert. Versucht ein nachdenkliches Gesicht zu machen. Zu erinnern, was er erlebt oder in einem der zahlreichen Groschenromane gelesen. Die Frauen sehen ihn aufmerksam an. Erwarten bestimmt eine sehr traurige Geschichte. Dann macht es bei ihm Klick, irgendwann gelesen, was jetzt passt:

„Eines Tages hielt ein großes Auto vor dem Haus der Eltern meines Freundes. Glaube, es war Nachmittag, die Schule aus und Levins Familie beim Kaffeetrinken. Ich wollte danach mit ihm im nahen Bach Stichlinge mit einem Sieb fangen. Auf dem Weg zu ihrem Haus sah ich Männer in schwarzen Uniformen, Totenkopf auf der Mütze. Hakenkreuzbinde am Arm. Rannten zum Haus von Levins Eltern. Pistolen in den Händen. Schlugen mit ihnen auf die Haustür, schossen ein paar Mal. Die Türe von innen geöffnet. Sprangen hinein, stießen Levins Vater beiseite. Es polterte und krachte. Lautes Geschrei von Männerstimmen. Frauen weinten. Plötzlich flog das große Fenster in der ersten Etage auf, das Klavier herunter geworfen auf den Rasen im Vorgarten. Das Gehäuse in Einzelteile zerfallen. Die Saiten schrien auf ein letztes Mal. Tisch, Stühle, Gläser und teure Vasen aus China auf dem Steinweg vor dem Haus zerbrochen.“

Ferdi scheint es mitgenommen zu haben, stockt einen Moment: „Dann kamen sie heraus. Levin und seine Eltern. Die Hände am Rücken gefesselt. Gestoßen, in das Auto geschubst und geschrien: „Juda verrecke!“ Nie mehr habe ich sie wiedergesehen.“

In Ferdis Kopf ein Sammelsurium von Gelesen und Erlebt. Ließ ihn erzählen, was er noch nie gedacht und ausgesprochen. Jetzt ist alles präsent, wenn auch verschwommen. Zusammen gewürfeltes Mixtum Compositum aus Waisenhaus, Schule und aufregenden Geschichten. Mit Adeligen, Prinzessinnen, reichen und armen Leuten, SS-Soldaten und einem Judenkind. Groschen-Romane, die er mit heißem Herzen gelesen. Geglaubt, er selber wäre ein Adeliger. Ein zum Sterben verurteiltes Judenkind. Alles nur gefühlt, nicht gewusst. Begriffen, alles wird sich ändern. Schaut Aviva länger an, als es die Sitte bei Adeligen erlaubt hätte. Das süße, kleine Ohr mit dem winzigen Etwas am Läppchen. Total vergessen, was er sich vorgenommen, sie nicht wissen zu lassen, dass er in sie verliebt ist:

„Haben Sie gut verstanden, was ich erzählte, Aviva?“ Ihr Haar fiel wieder übers Ohr, als sie Ihren Kopf neigten, um mir zuzuhören. Mag lieber, wie es vorher war. Als Sie es hinter Ihr linkes Ohr gelegt. Konnte das rot leuchtende Minimum am linken Ohrläppchen bewundern. Den schlanken Hals, den Übergang zur Schulter. Und ahnen, wie es weiter geht.“ Ferdi völlig außer sich:

„Ob Sie es glauben oder nicht: Ich möchte alles, was war, vergessen, nur noch den Augenblick genießen und Ihre Gegenwart.“ Blickt nur noch Aviva an: „Ihre schmalen Hände in meine nehmen. Ihr langes, blondes Haar wieder hinter das linke Ohr legen. Sodann Ihren schlanken Hals küssen. Vom Haaransatz bis dahin, was ich mir nur vorstellen kann. Überzeugt, bald werden auch Sie mich lieben. Wie ich Sie liebe, seit ich Sie auf der Terrasse vor dem Wintergarten gesehen. Die schönste Frau der Welt.“

Angelika strahlt übers ganze Gesicht. Blickt Ferdi an, als wollte sie aufspringen, ihn umhalsen und alles küssen, was sich küssen lässt. Die Tochter eines Professors wird ihn nicht heiraten. Aber ich will es. Er den Vater ins Altersheim bringen und ich seine Frau sein, Baronin Angelika von Fuchs. Mit ihm in seinem Schloss wohnen und vielen Mägden und Knechten befehlen. Nie, nie mehr selber alles machen müssen.

Aviva beherrscht: „Sie haben sehr deutlich gesprochen. Mir war sofort klar, dass dieses Erlebnis Ihr kindliches Gemüt nachhaltig geschädigt. Sicher auch ihre Erziehung in einem liberalen Elternhaus, das Juden, Freigeister, andere Sitten und Weltanschauungen großzügig toleriert. Sodass beides bis heute wirkt. Erkenne es an den begehrlichen Vorstellungen eines erwachsenen Mannes, der in mir nur die Frau sieht. Darauf erpicht, sie zu besitzen. So wie man eine Villa, ein Klavier besitzt. Um darauf nach Lust und Laune spielen zu können.

Falls Sie es noch nicht wissen sollten: Frauen wollen nicht besitzen – nur lieben, um wiedergeliebt zu werden. Nur wenige Männer kennen dieses Bedürfnis nach gemeinsamem Erleben. Die meisten lassen sich von sexueller Lust treiben, um sich zu befriedigen. Ich schlage vor, Sie kommen zu meinem Vater und lassen sich therapieren. Noch aber weiß ich nicht, was Sie heute hierher geführt. Sagen Sie es, ich reiße Ihnen nicht den Kopf ab.“

Schaut aus dem Fenster: „Da ist er schon. Wie immer, wenn man von ihm spricht. Gerade aus dem Taxi gestiegen, eiligen Schrittes, als triebe ihn die Sehnsucht, anzukommen, wo sein Zuhause ist. Jetzt steht er schon vor der Tür der Villa. Holt den Schlüssel aus der Manteltasche.“

Aviva erhebt sich, rasch noch den letzten Bissen in den Mund gesteckt, den Rest des Kaffees getrunken:

„Lecker war ’s bei Dir, Angelika und aufregend. Danke vielmals. À bientôt, bis bald. Ich melde mich, sobald ich aus Paris zurück bin.“

„Fernando, wir gehen jetzt rüber ins Haus. Mein Vater wird überrascht sein, mich nicht allein zu sehen. Später fragen, wer Sie sind. Besser, wir sagen ihm gleich, um was es geht. Fragen ihn direkt, wann er Zeit für Sie hat.“

Ferdi an ihrer Seite. Schreitet, schwebt geradezu. Ihr Parfüm in der Nase, vom Winde verweht. Klack, klack, der Takt ihrer Stöckelschuhe auf dem plattierten Weg. Bald ist er am Ziel. Die Villa von innen sehen. Wissen, wie sie eingerichtet sind. Wohnraum mit dem Wintergarten kennt er. Nur ohne Möbel. Keine Ahnung, wieviel Zimmer die Villa hat. Das Sprechzimmer des Professors kennenlernen. Vor allem Aviva sehen, mit ihr sprechen. Nach der Behandlung wird sie mich zu einem Kaffee einladen. Zum Abschied auf die Wangen küssen. Mir wird schon einfallen, wie ich die Therapie verlängere, von meinem Sprachproblem befreit, schwanen richtig ausspreche.

Den Sprung vom Waisenkind bis zum Baron habe ich selber geschafft. Jetzt muss der Professor mich nur in meiner Absicht bestärken, schlau wie ein Fuchs zu sein. Die sollen sich in verlassene Dachshöhlen einschleichen, um zu überwintern. Auch ich ein Fuchs, der kein Zuhause hat. Bald aber mit Aviva in dieser Villa wohnen wird. Bisher mehr oder weniger auf das Mitleid anderer angewiesen. Nicht lange und alle werden mich beneiden. Als Baron Fernando von Fuchs erreichen, was Ferdi, dem Waisenkind nie gelingen kann.

Ferdi, im zwei Stockwerke hohen Vorraum, kann es nicht fassen. Von außen nicht erkennen können. Vom Wintergarten damals nur in einen der Wohnräume gesehen und schon beeindruckt. Der Empfang ein Oval mit rechts und links sich aufwärts schwingenden Treppenläufen. Die Stufen mit grünem Teppich belegt. Von dünnen Messingstangen am Verrutschen gehindert. Messinggeländer, Menschen vor dem Absturz zu bewahren. Unten drei, oben vier Türen. Sie müssen viele Zimmer auf beiden Etagen haben.

Unten vor der Rückwand des Ovals ein rotlackiertes Schränkchen. Darauf eine große Vase mit einem Lampenschirm. Ferdi neugierig, streicht über den Vasenkorpus. Aha, Porzellan, wie die Vase im Büro seines letzten Chefs. Dann will er wissen, warum das Licht der Lampe so weich, so unerhört milde scheint. Fühlt den Stoff, zärtlich streicht seine Hand über die Hülle, die bei den meisten Lampen aus Pergament besteht. Im Lampengeschäft gesehen, gefragt und erfahren. Die hier fühlt sich weich an wie, ja wie? Wäre Ferdi mit einer Frau befreundet, wüsste er, dass es Seide ist.

Darüber, von der Decke herunter gelassen, ein trichterförmiges Glas. Über und über gefüllt mit blühenden Dahlien. In den herrlichen Farben des beginnenden Sommers. Als er noch steht und sich wundert, nicht weiß, ob er träumt oder alles wirklich ist, Avivas Stimme:

„Ich möchte Dir, lieber Vater, Baron Fernando von Fuchs vorstellen. Der Zufall fügte es, dass wir uns bei unserem Gegenüber, der Bäuerin Angelika Zeyens kennenlernten. Eine Stunde, bevor Du nachhause kamst.“

„Joshua, mein Name, und Sie sind also Fernando. Wusste nicht, dass es Füchse gibt, die Fernando heißen. Und ein Baron obendrein, wie ich ein Professor. Doch lassen wir dieses Gesellschaftsspiel gegenseitiger Respekthuberei. Üblich bei Leuten, die mehr scheinen wollen als sie sind. Auch Zweitnamen belegen nur, dass es irgendwann einmal einen David in meiner Verwandtschaft gegeben. Aber keinen, der Goliath mit Hilfe einer Steinschleuder tötete. Sie haben keinen zweiten Namen, Monsieur le Baron?“

Er meint mich, auch wenn es Französisch klingt. Soll ich einen erfinden, klar zu machen, auch ich habe eine endlose Reihe von Vorfahren? Er wird es herausfinden, wie alle Professoren etwas herausfinden wollen. Sonst wären sie kein Professor geworden. Ich will zwar auch herausfinden, wie ich in den Besitz dieser Villa komme. Aviva eingeschlossen. Um mit ihr allein zu sein, muss ich ihren Vater irgendwie beseitigen. Sicher fällt es mir ein, wenn ich die Behandlung hinter mir habe. Den Professor besser kennengelernt, seine Vorlieben, vor allem aber seine Schwächen:

„Ich habe keinen zweiten Namen, vermisse ihn auch nicht. Ein Fernando reicht. Freunde nennen mich Ferdi, kurz und knapp. Knapp, wie Ihre Zeit sein dürfte. Als Professor der Psychogie ständig beschäftigt, kranken Menschen zu helfen. Die Welt ist voll kranker Irrer. Sie wissen es, sonst hätten Sie nicht Psychogie studiert. Ihre Frau Tochter meinte, Sie könnten mein Problem beim Sprechen beseitigen.“

„Sprechen Sie mir das Wort Psychologie nach. Silbe nach Silbe, die ich Ihnen vorspreche.“

Jetzt macht er es genauso wie seine Tochter mit dem Wort schwanen. Als wäre ich blöd. Wüsste nicht, dass es schwanen heißt.

Jetzt bitte: „Psy“ – „Psü“, „cho“ – „cho,“ „lo“ – „lo“, „gie“ – „gie“. Eben noch sagten Sie Psychogie. Erinnern Sie sich? Dann sagen Sie nochmal, wie es richtig heißt.

„Psüchogie.“ Wo sie Recht hat, hat sie Recht.

„Monsieur le Baron, Ich werde Avivas Vorschlag folgen und Sie therapieren.“ „Interessant, interessant.“ Lächelt, sieht seine Tochter an wie ein Verliebter, so kommt es Ferdi vor. Umarmen sich, lachen plötzlich aus vollem Halse. Sie müssen sich sehr lieben. Ferdi möchte heulen, laut schreien. Am liebsten zu ihnen laufen. Sie zu umarmen, um von ihnen umarmt zu werden. Endlich spüren, wie es ist, geliebt zu werden.

„Setzen wir uns doch, dafür stehen die Sessel ja da.“ Professor und Terminkalender sind eines. Im Nu aus der Jackentasche gezaubert und geblättert, den Stift in der Hand: „Ja, es ginge bei mir diese Woche für ein erstes Gespräch. Passt Ihnen Freitag, der 3. Mai, 10:30 Uhr vormittags? Rechnen Sie etwa mit anderthalb bis zwei Stunden.“

„Zufällig habe ich in dieser Woche eine wichtige Verabredung. Leider muss ich um einen anderen Temin bitten.“ Blättert, blättert, vor und zurück: „ Wie wäre es am Montag der nächsten Woche in der Früh um 08:00 Uhr?“ „Oh je, da muss ich wieder passen. Morgens geht es eigentlich nie.“ Blättert, blättert: „Geht es Mittwoch, den 8. Mai um 15:00 Uhr? Aber nur eine Stunde Zeit für Sie. Für den Anfang wird es genügen.“

Ferdi verzweifelt, muss er doch arbeiten und Geld verdienen. Jetzt sowieso, wer weiß, was der Professor kostet: „Am besten ginge es nachmittags nach 16:30 Uhr. Oder samstags oder sonntags. Da habe ich keine Verpflichtungen.“

Ohne ins Notizbuch zu sehen: „Dann halten wir doch gleich nächsten Sonntag fest. Was ist Ihnen lieber, Vormittag oder Nachmittag?“

Ferdi erleichtert: „Nachmittag, Herr Professor.“ „Verstehe, Sie besuchen vormittags den Gottesdienst. Das will ich unter keinen Umständen verhindern. Bietet Religion doch den einzigen Halt in dieser gottlosen Welt. Also, Sonntag, den 5. Mai 15:30 Uhr bei mir hier in meiner Privat-Praxis.“

„Werde am Sonntag um 15:30 Uhr nachmittags auf der Matte stehen. Pünktlich wie ein Maurer.“ Der Professor lacht hellauf: „Exactement, haben Sie etwa am Bau meiner Villa mitgewirkt? Der Maurer ein verkappter Adeliger?“ Lacht und sieht dabei Aviva an. Sie aber lacht nicht, enthält sich des Kommentars. Ein Drama bahnt sich an, fürchtet sie. Verabschiedet ihn:

„Au revoire“, besinnt sich: „Tschö Fernando. Kommen Sie gut nachhause, bis Sonntag.“ Deutet mit der linken Hand ein Winkewinke an und schließt mit der rechten die Tür hinter ihm: „Vater, Deine letzte Bemerkung war wirklich überflüssig. Aber Du hast Recht.“

„Hat dieser Baron Fernando Fuchs etwa am Bau der Villa mitgearbeitet? Undercover? Weißt Du mehr, dann sag es mir. Wann und wo hast Du es erfahren? Raus mit der Sprache.“ Streng fordernd, als wollte er nachholen, was er in der Vergangenheit versäumt.

„Nur das Wichtigste: Er ist der Sohn eines Adeligen, dem viele Firmen gehören. Unter anderem auch drei Baugeschäfte. Als Nachfolger vorgesehen, muss er praktisch arbeiten. Techniken kennenlernen und ihre präzise Umsetzung durch alle am Bau Beteiligten. Gleichzeitig kontrollieren, ob alle pünktlich sind und das tägliche Pensum erfüllen. Die Qualität stimmt. So erzählte er es uns, Angelika und mir.“

„Auf welch geheimnisvolle Weise habt Ihr Euch mit ihm im Bauernhaus gegenüber getroffen? Zufall oder Verabredet?“

Vater Joshua kennt seine Aviva: „Auch Deine Mutter überraschte mich öfter. Erinnere, Leningrad befreit, da kam sie mit über einer Stunde Verspätung vom Einkauf zurück. Ein gerupftes Huhn in der linken, in der rechten Hand das Buch «Gulag» von Solschenizyn, vom KGB unbemerkt von Freunden gedruckt.“

„Uns hat dieser Baron auch überrascht. Plötzlich vor dem Bauernhaus und rief nach Angelika. Sagte, er hätte an der Türe der Villa geschellt, aber niemand habe die Tür geöffnet. Angela bat ihn herein und dann saßen wir am Mittagstisch und haben erzählt. Er mehr als wir. Es muss ihn irgendwas beschäftigen, redete viel, auch dummes Zeug. So wie Männer, denen etwas fehlt. Liebe zum Beispiel, Anerkennung. Er hätte sich den Kumpels am Bau als Waisenkind vorgestellt, das Arbeit sucht. Auch am Wintergarten unserer Villa kontrolliert, ob alles wie geplant verläuft.“

„Das passt doch zu dem, was ich spontan von mir gab. Als hätte ich es geahnt: Undercover im Auftrag seines Vaters.“

Aviva hat Fernandos Gesicht noch vor sich, als er sie ansah und versuchte, ihr mit irgendwo gelesenen Worten zu beteuern, sie sei die schönste Frau der Welt.

„Ich werde das Gefühl nicht los, er schwindelt. Möchte größer, wichtiger sein, respektiert werden. Vielleicht ist er gar kein Adeliger. Zu viele Groschen-Romane gelesen, die seine Fantasie geweckt. Den Wunsch, ein Baron zu sein. Einer, dem Frauenherzen zufliegen.“

Joshua blickt sie nachdenklich an, ein Vater, der sich um seine Tochter Sorgen macht: „Hast Du Dich in ihn verliebt?“ „Nein! Wo denkst Du hin? Aber seine liebenswerte und gleichzeitig irritierende Art, eine Rolle zu spielen, interessiert mich. Bin sehr gespannt, wie Du ihn nach einer Therapie charakterisierst. Sag ’s mir, wenn Du soweit bist. Habe das Gefühl, er wird dann versuchen, mit mir Kontakt aufzunehmen. Weil er sich in mich verliebt hat. Ich aber fahre nach Paris, um in meinem Atelier das Portrait von Edith Piaf fertig zu malen, korrigieren, changieren, Du weißt schon.“

„Du hattest mir doch in Sankt Petersburg hoch und heilig versprochen, bei mir zu bleiben. Was zieht Dich jetzt nach Paris? Ist es Dein derzeitiger Freund Fernando, der sich zufällig auch dort aufhält? Zufällig auch wie dieser von Fuchs Fernando heißt. Mach, zu was es Dich treibt. Um mich mach Dir keine Sorgen. Anna sorgt für mich. Ich hatte sie an Deiner statt gebeten, das Pessach-Mahl an meinem Achtzigsten zu kochen. Du versprachst, es mir zu schenken, erinnere Dich. Und Anna beweisen, dass sie nicht nur die Frau, auch die Tochter zu ersetzen imstande ist. Sie kocht perfekt, wie Du weißt. Nach unserer Rückkehr aus Sankt Petersburg hat sie es bewiesen. Alle Menues meisterlich gelungen. Bis heute das Haus versorgt, als sei es ihres.“ „Väterchen, Väterchen! Ohne dass ich es gemerkt: Joshua David auf Freiersfüßen?“

Die Metamorphose des Herrn Fuchs

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