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Prolog

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Europäisches Nordmeer

Wie ein Gespenst huschte der Mann durch die Gänge. Alle Sinne waren geschärft. Er hatte sein Ziel fast erreicht. An einer Ecke blieb er stehen, blickte vorsichtig in den nächsten Gang und als er sicher war, dass ihm niemand in die Quere kommen würde, setzte er seinen Weg fort.

Es war kurz vor sechs Uhr morgens und alle anderen Mitarbeiter schliefen noch. Rasch ging er weiter, bis er fand, wonach er gesucht hatte: Die Tür, die ihm die benötigte Hilfe zukommen lassen und ihm den Weg in die Freiheit einbringen sollte. Er gab seinen Code ein und mit einem leisen Zischen öffnete sich die Metalltür. Er blickte sich nochmals um und trat ein.

Der viereckige Raum war das Herzstück der Anlage. Dicke schwarze Kabel schlängelten sich an der Decke entlang und mündeten in einem großen Pult, das mittig im ersten Drittel des Raums stand.

Wie viele Stunden hatte er in letzter Zeit hier verbracht? Er konnte nicht mehr sagen, ob es Wochen, Monate oder sogar schon Jahre waren. Sein Zeitgefühl war seit seiner Ankunft hier völlig aus dem Gleichgewicht geraten.

Der Mann trat an das Pult und ließ den Computer hochfahren.

Statusüberprüfung:

Initialisiere System

Bitte Passwort eingeben.

Der Mann gab sein Passwort ein. Mit klopfendem Herzen beobachtete er, wie der Bildschirm nach und nach freigegeben wurde. Er setzte sich an die Tastatur und gab in unglaublicher Geschwindigkeit eine Vielzahl von Zahlencodes ein. Er verharrte kurz, überlegte ob es richtig war, was er tat. Blitzartig schob er den Gedanken beiseite. Er hatte keine andere Wahl, denn nur so konnte er sein Ziel erreichen. Seine Finger flogen wieder über die Tastatur.

Noch acht Minuten.

Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er aufstand und sich zurück in seine Kammer begab.

Gleich würde nichts mehr sein wie zuvor. Und dann konnte er nur abwarten.

Florida, USA

Sie war es gewohnt, dass ihre Aufträge schnell erledigt werden mussten. Aber dieser stellte alle bisherigen in den Schatten.

Vor etwa vier Stunden hatte sich ihr Handy gemeldet, dessen Nummer nur ihrem Auftraggeber bekannt war. Ein neuer Job wartete auf sie. Die Besonderheit war, dass dieser innerhalb der nächsten sechs Stunden erledigt sein musste. Anfangs lehnte sie ab, da es zu ihrer Maxime gehörte, alles akribisch vorzubereiten. Nur deswegen war sie eine der Besten in ihrem Metier. Doch die eiskalte, keine Ablehnung erlaubende Stimme ihres Auftraggebers und die zusätzliche Summe von einer Million Dollar überzeugten sie schließlich.

Ein Hubschrauber hatte sie nach Orlando gebracht, wo schon ein Mercedes Coupé am Flughafen auf sie wartete. Von dort hatte sie die Interstate 3 genommen und war dann kurz vor Tampa Richtung Süden abgebogen. Wenige Meilen später hatte sie ihr Ziel erreicht: Eine Halbinsel, die zu einem Bollwerk der Reichen und Schönen gehörte. Dort erstreckten sich luxuriöse Appartements, sündhaft teure Villen und hervorragende Golfplätze. Sie war noch nie hier gewesen, aber vielleicht würde sie sich an genau so einem Ort später zur Ruhe setzen. Und der heutige Auftrag trug nicht unwesentlich dazu bei, dass sich dieser Traum erfüllen sollte.

Einem Schild mit der Aufschrift „The Palace“ folgend, bog sie in einen von Palmen gesäumten Boulevard ein, der vor dem Eingang eines imposanten Hotels endete. Sie machte den Motor aus, streckte ihre langen Beine aus und stieg unter den gierigen Blicken des Hotelpagen aus. Sie ging die Stufen zur Rezeption hoch, wo sie ein junger Mann freundlich begrüßte. Er schob ihr ein Anmeldeformular herüber und sie hatte kurz Zeit, den jungen Mann zu beobachten. Er sah ausgesprochen gut aus, mit seinen kurzen, schwarzen Haaren und den braunen Augen. Über der linken Brusttasche seines Blazers prangte das Logo von „The Palace“, die Silhouette eines orientalischen Palastes.

„Haben Sie reserviert?“

„Ja“, sagte sie. „Ich bin Jennifer Clark.“

„Wenn Sie das bitte ausfüllen würden“, sagte er und deutete auf das Formular. „Ich registriere inzwischen Ihre Kreditkarte. Bradley kann dann Ihr Gepäck auf Ihr Zimmer bringen.“ Anschließend tippte er etwas in seinem Computer, griff unter die Theke und holte eine kleine, lederne Mappe hervor, der er ein rosafarbenes Plastikkärtchen entnahm.

„Das ist Ihr Schlüssel“, sagte er und reichte ihn Jennifer. „Sie können mit dieser Karte alle Angebote unseres Hotels nutzen – Drinks, Wellness, Shopping – was Sie wollen.“

„Danke!“, antwortete Jennifer und griff mit einem strahlenden Lächeln nach der Karte.

„Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt im Palace.“

Kurz darauf trat sie aus dem Foyer und erblickte Bradley, der im Schatten einer mächtigen Palme mit ihrem Gepäck wartete.

Gemeinsam gingen sie den Weg entlang zu Jennifers Suite und plauderten Belangloses über das Wetter, die Leistung der Dolphins und über die anstehende Präsidentenwahl.

Als sie vor dem Fahrstuhl warteten, klingelte ihr Handy. Der Page lächelte. „Schalten Sie es aus“, schlug er vor.

„Das geht leider nicht so einfach!“

„Wir sind hier in Florida! Sie sollen hier relaxen...sich treiben lassen. Vergessen Sie für ein paar Tage Ihre Termine.“

Sie lächelte höflich und wenn Bradley gewusst hätte, mit wem er sich unterhielt, wäre er sicherlich nicht zu solchen Ratschlägen aufgelegt gewesen.

Jennifer kannte den polyphonen Ton ihres Handys zu genau, der keinen Anrufer ankündigte, sondern ein Zeichen war.

Die Fahrstuhltüren glitten auf und die beiden stiegen ein. Langsam setzte sich der Fahrstuhl in Bewegung und hielt schließlich im sechsten Stock. Nachdem sie einmal nach links und einmal nach rechts abgebogen waren, erreichten sie eine Tür mit der Aufschrift B-612. Der Page schob die Karte ins Schloss und wartete kurz, bis die Leuchtdiode grün blinkte. Dann stieß er die Tür auf und ließ Jennifer den Vortritt.

„Wow!“, entfuhr es ihr, als sie die Suite betraten. „Es ist herrlich!“.

Und das war es wirklich. Die Suite war überaus geräumig mit einem imposanten Balkon, teuren Ledermöbeln und einem herrlichen Blick aufs Meer. Jennifer öffnete die hohen Balkontüren und trat hinaus ins Sonnenlicht.

„Möchten Sie, dass ich Ihnen alles zeige?“, fragte der Page.

„Nein, danke“, antwortete Jennifer und trat zurück ins Zimmer. „Ich komme schon zurecht.“

Der Page zuckte enttäuscht mit den Achseln. „Ganz wie Sie möchten.“ Bewundernd ließ er den Blick an Jennifers atemberaubenden Körper heruntergleiten und Jennifer musste bei dem Gedanken lächeln, dass sie den Burschen mit einem Handgriff hätte das Genick brechen können. Sie schob ihm einen Fünfer in die Hand und begleitete ihn hinaus. „Danke für Ihre Hilfe“, sagte sie und schloss die Tür hinter ihm. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt.

Aus der Minibar nahm sie sich eine Flasche Evian und sah sich in ihrer Suite um. Alles war groß und elegant: Auf dem schweren Sekretär stand der Willkommenkorb mit Obst, im Badezimmer, ein Traum in Marmor und Gold, lagen ein flauschiger Bademantel, ein kleines Nähset und diverse Flaschen mit ätherischen Ölen.

Nachdem sie alles begutachtet hatte, ging sie zu ihrer Computertasche, zog den Laptop heraus und stellte ihn neben das Telefon auf den Wohnzimmertisch. Sie kippte den Monitor so an, dass das Sonnenlicht nicht störte und schaltete das Gerät ein. Der Laptop brauchte nur ein paar Sekunden um hochzufahren. Als er fertig war, klickte sie das AOL-Logo an und wartete erneut. Schließlich erklang die vertraute Fanfare und sie war online.

Sie haben Post!

Sie klickte die Mailbox an, um zu sehen, von wem die Nachrichten kamen. Ohne die Mails zu öffnen, tippte sie in das Feld für die Web-Adresse www.sumacorporation.com

und wartete.

Während sie an ihrem Evian nippte, erschien im linken unteren Rand des Bildschirms die Meldung:

Dokument wird übermittelt.

Und dann ein nahezu leerer Bildschirm mit der Meldung:

Browser kann URL: http://www.sumacorporation.com nicht finden.

Sie griff in die Tragetasche des Laptops und holte einen durchsichtigen Plastiküberzug hervor, der genau über den Bildschirm passte. Es war eine Art Kalender, der mit mehreren Achsen dreihundertsechsundsechzig Kästchen ergab. Mit dem Touchpad bewegte Jennifer den Pfeil auf das Kästchen, das dem heutigen Datum entsprach. Dann bewegte sie den Pfeil zu einem anderen Kästchen, das dem neunundzwanzigsten März, dem Geburtstag ihrer Mutter, entsprach. Anschließend entfernte sie den Überzug und wartete, bis die Website erneut geladen war. Wieder kroch der blaue Balken nach rechts, und dann war sie drin:

Hallo Jennifer

Der Cursor blinkte unterhalb der Begrüßung. Jennifer leerte das Evian, bevor sie „Bitte Informationen“ eingab.

Sofort erschien die Sanduhr in der Mitte des Bildschirms. Nach einer Weile nahm ein Bild Gestalt an, Zeile für Zeile, bis das Foto eines Mannes zu erkennen war. Er war etwa sechzig Jahre alt, hatte kurze rote Haare und ein sonnengebräuntes Gesicht. Unter dem Foto standen weitere Informationen, die Jennifer in Erstaunen versetzten. Ihr Auftraggeber hatte wirklich ausgezeichnete Arbeit geleistet.

Jennifer erhob sich und ging zu einem wasserdichten, kaminroten Schalenkoffer. Sie stellte die Kombination des Zahlenschlosses ein, ließ den Riegel aufschnappen, öffnete den Deckel und warf einen Blick auf ihre Ausrüstung.

Eingebettet in exakt eingepassten Schaumstoffkammern lag in Einzelteile zerlegt eine der besten Scharfschützenausrüstungen, die derzeit auf dem Markt waren: Ein M-24-Lauf mit Zylinderverschluss, der mit einem satten Klicken an einem kunstfaserverstärkten Fiberglasschaft einrastete, ein Leupold-Zielfernrohr, ein B-Square-Laser, der auf den Gewehrlauf aufgeschraubt wurde und einen hochwertigen Schalldämpfer aus belgischer Produktion.

Jennifer setzte die Waffe mit geübten Handgriffen zusammen, was nicht einmal eine Minute dauerte und legte mehrere teflonbeschichtete .308er Patronen ein und lud durch. Komplett wog die Waffe fast fünf Kilo, so dass nur eine zusätzliche Stütze die notwendige Präzision garantieren konnte.

Jennifer ging auf den Balkon und ließ ihren Blick über die Weite des Meeres schweifen. Es war später Nachmittag und die Sonne stand günstig, so dass sie Jennifer nicht weiter störte.

Kurz vor der Strandpromenade war ein weißer Pavillon aufgebaut, in dem eine größere Feierlichkeit stattfand.

Jennifer legte sich auf den Bauch und schob die Mündung durch die Streben der Balkonbrüstung. Der Gewehrlauf ruhte auf der Gabelstütze, so dass ihr Arm nicht zu viel Gewicht halten musste. Sie blickte durch das Zielfernrohr und ließ ihren Blick über die Gäste in dem Pavillon schweifen. Schließlich entdeckte sie ihre Zielperson und schaltete den Laser ein. Ihr Ziel war weniger als zweihundert Meter entfernt, ein leichter Schuss. Sie atmete tief durch und krümmte dann den Zeigefinger ihrer rechten Hand. Das Gewehr zitterte kurz und sie hörte ein Geräusch, als sei eine Sektflasche entkorkt worden. Die Zielperson zuckte kurz auf und sackte dann in sich zusammen.

Es gab keinen Rauch und kein Mündungsfeuer, das irgendjemand hätte sehen können. Das Geschoss war eine Ultraschall-Patrone, die so gut wie keine Geräusche verursachte.

Jennifer setzte sich auf und zerlegte das Gewehr, während die Gäste nunmehr den Vorfall bemerkten.

Dann packte sie die Einzelteile wieder in den Koffer, klappte den Deckel zu und verstellte das Zahlenschlösschen.

Der erste, schwierige Teil des Planes hatte perfekt geklappt. Der zweite Teil war ein Kinderspiel. Das Päckchen, das Sie nach New York versenden sollte, war schon fertig gepackt. Sie würde es nachher bei der Rezeption abgeben. Alles lief perfekt.

Jennifer lümmelte sich auf das weiche Sofa und zappte durch die Kanäle, bis sie bei MTV an einer Folge von Jackass hängen blieb.

Zehn Minuten später trafen ein Rettungswagen und vier Polizeiautos ein. In der Nähe des Pavillons hatte sich eine Menschentraube gebildet. Die anderen Gäste standen unter Schock und wurden von Polizisten vernommen.

Es dauerte fast eine Stunde, bis ein Polizist auch an Jennifers Tür klopfte, um zu fragen, ob sie irgendetwas Ungewöhnliches gesehen oder gehört hatte. Sie verneinte und fragte, was denn passiert sei.

„In dem Strandpavillon ist auf einen Mann geschossen worden“, antwortete der Polizist.

„Das ist ja schrecklich. Aber ich habe nichts gehört.“

„Niemand hat etwas gehört“, sagte der Polizist. „Jedenfalls soweit wir bisher ermitteln konnten.“

„Ist er schwer verletzt worden?“, fragte Jennifer.

„Er ist tot.“

„Wirklich?“ Jennifer tat schockiert.

„Es ist furchtbar“, sagte der Polizist. „Er ist mit einem einzigen Schuss förmlich hingerichtet worden. Der Killer muss ein absoluter Profi gewesen sein.“

„Ist das Opfer denn ein Prominenter gewesen?“

„Überhaupt nicht. Das macht die Tat ja so unsinnig.“ Der Polizist blickte verlegen. „Ich dürfte Ihnen das ja gar nicht sagen, aber der Mann war Captain bei der Army und war heute hier um den neunzigsten Geburtstag seiner Mutter zu feiern. Ich meine, wer tötet einen unbekannten Captain bei einer Familienfeier? Das ergibt doch keinen Sinn.“

Operation Eismeer

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