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Cool bleiben

Wer mein Buch »how to get Gelassenheit« gelesen hat, der wird einen Teil der Gedanken aus diesem Kapitel schon kennen. Doch mir haben so viele Menschen geschrieben, dass ihnen diese Geschichte geholfen hat, mit Unsicherheit und Krisen besser klarzukommen, dass ich sie hier noch mal in überarbeiteter Form erzählen möchte:

Im Jahr 2005 werde ich für eine Sprachaufnahme in einem noblen Düsseldorfer Tonstudio gebucht. Im Regieraum sitzen die Geschäftsführer des Werbekunden und drei überaus wichtige Vertreter der Werbeagentur. Vor dem Mikrofon stehen eine Sprecherkollegin und ich. Wir sollen die Kampagne stimmlich zum Klingen bringen. So weit, so gut – könnte man meinen.

Nach der dreißigsten Aufnahme des Spots werde ich langsam nervös. Mal passt dem Kunden dieses nicht, dann den Werbeagentur-Fritzen jenes. Wir Sprecher scheinen uns von Minute zu Minute mehr als absolute Fehlbesetzung herauszustellen. So langsam kriechen Selbstzweifel und eine ungewohnte Nervosität in uns hoch. Unsere Souveränität schwindet dahin – und die Folgeversionen des Spots werden nicht unbedingt besser.

Nach der gefühlt vierzigsten Version sind meine Zweifel größer denn je. Kann ich das überhaupt? Soll ich weitermachen oder besser gleich hinschmeißen? Ich bin kurz davor, mich mit einem Honorarverzicht aus der unangenehmen Situation zu befreien, als der Tontechniker uns über die Gegensprechanlage zuflüstert: »Hey, lasst sie diskutieren. Coooool bleiben!«

Seine Stimme ist dabei so eindringlich, dass ich sie nie wieder vergessen habe. Wie die Geschichte weitergeht? Du wirst es kaum glauben! Nach einer elend langen Diskussion zwischen Werbeagentur und Kunden wurde die dritte (!) Aufnahme ausgewählt. Warum nun überhaupt der ganze Wahnsinn? Warum haben die Werbefritzen uns über drei Stunden mit insgesamt 55 Einzelversionen gequält – um dann doch die dritte Sprachaufnahme zu nehmen? Es lag – wie sich später herausstellte – nicht an unserer Leistung, sondern an einem schon länger schwelenden Dissens zwischen Agentur und Auftraggeber.

»Im Zweifel – cool bleiben.« Das ist seither mein Lebensmotto geworden. Denn oft genug kann ich die Rahmenbedingungen eines Ereignisses noch gar nicht ausreichend einschätzen oder ich kenne zentrale Spielstränge noch nicht. Eine übereilte Reaktion wäre dann womöglich genau das Falsche.

Ein paar Monate später konnte ich dieses »Im Zweifel – cool bleiben!« schon brauchen. Ich bekam wie aus heiterem Himmel massive Stimmprobleme und konnte von einem Tag auf den anderen nicht mehr vor einem Mikrofon sprechen. Für einen Radiosprecher eine denkbar ungünstige Situation. Wochenlang hatte ich Schlafstörungen und Schweißausbrüche. Ich konnte vor lauter Angst kaum noch morgens aufstehen und fühlte mich körperlich und seelisch zunehmend am Ende. Gleichzeitig war ich davon überzeugt: Wer in unserer Gesellschaft scheitert, gilt als Verlierer. Ich überlegte sogar, deswegen ins Ausland zu gehen. Doch die Arbeit im Medienbereich lag mir einfach am Herzen.


Mein Stimmproblem war kein organisches, wie sich nach einigen ärztlichen Untersuchungen zeigte. Im Alltag war meine Stimme in Ordnung. Nein, etwas in mir wollte einfach nicht mehr in ein Mikrofon sprechen. Meine Seele stellte mir gewissermaßen ein Bein und »missbrauchte« dafür meine Stimmbänder. Vermutlich brauchte ich genau diese Erfahrung des Scheiterns, der Verzweiflung, der Demut und des Durchhaltens, um zu persönlicher Einkehr zu gelangen und mich selbst neu zu erfinden.

Und so habe ich damals einen Schritt zur Seite gemacht und für eine Weile den Rückwärtsgang eingelegt. Anstelle des dauerhaften und weitgehend selbst gemachten Leistungsdrucks erlaubte ich mir wieder die Leichtigkeit des Anfängers, der Fehler machen durfte. Das gab mir die Freiheit, eine der schöpferischsten Phasen meines Lebens in Angriff zu nehmen. Ich beschloss, alle Kompetenzen zu erwerben, die man als Trainer und Coach braucht. Ich habe mich weiter fortgebildet und mir damit einen völlig neuen Tätigkeitsbereich erschlossen. All das wäre gewiss nicht passiert, wenn meine Stimme mich damals nicht für eine Weile im Stich gelassen hätte. Und so wurde aus einer anfänglich als Katastrophe empfundenen Situation mit der richtigen Haltung eine Chance.

Wenn wir auf wackeligen, unsicheren Boden gestellt werden, kann uns daraus mit der richtigen Haltung eine kluge Erkenntnis erwachsen. Haben wir erst einmal Zutrauen zu diesem Evolutionsprozess gewonnen, begreifen wir, dass wir immer wieder durch Angst und Sorge gehen werden, bis wir uns diesen Gefühlen offensiv stellen. Mit der richtigen Haltung werden aus Tränen Edelsteine. Deswegen möchte ich jene schlimme Zeit nicht missen, auch wenn sie mir zuweilen unerträglich zäh vorkam.

Jeder von uns kann sich jeden Tag neu entscheiden, wie er oder sie mit den Herausforderungen des Lebens umgehen will. Ganz entscheidend ist dabei das Wissen um die Phasen der Veränderung in persönlichen Krisen. Diese Phasen erleben alle Menschen auf dieser Welt, wenn es in ihrem Leben ruckelt.

How to get Veränderung

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