Читать книгу Eridani-Explorer Band 1 - Paul Desselmann - Страница 3
26.04.2074, Donnerstag
ОглавлениеTeil 1
Es war absolut windstill. Nur der Fahrtwind des Bootes strich ihr sanft über das Gesicht, während sich in der Ferne die Sonne hinter den Bergen zu verstecken begann. Es war nicht mehr weit bis zum Hafen, vielleicht noch 20 Minuten, und ein wunderschöner Tag auf dem Meer ging zu Ende. Ihre Kinder Peter und Janine hatten den ganzen Tag über im Meer geplanscht und geschnorchelt, während sie mit ihrem Mann Ronny mehrere Tauchgänge im azurblauen Wasser unternommen hatte.
Plötzlich schrillte ein widerlich durchdringender Alarmton übers Deck und alles um Lisa herum wurde dunkel. Neben sich spürte sie eine Bewegung und langsam realisierte sie, dass alles nur wieder ein Traum aus längst vergangenen Zeiten war. Lisa hatte diesen Traum schon öfter gehabt, und sie wusste, dass sie diese Situation wirklich erlebt hatte. Allerdings kannte sie damals weder Ronny, ihren Mann, noch gab es ihre Kinder.
Frustriert ließ Lisa ihre Hand auf den Wecker knallen und der Pfeifton war sofort aus. Ronny wälzte sich herum, legte seinen Arm um ihre Hüfte und sie spürte eine typisch männliche Regung in ihrem Rücken. Zu dumm nur, dass sie im Moment überhaupt nicht in Stimmung war und noch weniger Zeit hatte als sonst, um sich körperlichen Gelüsten hinzugeben. Also wand sie sich rasch aus seiner Umklammerung heraus, was Ronny mit einem mürrischen Maulen quittierte.
Lisa musste sich beeilen. Admiral Morrison erwartete sie in 30 Minuten auf der Brücke zum Meeting. Eine kurze Dusche war jedoch unumgänglich. Weil Wasser nach der langen Reise natürlich sehr kostbar war, gab es keine herkömmlichen Duschen, sondern eine spezielle Wasser / Luftmischung, die desinfizierend und geruchshemmend wirkte. Wie sehr sie doch eine richtige Wasserdusche vermisste! Oder ein warmes Bad. Oder noch besser, ein Bad im Meer wie in ihrem Traum gerade eben. Nun ja, ihre Reise neigte sich dem Ende zu und mit etwas Glück wurde dies bald wieder möglich. Die ersten Anzeichen dafür waren jedenfalls vielversprechend.
Nach dem Duschen nahm sie die Zahnreinigungstablette, welche Lisa als wirklich gute Erfindung betrachtete, da sie einiges an Zeit einsparte, erstaunlich gut schmeckte und die Wirkung sogar besser als beim herkömmlichen Zähneputzen war.
Plötzlich öffnete sich die Badezimmertür auf der anderen Seite und Janine kam schlaftrunken hereingeschlurft. „Mami, musst du heute wieder so lange arbeiten?“
„Ich fürchte ja, Liebes. Ich werde vermutlich auch in den nächsten Tagen sehr viel zu tun haben. Es gibt so viele Daten auszuwerten, Besprechungen und Entscheidungen, die alle großen Einfluss auf unsere Zukunft haben. In 15 Minuten muss ich schon wieder auf der Brücke sein. Es tut mir wirklich leid, dass ich im Moment so wenig Zeit für euch habe. Immerhin hat Papa etwas mehr Zeit, wenn auch nicht viel.“
Er war als Techniker und Shuttlepilot intensiv damit beschäftigt, die Antriebe und Systeme der Shuttles sowie der Orbiter für die bevorstehenden Missionen vorzubereiten. Zum Glück gab es in der Schule eine Vollzeitbetreuung, die auch nach dem Unterricht den Nachwuchs ordentlich zu bespaßen wusste. Doch genügte das ihren Kindern?
Aber jetzt musste sie wirklich los. Während Lisa in ihre Dienstkleidung schlüpfte, drückte sie Janine noch einen dicken Schmatzer auf die Wange und verließ anschließend die Wohnung zum Laborring hinüber, wo sie noch einige Daten aus ihrem Büro holte. Von dort fuhr sie mit der Aufzugskapsel zum Zentralschiff, auf dem sich die Brücke befand. Die Kapsel kam im Hangar für die Raumshuttles an und durch einen etwa 100 Meter langen Gang, welcher teilweise mit Fenstern zum Flugdeck ausgestattet war, ging es weiter zur Brücke. Als sich die Tür öffnete, fiel ihr Blick direkt auf das große Panoramafenster. Noch vor wenigen Tagen war davor nur tiefste Schwärze mit vielen fernen Sternen zu sehen. Jetzt jedoch bot sich ihnen ein geradezu fantastisches Bild. Manche der Lichtpunkte waren bedeutend größer geworden. Auf dem nächstgelegenen ließen sich sogar erste Strukturen erkennen.
In der Mitte befand sich ein besonders helles Licht. Die Eridani Explorer hatte ihr Ziel fast erreicht – das Sonnensystem Epsilon Eridani. Auch wenn Lisa diesen Anblick gestern schon bewundern konnte, war er nach Jahren der Finsternis absolut überwältigend.
Ein lautes Räuspern holte sie aus ihrer Trance und einige der Gesichter am Konferenztisch grinsten Lisa wissend an. Es schien allen so zu gehen, die durch diese Tür traten. Admiral Morrison hatte bereits angeordnet, dass die Besatzung der Eridani Explorer in kleinen Gruppen nach oben auf die Brücke kommen durfte, um das erste große Ziel ihrer jahrelangen Reise zu bestaunen.
Nachdem Lisa sich, ein wenig verlegen, an ihrem Platz am Tisch niedergelassen hatte, begann Admiral Morrison mit der Sitzung.
„Ich wünsche Ihnen allen einen wunderschönen guten Morgen. Bevor wir unsere Sitzung beginnen, werfen Sie bitte noch einen letzten kurzen Blick aus dem Fenster. Da ich selbst weiß, wie fesselnd dieser Anblick sein kann, werde ich ab sofort bei den Besprechungen unsere vorderen Fensterläden schließen, um mir Ihrer vollen Aufmerksamkeit sicher zu sein.“ Ein leises Gelächter und Schmunzeln ging durch die Brücke, verstummte aber nach einem weiteren Räuspern des Admirals sofort. Er gab einem der Wachhabenden an den Bedienkonsolen ein Zeichen, worauf sich vor dem Fenster mehrere Metallplatten, welche als Schutz vor Kleinstmeteoriten dienen sollten, nach oben schoben und den Blick nach draußen versperrten.
„Sehr schön, meine Herrschaften. Kommen wir zum täglichen Bericht. Mister Egström? Die wichtigsten Fragen: Antriebsstatus, und da wir in Kürze die erste Planetenumlaufbahn erreichen werden, wie geht es unseren Sonden?“
Sven Egström war der erste technische Offizier der Eridani Explorer . Er kam aus Nordschweden und war schon in der Schule durch technische Intelligenz und Erfindungsgeist aufgefallen. Sein Aufenthalt an der königlich technischen Universität in Stockholm war nur von kurzer Dauer, weil schon sehr bald die University of Washington auf ihn aufmerksam wurde und ihm ein Stipendium anbot. Der Traum schlechthin für Sven. Die neuen Fusionsantriebe für die Raumfahrt fesselten sofort sein Interesse und schon bald lieferte er wichtige Verbesserungen für deren Effizienz. Trotzdem war es für ihn eine große Überraschung, als er mit 29 Jahren zur NASA eingeladen und ihm dieses irrwitzige Angebot gemacht wurde, das ihn schlussendlich heute hier auf diese Brücke gebracht hatte.
„Vielen Dank, Admiral. Wir haben jetzt unsere Geschwindigkeit wie geplant auf zehn Prozent reduziert. Es gab ein paar Probleme mit einer der Steuerdüsen, was mein Team aber schnell in den Griff bekommen hat. Trotzdem ergab sich dadurch eine minimale Abweichung vom Kurs, die sich nach einer Neuberechnung aber nicht nennenswert auf unseren Zeitplan auswirkt.
Die erste Mission ist startbereit. In etwa 13 Stunden wird Shuttle Lincoln zu Eridani-6 aufbrechen und den Orbiter in einer Entfernung von 100 Kilometern zum Planeten aussetzen. Dabei scannt und analysiert er die Oberfläche. Ist ein geeigneter Landeplatz gefunden, wird das Landemodul abgekoppelt und zur Oberfläche geschickt, wo es weitere Boden- und Luftanalysen durchführt.
Die Shuttlemission nach Eridani-5 beginnt in etwa 47 Stunden und zu dessen Mond in 49 Stunden. Die Orbiter 5.1 und 5.2 sind ebenfalls weitestgehend vorbereitet.“
„Vielen Dank, Mister Egström. Kommen wir nun zu unseren Wissenschaftlern. Lisa, wie sehen Ihre Vorbereitungen und Planungen aus?“
Lisa räusperte sich. Auch wenn sie jetzt schon seit vier Jahren als leitende Wissenschaftlerin an diesen Besprechungen teilnahm, fiel es ihr noch immer schwer, eine Rede vor den anderen Teamchefs und Admiral Morrison zu halten. Dabei waren die anderen in der Runde völlig korrekte Leute. Mit Sven Egström war sie sogar eng befreundet. Sie und Ronny gingen öfters mit ihm und seiner Verlobten Marlene zu Festen und Tanzabenden.
Nur Captain Gerard Horrand war mit Vorsicht zu genießen, weil seine Laune mitunter stark schwankte.
„Ja, ähh, danke, Francis. Im Moment konzentrieren wir unsere Mittel und Ressourcen vorwiegend auf Eridani-2 und 3, weil sie in der bewohnbaren Zone um die Sonne kreisen und somit unser Hauptziel sind. Beide Planeten besitzen Atmosphären, welche für uns interessant sein könnten. Unsere Aufgabe ist es, denjenigen auszuwählen, der für eine Besiedlung am besten geeignet ist. Des Weiteren werden wir, dank der günstigen Planetenkonstellation, die anderen drei Planeten bis zur habitablen Zone ebenfalls untersuchen, wenn auch etwas weniger intensiv. Die Daten der Orbitersonden werden gespeichert und nur die wichtigsten genauer untersucht. Wir könnten hierbei noch gut Unterstützung gebrauchen. Das Lehrerkollektiv hat vorgeschlagen, jugendliche Schüler ab 14 Jahren einzubinden. Das wäre sicher sehr sinnvoll. Immerhin ist es vor allem ihre Zukunft, um die es hier geht. Die Lehrer haben vier der Schüler empfohlen. Wenn das okay ist, würden wir es gern mit ihnen probieren.“
„Das klingt für mich nach einer sinnvollen Lösung“, meldete sich der Admiral zu Wort. „Gibt es irgendwelche Einwände?“
„Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich so hilfreich wäre!“, wendete Captain Horrand ein. „Die Kinder müssten ständig unter Beobachtung stehen, was die Wissenschaftler eher von der Arbeit abhalten würde.“
„Sie sollen ja nicht komplizierte Daten analysieren, sondern mit Handlangerarbeiten beginnen und dann je nach Fähigkeiten und Talent tiefer eingebunden werden. Wenn wir’s langsam angehen lassen, wäre das sicher eine große Hilfe und Entlastung. Außerdem sprechen wir von festen Zeiten, kein Schichtdienst. Die Jugendlichen sollen mindestens vier Stunden Schule am Tag haben und dürfen dann bis zu vier Stunden im Labor mithelfen“, konterte Lisa.
„Also ich halte das für eine gute Idee“, warf der Admiral ein. „Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert und wenn es nicht funktioniert, können wir es jederzeit wieder drosseln oder aussetzen.“
Alle anderen stimmten ihm zu und der Vorschlag war somit angenommen.
Nach Lisa informierte Bürgermeister Daniel Berger über das kleine Fest, welches heute Abend zu Ehren des Einfluges in das Eridani-System stattfinden sollte. „Mir ist bewusst, dass es viel Arbeit gibt, doch ich würde mich freuen, wenn trotzdem jeder etwas Zeit findet, kurz vorbeizukommen.“
Professor Chian Ho berichtete über die medizinische Abteilung. Neben den üblichen kleineren Blessuren gab es noch einen etwas ernsteren Vorfall. Jim Perry war während des Bremsmanövers der Explorer ins Taumeln geraten und gegen einen Tisch geprallt. Dabei hatte er sich einen Bruch des linken Oberarmes zugezogen. Trotzdem nahm er es mit Humor. „Mit 81 Jahren ist das doch kein Beinbruch. Aber ein anständiger Brandy wäre jetzt nicht schlecht, nur so als Schmerzmittel“, hatte er gemeint.
Ein leises Schmunzeln ging durch die Anwesenden. So kannten sie den alten Jim. Immer einen sarkastischen Spruch auf Lager, egal wie hoch die Fetzen flogen. Jim war bis vor dreieinhalb Jahren der Technikchef, bis Sven Egström in seine sehr großen Fußstapfen getreten war. Aber er ließ es sich nicht nehmen, immer wieder mit guten Anregungen und Ratschlägen zu beweisen, dass sein Kopf noch immer hervorragend funktionierte.
George Klein berichtete über die aktuellen Ernteergebnisse im Agrarmodul. Getreide und Kartoffeln waren voll im Plan, Obst und Gemüse lagen etwas dahinter, vermutlich wegen des kurzzeitigen Ausfalls der Klimaautomatik vor zwei Monaten. Dadurch sank die Temperatur zeitweise unter die Null-Grad-Marke, was den Pflanzen nicht ganz so gut bekommen war. Die Ernte dürfte bei etwa 70 Prozent liegen.
Hühnerfarm und Fischzuchtbecken funktionierten ohne Probleme.
Der Admiral nickte zufrieden. „Ich bedanke mich für Ihr Kommen. Ich weiß, wie knapp Ihre Zeit ist, hoffe aber trotzdem, dass Sie Daniels Einladung annehmen und heute Abend beim Fest erscheinen. Und bitte nicht den Start der ersten Orbitersonde vergessen. Nochmal umdrehen und zurückfliegen geht nicht.“
Damit standen alle auf und machten sich auf den Weg in ihre Arbeitsmodule. Nur Lisa und Sven fuhren in die Cafeteria, um ihr Frühstück einzunehmen. Marlene kam auch dazu, Ronny musste sich um die Startvorbereitungen der Sonden kümmern.
Sven und Marlene waren nun schon seit fast vier Jahren miteinander verlobt. Sie hatten sich stur in den Kopf gesetzt, erst auf ihrem neuen Heimatplaneten zu heiraten. Vielleicht reichte es ja dann sogar noch für Nachwuchs.
Das Frühstück bot eine überraschend große Auswahl, wenn man bedachte, dass die Eridani Explorer seit knapp 15 Jahren unterwegs war. Fast alle Dinge, die benötigt wurden, konnten in den Agrarmodulen und den Lebensmittelwerkstätten hergestellt werden. So gab es verschiedene Sorten Brot, Eier in unterschiedlichen Varianten, Marmelade und auch eine Art Müsli. Selbst Kaffee und Tee wurde angebaut. Das einzige, was vielen fehlte, war die Milch zum Kaffee und sonstige Milchprodukte.
Im Kühlschrank des Biotech-Labors lagerte das Erbgut von verschiedenen Nutztieren wie Rind, Schwein, Pferd, Hund, Biene und größeren Geflügelarten. Nach ihrer Landung auf der „Neuen Erde“, wie der zukünftige Planet vorläufig genannt wurde, würden diese Tiere durch klonen wieder zum Leben erweckt werden. Dann konnte in absehbarer Zeit wieder Milch in den Kaffee gegossen werden auch mal ein saftiges Steak auf den Tellern liegen. Die meisten hatten sich jedoch mit der Fleischknappheit auf dem Schiff arrangiert und waren Vegetarier geworden, sehr zur Freude der sturen Fleischesser, denn so blieb mehr für sie. Gelegentlich wurden ein paar der Hühner geschlachtet und einmal pro Woche gab es zudem Fisch im Angebot.
In den Regalen des Labors gab es außer tierischem Erbgut auch jede Menge Samen von Nutzpflanzen. Vielleicht gelang es, einige von diesen unter den neuen Bedingungen aufzuziehen.
Lisa bevorzugte die Marmeladen aus verschiedenen Beeren mit weißem Brot. Eine Tasse Kaffee dazu und der Tag konnte starten. Zwischendurch funkte sie Ronny über das Kommunikationsnetz (kurz KomLink) an, welches in allen Armbanduhren an Bord integriert war. Lisa wollte sich bei ihm entschuldigen, weil sie vorhin so schnell die Wohnung verlassen hatte. Er hatte viel Verständnis dafür. Er selbst war im Moment mit der Sonde für E6 beschäftigt und hatte kaum Zeit für ein Gespräch. Die nächsten Wochen und Monate sollten noch stressiger werden. Das Analysieren der Planetendaten und später die Erforschung ihrer neuen Heimat dürfte sich über Monate und sogar Jahre hinziehen. Wieder kamen ihr die Kinder in den Sinn. Sie würden ihre Mutter bald gar nicht mehr zu sehen bekommen, wenn sich diese Befürchtungen bewahrheiteten. Andererseits, warum sich jetzt den Kopf darüber zerbrechen. Die Arbeit musste gemacht werden und das ließ sich kaum ändern. Die wenige Zeit, die sie miteinander hatten, musste so intensiv wie möglich genutzt werden.
Nach dem Frühstück gingen die drei ihrer Wege, Sven in den Hangar, Marlene zur Krankenstation und Lisa trottete rüber zu ihrem Büro in einem der Labormodule. Dort wartete bereits ihre Assistentin Adriana. Die 26jährige Spanierin war ständig etwas überdreht, aber unheimlich intelligent. Ein bisschen ruhiger, und sie wäre die perfekte Nachfolgerin für Lisa. Zumindest könnte sie sich dann etwas mehr Freizeit mit ihrer Familie gönnen.
„Wir haben die neusten Daten von E6 analysiert. Der Planet hat einen Durchmesser von 2.150 Kilometer. Er scheint fast vollständig aus Fels und Sand zu bestehen. Das Eis, das sich in einigen der Krater und Täler gesammelt hat, zeigt im Spektrometer eine merkwürdige Zusammensetzung. Wir sollten den Lander möglichst in deren Nähe platzieren. So können wir Gestein und Eis untersuchen. Es gibt bisher keine erkennbare Atmosphäre, ansonsten scheint E6 eher unspektakulär zu sein.“
„Was habt ihr Neues über Eridani-2 und 3 herausgefunden?“
Adriana machte eine bedeutungsschwere Pause und grinste dabei von einem Ohr zum anderen. „E3 ist etwa 17.000 Kilometer groß. Aufgrund der vermuteten Zusammensetzung schätzen wir die Schwerkraft auf circa 1,4 G, also 40 Prozent mehr als auf der Erde und etwa 70 Prozent mehr als auf der Explorer . Ich schätze, da müssen wir noch ein paar Trainingseinheiten im Fitnessraum einlegen, wenn wir dort landen wollen. Ansonsten ist der Planet zu etwa 40 Prozent mit zumeist flüssigem Wasser bedeckt. Seine Zusammensetzung können wir derzeit nicht abschätzen. Auch die Topographie können wir noch nicht klar erkennen. Wir vermuten, dass der Planet relativ eben ist.
Nun zu E2. Er hat circa 10.000 Kilometer im Durchmesser, was etwa 0,90 G an Schwerkraft bedeuten würde. Die Wasserfläche beträgt etwa 70 Prozent.“
„Das heißt, E2 ist den bisherigen Daten nach die wahrscheinlichere Option für uns“, schlussfolgerte Lisa.
„Das ist richtig. Aber wir sollten E3 keinesfalls vergessen. Vielleicht können wir einen der Roboter hinunterschicken, und wenn alles gutgeht auch ein Shuttle mit einem kräftigen Team. Ich würde mich gern freiwillig dafür melden“, grinste Adriana aufgeregt.
„Nun mal nicht ganz so schnell schießen, junge Dame. Es dauert noch ein bisschen, bis wir genauere Daten von E3 haben. Ich werde dem Admiral deinen Vorschlag zu gegebener Zeit gern weiterleiten. Die Entscheidung, ob jemand runtergeht und wer, liegt in seiner Hand. Konzentriere dich auf die Arbeit, die jetzt ansteht, die Analysen der Daten von E6, E5, E4 und den beiden Monden, auf denen wir Sensoren absetzen. Wenn du wirklich mit möchtest, solltest du nebenbei trainieren“, grinste Lisa zurück. Adrianas Grinsen hingegen war einem frustrierten Grummeln gewichen. „Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich gerne ein gutes Wort für dich beim Chef einlegen.“
Das schien Adriana etwas zu entspannen und sie verließ mit einem leichten Lächeln Lisas Büro.
Gegen 19 Uhr hatte Lisa sich mit Ronny und den Kindern im großen Saal verabredet. Er befand sich in einem Teil des Freizeitmoduls und wurde für Veranstaltungen und Feste genutzt. Heute wurde der Eintritt in das Eridani-System gefeiert. Dafür waren jede Menge Speisen und Getränke aufgebaut. Die Band spielte auf der Bühne Lieder aus Erdzeiten, aber auch neuere, die sie selber geschrieben hatten. Später würde die Theatergruppe ihr neuestes Stück aufführen. Im Augenblick befanden sich einige hundert Personen im Saal, aber zu den Samstagabendveranstaltungen kamen meistens noch mehr. Sie waren so etwas wie ein Pflichtprogramm, um das gesellschaftliche Leben an Bord aufrecht zu erhalten. Die meisten freuten sich die ganze Woche darauf, weil an Samstagen ein Großteil der Belegschaft frei hatte. Es gab dann nur eine Minimalbesetzung auf der Brücke und in der Technik.
Heute waren allerdings viele mit den Vorbereitungen der bevorstehenden Missionen beschäftigt. Auch Lisa musste in spätestens zwei Stunden wieder im Labor sein, dann startete das Shuttle, um die erste Orbiter-Sonde in eine Umlaufbahn von E6 zu bringen und abzusetzen. Ronny würde den Start vom Hangarkontrollraum aus überwachen. Er hätte gern den Flug selber durchgeführt, aber Admiral Morrisons Wahl fiel auf Anton Gianellis Team. Ronny passte dies gar nicht in den Kram. Er lieferte sich schon seit geraumer Zeit diverse Wortgefechte mit Gianelli, wer der bessere Pilot sei. Und jetzt bekam ausgerechnet Anton den ersten Job. Sicher, er war ein hervorragender Pilot. Aber von der Technik des Shuttles hatte er nicht wirklich Ahnung. Ronny hatte beide Qualitäten. Er war ein klasse Pilot, und wenn nötig hätte er das komplette Shuttle in seine Einzelteile zerlegen und wieder zusammensetzen können. Er versuchte sich seinen Frust jedoch nicht anmerken zu lassen. Sicher klappte es beim nächsten Mal.
Jetzt musste er sich beim Essen beeilen. Die Kinder waren noch nicht da und vielleicht blieb ihm genug Zeit, um sich einen Hähnchenschenkel zu holen. In Gegenwart ihrer Kinder wollten Lisa und Ronny weder Fleisch noch Fisch essen, da sie die beiden zu Vegetariern erzogen hatten. Alle anderen Eltern machten das mit ihren Kindern so. Sie konnten sich dann in der neuen Welt entscheiden, ob sie wieder Fleisch essen wollten.
Ronny hatte sich gerade das Gemüse auf den Teller gelegt und wollte zur Hähnchentheke weitergehen, als Peter und Janine zur Tür hereinkamen. Sie entdeckten ihn sofort und kamen rübergeschlendert. Ronny sackte frustriert in sich zusammen. Heute wollte auch gar nichts klappen.
Janine fiel gleich stürmisch über ihn her und er musste aufpassen, dass sein Gemüse nicht auf dem Boden landete. „Hallo, Papa. Dürfen wir nachher mit dir in den Hangar, das Shuttle angucken? Bitte!“ Peter grinste, hoffte aber, Dad würde ja sagen. Es gab nicht so viele Shuttlestarts und deshalb war es immer noch etwas Besonderes, wenn mal eins ins All rausflog.
„Hmm, lass mal überlegen Schatz. Hausaufgaben sind gemacht?“
„Hab ich. Alles fertig“, kam stolz aus ihr herausgeschossen.
„Wie sieht’s bei dir aus?“
Peter druckste etwas herum, sagte dann aber: „Wir haben heute zur Feier des Tages keine bekommen.“
Ronny blickte ihn zwar skeptisch an, hakte aber nicht weiter nach. „Okay, dann sollten wir uns beeilen. Schnappt euch was zu essen. In einer Stunde geht’s rüber zum Hangar.“
Er legte sich noch ein paar von den Pilzen auf den Teller und ging dann zum Tisch, wo Lisa schon saß und genüsslich die Reste ihres Fisches verschwinden ließ. Wenigstens sie hatte was davon abbekommen. Lisa mochte kein Fleisch, aber für Fisch würde sie alles geben. Nur eben nicht vor den Kindern.
„Lass dir’s schmecken, Schatz.“
„Hmmm. Danke, tut´s auch. Hat nicht geklappt mit dem Federvieh, was?“
„Es ist wie immer. Wer zu spät kommt, den bestraft der Nachwuchs“, stöhnte Ronny.
„Du wolltest doch unbedingt Kinder“, lächelte sie ihn neckend an. „Aber es ist ja bald wieder Samstag. Vielleicht klappt´s dann mit dem Hühnchen.“
„Ja hoffentlich. Ich komm mir schon vor wie auf Entzug.“
Endlich kamen auch die Kinder an den Tisch. Peter packte einen bis zum Rand gefüllten Teller auf seinen Platz und ließ sich schwer auf seinen Stuhl fallen.
Ronny wusste zwar, dass sein Sohn ein guter Esser war, aber das fand er dann doch etwas übertrieben. „Wolltest du nicht nachher mit in den Hangar kommen?“
Peter hörte auf zu kauen. „Ähh, doch, natürlich will ich das!“
„Okay, okay. Ich frage nur. An dem Berg, den du dir da aufgeladen hast, wirst du wahrscheinlich noch morgen sitzen.“
„Quatsch, das schaffe ich locker. Außerdem hab ich rational gedacht. So muss ich nicht nochmal aufstehen, um Nachschlag zu holen. Das spart Zeit.“
So gesehen hatte er auch wieder recht. Janines Teller war nicht annähernd so voll. Dafür hatte sie ihr Gemüse wie immer in perfekter Symmetrie um das Kartoffelpüree in der Mitte drapiert. Der Vielfraß und die Künstlerin.
„So, so. Ihr wollt euch also den Shuttlestart ansehen?“, schaltete sich Lisa ein. „Dann dürfte heute aber ein ziemlich langer Abend für euch werden. Wie ich euch kenne, wollt ihr die Rückkehr auch nicht verpassen. Vielleicht solltet ihr noch einen Kaffee trinken, damit ihr durchhaltet“, scherzte sie.
„Na du hast Ideen“, konterte Ronny. „Damit die beiden nachher wie aufgescheuchte Hühner in der Gegend rumspringen? Das ist genau das, was ich gebrauchen kann. Vielen Dank auch.“
Wie aufs Stichwort fing Janine lautstark an zu gackern wie ein Huhn und auch Peter stimmte mit einem Kikeriki ein. Die Leute an den Nachbartischen drehten sich um und schauten verstört oder belustigt herüber. Lisa schüttelte verzweifelt ihren Kopf und stützte ihn dann in die Hände. Ronny sagte nur laut: „Tschuldigung. Das sind nicht unsere Kinder. Wir kennen sie überhaupt nicht“, und hob dabei abwehrend die Hände in die Luft.
Nachdem sich alle wieder eingekriegt hatten, mahnte Lisa die beiden, dass sie sich nachher gefälligst besser benehmen sollten. Ansonsten wäre dies ihr vorerst letzter Start für die nächste Zeit.
Ronny war inzwischen fertig mit seinem Essen, und weil noch etwas Zeit blieb und die Musik mit ihrem Programm begonnen hatte, nutzte er die Gelegenheit, Lisa um einen Tanz zu bitten. Bis vor zwei Jahren hatten sie noch in einer Tanzgruppe trainiert und sich dabei vor 11 Jahren näher kennengelernt. Doch nach Ronnys Unfall hatte seine Freude am Tanzen einen herben Dämpfer bekommen. Bei Wartungsarbeiten im Hangar hatte sich ein Ersatzmotor aus seiner Befestigung gelöst und war durch die Schwerelosigkeit auf ihn zugeschwebt. Sein linkes Bein wurde dabei eingeklemmt und gebrochen. Es war zwar längst wieder verheilt, nur beim Tanzen spürte er es immer noch. Aber so zur Feier des Tages war ein wenig Bewegung machbar.
Lisa war völlig überrascht. Das hatte er sie schon lang nicht mehr gefragt, aber sie freute sich, denn das Tanzen und vor allem die Bewegung fehlten ihr. Daher reichte sie ihm freudestrahlend die rechte Hand. Er nahm sie sanft und gab ihr einen Kuss auf den Handrücken. „My Lady, darf ich bitten?“ Janine kicherte leise, während Peter nur stöhnend mit den Augen rollte.
Admiral Morrison saß auf der anderen Seite des Saales zusammen mit Bürgermeister Berger und dessen Frau Julia am Tisch. Auch Jim Perry hatte sich auf Einladung des Admirals dazugesellt. Sein linker Arm war in einer Schlaufe an den Körper gebunden, um ihn ruhigzustellen. Doktor Chian Ho hatte ihm eine Strahlentherapie verpasst, die dafür sorgen würde, dass die Knochen in zwei bis drei Wochen wieder völlig verheilt sein würden. „Danach noch etwas Muskelaufbautraining und der Arm ist wieder wie neu. Wenn man das mit 81 Jahren so sagen kann“, scherzte Jim. „Übrigens, gelungenes Fest, Danny. Tolles Essen, die Band ist richtig gut drauf und bei der Dekoration haben Sie sich selbst übertroffen.“ Dabei deutete er mit dem Kopf Richtung Boden und lächelte.
Um künstliche Schwerkraft zu erzeugen, rotierten die äußeren Module um das mittlere Zentralmodul herum. Durch die daraus resultierende Fliehkraft wurde Schwerkraft simuliert. Deswegen waren die Fenster der Ringmodule in den Boden eingelassen. Durch diese konnte man jetzt nach jeder Umdrehung Teile des Sonnensystems gut erkennen. Eridani-6 war sogar schon sehr deutlich zu sehen.
„Danke, Jim. Julia hat wie immer viel mitgeholfen. Aber für die Deko waren dieses Mal höhere Instanzen verantwortlich.“
„So, Julia, meine Herrschaften, ich muss das Fest jetzt leider verlassen. Die Brücke ruft, aber ich würde Sie gerne einladen, beim Start dabei zu sein“, wandte sich der Admiral zum Gehen.
„Danke, Francis. Sehr nett von Ihnen. Aber ich möchte dem Fest nur ungern allzu lange fernbleiben. Ich werde mir den Start vom Umlauf des Hangars aus ansehen, falls noch ein Platz für mich frei sein sollte. Dürfte heute ziemlich voll werden“, entgegnete Daniel.
„Ich kann leider auch nicht“, antwortete Julia. „Eine der Nutzwasserpumpen macht Probleme. Nichts Ernstes, wir haben ja noch sechs weitere. Aber ich möchte da lieber dranbleiben.“ Julia war als Ingenieurin für die Wasserversorgung zuständig und nahm jedes noch so kleine Problem sehr ernst.
Jim freute sich jedoch über die Einladung und nahm sie gerne an. „Als Rentner und Invalide hab ich sowieso nichts Besseres zu tun“, meinte er und zeigte demonstrativ auf seinen kaputten Arm.
„Jetzt seien Sie mal nicht so wehleidig, Jimmy. Das kauft Ihnen hier keiner mehr ab“, lachte Morrison und stand endgültig auf. „Na, dann kommen Sie mal, alter Mann.“
Anton Gianelli und seine Crew verschwendeten währenddessen keinen Gedanken an das Fest. Sie waren schon seit zwei Stunden mit den Startvorbereitungen für das Shuttle beschäftigt. Die Kontrolle der Außenhaut und der Triebwerke hatte Gianelli zusammen mit seiner Copilotin Gina Brown erfolgreich abgeschlossen. Da sich der gesamte Hangar im mittleren Teil der Eridani Explorer direkt hinter und teilweise unter der Brücke befand, gab es hier keinerlei Schwerkraft und so wurden die Kontrollen schwebend vorgenommen. Beide umkreisten unabhängig voneinander das gesamte Shuttle. So wurde die Gefahr verringert, dass einer von beiden einen möglichen Schaden übersah.
Das Schiff war nach dem Vorbild der Shuttles Ende des 20., Anfang des 21. Jahrhunderts konstruiert. Optisch war die Verwandtschaft nicht zu übersehen und auch ihre Größe machte keinen nennenswerten Unterschied. Es war 36 Meter lang, hatte eine Flügelspannweite von 24,5 Metern und eine Höhe, bei ausgefahrenem Fahrwerk, von 16 Metern. Dieses wurde jedoch im Hangar nicht benötigt und blieb daher eingefahren.
Technisch hatten die neuen Shuttles aber kaum mehr Ähnlichkeit mit den alten Modellen. Sie mussten nicht mehr mit gigantischen Raketen ins All geschossen werden. Das schafften sie allein mit ihren starken Triebwerken. Dank des hocheffizienten Fusionsreaktors mussten sie nicht mal nachtanken und ihre Energie reichte für mindestens zehn Jahre. Eine weitere wertvolle Neuerung war die Möglichkeit, das Shuttle senkrecht starten und landen zu lassen. Für eine Landung auf einem unbewohnten Planeten und im Gelände war das absolut notwendig.
Hier im Hangar ruhte das Shuttle auf zwei Pfeilern und war mit hydraulischen Klammern gesichert. Die Pfeiler konnten innerhalb des Hangars über ein Schienensystem verschoben oder vollständig im Boden versenkt werden.
Auf diese Weise passten die beiden Shuttles hintereinander in den Hangar.
An zwei Stahlträgern unter der Decke hingen zwei weitere Shuttles. Diese wurden später benötigt, um die bis zu 27,5 Meter langen Module auf der neuen Welt abzusetzen.
Jetzt konzentrierte sich Anton auf die Checkliste vor dem Start. In einer halben Stunde würde es losgehen und trotz einiger Außeneinsätze und unzähliger Simulationsflüge in den vergangenen Jahren ließ sich eine gewisse Nervosität vor dem Start nie abschütteln. Routine hin oder her.
„Befestigung der Orbitersonde?“
„Check.“
„Sauerstoffversorgung?“
„Check.“
„Steuerdüsen?“
„Check.“
„Reaktor?“
„Check.“
„Haupttriebwerke?“
„Check. Alle Systeme sind auf Go. Ich würde sagen, wir sind startbereit“, schloss Gina die Kontrollliste ab.
„Admiral Morrison, wir sind bereit für den Start“, funkte Anton an die Brücke und gleichzeitig an den Kontrollraum im hinteren Teil des Hangars.
„Vielen Dank, Mister Gianelli. Kontrollraum? Luftabsaugung bitte.“
„Verstanden, Admiral. Luft wird abgesaugt.“
Während Anton die Anzeigen im Auge behielt, sah sich Gina nochmals im Hangar um. Der Gang, der sich etwa 28 Meter über dem Hallenboden befand, hatte zum heutigen Start besonders viele Zuschauer angelockt.
Ihr Blick wanderte wieder zurück zu den Instrumenten. Die Anzeige für die Außenluft zeigte 47 Prozent an und der Wert fiel beständig weiter. Im Moment saugten mehrere Pumpen das kostbare Gasgemisch aus dem Hangar und pressten es in große Tanks. Erst dann ließen sich die beiden gigantischen Tore unterhalb der Kommandobrücke öffnen. Zehn Minuten später stand die Anzeige bei null. Sie hatten im Hangar ein Vakuum geschaffen.
Wieder schallte die Stimme des Admirals aus dem KomLink der Instrumententafel.
„Shuttle Lincoln , Status auf Go?“
„Status Go, Admiral“, bestätigte Anton.
„Kontrollraum? Öffnen Sie die Tore.“
Vor ihnen begannen mehrere Lichter orange zu blinken und in der Mitte der Bugwand entstand ein kleiner Spalt, der sich rasch verbreiterte. Sekunden später tauchten die ersten Gebilde in der Ferne auf. Eines im Zentrum war deutlich heller – ihre neue Heimatsonne Epsilon Eridani . Nach weiteren fünf Minuten waren die Tore vollständig geöffnet und die Blinklichter wechselten zu einem konstanten Grün.
„Kontrollraum? Bringen Sie die Lincoln in Startposition.“
Ein leichter Ruck lief durch das Shuttle und es setzte sich Richtung Bug in Bewegung. Die Pfeiler, auf denen die Lincoln verankert war, schoben sich bis weit vor die Spitze der Explorer hinaus. Erst dort wurden die Klammern gelöst und Anton steuerte das Shuttle mit Hilfe der Steuerdüsen ein paar Kilometer von der Explorer weg. Aus dem KomLink tönte wieder die Stimme des Admirals. „ Lincoln , die Explorer wünscht Ihnen viel Erfolg und eine gute Heimkehr.“
„Vielen Dank, Admiral“, antwortete Anton und grinste Gina an. Wie gern er doch jetzt mit ihr allein wäre. Doch blöderweise saßen hinter ihnen noch Luigi Bientrami und Benny Summers. Die beiden würden nachher den Orbiter aus dem Laderaum bugsieren.
Anton und Gina waren schonmal allein im Shuttle und hatten ihre Zweisamkeit genießen können. Nur erfahren durfte niemand davon.
Gina schien sowieso andere Gedanken zu haben. Sie war damit beschäftigt, die Lincoln auf das Ziel auszurichten. „Mister Gianelli? Sie dürfen das Triebwerk starten“, sagte sie mit schnippischem Unterton.
„Vielen Dank, Miss Brown“, schnippte er zurück und beschleunigte das Schiff. Sie spürten den Druck, der sie in ihre Sitze presste. Das dauerte aber nur ein paar Minuten, und nach weiteren 15 Minuten begann Anton auch schon, mit den Steuerdüsen abzubremsen. Gina gab dabei ständig die Entfernung zu Eridani-6 an. Ziel war eine Annäherung bis auf etwa 100 Kilometer. Sie waren im Moment noch etwa 4.000 Kilometer entfernt und konnten schon erste Strukturen auf dem kleinen Planeten erkennen. Er sah ziemlich grau und zerklüftet aus. Bei 2.000 Kilometern sah man auf den Ebenen die ersten Krater, welche von Meteoriteneinschlägen herrühren dürften. Einige davon waren deutlich heller und schimmerten sogar etwas. Das mussten die Eisfelder sein, von denen im Briefing gesprochen wurde.
Bei 1.000 Kilometern Entfernung bremste Anton die Lincoln deutlich ab und die Crew wurde ordentlich in die Gurte gepresst. Gina gab jetzt den Abstand immer häufiger an, bis sie das Schiff auf die gewünschten 100 Kilometer an Eridani-6 heranmanövriert hatten. Der Planet nahm nun die gesamte Fensterfront ein. Anton betätigte die Steuerdüsen und drehte die Lincoln so, dass die Nase auf den Horizont ausgerichtet war und E6 über ihnen schwebte. Jetzt hatte er Zeit zum Durchatmen.
„Sieht so aus, als ob wir am Ziel sind“, sagte er mit einem Strahlen übers ganze Gesicht. Aus dem KomLink, das die ganze Zeit eingeschaltet war, trafen die ersten Glückwünsche ein.
„So, meine Herren. Luigi, Benny, Zeit, euch für euren Spaziergang umzuziehen.“
Voller Vorfreude lösten die beiden ihre Gurte und schwebten nach hinten in die „Kleiderkammer“, wo vier Raumanzüge in Nischen eingehängt waren. Diese Dinger wogen um die 90 Kilo, aber hier in der Schwerelosigkeit spielte das natürlich keine Rolle und so waren Luigi und Benny schon nach wenigen Minuten hineingeschlüpft. Nach einem gegenseitigen Bodycheck öffneten sie die innere Schleusentür und zogen sich geübt in die enge Kammer. Nachdem die Tür wieder geschlossen war, machten sie nochmals eine Sichtüberprüfung der Anzüge.
„Anton? Anzüge gecheckt, wir sind bereit für den Ausstieg.“
„Danke. Viel Spaß bei eurem Ausflug.“ Endlich allein mit Gina.
Sie dachte wohl dasselbe und grinste ihn schelmisch an. Doch dann schüttelte sie charmant lächelnd den Kopf und deutete auf das KomLink. Natürlich. Das blöde Ding war immer noch an und Admiral Morrison wäre wahrscheinlich alles andere als glücklich, wenn Anton jetzt abschalten würde.
Inzwischen legte Luigi den Hebel für den Druckausgleich in die Waagerechte und sofort spürten sie, wie die Luft abgesaugt wurde. Es dauerte nicht mal eine Minute, bis die Kammer luftleer war. Eine Lampe an der Außentür schaltete auf Grün, während die gegenüberliegende auf Rot ging.
Jede Handlung wurde mündlich bestätigt, sodass die Explorer immer auf dem Laufenden blieb. Benny hängte seine Sicherungsleine in einen Haken außerhalb der Schleuse und schwebte dann zu seinem Bedienpult am Roboterarm.
„Gina? Hier Benny. Du kannst jetzt die Laderaumtore öffnen.“ Über ihnen öffnete sich ein Spalt, der rasch größer wurde und schließlich den eindrucksvollen Blick auf E6 freigab.
Luigi hatte sich inzwischen auch aus der Schleuse begeben und schwebte nun an seiner Leine zu dem etwa 3x3x5 Meter großen Apparat hinüber, der in der Mitte des Laderaumes verzurrt war. Benny meldete, dass der Arm aktiviert sei und gab ihm damit das Zeichen, die Verankerungen zu lösen. Danach schwebte er auf die hintere Seite des Raumes, immer darauf achtend, dass sich sein Seil nicht im Orbiter verhedderte. An der Rückwand angekommen signalisierte er Benny, dass alles bereit war. Schon bewegte sich das Modul und wurde aus dem Raum herausgehoben. Benny fuhr die vollen 50 Meter seines Roboterarms aus, bevor er dessen Greifhand öffnete und somit den Orbiter mit einem freundlichen „und Tschüss“ in die Umlaufbahn entließ. Mission erfüllt. Jetzt musste er nur noch den Arm wieder in die Ausgangsposition zurückfahren. Eine seiner leichtesten Übungen.
Anton und Gina beobachteten die Arbeiten gespannt vom Cockpit aus. Gleichzeitig behielten sie über die Außenbordkameras den Orbiter im Auge. Benny hatte inzwischen den Arm wieder in die Ausgangsposition zurückgefahren und gab Gina das Zeichen, die Ladetore zu schließen. Sie betätigte den entsprechenden Schalter und ein sanftes Brummen signalisierte, dass sie sich bewegten.
Plötzlich jaulte ein Alarm auf und nahezu zeitgleich gab es einen lauten Knall, und noch zwei weitere. Das ganze Shuttle wurde durchgerüttelt und ein fieses krachendes, schleifendes Geräusch drang durch die Lincoln . Aus dem KomLink kam ein lauter Schrei, der sofort wieder verstummte.
Anton und Gina saßen wie versteinert da. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis Gina die Fassung wiederfand. Eine rote Kontrollleuchte vor ihr blinkte nervös. Irgendetwas stimmte mit dem Steuerbordtor nicht. Backbord leuchtete grün auf, aber steuerbord blinkte weiterhin rot.
Anton war inzwischen auch wieder bei Sinnen. Über KomLink rief er nach Luigi und Benny. Es kam aber nur Antwort vom Admiral, dessen Stimme merklich aufgeregt war.
„Admiral, wir hatten eine schwere Erschütterung an Bord. Ladetor steuerbord meldet eine Störung und der Kontakt zu Luigi und Benny ist abgebrochen.“
Gina löste ihren Gurt und schwebte nach hinten zur Luftschleuse. Durch das Fenster sah sie, wie draußen im Laderaum kleine Teile umherflogen.
„Anton? Hier Benny. Hörst du mich?“
„Ja, Benny. Ich höre. Was ist passiert?“, gab Anton erleichtert zurück.
„Ich weiß nicht. Irgendwas hat uns getroffen. Hast du Kontakt zu Luigi?“
„Nein, hab ich nicht. Was ist los?“
„Keine Ahnung. Er hängt an seinem Seil und rührt sich nicht. Ich glaube, er ist bewusstlos. Er war gerade auf halbem Weg zur Schleuse, als wir getroffen wurden. Ich versuch ihn mit dem Seil zu mir herzuziehen.“
Währenddessen saßen Lisa, Adriana und drei weitere Wissenschaftler angespannt vor einem Monitor. Die Statusanzeigen des Orbiters hatten gerade gemeldet, dass er begonnen hatte, sich automatisch aufzubauen. Dabei entfalteten sich zwei Solarpaneele und die Sensoren fuhren aus ihrem Gehäuse heraus. Jetzt kamen auch schon die ersten Daten herein. Das hochsensible Radar zeigte als erstes einen Rundumblick um die Sonde. Auch das Shuttle war darauf zu sehen. Lisa wunderte sich, dass es noch nicht auf dem Rückweg war. Das Bild zeigte noch weitere Signale an.
Adriana erstarrte vor Schreck, fing sich aber sofort wieder und begann laut zu schreien. „Die Signale bewegen sich direkt auf das Shuttle zu. Die müssen da sofort weg.“
Lisa sah sie entgeistert an. Nach einem weiteren Blick auf den Monitor wusste sie, dass Adriana recht hatte.
„KomLink. Dringende Verbindung zu Admiral Morrison.“
„Zurzeit ist leider keine Verbindung möglich. Bitte versuchen Sie es später erneut.“
„Was?“ Lisa sah ihren Kommunikator an, als hätte er einen schlechten Scherz gemacht.
„KomLink. Dringende Verbindung zu First Captain Horrand.“
„Zurzeit ist leider keine Verbindung möglich“, sie lachte. „Willst du mich verarschen?“ Sie dachte fieberhaft nach. Natürlich. Ronny war im Kontrollraum. Das war fast genauso gut.
„Zurzeit ist leider keine Verbindung möglich.“ Das konnte doch nicht wahr sein, verdammt. Jetzt gab es nur noch eine Möglichkeit. Sie sprang auf und rannte zur nächsten Aufzugskapsel. Endlich öffnete sich die Tür und nach quälend langen Sekunden kam Lisa im Umlauf des Hangars an. Zum Glück waren die meisten inzwischen wieder zum Fest zurückgekehrt. Sie sprintete die 100 Meter bis zur Brücke in Rekordzeit und öffnete das große Schott, indem sie ihre Hand auf einen Scanner legte. Die Tür machte sofort den Weg frei. Wenigstens das funktionierte noch. Wild sah sie sich um und entdeckte Morrison vorn an der Hauptkontrolle, umringt von weiteren Leuten.
„Admiral?“, schrie sie in den Raum.
Er sah kurz zu ihr auf, hob dann aber nur die Hand und sah wieder auf seine Kontrollen.
Lisa schrie erneut und stürmte auf ihn zu. Vermutlich sah sie dabei so erschreckend aus, dass Morrison zu ihr aufsah. „Was ist denn los?“
„Die Sonde …“, ächzte Lisa völlig außer Atem.
„Die Sonde ist jetzt unwichtig. Wir haben hier ganz andere Probleme“, fauchte er verärgert.
„Hören Sie zu“, schrie sie ihn an. „Das Radar der Sonde meldet Objekte, die auf die Lincoln zurasen. Die müssen da sofort verschwinden.“
„Aber die müssten sie doch auf ihrem Radar sehen“, gab er verwirrt zurück.
„Das Radar der Sonde ist viel feiner eingestellt. Die Objekte sind sehr klein, und bis das Radar der Lincoln sie entdeckt, könnte es schon zu spät sein“, sagte Lisa verzweifelt und erschöpft.
Admiral Morrison stürzte sofort ans KomLink.
„ Lincoln ? Hier Morrison. Ihr müsst sofort da verschwinden. Weitere Objekte im Anflug. Wiederhole. Verschwindet da sofort.“
Anton glaubte nicht, was er hörte. Objekte im Anflug? „Verdammt, Gina. Wie sieht’s da draußen aus? Wir müssen hier weg.“
„Benny bringt ihn gerade in die Schleuse.“
„Okay. Benny? Mach die Schleuse zu und bleibt drin. Dort seid ihr halbwegs sicher. Wir müssen einen Notstart machen. Gina, auf deinen Platz. Sofort.“
Im selben Moment heulte ein weiterer Alarm los. Diesmal war´s das Radar. Offensichtlich hatte der Boss recht. Noch bevor Gina den Gurt angelegt hatte, beschleunigte Anton die Haupttriebwerke und steuerte das Shuttle vom Planeten weg hinaus ins All. Endlich ging der Alarm aus und es kehrte für einen Moment Ruhe ein. Anton schaltete die Triebwerke aus und begann wieder zu atmen. „Gina? Hilf Benny und Luigi. Ich versuche uns wieder auf Kurs zu bringen.“
„Wäre es nicht sinnvoller, wenn du ihnen hilfst? Du bist kräftiger und ich bin Navigator.“
Stimmte auch wieder. Sie war eher zierlich gebaut und beim Navigieren wirklich gut. Die Explorer stand bei ihrer Flucht knapp über dem Horizont und befand sich inzwischen noch weiter weg. Sie war ganz klar die bessere Wahl. Also löste er seinen Gurt und schwebte nach hinten. Benny hatte inzwischen die Luftschleuse auf Innendruck gebracht und öffnete die Tür. Anton half ihm, Luigi hereinzubugsieren. Seine Augen waren geschlossen. Er war noch immer bewusstlos. Aus seinem Mund lief ein dünnes Rinnsal Blut. Gar nicht gut. Anton nahm ihm vorsichtig den Helm ab. Sein Atem war flach. Gina rief von vorne: „Wie geht es ihm?“ Anton antwortete nicht. Er zog Luigi die Handschuhe aus und versuchte sich dann an der Hose des Raumanzuges. Inzwischen hatte Benny seinen ebenfalls ausgezogen und half ihm dabei. Vier Minuten später saß Luigi in seinem Sitz und Benny untersuchte ihn vorsichtig. Sein Puls raste, aber der Atem war schwach. Sie setzten ihm eine Sauerstoffmaske auf. Bei der weiteren Untersuchung stellte sich heraus, dass sein ganzer Rücken blau und geschwollen war. Eine Beschädigung der Wirbelsäule stand also zu befürchten. Auch der Kopf schien etwas abbekommen zu haben. Eine mächtige Beule wölbte sich am kahlen Hinterkopf. Im Moment konnten sie wenig für Luigi tun. Das Wichtigste war jetzt, ihn zurück auf die Explorer zu bringen. Anton hangelte sich wieder nach vorn und ließ sich auf seinem Platz neben Gina nieder. Sie hatte inzwischen einen Systemcheck durchgeführt. Die Ladeluke stand nach wie vor um 15 Grad offen. Mehrere Sensoren waren ausgefallen, aber nichts Wichtiges. Etwas mehr Sorgen bereitete ihr der Ausfall einer Steuerdüse, welche ebenfalls an der Ladeluke montiert war und beim Andockmanöver benötigt wurde. Anton meinte, dies kompensieren zu können. „Hauptsache, die Triebwerke laufen problemlos“, sagte er. In der Ferne war die Explorer inzwischen wieder gut zu erkennen. Sie hatte vollständig gestoppt und gleichzeitig sämtliche Außenbeleuchtung eingeschaltet, um Gina ein leichteres Ziel zu bieten. Sie drosselte nun ebenfalls die Geschwindigkeit. Vom Kontrollraum kam die Anweisung, erstmal nahe an der Brücke vorbeizufliegen, damit sie den Schaden begutachten konnten.
Auf der Brücke hatte sich die Aufregung inzwischen etwas gelegt. Die Crew der Lincoln war vorläufig in Sicherheit, auch wenn der Schaden noch nicht abzusehen war. Luigi Bientramis Zustand blieb unklar. Solange er in seinem Raumanzug steckte, konnten von der Explorer aus alle wichtigen Werte überwacht werden. Doch den hatte er jetzt nicht mehr an und so mussten sie sich auf die Angaben der Crew verlassen. Die waren alle als Ersthelfer ausgebildet.
Admiral Morrison hatte Lisa entdeckt. Sie saß drüben am Konferenztisch und schien etwas erschöpft zu sein, während sie in ihr KomLink sprach. Er ging zu ihr hinüber.
„Lisa, vielen Dank für die Warnung. Das ist ja gerade nochmal gut gegangen. War richtig knapp.“
Sie sah auf und sagte: „Dafür musste ich mich auch ganz schön sputen. Ich glaub, das war ein neuer Rekord vom Labor hier rüber.“
„Aber wieso haben Sie nicht einfach angerufen?“
„Keine Verbindung. Ich hab’s bei Ihnen versucht, bei Captain Horrand und sogar bei Ronny, der drüben im Kontrollraum sein müsste. Ich bin einfach nicht durchgekommen.“
Morrison sah sie irritiert an. „Was? Das kann nicht sein.“
„Doch. Ich bekomme auch jetzt keine Verbindung zum Labor. Zu Ronny ja, aber nicht zum Labor. Ich hab schon zum Spaß versucht, die Kantine anzurufen. Nichts.“
Von hinten näherte sich First Captain Horrand und räusperte sich.
„Ähhmm. Ich fürchte, dafür bin ich verantwortlich. Ich wollte verhindern, dass etwas vom Unfall nach draußen dringt und habe die KI angewiesen, sämtliche Verbindungen außerhalb der Brücke und des Kontrollraumes zu unterbrechen.“
„Was? Sind Sie wahnsinnig geworden?“, explodierte der Admiral. „Ist Ihnen klar, dass Sie damit beinahe die Crew der Lincoln umgebracht hätten? Sie hätten mich wenigstens informieren müssen.“
Horrand schien bei dem scharfen Ton immer mehr in sich zusammenzusacken. Er versuchte etwas zu erwidern, kam aber nicht zu Wort. Zum Glück ging gerade die Tür auf und Sven Egström kam zusammen mit Ronny Payton herein. Die Payton-Kinder hatten sie auch im Schlepptau. Als Morrison sie sah, drosselte er seine Stimme deutlich. Mit bösem Blick fauchte er: „Das klären wir später.“
Normalerweise war Morrison ein absolut ruhiger und entspannter Mensch. Nur in seltenen Fällen konnte er auch mal richtig explodieren. Dann merkte jeder schnell, dass er eine Karriere beim Militär hinter sich hatte, und man ging ihm besser aus dem Weg.
Gerard schien er sich besonders gerne als Opfer herauszusuchen. Immer wieder machte er ihm Vorwürfe wegen Kleinigkeiten. Okay, er hätte Morrison über die Informationssperre unterrichten müssen, aber gerade als er das vorhatte war die Payton hereingeplatzt und hatte Alarm geschlagen. Danach ging es irgendwie unter und es gab Wichtigeres zu tun. Überhaupt war Gerard mit Morrisons Führungsstil alles andere als glücklich. Wenn er das Kommando hätte, würde hier ein viel strengeres Regiment herrschen. Die Wissenschaftler hatten immer mehr das Sagen übernommen. Und dann diese überflüssigen Feste ständig. Sogar Alkohol wurde da ausgeschenkt, wenn auch nur wenig. Unter seinem Kommando hätte es das bestimmt nicht gegeben. Selbst Glücksspiel gab es immer wieder. Dabei war es auch schon zu Schlägereien gekommen und sein Sicherheitsteam musste eingreifen. Mehrfach hatte er darum gebeten, dieses um ein paar Mann aufzustocken, aber Morrison hatte jedesmal abgelehnt. Verdammt, er war doch auch Soldat. Er war in den Jahren der Reise immer mehr verweichlicht und wurde nun offensichtlich alt.
Der Admiral hatte sich inzwischen beruhigt und unterhielt sich mit Egström und Payton. Er hatte sie auf die Brücke kommen lassen, um den Schaden am Shuttle besser beurteilen zu können.
Janine hatte ihre Mutter entdeckt, die immer noch am Tisch saß und rannte zu ihr. Lisa drückte sie an sich. „Hey, Schatz, alles gut bei dir?“
„Ja. Mami? Was ist mit dem Shuttle passiert?“
Oje. Wie sollte sie ihr das erklären? „Also, viel weiß ich leider auch noch nicht. Ich bin gerade erst gekommen. Ich weiß, dass das Shuttle beschädigt worden ist und Mister Bientrami verletzt wurde. Und sie sind jetzt auf dem Rückweg.“
„Kann das Papa auch passieren?“, fragte Janine leise.
Autsch. Die Fragen wurden langsam unangenehm. „Pass auf, Schatz. Ich denke, wir sind hier im Moment ein bisschen im Weg. Was hältst du davon, wenn wir ins Labor gehen. Da können wir weiterreden. Außerdem scheinst du mir recht müde zu werden.“
Janine maulte ein wenig, nahm aber die Hand ihrer Mutter und sie gingen rüber zu Ronny und Peter.
Lisa wollte auch Peter mitnehmen, aber der sträubte sich. Das war alles sehr aufregend für ihn und jetzt durfte er auch noch auf der Brücke dabei sein. Ronny sah den Admiral fragend an. Der überlegte einen Moment, bevor er antwortete. „Okay. Du kannst bleiben. Setz dich dort hin und verhalte dich ruhig. Verstanden?“
Peter nickte begeistert und lief rüber zum Tisch, wo gerade noch seine Mutter gesessen hatte. Morgen würde er in der Schule was zu erzählen haben.
Lisa zuckte resigniert mit den Schultern. Peter kam ganz nach seinem Vater. Bevor sie gingen, bat Admiral Morrison sie noch, den Unfall vorerst für sich zu behalten. Dann bedankte er sich nochmals für die Warnung vor dem zweiten Meteoritenschauer. Das habe der Crew wahrscheinlich das Leben gerettet.
„Ich werde Ihren Dank an Adriana Gonzales weiterleiten. Sie hat die Flugbahn der Meteoriten zuerst erkannt“, entgegnete Lisa.
Gerard stöhnte innerlich auf. Das durfte doch nicht wahr sein. Sie steckten hier in einer schweren Krise und Morrison erlaubte auch noch einem Kind, auf der Brücke herumzuspringen. Wieder eine krasse Fehlentscheidung. Heute würde er nichts mehr sagen, ein Anschiss war genug für diesen Tag. Aber irgendwann konnte er es vielleicht gegen ihn verwenden. In seinem Kopf machte Gerard einen weiteren Eintrag in eine lange Liste von Fehlern des Admirals.
Inzwischen hatte die Lincoln die Explorer erreicht. Anton steuerte das Shuttle mit den verbliebenen Steuerdüsen direkt vor die Fenster der Brücke in einem Abstand von etwa 100 Metern. Sven war geschockt von dem Bild, das sich ihm bot. Die Ladeluke auf steuerbord stand etwa zwei Meter weit offen. Im hinteren Drittel klaffte ein größeres Loch, wie wenn jemand mit einer großkalibrigen Flinte darauf geschossen hätte. Damit erhärtete sich die Vermutung eines Meteoriteneinschlages deutlich. Auf dem vergrößerten Bild, das die künstliche Intelligenz Kira auf das Fenster projizierte, war deutlich zu sehen, dass von der Steuerdüse nur ein paar Kabel übriggeblieben waren. Auch das Heckleitwerk war durch einen weiteren Treffer faustgroß durchlöchert worden. Das dürfte den Verlust der Sensoren erklären, von denen einige im betroffenen Bereich untergebracht waren.
Nach ein paar Minuten wendete Anton die Lincoln und sofort wurde die Austrittsstelle auf der Backbordseite sichtbar. Das Loch war stark ausgefranst und leicht angekohlt. Offensichtlich gab es aber nur den Schaden in der Außenhaut. Leitungen waren dem Systemcheck nach hier nicht beschädigt.
„Anton, wie sieht es aus? Glauben Sie, Sie bekommen das Andockmanöver so hin?“
„Sollte kein Problem sein. Ich möchte nur Erschütterungen so gering wie möglich halten, wegen Luigi.“
„Okay. Sollen wir zur Absicherung das zweite Shuttle rausschicken?“
Ronnys Herz machte einen Sprung. Sollte er heute doch noch einen Einsatz bekommen? Seine Freude war von kurzer Dauer, denn Anton lehnte ab. Das würde zu lange dauern und Luigi benötige dringend einen Arzt.
Morrison bestätigte und gab den Anflug frei. Die Tore hatten sie längst geöffnet und der Tragarm war bereits ausgefahren.
„Mister Payton? Sie überwachen von den Monitoren aus das Andocken. Wenn Ihnen etwas auffällt, melden Sie es.“
Ronny nahm daraufhin vor den Monitoren Platz. Einer zeigte das Bild vom Shuttle senkrecht nach unten. Der nächste das Bild vom Pfeiler nach oben und der dritte Monitor sendete Aufnahmen vom Bug der Explorer Richtung Andockpunkt.
Anton stieg etwas auf, damit er den Landepunkt früher sah und so besser einfädeln konnte. Die Schwierigkeit hierbei war, dass er das Manöver rückwärts ausführen musste, mit dem Heck des Shuttles zum Bug der Explorer . Dadurch hatte er keinerlei Orientierungspunkte nach vorne. Doch das war die Standardprozedur, um beim nächsten Mal schneller starten zu können. Den einzigen Anhaltspunkt lieferte die Kamera unterm Schiff. Auf dem Landeträger gab es einige Signallichter, die ihm halfen. Die fehlende Steuerdüse machte sich jetzt richtig bemerkbar. Es war schwer, die Lincoln auf Kurs zu halten. Immer wieder brach sie nach links aus, weil dort der Gegenschub fehlte. Gina gab ihm laufend den Abstand durch. Jetzt waren es nur noch zehn Meter. Wieder brach die Lincoln nach links aus. Anton fluchte und der Schweiß trat ihm auf die Stirn. „Fünf Meter.“ Er war wieder auf Position, aber schon driftete sie erneut ab. Verdammt. Er aktivierte die unteren Düsen, stieg wieder auf und von der Explorer weg.
„Okay, Anton“, tönte es aus dem Funk. „Versuch doch mal andersherum zu landen, vielleicht geht’s dann einfacher.“
„Payton, was mischst du dich ein? Ich weiß selbst, was ich tue, also halt die Klappe.“
Danach herrschte kurz Ruhe, bis Admiral Morrisons Stimme ins Cockpit krachte. „Gianelli? Sie fliegen dieses Mal vorwärts an.“
Na super. Der Boss unterstützte Payton, diesen Klugscheißer. Aber Befehl war eben Befehl.
Auch Ronny war klar, dass das sein Verhältnis zu Anton nicht unbedingt verbessern würde. Zumal Anflug und Landung dieses Mal wesentlich besser funktionierten. Das Shuttle setzte auf und die Klammern griffen zu. Danach fuhr der Tragarm wieder ein und die Tore schlossen sich. Nach wenigen Minuten war die Luft in den Hangar geströmt und das Medi-Team schwebte aus der Schleuse hinunter zum Shuttle.
Lisa und Janine waren inzwischen im Labor angekommen, wo Adriana gleich aufgeregt auf sie zu gestürmt kam.
„Wo warst du? Ich hab versucht dich zu erreichen, aber das KomLink hat dich auch blockiert.“
„Ja, ich weiß. Horrand hat die Kommunikation zur Brücke unterbrochen. Da drin ging’s recht heiß her. Probleme mit dem Shuttle.“
„Wieso? Was ist denn passiert?“
„Sag ich dir später“, wich Lisa aus. „Was war denn bei euch los?“
„Oh, jede Menge. Die Objekte sind direkt auf den Orbiter zugeflogen. Die Lincoln ist gerade noch rechtzeitig losgedüst.“
Lisa schwante Düsteres. „Was ist mit dem Orbiter?“
Adriana grinste. „Wir haben richtig Schwein gehabt. Ein Solarpaneel hat’s zertrümmert und der Orbiter hat ein paar Pirouetten gedreht. Sergeij konnte ihn aber mit den Steuerdüsen wieder abfangen und jetzt dreht er seine Runden um den Planeten und liefert jede Menge Daten.“
Puhh. Da hatten sie wirklich Glück gehabt. Eridani-6 war der einzige Planet, bei dem sie sich solch einen Schaden leisten konnten. Er war so weit vom Zentralstern entfernt, dass die Solarzellen kaum etwas gebracht hätten. Lisa überlegte, ob sie das dem Admiral melden sollte, aber dann müsste sie nochmal rüber zur Brücke. Dafür war sie jetzt wirklich zu müde und auch Janine sollte endlich ins Bett. Darum entschied sie sich, Morrison eine kurze KomMail zu schreiben und ihn dann morgen detailliert zu unterrichten.
„Zeichnet die Daten auf, wir gehen sie später durch und suchen ein Plätzchen für den Lander. Ich bring Janine ins Bett und leg mich gleich dazu. Ihr solltet das auch machen.“
„Okay, geht schlafen. Und du, Süße, träum was Schönes“, säuselte Adriana Janine ins Ohr.
Lisa war klar, dass Adriana noch nicht Feierabend machen würde, so aufgedreht wie die herumrannte, und auch Sergeij würde wohl noch ein bisschen bleiben. Schließlich war das seine erste richtige Orbiter-Mission. Bisher hatte er nur im Simulator üben können.
Lisa und Janine machten sich auf den Weg nach Hause. Nach einer kurzen Dusche gingen sie ins Kinderzimmer und legten sich zusammen in Janines Bett, wo sie rasch einschliefen. Doch heute Nacht träumte Lisa nicht vom Meer. Diesmal schwebte ihr Boot durchs All. Ronny stand am Steuer und versuchte, Meteoriten auszuweichen.
Später irgendwann vibrierte Lisas Armband. Müde blickte sie darauf. Eine Mail war eingegangen. Der Admiral wollte um 8 Uhr die Besatzung über den Vorfall informieren und die Dienstbesprechung hatte er auf 12 Uhr verschoben. Juhu, ausschlafen.
Janine konnte auch länger schlafen, denn das Schulsystem war auf der Explorer etwas anders als auf der Erde. Die Kinder lernten in erster Linie von Computern, die mit der KI gekoppelt waren, wodurch die Unterrichtszeiten variabel waren. Trotzdem gab es natürlich auch mehrere Lehrer und jede Menge Wissenschaftler an Bord, die ihnen zur Verfügung standen.
Lisa fragte sich, ob Ronny und Peter inzwischen auch nach Hause gekommen waren. Sie hatte die beiden jedenfalls nicht gehört. Aber sie war gerade zu faul, um nachzusehen. Außerdem vertraute sie ihrem Mann.
Der hatte Peter gegen 2 Uhr zu Svens Lebensgefährtin Marlene gebracht. Dort schliefen die Kinder ab und zu, wenn er und Lisa arbeiten mussten.
Das Medi-Team hatte Luigi inzwischen auf die Krankenstation gebracht. Anton, Gina und Benny wurden zum Rapport auf die Brücke gebeten. Sie kamen gerade aus der Schleuse, die den Hangar vom Umlauf trennte. Als Anton Ronny entdeckte, warf der ihm einen bösen Blick zu. War er immer noch sauer, weil Ronny ihm vorhin einen Rat gegeben hatte? Oder passte es ihm nicht, dass er jetzt in den Hangar ging, um die Schäden zu begutachten? Ihr Verhältnis steuerte mal wieder auf einen Tiefpunkt zu. Damit würde er sich später beschäftigen müssen. Jetzt ging er mit Sven in die Schleuse und zog seine Weste an. Die hatte eine kleine Pressluftflasche und mehrere Düsen. An einem Arm gab es Hebel, mit denen sie in der Schwerelosigkeit steuern konnten. Beim ersten Mal, als er hier in der Schleuse stand, war es beängstigend, an die Kante des Raumes zu treten, die 27 Meter bis zum Hangarboden vor sich zu haben und dann einen weiteren Schritt nach vorn zu machen. Inzwischen war es jedoch Routine und die meisten machten einen großen Sprung. Die Jüngeren drehten zusätzlich noch ein paar Saltos und Korkenzieher, aber aus dem Alter waren Sven und Ronny heraus. Meistens jedenfalls.
Sie schwebten hinunter zur Ladeluke und begutachteten das Loch darin. Es hatte einen Durchmesser von etwa 20 Zentimetern. Die Wand war etwa 15 Zentimeter dick und hatte zwischen den Platten einen Hohlraum, um Leitungen zu verlegen. Beide Bleche waren glatt durchschlagen. Der Rand des Lochs war geschwärzt und auf der Austrittsseite gab es scharfkantige Zacken. Was auch immer hier durchgeschossen war, musste ein unheimliches Tempo gehabt haben. Nicht auszudenken, wenn das Ding in die Mannschaftskabine eingeschlagen wäre. Durch die Öffnung konnten sie sehen, dass das Projektil den Kranarm gestreift hatte und dann nach unten abgelenkt wurde, wo es unterhalb der Backbordladeluke wieder aus dem Shuttle ausgetreten war. „Glatter Durchschuss“, staunte Sven. „Kannst du bitte mal ins Cockpit gehen und versuchen, ob sich die Tore öffnen lassen?“
„Mach ich.“ Ronny flog hoch und in den Laderaum hinein. Durch die Luftschleuse gelangte er ins Cockpit. Über KomLink warnte er Sven und betätigte die Steuerung. Ein ohrenbetäubendes Quietschen hallte daraufhin durch den Hangar, doch nur das Backbordtor öffnete sich. Plötzlich gab es einen Knall und die Anzeige der Torsteuerung wurde dunkel. „Upps. Ich glaub, uns ist da gerade eine Platine durchgeschmort. Riecht auch leicht rauchig hier. Ich schau mal lieber nach“, meldete Ronny. Er schwebte auf die Steuerbordseite und öffnete eine Wandverkleidung. Dahinter befand sich ein Schaltschrank mit unzähligen Computerplatinen, aus einer von ihnen stieg eine dünne Rauchfahne auf. Er nahm sie heraus und steckte sie in seine Westentasche. Dann verließ er das Cockpit wieder und besah sich mit Sven den Schaden am Kranarm und an der Backbordwand. Auch die Heckflosse hatte zwei ansehnliche Treffer abbekommen.
„Na toll. Das gibt ne Menge Arbeit in den nächsten Wochen. Die Lincoln ist erstmal kampfunfähig.“ Und nebenbei musste ja auch noch die Mission für Eridani-5 vorbereitet werden.
Sven und Ronny schwebten zurück zur Schleuse, um dem Admiral Meldung zu machen. Auf der Brücke erfuhren sie jedoch, dass er nach der Besprechung mit der Lincoln- Crew und einem Abstecher zur Krankenstation Feierabend gemacht hatte. Ihr Bericht musste wohl bis morgen warten und ein bisschen Schlaf würde ihnen auch guttun.