Читать книгу Die Metamorphose des Herrn Fuchs - Otto W. Bringer - Страница 9
Оглавление18. April 1956
Samstags auf dem Düsseldorfer Wochenmarkt, im Herzen der Altstadt. Ferdi eilt von Stand zu Stand, schaut nach langen Kalebassen. Äpfel, Birnen, Pfirsiche, Pflaumen jede Menge. „Kürbisse bei uns erst ab September“, sagt ihm die Frau am Stand eines Gemüse-Bauern. „Kucke se mal am Stand des Spaniers. Janz am Eng von de Jass, visavi von de Konditorei. Könnt sin, de hätt och Kalebasse. Orangen, Zitronen, Feijen sowieso.“
Jupps Düsseldorfer Dialekt im Ohr, seinen letzten Satz noch: ein bisschen Optimismus könnte mir gut tun. Lange darüber nachgedacht. Woran erkennt man Optimismus? Was bedeutet es überhaupt, optimistisch zu sein? Durch Kaleido-Röhre gucken, die Jupp mitgebracht. Und gefragt, was hast Du gesehen? Einer rief nur aah und ooh. Ein anderer sah Farben und Formen, die wie Edelsteine glitzerten und glänzten.
Der dritte wollte Schnee auf dem Großglockner gesehen haben, wenn Strahlen der untergehenden Sonne darüber streichen am Abend. Das kann er ja nicht gesehen haben, der Berg ist, wie ich weiß, viele hundert Kilometer entfernt. Weit hinter der Grenze in Österreich. Er kann es sich nur eingebildet haben. In seiner Erinnerung geblieben das glitzernde Weiß.
An was aber soll ich mich erinnern, sehe ich durch dieses Ding? Und mich auch noch freuen, Fantasie entwickeln. Ein Leben lang im Waisenhaus nichts anderes gelernt als Buchstabieren und parieren. Rechnen das kleine Einmaleins. Vaterunser und Ave Maria beten. Holz ist Natur, von Gott geschenkt, von Schreinern zu Möbeln verarbeitet. Späne fliegen, die nicht glitzern und glänzen. Im Gegenteil. Eher noch weiße Eier von Hühnern, die wir vor Ostern bunt bemalen durften. Jedes Kind nicht mehr als drei. Alles war abgezählt. Für Fantasie mit Schneegestöber kein Raum. Den Namen Großglockner nur einmal gehört, auch Optimismus. Gelesen vielleicht, aber nicht verstanden.
Waisenhäuser immer traurig, verlassen, allein gelassen von der Welt draußen. Jedes Waisenkind gefangen mit anderen im großen Saal wie in einem Gefängnis. Bewacht von Frauen Tag und Nacht. Dass keines ausbricht und anders sein will, als es darf. Jedes von ihnen selbst zum Gefängnis geworden nach Jahren der Isolation. Ein halbes Leben lang. Und keiner, der es befreit. Selbst wenn sie entlassen, im Kopf: Das darfst Du nicht. Das musst Du tun. Sonst Schläge, Karzer oder kein Essen.
Da fällt ihm ein, auch als Hilfsarbeiter muss ich tun, was Albert oder Jupp mir befehlen. Auch jetzt noch mit 20 Jahren darf ich nicht sein, der ich sein will. Fast 21 und volljährig, bald in eine Freiheit entlassen, die keine ist. Will es ihnen aber zeigen. Alles dreht sich um Freiheit in seinem Kopf. Von einem Willen gesteuert, der nicht seiner ist. Einem, der nie seiner war. Jetzt aber ist.
Zwei Wochen Ägypten im Kopf. Gelernt, Freiheit bedeutet, viel Geld zu haben. Selbst entscheiden, wofür man es ausgibt. Ich, ja ich war es, der sich die Freiheit genommen, für 2900 Mark eine Reise nach Ägypten zu kaufen. Leute kennengelernt, die mich siezten. Der Kellner mir auf Zuruf brachte, was ich wollte. Bin mir vor Cheops Pyramide und uralten Tempeln klein vorgekommen. Ohne aber an Selbstbewusstsein und Stolz einzubüßen. Bauten bewundert, die ich nie vergessen werde. Ohne dass mich irgendjemand dazu gezwungen. Im Gegenteil, ich war glücklich, sie zu sehen. Erleichtert, als mich Abebi vor dem Ertrinken im Nil rettete.
Leider aber nur das englische Wort sorry gekannt. Immer mal wieder gesagt, ohne zu wissen, ob es passte. Als ich mich bei Pummelchen mit sorry entschuldigte, wusste ich noch nicht, was dieses Wort auf Deutsch bedeutet. Sie aber reagierte und lächelte. Unsere Wege trennten sich in Marseille. Die Frau aus der Villa verdrängt die Erinnerung an die Frau im Zug.