Читать книгу Die Metamorphose des Herrn Fuchs - Otto W. Bringer - Страница 7
Оглавление15. April 1956
Albert erleichtert, Ferdi nach zwei Wochen gesund wiederzusehen: „Ägypten scheint Ihnen gut getan zu haben, Herr Fuchs. Pünktlich zurück und kerngesund, wie ich sehe. In der Mittagspause erzählen Sie, was Sie am meisten beeindruckt hat, okay? Abebi heiße ich als neuen Mitarbeiter willkommen. Neue Aufträge brauchen einen kräftigen Mann.“
Anna dabei, das Portal der Villa mit Girlanden zu schmücken, die Ankunft ihres Brotherrn zu feiern. Alle Zimmer geputzt, Teppiche gesaugt. Möbel außen und innen gereinigt. Die Schubladen des Schreibtisches herausgezogen, einen Zettel beim Staubputzen entdeckt. Gelesen, was alles zu einem Berliner Menue gehört. Es muss ihm nicht nur geschmeckt haben, auch mehr bedeuten. Anna hofft, alles beschaffen zu können. Gespannt, wie er reagiert, wenn sie es kocht und ihm serviert. Alles vom Staub befreit und wieder eingeräumt. So, wie sie es vorgefunden. An alles gedacht und nichts vergessen?
Was sie nicht wusste, nicht einmal ahnen konnte: Im Geäst unter dem Blätterdach eines riesigen Rhododendron- Busches hatte sich Ferdi versteckt. Jeden Abend mit dem Fahrrad zur Villa gefahren. Herauszubekommen, wann der Hausherr von seiner Reise zurück. Sich zu merken, wie ein Villenbesitzer aussieht. Allein kommt oder mit Frau. Wie alt er ist, dick oder spindeldürr. Vornehm gekleidet oder wie Jedermann? Mit dem Taxi oder eigenem Rolls-Royce und Chauffeur? Der Wagen müsste noch vor der Villa stehen. Oder in einer Tiefgarage verschwunden sein.
Am vierten Abend sieht er Girlanden über dem Eingang. Willkommensgruß, denkt Ferdi. Heute wird er erwartet. Wartet und guckt sich die Augen aus dem Kopf. Nichts geschieht in den drei Stunden, die er sich vorgenommen.
Als er am folgenden Abend nach Einbruch der Dunkelheit das niedrige Gatter übersprungen, sich heran schleicht, sieht er den Wintergarten hell erleuchtet. Einen alten Mann, der sein Großvater sein könnte. Schlohweiß Bart und Haupthaar. Bei ihm eine junge Frau. Ferdi wie elektrisiert: schlank, tolle Figur, langes blondes Haar. Die will ich haben, umarmen und küssen. So viele Jahre von Liebe nur geträumt, nie erlebt. Pummelchen hatte einen Wunsch geweckt. Nun packt ihn das Verlangen.
Bloß, wie fange ich es an, sie kennenzulernen? In seinem Hirn nur Turbulenzen, die keinen vernünftigen Gedanken zulassen. Einfälle, nichts anderes als Ausfälle logischen Denkens: An die Scheibe des Wintergartens klopfen, „Bitte lassen Sie mich herein schöne Frau?“ Quatsch, geht nicht, erst den alten Mann ausschalten. Vater oder verliebter Tattergreis. Sieht, sie prosten sich zu, umarmen sich und lachen. Da steht sie auf vom Sofa, geht an die Glastür und schiebt sie beiseite. Tritt auf die Terrasse, die sie zuletzt noch mit Steinplatten belegt. Einen riesigen Tontopf aus der Toskana aufgestellt, einen bereits gelb blühenden Magnolien-Baum eingepflanzt.
Ferdi nur einen Gedanken im Kopf: Die Frau will ich haben, und wenn ich sie entführen müsste. Jetzt aber nicht gesehen werden. Verdrückt sich seitwärts von Rhododendron zu Rhododendron. Schlüpft durch die einzige Lücke in der Zypressenreihe auf der Grenze zum Nachbarn.
Der offensichtlich abwesend. Niemanden gesehen, von keinem Hund verbellt, die Hütte leer. Der Schornstein dampft nicht, die Läden geschlossen. Ich werde wiederkommen. Und dann mit einem Plan, die Frau zu erobern, schwört er. Heute noch werde ich in die Bahnhofs-Buchhandlung gehen. Ein Taschenbuch von Agatha Christi kaufen. In dem bestimmt eine Entführung mit allen Details beschrieben ist. Wenn nicht, dann andere Methoden, Geld oder Schmuck gestohlen, was mich anregen könnte. Genaues nicht in seinem Kopf. Nur die Frau und der alte Mann. Vater, Onkel, Liebhaber machen es nicht einfacher.
Menschenmassen drängen sich vor den Regalen. Reisende, den rollendem Koffer hinter sich. Andere einen Rucksack auf dem Rücken. Kind an der einen, Hund an der anderen Hand. Schleichen von Titelseite zu Titelseite. Nebeneinander ausgelegt, zu vergleichen. Nasen nah den schmalen Bücherrücken im Regal darüber. Als könnte man erschnüffeln, was lesenswert.
Spannend scheinen alle zu sein. Besonders die in der Abteilung KRIMIS. Geballtes Angebot. Geballt das Publikum vor prall gefüllten Regalen. Ferdi wartet. Wartet lange, will sich Zeit nehmen, in aller Ruhe ein paar Seiten lesen. Möglichst vieler Bücher, um sicher zu sein: so kann ich ’s machen. Die Zeit vergeht. Der schwarze Zeiger im weißen, schwarzschmal gerahmten Viereck der Bahnhofsuhr soeben auf 21:47 Uhr gerückt. Ferdi daran erinnert, es ist spät. Müde, drei Stunden gestanden unterm Rhododendron. Das Rad getrampelt, zu Fuß die Treppe runter zur Bahnhofs-Buchhandlung. Und jetzt wieder stehen müssen.
Drängt sich zwischen zwei junge Mädchen: „Sorry.“ Kichern und reden weiter, ohne ihn anzusehen. Gehofft, sie hätten sich umgedreht und gelächelt. Das einzige englische Wort, irgendwo aufgeschnappt und behalten. Zuletzt mich noch im Speisewagen bei diesem Pummelchen entschuldigt. Sorry, als mich eine Kurve an ihren Tisch warf. Nochmals sorry, als wir gleichzeitig aufgestanden und ich eine Sekunde an ihrem Busen glücklich war. Wie sich die Frau auf der Terrasse wohl anfühlt, wenn mich das Schicksal an ihren Busen wirft? Das Mädchen hier reagierte nicht, als ich sorry sagte. Sich nicht mal umgedreht, einfach mit der anderen weiter gequatscht. Blöde Gans mir gerade noch verkniffen.
In einem Regal drei Reihen mit Krimis von «Agatha Christie». Mit dem berühmten Detektiv «Hercule Poirot». Dem die kleinen grauen Zellen in seinem Gehirn immer die richtigen Ideen eingeben. Selbst die raffiniertesten Tricks von Mördern, Dieben oder Entführern zu durchschauen. Das ist mein Mann, denkt Ferdi und greift zum ersten Band: «Die Entführung des kleinen Johnnie». Überfliegt die Inhaltsangabe auf der Rückseite des Umschlages.
Mr. und Mrs. Waverly wenden sich verzweifelt an Hercule Poirot. Ihr Sohn Johnnie sei entführt worden. Obwohl angekündigt, das Haus Tag und Nacht bewacht, nichts Auffälliges gefunden. Keine Spur der Entführer. Bis der Kleine quietschvergnügt eines Abends auftauchte. Würde Ferdi den Roman kaufen und lesen, wüsste er: Jonny ist einem Engel gefolgt. Der habe ihm erzählt, wie wunderschön es im Himmel ist. Sollte es seinen Eltern sagen. Damit sie sich nicht mehr streiten und später dann mit ihm im Himmel glücklich sind.
Da das Buch von einem Kind, nicht von einer Frau handelt, sucht er weiter. «Wie Agatha Christie spurlos verschwand» weckt seine Neugier: Agatha Christie, eine Frau, noch unbekannte Schriftstellerin und plötzlich verschwunden. Die Presse vermutet Entführung? Ehedrama? Mord oder Suizid? Dieses Wort nie gehört, muss aber was Schlimmes sein, denkt Ferdi. Liest weiter: Agatha hielt ganz England in Atem. 16.000 Menschen beteiligten sich an der Suche. Polizisten mit Spür-Hunden durchstreiften die Wälder. Ihr Ehemann äußerte sich vorsichtig: Ab und an überfiel sie Amnesie. Vergaß, wer sie ist, Frau oder Mann? Als nach drei Wochen die Zeitungen immer noch Vermutungen angestellt, schickte die verschollene Agatha an die Chefredakteure aller Zeitungen und Sender ein Telegramm: Wer wissen möchte, was sie geschrieben, kaufe dieses Buch.
Das muss ich wissen. Ferdi entdeckt im Fach darunter SONDERANGEBOT nur 3,00 Mark je Buch. Kratzt alle Münzen zusammen, bezahlt. Im Eiltempo nachhause geradelt. Nicht mehr müde, alles vergessend. Sich aufs Bett geworfen, das schmale Taschenbuch geblättert. Seite nach Seite gelesen, verschlungen. Beim Marathonlesen Sieger gewesen, hätte es das gegeben. Endlich gewusst, was er wissen wollte. Das getan, was die Autorin gewollt: Das Buch gekauft, weil es spannend schien. Der Roman endete mit einer Einladung:
Vielen Dank, dass Sie das Buch gekauft und zu Ende gelesen. Sie haben mir sehr geholfen. Ich bin nicht verschwunden, verloren für die Welt, ich lebe. Wer Lust hat, komme heute Abend ins Savoy, mit mir Charleston zu tanzen.
Herzlich A. C.
Nicht schlecht, findet Ferdi. Ob ich mich selber als vermisst melden soll? Die Stimme verstellen, damit mich keiner erkennt? Quatsch, mich braucht niemand zu suchen. Ein verschwundenes Waisenkind interessiert sowieso keinen, höchstens die Polizei. Aber die junge Frau in der Villa könnte verschwinden und gesucht werden. Wenn ich sie entführe und Abebi mir dabei hilft. Der Villenbesitzer sicher alles unternimmt, sie zu finden. Einer, der reich ist, nicht nur eine Villa besitzt. Die junge Frau, die ich sah, vielleicht seine Tochter. Er schien sie sehr zu lieben. Ganz sicher wird er für sie auch ein hohes Lösegeld zahlen.
Erinnert plötzlich, was er in Kriminalromanen gelesen. Entführen könnte unangenehme Folgen haben. Wenn es überhaupt gelingt und sie sich nicht wehrt, um Hilfe schreit. Auch gelesen, dass man Entführer geschnappt und ins Gefängnis geworfen. Weil sie irgendwas nicht bedacht oder falsch gemacht. Da kommt ihm die Idee, wie wär ’s, wenn ich es anders mache als üblich? Auf die höfliche Tour versuchte statt mit Gewalt. Das Risiko wäre gleich Null, so könnte es klappen: Klingele an der Tür, sie lassen mich herein, ich sage dem Mann, der vermutlich ihr Vater ist:
„Sehr verehrter Herr, als Kavalier verzichte ich darauf, Ihre Tochter zu entführen. Ich liebe sie von der ersten Sekunde an, als ich sie sah. Möchte mit ihr ein wenig spazieren gehen. Damit wir uns kennenlernen. Spüre schon, wir werden uns mögen. Und ich Sie danach um die Hand Ihrer Tochter bitten.“ Neigte den Kopf in Richtung des alten Mannes: „Sie werden sie heute nicht lange entbehren müssen. Ehrenwort.“ Willi Fritsch im Film mit Lilian Harwey erinnert und sich für Fälle wie diese gemerkt.