Читать книгу Eridani-Explorer Band 1 - Paul Desselmann - Страница 4
27.04.2074, Freitag
ОглавлениеLisa war gegen 10 Uhr wieder im Labor eingetroffen. Adriana und Sergeij hatten, wie befürchtet, die ganze Nacht durchgemacht und die ersten Daten analysiert. Lisa holte sich jetzt ihr Update, um später bei der Besprechung des Admirals etwas beitragen zu können.
Eridani-6 hatte eine sehr dünne Atmosphäre, die nur etwa zwei Kilometer hoch war und aus 80 Prozent Stickstoff und 15 Prozent Kohlenmonoxid bestand. Der Rest setzte sich aus Methan, Sauerstoff und einigen Edelgasen zusammen. Die Durchschnittstemperatur der Atmosphäre lag bei etwa minus 150 Grad Celsius, was ungewöhnlich warm war. Pluto befand sich etwas näher an der heimischen Sonne, hatte aber eine durchschnittliche Temperatur von minus 220 Grad Celsius. Das ließ darauf schließen, dass die Temperatur im Inneren von Eridani-6 durch tektonische Aktivitäten recht hoch war. Thermoscans zeigten einige wenige Stellen an der Oberfläche, an denen die Temperatur nahe der Null-Grad-Marke lag. Das waren zumeist Krater, vermutlich vulkanischen Ursprungs. Die höchste bisher gemessene Erhebung betrug 850 Meter, die tiefste Stelle lag bei minus 300 Metern.
In der Umlaufbahn waren viele kleine Meteoriten unterwegs, was daran lag, dass Eridani-6 nur eine geringe Schwerkraft von 0.5 G hatte. Einen Mond, der die Gesteinsbrocken anziehen könnte, besaß er nicht.
„Bei dem ganzen Zeug ist es fast ein Wunder, dass die Lincoln dort wieder weggekommen ist und wir Orbiter-6 noch nicht verloren haben. Wir sollten den Lander so bald wie möglich runterbringen und Daten sammeln, solange wir können. Wenn der Orbiter zerstört wird, bricht auch die Verbindung zum Lander ab. Dies hier wäre ein guter Landeplatz. Er befindet sich in der Nähe zum Eisfeld und ein Vulkankrater ist auch nicht weit.“
Lisa hatte sich Notizen gemacht. Das war eine Menge Gesprächsstoff für die Sitzung.
„Also gut. Sobald ihr euren Zielpunkt habt, dürft ihr den Lander starten. Gebt mir aber bitte vorher Bescheid. Ich möchte den spannenden Moment nicht verpassen. Wenn ich bei der Sitzung bin, schickt mir eine Mail. Wie lange schätzt ihr bis zum Start?“
„Circa zwei bis drei Stunden.“
„Okay. Wie wär’s, wenn ihr beide euch zwei Stunden aufs Ohr haut. Ihr seht echt fertig aus.“
„Als ob ich jetzt schlafen könnte“, knurrte Adriana säuerlich.
Sergeij aber stand auf und verabschiedete sich. „Nee, da kann ich nicht mithalten. Ich bin drüben auf der Liege. Wenn was Wichtiges ist, melde dich. Mit Betonung auf WICHTIG“, sagte er und schlurfte davon.
Adriana zuckte mit den Schultern, murmelte etwas wie Weichei , und drehte sich wieder ihrem Bildschirm zu.
„Hoffentlich isst und trinkt sie zwischendurch wenigstens mal was“, dachte Lisa kopfschüttelnd und ging in ihr Büro, um nochmals sämtliche Daten von E6 auf ihren Monitor anzuschauen. Nebenbei aß sie die beiden Marmeladenbrötchen, die sie vorhin noch schnell in der Cafeteria geholt hatte.
Ronny hatte ihr inzwischen eine Mail geschrieben. Er war erst gegen 4:30 Uhr nach Hause gekommen. Dass er Peter zu Marlene gebracht hatte, fand sie völlig in Ordnung. Nach dem Frühstück wollte er mit den anderen Technikern die Reparatur der Lincoln besprechen.
„Guten Tag, meine Herrschaften“, begann Admiral Morrison die Sitzung auf der Brücke. „Wie Sie alle mitbekommen haben, hatten wir gestern einen unerfreulich aufregenden Abend. Zuallererst, ich habe gerade mit Professor Ho gesprochen. Der Gesundheitszustand von Mister Bientrami ist leider weiterhin kritisch. Er hat eine leichte Verletzung der Lunge erlitten. Außerdem eine schwere Prellung der Wirbelsäule. Ob er bleibende Schäden zurückbehalten wird, kann im Moment noch nicht gesagt werden. Er liegt zurzeit in einem künstlichen Koma, was seine Heilung begünstigen soll. Professor Ho und Doktor Gassner sind aber vorsichtig optimistisch, dass er wieder auf die Beine kommt. Das wird allerdings dauern.
Mister Egström, Sie haben gestern noch die Schäden am Shuttle begutachtet. Was können Sie uns darüber sagen?“
Sven war noch etwas abwesend wegen der schlechten Nachrichten über Luigis Zustand.
„Mister Egström? Sie haben das Wort“, wiederholte der Boss.
„Ähh, ja, ähhm. Ich bin mit Ronny Payton zusammen am Shuttle gewesen und habe eine erste Sichtkontrolle durchgeführt. In der Ladeluke steuerbord und unterhalb der Backbordluke befindet sich jeweils ein Durchschlag von circa 20 Zentimeter Durchmesser. Die Heckflosse hat einen Treffer von zehn und einen mit zwei Zentimetern abbekommen. Beim Versuch, die Tore zu öffnen, ist eine Platine durchgeschmort. Das ist aber kein Problem. Wir haben genug Ersatz.
Der Kranarm hingegen ist ein Problem. Beim Durchschlagen des Laderaumes hat ihn der große Meteorit gestreift. Die Hydraulik ist abgerissen und der Tragarm wurde massiv verbeult, sodass Stabilität und Funktion nicht mehr gewährleistet sind. Ich schätze die Reparaturzeit auf zwei bis drei Wochen, wobei die Vorbereitungen für die nächsten Orbiter-Missionen mit eingerechnet sind.“
„Nicht gut“, antwortete Morrison. „Das habe ich fast befürchtet. Nur gut, dass wir noch die Washington haben. Sonst wären wir ziemlich aufgeschmissen.
Lisa? Was haben Sie uns Neues zu berichten? Und müssen wir mit noch mehr Meteoritenschauern rechnen?“
„Wir sind jetzt aus der Umlaufbahn von E6 raus. Ich geh davon aus, dass die Gefahr hier draußen sehr viel geringer ist. Auch bei E5 vermuten wir weniger Meteoriten, weil er eine deutlich größere Gravitation und außerdem noch zwei Monde hat. Ich schlage aber vor, unsere Geschwindigkeit zu drosseln. Des Weiteren würde ich das Radar aus einem Orbiter vorn am Bug installieren. Das ist viel sensibler, wie wir gesehen haben. Wir könnten dann bei der Shuttlemission morgen die Explorer auf die Flugbahn der Washington ausrichten und so Gefahren erkennen, bevor das Shuttle hineinfliegt.“
„Guter Vorschlag“, mischte sich Sven ein. „Orbiter-1 wäre entbehrlich, da wir auf Eridani-1 sowieso nicht landen. Beziehungsweise die Mission erst lange nach unserer Besiedlung auf E2 oder E3 in Angriff nehmen würden.“
„Find ich auch“, bekundete Morrison. „Die Sicherheit hat absolut Vorrang. Erst recht für Sie, Lisa, da ich Ihren Mann für die nächste Mission einteilen werde.“
Lisa musste schlucken. Ronny sollte als nächstes fliegen? Sicher, er war ein toller Pilot und würde sich sehr darüber freuen. Aber nach dem, was letzte Nacht passiert war, bekam sie ein flaues Gefühl im Magen. Janines Frage kam ihr wieder in den Sinn. „Kann das auch Papa passieren?“
Ein erneutes Räuspern brachte sie wieder in die Realität zurück und so fuhr sie fort, berichtete von der Beschädigung des Orbiters und die neuesten Erkenntnisse von E6. Auch, dass sie so bald wie möglich den Lander starten wollten.
Wie auf Bestellung vibrierte ihr Armband.
„Na, das passt ja, Start ist in 20 Minuten“, rief sie erfreut.
Der Admiral klatschte in die Hände. „Gibt es sonst noch irgendwelche Informationen, die ich wissen sollte? Nein? Na da…“
„Stopp. Ich hätte da noch eine Meldung“, fiel ihm Horrand ins Wort. „Gestern beim Fest ist es zu einer Schlägerei gekommen. Paul Okaba und Bill MacIntosh sind wegen einer Frau aneinander geraten. MacIntosh …“
„Ja, ja“, grätschte Morrison dazwischen. „Das ist Aufgabe des Sicherheitsdienstes. Die sollen sich darum kümmern. Ich würde jetzt gern ins Labor und mir den Start des Landers ansehen. Wir können später darüber reden.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, stand er auf und verließ mit Lisa die Brücke.
Sven stand ebenfalls auf. Die Techniker trafen sich gerade im Theta-Modul des Freizeitrings. In einem der dortigen Besprechungsräume planten sie die notwendigen Reparaturarbeiten an der Lincoln und Sven wollte mit dabei sein.
Auch Bürgermeister Berger und George Klein vom Agrarmodul machten sich wieder an die Arbeit. Nur Captain Horrand blieb verärgert sitzen.
„Lisa, du kommst gerade noch rechtzeitig. Ohh, hallo, Admiral. Schön, dass Sie auch dabei sind. Wir starten jetzt den Lander“, rief ihnen Adriana zu, als die beiden das Labor betraten. Täuschte Lisa sich, oder waren der Elan und die Energie aus Adrianas Stimme verschwunden? Sie sah noch blasser aus als sonst und brauchte dringend Schlaf. Aber es war im Moment absolut sinnlos, ihr das zu sagen.
Lisa und Morrison setzten sich vor die drei Bildschirme. Lisa sollte die Leitung übernehmen, aber sie lehnte dankend ab. „Adriana, das ist dein Baby.“
Ein Strahlen trat in ihr müdes Gesicht. „Danke. Sergeij, abkoppeln des Landers auf mein Kommando. In zwölf, elf, zehn, …“ Sie veränderte noch ein paar Einstellungen, „…vier, drei, zwei, eins, und abkoppeln.“ Eine Anzeige bestätigte die Abkopplung und die Steuerdüsen brachten das etwa 2x3x3 Meter große Lander-Modul auf Kurs. Jetzt brauchten sie nichts mehr zu tun, nur beobachten. Das Gerät öffnete sich und steuerte selbstständig auf das vorher programmierte Ziel am Boden zu. Das alles wurde mit Kameras auf die Monitore übertragen. Sie sahen, wie der Boden sich rasch näherte. Rechts war das Eisfeld zu erkennen. Links davon leuchtete eine grüne Markierung auf, ihr Landeplatz. Am linken Bildschirmrand war der Krater eines Vulkans zu erkennen, dünne Rauchschwaden hingen darüber.
Die Steuerdüsen bremsten weiter ab. Die Temperatur stieg merklich an, von minus 270 Grad auf minus 120 Grad Celsius. Sie waren in die dünne Atmosphäre eingetreten. 50 Meter über dem Boden erhöhte sich die Leistung der Steuerdüsen und bremsten das Gerät noch weiter ab. Bei 20 Metern wirbelte Staub auf und der Monitor wurde schlagartig trüb. Es war nichts mehr zu erkennen. Der Admiral rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum, sagte aber nichts.
Die Kontrollanzeigen bestätigten das Auslösen der Ankerbolzen. Kleine Treibladungen hatten sie auf den Boden abgefeuert und Seilwinden zogen das Modul nach unten. Die Anzeigen verkündeten, dass die Landung geglückt war und alle jubelten. Jetzt musste sich nur noch der Staub legen. Adriana wollte zehn Minuten warten, bevor sie den Lander öffnete, um nicht so viel davon auf die Kameralinsen und die Technik im Inneren zu bekommen.
Die ersten Sensordaten trafen ein und bestätigten die vorherberechnete Zusammensetzung der Atmosphäre. Die Umgebungstemperatur betrug minus 47 Grad Celsius.
Adriana öffnete jetzt den Lander. Dabei klappten die Seitenwände nach außen. Eine davon bildete die Rampe, über welche der kleine Rover auf die Oberfläche fahren konnte. Die anderen Seitenwände hatten auf den Innenflächen Solarmodule für die Stromversorgung. Diese würden aber hier auf diesem Planeten nichts bringen. Die vorhandenen Batterien reichten für etwa 48 Stunden. Als nächstes fuhr die Kamera aus. Sie war um 360 Grad drehbar und ließ sich auch nach oben und unten schwenken.
Ein Monitor ging an und zeigte ein gestochen scharfes Bild. Wieder ging Jubel durchs Labor. Nur Adriana war auffallend ruhig.
Sergeij betätigte die Steuerung der Kamera. Aufgrund der Entfernung zwischen Explorer und Lander-6 dauerte die Reaktion einige Sekunden. Darum stellte er die Kamera auf einen langsamen 360-Grad-Umlauf ein, bei jeder Umdrehung mit einer anderen Höheneinstellung.
Plötzlich fing Adriana zu zittern an. Lisa sprang auf und wollte sie stützen, aber sie kam zu spät. Adriana sank in sich zusammen und stürzte auf den Boden. Ihr Kopf schlug dabei hart auf.
Lisa rief einem der Laboranten zu, er solle ein Klappbett und eine Decke holen. Admiral Morrison telefonierte schon mit der Krankenstation. Maria, eine Programmiererin, brachte ein Kissen und schob es Adriana vorsichtig unter den Kopf. Dieser schien zumindest nicht zu bluten, aber sie zitterte immer noch am ganzen Körper. Ihr Puls raste. Mike kam mit dem Bett zurück und stellte es neben Adriana auf. Gemeinsam hoben sie sie darauf.
Endlich trafen die Sanitäter ein. Marlene war auch dabei und hatte die Leitung. Sie untersuchte Adriana und vermutete eine Dehydrierung. Gepaart mit Schlafmangel und ihrer ohnehin zierlichen Figur war der Kollaps vorprogrammiert. Am linken Hinterkopf hatte sich eine stattliche Beule gebildet, weshalb sie von einer Gehirnerschütterung ausgehen musste. Sie betteten Adriana vorsichtig auf die Krankentrage und legten eine Infusion Glykoselösung.
Lisa wollte mit in die Klinik, aber Morrison hielt sie zurück „Sie können im Moment nichts für Adriana tun. Sie ist in guten Händen und wir brauchen Sie jetzt hier. Wir haben nur wenig Zeit für unsere Mission, und wie würde Adriana wohl reagieren, wenn wir wegen ihr abbrechen müssten?“
Lisa atmete durch und nickte sie Sergeij zu, der ebenfalls völlig durcheinander war.
Sergeij aktivierte den Erdbohrer, um Proben in das Minilabor zu liefern. Anschließend startete er den kleinen Rover. Sein erstes Ziel war das Eisfeld, das etwa 40 Meter vom Landeplatz entfernt war. Unterwegs nahm er mit der RoverCam einen Rundumblick. Es sah atemberaubend aus. Das kleine Landemodul vor der Kulisse des Vulkans mit der Rauchwolke darüber. Ansonsten zeigte sich die Ebene, auf der sie gelandet waren eher unspektakulär. Sehr düster, ohne die Beleuchtung würden sie wahrscheinlich gar nichts sehen. Der Boden war grau und von kleinen Dünen übersät. Der Rover wirbelte beim Fahren Staub auf, den aber ein schwaches Lüftchen sofort wegwehte.
Lisa war überhaupt nicht mehr bei der Sache. Der Vorfall mit Adriana bereitete ihr zunehmend Schuldgefühle. Sie hatte ihr zwar gesagt, sie solle mehr trinken und schlafen, doch Adriana konnte dickköpfig sein. Lisa würde in Zukunft strenger mit ihr sein müssen.
Der Rover war inzwischen am Eisfeld angekommen und hatte mit einer weiteren Probebohrung begonnen. Das dauerte etwa 20 Minuten. Anschließend machte er sich wieder auf den Rückweg, nahm dabei weitere Gesteinsproben und füllte diese in kleine Behälter. Am interessantesten blieb aber die Eisprobe. Die Temperatur direkt am Boden lag nur knapp unter Null. Die Wissenschaftler gingen davon aus, dass das Eis in tieferen Schichten flüssig war und somit auch Leben in Form von Mikroben und Bakterien beherbergen konnte. Die Analyse im Lander würde das herausfinden.
Doch plötzlich gingen Fehlermeldungen des Rovers ein. Es gab Schwierigkeiten mit dem Fahrwerk hinten rechts. Auch die Elektronik meldete diverse Störungen. Sergeij blieb erstaunlich ruhig und richtete die Kamera auf das Fahrwerk aus. Ihm und den anderen stockte der Atem. Zwei der drei Räder hatten sich regelrecht aufgelöst und bildeten einen einzigen zähen Streifen am Boden. Dreck hatte sich darin festgesetzt und das Ganze zu einem dicken Klumpen anwachsen lassen.
Auch das Metall drum herum war angegriffen und schien sich aufzulösen. Wie konnte das sein? Sergeij zoomte weiter hinein.
„Stopp“, rief Lisa. „Geh mal ein Stück mit der Kamera nach oben. Auf die Probenbehälter.“
Sergeij steuerte die Kamera nach oben und sein Unterkiefer klappte nach unten. Einer der Behälter hatte sich ebenfalls aufgelöst. Der Inhalt war darunter auf die Metallplatte getropft und hatte sich weiter über das Fahrwerk ergossen.
„Was war in dem Behälter?“ fragte Morrison.
Maria Ancione suchte die Nummer des Behälters in ihren Listen. „Da war das Eis drin“, meinte sie tonlos.
„Eis? Wie kann Eis so einen Schaden verursachen?“, fragte Morrison verwirrt.
Wie aufs Stichwort fiel jetzt auch noch die Kamera aus und dann war der ganze Rover tot. Ein Stöhnen ging durchs Team.
„Signal verloren“, meldete Maria. Sergeij lenkte nun die Kamera des Landers auf den Rover und zoomte hinein. Der Anblick war einfach nur schockierend. Die Halterung der RoverCam war umgeknickt und das ganze Fahrzeug in sich zusammengesunken. Lisa hatte eine Vermutung. „Maria? Haben wir schon Daten von der Bohrung des Landers?“ Wieder tippte Maria auf ihrer Tastatur herum. „Ja, haben wir. Sie sind noch nicht vollständig, aber wie es aussieht besteht der Untergrund hauptsächlich aus Sand und Gestein, versetzt mit Eisen, ein wenig Kupfer und geringen Mengen einer schwefelähnlichen Substanz.“ Schwefel war in der Nähe eines Vulkans nichts Ungewöhnliches. Aber das „schwefelähnlich“ irritierte Lisa. Wenn das Eis Schwefelsäure enthielt, würden das die Behälter problemlos vertragen. Da musste mehr dahinter stecken. Nur was? „Professor Dillmann soll sich mal die Daten anschauen. Vielleicht wird er ja daraus schlau.“ Professor Shimon Dillmann war der Leiter der geologischen Abteilung der Explorer .
Die Probleme hörten nicht auf. Erneut gab es eine Störungsmeldung. Diesmal vom Lander. Etwas stimmte mit der Ausrichtung nicht. Die Steuerung, die das Modul in Waage halten sollte, musste ständig nachkalibrieren. Bewegte sich etwa der Boden darunter? Sergeij richtete seine Kamera erneut aus, konnte jedoch nichts erkennen, weil die Plattform die Sicht versperrte. Aber etwas anderes war zu sehen. Die Einfüllöffnung für die Proben schien irgendwie löchrig. Offensichtlich war das Zeug, das den Rover zerstört hatte, auch hier im Boden vorhanden, allerdings in deutlich geringeren Mengen. Das bedeutete, sie würden als nächstes das Labor verlieren und irgendwann den ganzen Lander. Vermutlich waren die Probleme mit der Ausrichtung das erste Anzeichen. Nicht der Boden bewegte sich, sondern die Stützen des Moduls lösten sich allmählich auf. Er lenkte die Kamera auf die Ankerseile. Teile davon lagen wie tote Schlangen auf dem Boden.
Admiral Morrison stand auf und schüttelte den Kopf. „Ich glaub, das Ding ist Schrott. Da ist nichts mehr zu retten. Speichern Sie die Daten und bereiten Sie die E5 Mission vor. Hoffen wir, dass die nicht auch in so einem Fiasko endet.“ Damit verließ er den Raum.
Fünf Minuten später fiel das Labor aus, zwei Stunden später brach der Kontakt zum Lander ab. Wenigstens der Orbiter lieferte noch Daten des Oberflächenscans. Aber was bedeutete das jetzt noch?
Zum Abendessen traf sich Lisa mit Ronny in der Cafeteria und erzählte ihm von dem Desaster. „Nur gut, dass wir nicht selbst da runtergegangen sind. Sonst bräuchten wir nie wieder unsere Zehennägel zu schneiden“, lästerte er. Lisa war jedoch nicht nach Späßen zumute. Der Tag, nein, die beiden Tage waren zu viel für sie.
Ronny hatte inzwischen von seinem Einsatz bei der nächsten Mission gehört und freute sich riesig. Es schien ihn überhaupt nicht zu belasten, was mit der Lincoln passiert war. Vielleicht musste man als Astronaut sowas einfach abkönnen. Aufstehen und wieder aufs Pferd steigen.
Ronny erzählte, dass sie das Radar von Orbiter-1 inzwischen ausgebaut hatten und Benny Summers, Albert Johnson und Carlo Garcia das Ding in zwei Stunden am Bug der Explorer installieren würden. Lisa und Sergeij mussten es dann morgen früh neu justieren.
Heute hatte Lisa aber keinen Kopf mehr dafür. Sie war vorhin auf der Krankenstation bei Adriana gewesen. Sie war wieder bei Bewusstsein, aber noch ziemlich schwach. Die Neuigkeiten über das E6-Desaster hatte sie erstaunlich gefasst hingenommen. Sie schien sich mehr Sorgen über ihre Gehirnerschütterung zu machen. Lisa lästerte: „Tja, ich fürchte, jetzt bist du nur noch so schlau wie ich.“
Adriana lachte, zuckte jedoch heftig zusammen, als das Pochen in ihrem Schädel wieder losging. Ansonsten war sie aber auf dem Weg der Besserung. Marlene hatte ihr bereits eine Standpauke zum Thema Ernährung und Schlafrhythmus gehalten und als Antwort ein genervtes Augenrollen bekommen.
Lisa war mit dem Abendessen fertig und ihre Müdigkeit nahm immer mehr zu. „Ich glaub, ich gehe ins Bett. Morgen wird wieder ein sehr langer Tag“, sagte sie zu Ronny.
„Gut, mach das. Frag die Monster, ob sie auch schlafen gehen wollen. Die dürften ziemlich erledigt sein. Ich geh nochmal rüber zum Hangar und schau nach, wie der Stand der Dinge ist. Dann komme ich hinterher. Morgen ist schließlich mein großer Einsatz.“
Lisa stimmte zu und gab ihm einen schnellen Kuss auf die Stirn, bevor sie zum Tisch der Watsons hinüberging. Dort hatte sich Peter neben Celia Watson niedergelassen.
„Hallo Jenny, hallo Charles, hey Celia. Wie geht es euch? Ich hoffe Peter ist anständig.“
„Oh ja, er ist ganz Gentleman“, kam von Jenny zurück.
Lisa setzte einen überraschten Blick auf. „Was? Das kann nicht sein. Sprechen wir über denselben Peter?“
Der warf ihr einen bitterbösen Blick zu.
„Nein, nein. Er ist sehr anständig. Kein Rülpsen, kein Furzen, keine unanständigen Worte. Also alles gut.“ bestätigte Jenny.
„Na da bin ich aber beruhigt. Eigentlich wollte ich ihn ins Bett bringen.“
„Was?“, brauste Peter auf. „Es ist doch erst 20:30 Uhr. Das ist viel zu früh“
„Junger Mann. Du vergisst, dass gestern ein sehr langer Tag war. Und Morgen wird es bestimmt auch wieder spät, wenn Papa seine Mission fliegt.“
„Nur noch eine Stunde? Bitte!“, bettelte er. Dabei schielte er zu Celia hinüber, die sich das Lachen kaum noch verkneifen konnte. Er spürte wie das Blut in seinen Kopf stieg.
„Eine halbe Stunde. Wenn das für euch in Ordnung ist?“, fragte sie in Richtung Jenny und Charles. Die winkten ab und sagten: „Eine halbe Stunde werden wir ihn noch ertragen können. Wir bringen ihn dann nach Hause.“
Lisa bedankte sich. Sie wurde den Eindruck nicht los, dass Peter sehr viel Wert auf das legte, was Celia von ihm dachte.
Janine machte zum Glück kein Theater. Ohne jeden Widerstand ließ sie sich an die Hand nehmen und abführen.
Captain Horrand hatte den ganzen Nachmittag darüber nachgedacht, wie er dem Admiral klar machen konnte, dass es mit der Gesetzlosigkeit an Bord so nicht weitergehen konnte. Immer wieder kam es in den Jahren ihrer langen Reise zu Schlägereien, Diebstählen, Befehlsverweigerungen und Glücksspiel. In einer Werkstatt des Farmmoduls wurde sogar legal Alkohol produziert. Es gab mehrere Versuche, in die entsprechenden Lagerräume einzubrechen. Dieses Chaos musste Gerard mit lediglich 24 Mann vom Sicherheitspersonal unter Kontrolle behalten. Das waren gerade mal acht pro Schicht. Bei einer Besatzung von derzeit 488 Personen an Bord der Eridani Explorer absolut unzureichend. Aber Morrison war so was von desinteressiert, dass Gerard kaum noch Möglichkeiten sah, zu ihm durchzudringen. Vielleicht bekam er ja jetzt seine Chance, ihm die Meinung zu geigen. Gerade hatte Morrison über KomLink angerufen und ihn zu einem Gespräch gebeten.
Sie hatten sich für 21 Uhr in einem der Besprechungszimmer im Freizeitmodul Theta verabredet. Beide trafen gleichzeitig ein und Morrison öffnete ihm die Tür.
„Bitte, setzen Sie sich. Wir haben ein bisschen was zu besprechen“, sagte er höflich. Aber Gerard glaubte, einen gewissen Unterton herauszuhören und musste unwillkürlich schlucken.
„Sie wollten mir heute Mittag von einem Vorfall beim gestrigen Fest erzählen. Außerdem, vermute ich, gibt es noch mehr, was Ihnen auf der Seele liegt.“
Gerard war völlig überrascht von der Offenheit des Admirals und brauchte einen Moment, um die richtigen Worte zu finden. „Ähhmm, ja, also gestern Abend kam es beim Fest zu einer Schlägerei zwischen Paul Okaba und Bill MacIntosh. Dabei ging es wohl um eine Frau. Zwei meiner Männer mussten schließlich dazwischen gehen, nachdem ein Tisch zerstört wurde.“
„Was haben sie mit den beiden gemacht?“
„Wir haben beide für 24 Stunden in die Arrestzelle gesteckt.“
„Die übliche Vorgehensweise also“, kommentierte Morrison.
„Ja, genau das ist das Problem. Solche Vorfälle kommen immer bei Veranstaltungen vor. Nämlich dann, wenn es Alkohol gibt.“ Der Admiral stöhnte leise, doch Gerard ließ sich nicht beirren. „Ich weiß, das wollen Sie nicht hören. Trotzdem können Sie es nicht leugnen. Hier sehen Sie eine Liste mit den Vorkommnissen der letzten Zeit“, er schob ihm ein Blatt Papier hin und Morrison studierte es genau.
„Also gut, das sind neun gewalttätige Vorfälle in den letzten beiden Jahren und noch ein paar harmlose dazu. Niemand ist dabei ernsthaft verletzt worden. Mir scheint das nicht Grund genug, den Alkohol zu verbieten.“
Gerard glaubte, sich verhört zu haben, aber bevor er etwas erwidern konnte, sprach Morrison weiter.
„Wir könnten aber in solchen Fällen ein Alkoholverbot für die Beteiligten aussprechen. Ich schlage eine Mindeststrafe von einer Woche vor.“
„Das klingt akzeptabel für mich, aber es geht mir auch um Glücksspiel. Das verbreitet nur Unruhe und belastet somit meine Sicherheitsleute.“
„Okay, stopp. Was das Glücksspiel angeht: Wir haben kein echtes Geld auf der Explorer . Es ist also nichts weiter als ein Spiel. Und nicht jeder ist ein guter Verlierer. Ich glaube, was Sie wirklich wollen, ist mehr Personal für Ihren Sicherheitsdienst. Damit sind wir auch schon beim eigentlichen Punkt, warum ich Sie heute hergebeten habe. In etwa zwei Wochen werden wir Eridani-3 erreichen. Wenn die ersten Missionen abgeschlossen sind und der Planet für eine Landung von Forschern geeignet ist, sollten wir auch ein paar Schutztruppen mitschicken. Sie stellen in Zusammenarbeit mit Mrs. Payton ein Team zusammen, das für eine Bodenmission in Frage kommt. Auf E3 haben wir eine Gravitation von etwa 1,4 G. Das wird eine enorme körperliche Belastung. Die Leute müssen also topfit und in der Lage sein, eine Waffe abzufeuern.“
„Soll ich dann auch von meinem Sicherheitsteam jemanden mitschicken?“
„Ja. Stocken Sie das Team um zehn Mann auf. Ich würde vorschlagen, dass Sie Okaba und MacIntosh mit in die engere Wahl nehmen. Die Herren sind beide robust gebaut und haben offensichtlich überschüssige Kräfte.“
Wow, Gerard war total überrascht. Damit hatte er überhaupt nicht gerechnet. Er dachte, es gäbe wieder eine Rüge vom Admiral. Stattdessen durfte er sein Team deutlich aufstocken. Das war mehr, als er zu träumen gewagt hatte. Und beim Thema Alkohol hatte er ebenfalls einen Teilerfolg verbuchen können. Nur die Haltung des Admirals zum Glücksspiel konnte er nicht nachvollziehen. Aber irgendwann würde Gerard seinen Willen durchsetzen. Da war er sich ganz sicher.